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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 73

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 526/08, Beschluss v. 23.10.2008, HRRS 2009 Nr. 73


BGH 1 StR 526/08 - Beschluss vom 23. Oktober 2008 (LG München)

Strafklageverbrauch beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Zäsurwirkung eines zwischenzeitlich ergehenden Urteils; Bewertungseinheit); Anwendung des Zweifelsgrundsatzes in der Revision (Freibeweisverfahren).

Art. 103 Abs. 3 GG; § 264 StPO; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Anwendung des Zweifelssatzes gebietet es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Tatgericht nicht, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.N.; NStZ 2004, 35, 36; 2008, 508, 509). Nicht anders verhält es sich aber bei einer Entscheidung des Revisionsgerichts. Auch dieses kann deshalb insbesondere zur weiteren Aufklärung im Freibeweisverfahren nur bei vorhandenen realen Anknüpfungstatsachen gedrängt sein.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. März 2008 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zum Vorbringen des Generalbundesanwalts in seiner Stellungnahme vom 18. September 2008 bemerkt der Senat zu der allein den Angeklagten M. betreffenden Frage des Strafklageverbrauchs das Folgende:

1. a) Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen hatte der Angeklagte - überwiegend gemeinsam mit dem Angeklagten L. - Anfang Januar 2007 (Fall II. 1. der Urteilsgründe), im Zeitraum vom 27. Januar bis Anfang April 2007 (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie im Juni 2007 (Fall II. 3. der Urteilsgründe) von dem gesondert verfolgten A. jeweils Marihuana im Kilogrammbereich erworben, in zwei Fällen zudem 350 Gramm Amphetamin. Die Bezahlung des Kaufpreises erfolgte im Fall II. 1. am 26. Januar 2007, im Fall II. 2. nicht vor dem 12. März 2007 sowie im Fall II. 3. im Juni 2007. Ein Teil des zu zahlenden Betrages diente jeweils der "Tilgung von Altschulden aus früheren Rauschgiftgeschäften".

Diese hat das Landgericht nicht näher spezifiziert, sondern sich lediglich im Rahmen der Prüfung, ob beim Angeklagten L. die Voraussetzungen des § 31 BtMG zu bejahen sind, überzeugt gezeigt, dass A. bereits Ende 2006/Anfang 2007 an den Angeklagten M. (und einen weiteren Mittäter) vier Kilogramm Marihuana geliefert hatte.

b) Durch seit dem selben Tag rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts München ist gegen den Angeklagten M. am 5. Februar 2007 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine - nicht gesamtstrafenfähige (vgl. BGHSt 36, 270) - Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden. Dem lag zugrunde, dass er seit Mitte April 2006 mit Marihuana gehandelt hatte, bis am 4. August 2006 in einem von ihm angemieteten Zimmer fast 800 Gramm des Stoffes sichergestellt wurden. Zur Herkunft dieser Betäubungsmittel hat weder das Amtsgericht noch das Landgericht Feststellungen getroffen.

2. Die Revision des Angeklagten M. macht geltend, das Urteil des Amtsgerichts München vom 5. Februar 2007 habe auch für die vom Landgericht verurteilten Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zum Strafklageverbrauch geführt. Denn mit der Revisionsbegründung behauptet sie erstmalig, Lieferant des im Zeitraum von April bis 4. August 2006 gehandelten Marihuanas sei ebenfalls A. gewesen. Die vom Landgericht festgestellten Tilgungen von "Altschulden" hätten sich auf die damaligen Lieferungen bezogen. Durch die gemeinsame Zahlung auf die vom Amtsgericht München und die nunmehr vom Landgericht verurteilten Rauschgiftgeschäfte würden diese in einem Handlungsteil zusammentreffen und wären daher tateinheitlich verwirklicht.

3. Der geltend gemachte Strafklageverbrauch ist nicht eingetreten.

a) Für die Fälle II. 2. und 3. der Urteilsgründe folgt dies bereits aus dem Umstand, dass selbst dann, wenn man unterstellt, dass mit den Zahlungen tatsächlich Schulden getilgt worden sein sollten, die aus im Zeitraum von April bis spätestens 4. August 2006 von A. vorgenommenen Rauschgiftlieferungen herrührten, diese nicht mehr zu diesen Fällen des Handeltreibens gehören konnten. Denn diese waren - wenn nicht schon durch die dem Angeklagten M. bekannte Sicherstellung des verbliebenen Marihuanas am 4. August 2006 (vgl. BGH NStZ 2008, 573), so doch jedenfalls - durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts München beendet worden. Eine solche Zäsurwirkung ist für Dauerdelikte wie etwa den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln oder Waffen anerkannt (vgl. BGH, Urt. vom 31. Juli 1980 - 4 StR 340/80; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 50, 56). Auch bei einer fortgesetzten Handlung wurden nur vor einem Urteil liegende Teilakte von der Rechtskraft erfasst (vgl. Rissing-van Saan aaO Rdn. 67). Nichts anderes kann aber für das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gelten, bei dem im Wege der Bewertungseinheit mehrere auf den selben Güterumsatz gerichtete, zeitlich aber gestaffelte Teilakte zusammen gefasst werden (vgl. BGHSt 30, 28). Denn der gerichtlichen Kognitionspflicht kann jedenfalls kein strafbares Verhalten unterfallen, welches dem Urteil zeitlich nachfolgt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Vorbem §§ 52 ff. Rdn. 87).

b) Aber auch der Verurteilung im Fall II. 1. der Urteilsgründe steht ein Strafklageverbrauch nicht entgegen. Anders könnte es sein, wenn es der von Amts wegen zur Prüfung des genannten Verfahrenshindernisses berufene Senat zumindest für möglich hielte, A. könnte auch bereits Mitte des Jahres 2006 dem Angeklagten M. für dessen Handeltreiben die Betäubungsmittel geliefert haben. Dann wäre unter Anwendung des Zweifelssatzes das Verfahren einzustellen, sofern eine weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten wäre, oder anderenfalls die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH NStZ 1998, 360, 361; 2008, 42, 43). Diese Voraussetzung verneint der Senat jedoch.

Die Anwendung des Zweifelssatzes gebietet es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Tatgericht nicht, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.N.; NStZ 2004, 35, 36; 2008, 508, 509). Nicht anders verhält es sich aber bei einer Entscheidung des Revisionsgerichts. Auch dieses kann deshalb insbesondere zur weiteren Aufklärung im Freibeweisverfahren nur bei vorhandenen realen Anknüpfungstatsachen gedrängt sein. An solchen Umständen fehlt es vorliegend: Weder das Amtsgericht noch das Landgericht hat A. als Lieferanten des Marihuanas festgestellt, mit dem der Angeklagte M. im Zeitraum von April bis 4. August 2006 Handel getrieben hat. Der - umfassend geständige - Angeklagte hat derartiges in der landgerichtlichen Hauptverhandlung auch nicht behauptet, wie sich der Wiedergabe seiner Einlassung in den Gründen des angefochtenen Urteils entnehmen lässt. Der als Zeuge gehörte, vom Landgericht u.a. wegen Depravationserscheinungen als "schlichtweg katastrophal" bewertete A. hat sich insofern ersichtlich ebenfalls nicht geäußert. Vielmehr hat er nach der landgerichtlichen Überzeugung um den Jahreswechsel 2006/2007 herum dem Angeklagten (und einem Mittäter) vier Kilogramm Marihuana geliefert. Im Hinblick darauf liegt - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - die Annahme nahe, dass die vom Angeklagten zu tilgenden "Altschulden" aus diesem Geschäft und nicht aus zeitlich erheblich vorgelagerten entstanden sind. Angesichts dessen vermag die von dem auch in der landgerichtlichen Hauptverhandlung aufgetretenen Verteidiger erstmals mit der Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung, A. sei bei früheren Betäubungsmittelgeschäften Lieferant des Angeklagten M. gewesen, den Senat nicht zu weiterer Aufklärung zu drängen.

c) Nach alledem kann der Senat die Frage offen lassen, ob er unter Berücksichtigung der hiergegen vom 3. Strafsenat (StraFo 2008, 397) und 4. Strafsenat (NStZ 1999, 411) erhobenen gewichtigen Bedenken weiterhin der (ständigen) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 29; BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 376/07 - und 9. Januar 2008 - 2 StR 527/07) folgen würde, nach der an sich selbständige Betäubungsmittelgeschäfte durch bloße gemeinsame Bezahlung der Lieferungen tateinheitlich verbunden werden können.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 73

Bearbeiter: Karsten Gaede