HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 406
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 649/07, Beschluss v. 12.02.2008, HRRS 2008 Nr. 406
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31. Juli 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Verstößen gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag (Wertersatz) wurde für verfallen erklärt. Die Revision des Angeklagten ist mit mehreren Verfahrensrügen (Revisionsbegründung von Rechtsanwältin G.) und der näher ausgeführten Sachrüge (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Gi.) begründet. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zu den Verfahrensrügen:
1. Vergeblich wendet sich die Revision dagegen, dass ihr Antrag auf Aussetzung (Abbruch) der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolglos blieb.
a) Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
Mit Fax vom 6. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, den Termin vom 10. Juli 2007 abzusetzen. Wie ein Gutachten eines bestimmten Psychiaters der JVA Würzburg belegen werde, sei der Angeklagte verhandlungsunfähig. Außerdem solle das Gutachten auch belegen, dass der Angeklagte bei den Taten jedenfalls erheblich vermindert schuldfähig, wenn nicht schuldunfähig gewesen sei. Im Termin vom 10. Juli 2007 gab der Vorsitzende bekannt, nach fernmündlicher Auskunft des von der Verteidigerin benannten Sachverständigen sei der Angeklagte verhandlungsfähig; dieser selbst erklärte auf entsprechende Frage, es ginge ihm gut. Der Vorsitzende ordnete dann an, dass der Sachverständige im nächsten Hauptverhandlungstermin vom 31. Juli 2007 sein Gutachten erstatten solle. Zu nennenswertem weiterem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tage nicht mehr. Am 12. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, dass der Sachverständige schon vor der Hauptverhandlung vom 31. Juli 2007 ein schriftliches Vorgutachten vorlegen müsse, da sie sonst nicht prüfen könne, ob das Gutachten fehlerhaft und deswegen ein weiteres Gutachten einzuholen sei. Dies sei unfair.
Deshalb müsse das Verfahren auch gemäß § 265 StPO ausgesetzt (abgebrochen) werden. Sie mache nämlich vom 14. Juli bis 30. Juli 2007 Urlaub. Sie könne also das schriftliche Gutachten nicht angemessen prüfen, selbst wenn es ihr vorläge. Am 19. Juli 2007 legte der Sachverständige ein vorläufiges Gutachten vor, das der Verteidigung alsbald zur Verfügung gestellt wurde. In der Hauptverhandlung vom 31. Juli 2007 wiederholte die Verteidigerin vergeblich die Anträge vom 12. Juli 2007, noch bevor der Sachverständige sein Gutachten erstattete.
b) Das Gericht hat hier einem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben. Die Auffassung der Revision, die Anordnung des Gerichts, ein Gutachten sei einzuholen, sei schon für sich genommen eine Änderung der Sachlage, die einen Aussetzungsanspruch begründe (§ 265 Abs. 4 StPO) trifft nicht zu, ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte.
c) Der Senat hat erwogen, ob unbeschadet der rechtlich unzutreffenden gegenteiligen Auffassung der Revision deren Vorbringen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könnte (Rechtsgedanke des § 300 StPO; vgl. auch BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Dies war zu verneinen:
(1) Gutachten zu für den Schuld- oder Strafausspruch wesentlichen Fragen sind stets mündlich in der Hauptverhandlung zu erstatten, Gutachten zu anderen Fragen (z.B. Verhandlungsfähigkeit) dann, wenn es das Gericht - wie hier - anordnet (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 82 Rdn. 3). Dabei ist der Gutachter stets berechtigt, auch ohne gerichtliche Anordnung ein vorläufiges schriftliches Gutachten zu den Akten zu bringen (BGH GA 1963, 18; Senge aaO). Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob die Verfahrensbeteiligten bei einem mündlich in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachten unabhängig von den Umständen des Einzelfalls stets einen Anspruch darauf haben, dass ihnen dieses Gutachten auch schriftlich vorgelegt wird (bejahend z.B. Krause in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 82 Rdn. 5; verneinend z.B. Senge aaO) und ob dies gegebenenfalls schon vor Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu geschehen hat (vgl. G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1041), kann der Senat hier offen lassen. Hier hat nämlich der Sachverständige ein schriftliches Vorgutachten vorgelegt, das der Verteidigung mehr als zehn Tage vor dem nächsten Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung, an dem der Sachverständige sein Gutachten erstatten sollte, zur Verfügung gestellt wurde.
(2) Aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit und der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch erst in der Hauptverhandlung angefallene Erkenntnisse in das Gutachten einzubeziehen, folgt, dass allein der Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens maßgebend ist (vgl. Senge aaO; BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Nur hierauf kann die Entscheidung beruhen, nur dessen Mängel oder Unklarheiten - die sich im Einzelfall auch aus nicht ohne weiteres erklärlichen oder jedenfalls erläuterten Differenzen zu einem vorläufigen schriftlichen Gutachten ergeben können (vgl. G. Schäfer aaO) - können den Bestand des Urteils gefährden. Eine auf den - schon nicht näher mitgeteilten - Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens bezogene Verfahrensrüge ist hier jedoch nicht erhoben. Die Annahme der Verteidigung, der von ihr benannte Gutachter könne generell oder jedenfalls vorliegend zur Erstattung des von ihr beantragten Gutachtens nicht kompetent genug sein, hat keine erkennbaren konkreten Anknüpfungspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Verteidigung, im Hinblick auf die (antragsgemäße) Anordnung der Einholung eines Gutachtens könne die Verteidigung die Aussetzung (den Abbruch) der Hauptverhandlung verlangen, weil wegen zwar durch nichts belegter, theoretisch aber auch nicht ausschließbarer Inkompetenz des Gutachters das nächste Gutachten erforderlich werden könne, kann einen wie auch immer gearteten verfahrensrechtlichen Anspruch des Angeklagten nicht begründen.
(3) Schon daher geht auch der Hinweis auf den Urlaub der Verteidigerin ins Leere. Der Senat bemerkt jedoch, dass ein Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen muss, wenn er, wie die Verteidigerin hier, länger als eine Woche abwesend ist (§ 53 Abs. 1 BRAO). Einem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Vertretenen zu (§ 53 Abs. 7 BRAO), die Bestellung des vertretenen Rechtsanwalts zum Verteidiger gilt auch für den vertretenden Rechtsanwalt (vgl. BGH NStZ 1992, 248; BGH, Beschl. vom 15. August 2007 - 1 StR 341/07 m.w.N.).
Ohne dass es letztlich hier darauf ankäme, liegt es auch nicht nahe, dass ein Vertreter eines Rechtsanwalts nicht diejenigen Maßnahmen ergreift - hier: Überprüfung eines vorläufigen Sachverständigengutachtens zu in Strafverfahren nicht ungewöhnlichen Fragen auf elementare fachliche Mängel -, die nach Auffassung des vertretenen Rechtsanwalts voraussehbar innerhalb eines laufenden Verfahrens anfallen können und unverzüglich noch während seiner Abwesenheit durchgeführt werden müssen.
2. Die Revision macht weiter geltend, die Hauptverhandlung hätte auch noch aus einem anderen Grunde am 31. Juli 2007 abgebrochen werden müssen. Es sei unfair, dass stattdessen der Antrag der Verteidigerin, ihre Bestellung zu widerrufen, zurückgewiesen worden sei. Auch diese Rüge bleibt erfolglos.
Folgendes liegt zu Grunde:
Zunächst hatte der Angeklagte Rechtsanwalt Gi. als Verteidiger bevollmächtigt, ehe dieser antragsgemäß zum Verteidiger bestellt wurde. Ebenfalls antragsgemäß wurde er dann entpflichtet und Rechtsanwältin G., die sich zwischenzeitlich als Wahlverteidigerin gemeldet hatte, zur Verteidigerin bestellt. Im Laufe der Hauptverhandlung schrieb der Angeklagte an das Gericht, er wolle, dass Rechtsanwalt Gi. (wieder) zum Pflichtverteidiger bestellt werde. Er habe kein Vertrauen zu Rechtsanwältin G., die viel Geld erhalten habe, aber keine Leistung erbringe. Näher wollte er dies, wie die Strafkammer ausdrücklich feststellt, nicht erläutern. Am 31. Juli 2007, dem vierten (und letzten) Tag der Hauptverhandlung, beantragte Rechtsanwältin G., ihre Bestellung zur Verteidigerin aufzuheben. Der Angeklagte habe sie "auf das Übelste beschimpft und mit unhaltbaren Vorwürfen überzogen". Näher könne dies im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht ausgeführt werden. Auch habe er ihr näher gekennzeichnete Informationen vorenthalten. Sämtliche Anträge blieben erfolglos.
b) Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge versagt.
(1) Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie müsste auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH NStZ 1998, 311, 312; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 5 jew. m.w.N.). Die nicht näher ausgeführte Behauptung des Angeklagten, wegen der Leistungen von Rechtsanwältin G. entziehe er ihr sein Vertrauen und übertrage es auf Rechtsanwalt Gi. zurück, nachdem er es ihm früher entzogen und es auf Rechtsanwältin G. übertragen hatte, ist hierfür offensichtlich ungeeignet.
(2) Der Umstand, dass die Verteidigerin hier auch selbst ihre Entpflichtung beantragt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis (BGHSt 39, 310, 314 m.w.N.). Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers kann regelmäßig nicht bejaht werden, wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist (BGHSt aaO 315 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die Möglichkeit, einem Verteidiger Informationen vorzuenthalten, ihn "aufs Übelste zu beschimpfen" und ihn mit "unhaltbaren Vorwürfen" zu überziehen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung.
Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGHSt aaO 313 m.w.N.). Ob und unter welchen besonderen Umständen Ausnahmen von alledem in Betracht kommen können, etwa weil der Verteidiger Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattet hat (vgl. BGH NStZ 1997, 401; BGHSt aaO 315 f. m.w.N.), kann hier offen bleiben, da Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten hier nicht ersichtlich sind. Ebenso wenig muss der Senat unter den gegebenen Umständen der Frage nachgehen, ob die anwaltliche Schweigepflicht näheren Darlegungen zu ungerechtfertigten Beschimpfungen des Angeklagten gegenüber der Verteidigerin notwendig entgegengestanden hätte, nachdem der Angeklagte gegenüber dem Gericht geltend gemacht hatte, diese erbringe keine Leistungen (vgl. BGH NStZ 2000, 326, 327).
Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 406
Externe Fundstellen: NStZ 2008, 418; StV 2009, 5
Bearbeiter: Karsten Gaede