HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 1095
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 290/07, Urteil v. 06.11.2007, HRRS 2007 Nr. 1095
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 14. Februar 2007 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen zurückgewiesen, weil die formellen Voraussetzungen einer Anordnung nach § 66b Abs. 2 StGB nicht erfüllt seien. Mit ihrer Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und eine Zurückverweisung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung.
Das Rechtsmittel, welches der Generalbundesanwalt nicht vertritt, hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
Der frühere Tatrichter - Landgericht Würzburg - hatte den Betroffenen, damals als Zuhälter tätig, am 9. November 1998 wegen schweren Menschenhandels in zwei Fällen - jeweils in Tateinheit mit anderen Delikten - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Dabei hatte das Landgericht in dem für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung allein relevanten Tatkomplex "Suchra S." eine Einzelstrafe in Höhe von fünf Jahren verhängt. Dieser lagen elf - tateinheitlich verwirklichte - Straftatbestände zugrunde, wobei nur die letzte Tat eine Katalogtat im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB ist:
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB verneint.
a) Die formelle Voraussetzung der Verurteilung des Betroffenen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen einer oder mehrerer Katalogtaten liege nicht vor. Im Hinblick auf das erhebliche Übergewicht von Nichtkatalogtaten, welche der Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren zugrunde liegen, könne ausgeschlossen werden, dass auch allein wegen der abgeurteilten Katalogtat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt worden wäre.
b) Darüber hinaus hat das Landgericht angezweifelt, ob der abgeurteilten Katalogtat der Charakter einer Symptomtat für eine Maßregelanordnung beigemessen werden könne, weil nach den Angaben des Gutachters eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten auch "bei Wegfall der Katalogtat zu bejahen gewesen" wäre.
c) Jedenfalls aber fehle es an der für die Anwendung des § 66b Abs. 2 StGB geforderten neuen Tatsache. Die erst im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung habe sich nicht in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt; insoweit stützt sich das Landgericht ausdrücklich auf den Beschluss des Senats vom 9. Januar 2007 (BGHSt 51, 191).
Der Revision der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg versagt.
Vorliegend kann offen bleiben, ob das Landgericht zutreffend das Vorliegen der formellen Voraussetzungen einer Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB verneint hat, weil jedenfalls die psychische Erkrankung des Betroffenen keine neue Tatsache darstellt und auch die weiteren angeführten Gründe keine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung begründen.
1. Eine Anordnung nach § 66b Abs. 2 StGB knüpft zwar grundsätzlich an die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB an; allerdings werden die in Betracht kommenden Anlassverurteilungen enger gefasst und die erforderliche Mindeststrafe der Anlassverurteilung auf mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe festgelegt und damit an die nachträgliche Sicherungsverwahrung zudem ohne die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB bewusst hohe Anforderungen gestellt. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass der Betroffene sich einer oder mehrerer sehr schwerwiegender Taten schuldig gemacht haben muss. Zudem muss der Betroffene zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt sein, um das Gewicht der von ihm bereits ausgegangenen und im Falle von Wiederholungstaten drohenden Gefährlichkeit zu kennzeichnen (vgl. insoweit BTDrucks. 15/2887 S. 13, 15/3146 S. 10). Danach kann eine Freiheitsstrafe in dieser Höhe auch eine Einzelstrafe wegen einer Straftat aus dem genannten Bereich sein. Eine Gesamtfreiheitsstrafe in mindestens dieser Höhe genügt jedenfalls dann, wenn dieser ausschließlich entsprechende Katalogtaten im Sinne dieser Vorschrift zugrunde liegen (vgl. hierzu BGHSt 48, 100 zu § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB). Soweit es eine Vorverurteilung zu einer einheitlichen Jugendstrafe betrifft, erfüllt diese die Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur dann, wenn zu erkennen ist, dass der Täter bei einer der dieser Vorschrift zugrunde liegenden Straftaten die geforderte Mindeststrafe verwirkt hätte, sofern diese Straftat als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (BGH NJW 1999, 3723). Den Fall tateinheitlicher Verurteilung, welche neben einer oder mehrerer Katalogtaten auch weitere Straftaten erfasst, hat der Bundesgerichtshof - für § 66b Abs. 2 StGB - noch nicht entschieden. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB hat der Bundesgerichtshof bei einer tateinheitlichen Verurteilung wegen einer Katalogtat sowie einer Nichtkatalogtat es für die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB für im Grundsatz ausreichend erachtet, wenn die ausgeurteilte Strafe zumindest der erforderlichen Mindeststrafe entsprach (BGH NJW 1999, 3723, 3725).
Allerdings können die in der vorbezeichneten Entscheidung dargelegten Grundsätze nicht ohne Weiteres auf § 66b Abs. 2 StGB übertragen werden, weil gerade für diese Fallgruppe durch den Gesetzgeber bewusst höhere Anforderungen gestellt werden sollten, wobei der Gesetzgeber zusätzlich nur von einer geringen Anzahl denkbarer Fälle ausging (BTDrucks. 15/2887 S. 10, 12). Auch entspricht der vorliegende Sachverhalt nicht der Entscheidung zu § 66 Abs. 3 StGB; denn dort handelte es sich um durch eine Handlung tateinheitlich begangene mehrere Straftatbestände. Hier liegen demgegenüber elf grundsätzlich selbstständige Handlungen über einen Zeitraum von einem Jahr vor, welche in der Ausgangsverurteilung nur durch eine zugleich begangene Dauerstraftat zur Tateinheit verklammert wurden. Der Senat neigt für solche Fälle dahin, dass bei tateinheitlicher Verurteilung von einer oder mehreren Katalogtaten sowie weiteren Straftaten die formellen Voraussetzungen nach § 66b Abs. 2 StGB nur vorliegen, sofern die mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe erreichende Strafhöhe wesentlich durch die Katalogtat geprägt ist. Dies entspricht auch Überlegungen, welche sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zu § 66b Abs. 2 StGB ergeben (vgl. BTDrucks. 15/3146 S. 10).
Letztlich kann diese Rechtsfrage aber offen bleiben, weil jedenfalls die materiellen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht gegeben sind.
2. Das Landgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des Verurteilten für sich genommen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig nicht begründen kann (BGHSt 51, 191). Maßgebliches Kriterium ist, ob sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt hat (BGH aaO). Solches konnte die Strafkammer vorliegend gerade nicht feststellen. Der Verurteilte hat danach während seiner Haftzeit lediglich in zwei Fällen Gewalt gegen Sachen angewendet, im Übrigen liegen lediglich Verfehlungen mit Bagatellcharakter vor. Insoweit handelt es sich um ubiquitäre und vollzugstypische Verhaltensweisen, welche ohne weitere Feststellungen nicht als Hinweise auf eine erhebliche Gefährlichkeit eines Verurteilten gewertet werden können (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NStZ 2007, 87; BGH NStZ 2007, 267).
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 1095
Externe Fundstellen: StV 2008, 76
Bearbeiter: Karsten Gaede