HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 701
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 167/07, Urteil v. 20.06.2007, HRRS 2007 Nr. 701
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. Oktober 2006 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 22. Dezember 2004 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dieses Urteil hatte der Senat mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 (StV 2006, 399) mit den Feststellungen insgesamt aufgehoben, weil es unter Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO ohne nochmalige Beratung verkündet worden war. Nach der Zurückverweisung hat eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 16. März 2006 (NJW 2006, 1336) die Haftfortdauerbeschlüsse des Landgerichts und die Beschwerdeentscheidungen des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil es seit dem (aufgehobenen) Urteil zu rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen von mehr als drei Monaten gekommen war. Nunmehr hat das Landgericht mit Urteil vom 18. Oktober 2006 den Angeklagten erneut verurteilt. Für denselben Schuldspruch hat es - entsprechend den Anforderungen an die Strafkammer bei der Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung - zwar fiktiv auf höhere Einzelstrafen und auch auf eine höhere Gesamtstrafe (fünf Jahre und sechs Monate) erkannt. Unter Abzug eines Strafabschlages wegen der Verfahrensverzögerung hat es aber im Ergebnis wieder dieselben Strafen verhängt wie im aufgehobenen ersten Urteil.
Gegen das zweite Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er erhebt eine Befangenheitsrüge, beanstandet die unzureichende Kompensation der Verfahrensverzögerung und rügt darüber hinaus allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Im Juli 2003, etwa drei Monate nach der Eheschließung mit der Geschädigten Z. K., welche in einem strenggläubigen moslemischen und überwiegend durch Traditionen geprägten Elternhaus aufgewachsen war, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung der Eheleute in ihrer Wohnung. Dabei versetzte der Angeklagte seiner Ehefrau zunächst einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht. Danach versetzte er ihr noch weitere Schläge, zog sie schmerzhaft an den Haaren, zerrte sie ins Schlafzimmer, wo er sie aufs Bett warf und ihr weitere schmerzhafte Schläge versetzte, schließlich ihre Schenkel auseinanderpresste und danach den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausführte, obgleich seine Ehefrau versuchte, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Weil sich die Geschädigte für ihren Ehemann schämte und weil man entsprechend ihrer Erziehung nicht über sexuelle Dinge sprach, erzählte sie diesen und die nachstehenden Vorfälle zunächst keiner anderen Person. Ob es in den folgenden Monaten zu weiteren sexuellen Übergriffen des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau kam, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden.
2. Ende Oktober/Anfang November 2003, wiederum nach einer vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung, schlug der Angeklagte seine Ehefrau erneut ins Gesicht, zerrte sie ins Schlafzimmer und führte dort gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss aus. In der Folgezeit entschuldigte sich der Angeklagte schriftlich bei der Geschädigten, und das Eheleben verlief danach "äußerlich harmonisch".
3. Anfang/Mitte Januar 2004 kam es jedoch erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Folge der Angeklagte seine Ehefrau wiederum schlug, sie ins Schlafzimmer zerrte, sie dort auf dem Bett fixierte und den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchführte.
Während dieses Geschehens hatte der Angeklagte der Geschädigten weitere Schläge gegen das Gesicht und den Oberkörper versetzt, sie kurzzeitig mit den Händen am Hals gewürgt und den Kopf gegen das Kopfende des Bettes beziehungsweise gegen die Wand geschlagen. Nach diesem Vorfall war die Geschädigte völlig verzweifelt, erwog einen Selbstmord, begab sich dann aber zu ihrer am selben Ort wohnenden älteren Schwester. Auf deren Nachfrage hinsichtlich erkennbarer Verletzungsspuren berichtete sie nur von den Schlägen, aus Scham aber nicht von den sexuellen Übergriffen des Angeklagten. Die Geschädigte verblieb die Nacht über bei ihrer Schwester, wobei ihr der Angeklagte noch in dieser Nacht mehrere SMS-Mitteilungen übersandte, in denen er um Entschuldigung bat und beteuerte, dass es nie wieder passieren werde. Die Geschädigte kehrte daraufhin am nächsten Tag in die Ehewohnung zurück.
Etwa einen Monat später, am 14. Februar 2004, schlug der Angeklagte, wiederum nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung, seine Ehefrau erneut, worauf diese versuchte, sich mit einem Rasiermesser die Pulsadern zu öffnen, was der Angeklagte allerdings dadurch verhinderte, dass er ihr das Rasiermesser wegnahm. Die Geschädigte flüchtete darauf wieder zu ihrer Schwester, kehrte jedoch in die Ehewohnung zurück, nachdem ihr Schwager mit dem Angeklagten ein Gespräch geführt und dieser sich erneut schriftlich entschuldigt hatte.
4. Am 1. April 2004 kam es dann zu einer erneuten Auseinandersetzung der Eheleute. Der Angeklagte wies die Geschädigte darauf hin, "dass sie als türkische Ehefrau alles zu machen habe, was ihre Schwiegereltern von ihr verlangten, dass sie allerdings auf der anderen Seite keinen Anspruch darauf habe, ihre Eltern, so oft sie wolle, zu sehen". Dann zerrte der Angeklagte die Geschädigte aufs Bett, drehte sie gewaltsam auf den Rücken und führte gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch. Die Geschädigte begab sich wiederum zu ihrer Schwester, welche die Verletzungen bemerkte und den weiteren Aufenthalt bei ihr gestattete. Erst nachdem auf Initiative der Mutter des Angeklagten zwei Vermittler sich eingeschaltet und erklärt hatten, sie würden in Zukunft dafür Sorge tragen und mit ihrem Wort dafür einstehen, dass die Geschädigte nicht mehr geschlagen würde, und nachdem der Angeklagte zudem in deren Beisein gegenüber seiner Ehefrau und deren Vater versprochen hatte, er werde sie nicht mehr schlagen, schickte der Vater der Geschädigten seine Tochter am 9. April 2004 in die Ehewohnung zurück.
5. Nachdem es zunächst keine weiteren Zwischenfälle gegeben hatte, kam es am Vormittag des 24. April 2004 wiederum zu einem Streit der Eheleute. Dabei packte der Angeklagte seine Frau am Arm, schubste sie auf das Bett, drehte sie auf den Rücken und fixierte sie in dieser Lage mit seinem Gewicht und zusätzlich mit einem Griff um ihren Hals. Nachdem er gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hatte, führte der Angeklagte einen mit Vaseline eingecremten Finger tief in den After seiner Frau ein, um diese zusätzlich zu erniedrigen. In der Folge trennte sich die Geschädigte endgültig von dem Angeklagten, wobei sie "nach wie vor" - trotz zwischenzeitlich (am 20. Juli 2005) erfolgter Ehescheidung - unter erheblichen Schlafstörungen leidet, reizbar und schreckhaft ist und dissoziative Gedanken entwickelt.
Auf der Grundlage dieser neu getroffenen Feststellungen hat die Strafkammer zu Recht (vgl. Senat NJW 2001, 2983) im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt:
"Strafschärfend hat die Kammer auch die aus den Taten resultierenden sozialen Folgen für die Geschädigte, die auf deren gesamte Lebensplanung bis heute ausstrahlen, berücksichtigt. So musste die Geschädigte nach der auf Grund der Taten erfolgten Trennung in ihr Elternhaus zurückkehren und genießt als geschiedene türkische Ehefrau in ihrem Kulturkreis heute nur ein geringes Ansehen. Auch sind ihre Aussichten, erneut eine adäquate Ehe eingehen zu können, als geschiedene Frau in ihrem Kulturkreis erheblich vermindert, was sie ebenfalls als Belastung empfindet."
1. Die auf § 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2 StPO gestützte Befangenheitsrüge versagt.
a) Mit seinem gegen den Vorsitzenden und die beisitzende Richterin angebrachten Befangenheitsgesuch hatte der Beschwerdeführer geltend gemacht, diese hätten in einem vor der neuen Hauptverhandlung ergangenen Haftfortdauerbeschluss keine eigene Prüfung des dringenden Tatverdachts vorgenommen, sondern sich insoweit "fast ausschließlich" auf die Beweiswürdigung des aufgehobenen Urteils bezogen. Die Aktenlage hätten die Richter nicht ausgewertet.
b) Die Rüge ist schon unzulässig, denn sie genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer trägt den Inhalt der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter nicht vor; dies gehört indessen - auch hier - zum notwendigen Rügevortrag (st. Rspr., vgl. nur BGH StV 1996, 2). Dies ist auch deswegen erforderlich, da durch die dienstliche Äußerung eines abgelehnten Richters ursprünglich verständliches Misstrauen gegen die Unparteilichkeit beseitigt werden kann.
c) Die Rüge wäre im Übrigen auch unbegründet. Die Vorbefassung des erkennenden Richters mit vom Gesetz vorgesehenen notwendigen Zwischenentscheidungen, wie Haftfortdauerentscheidungen, kann als solche die Befangenheit nicht rechtfertigen. Die abgelehnten Richter haben zudem die Annahme des dringenden Tatverdachts nicht allein und maßgeblich auf die Beweiswürdigung im aufgehobenen Urteil gestützt. Sie haben insoweit vielmehr auch darauf verwiesen, dass sich die Ergebnisse dieser Beweiswürdigung "im Einklang mit dem sonstigen Akteninhalt befinden". Das weist aus, dass die Richter eine eigenständige Prüfung des Tatverdachts vorgenommen haben.
2. Die Strafhöhenbemessung ist, auch unter Berücksichtigung der infolge der Verfahrensverzögerung vorzunehmenden Kompensation und der sonstigen Strafzumessungserwägungen rechtsfehlerfrei.
a) Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hindert den neuen Tatrichter nicht, bei der synoptischen Gegenüberstellung der (fiktiv) ohne und (im Ergebnis) mit der Verfahrensverzögerung festgesetzten Strafen höhere fiktive Strafen zu bestimmen als der frühere Tatrichter, wenn die letztlich verhängte Strafe nicht höher ist als die frühere Strafe (BGHSt 45, 308; BGH, Urt. vom 11. September 2003 - 3 StR 316/02; Beschl. vom 11. April 2007 - 3 StR 115/07).
b) Der neue Tatrichter ist bei der Bemessung der fiktiven Strafen auch sonst nicht an die Strafzumessung des früheren Tatrichters gebunden. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben wird. Schon deshalb hat der neue Tatrichter über Art und Höhe der Strafen so zu befinden, als ob das frühere Urteil nicht in der Welt wäre (BGHSt 7, 86, 88; 45, 308, 311). Selbst dann, wenn er zum Tatgeschehen im Wesentlichen zu den gleichen Feststellungen gelangt wie der frühere Tatrichter, ist er bei seinen - eigenständig zu treffenden - Strafzumessungserwägungen frei. Aufgrund der vor ihm durchgeführten Beweisaufnahme kann und muss er den aus dem Inbegriff seiner Hauptverhandlung gewonnenen Sachverhalt eigenständig bewerten. Hierbei kann er trotz vergleichbarer Feststellungen - schon aufgrund seines unmittelbaren Eindrucks, auch vom Angeklagten und dem Geschädigten - zu einer anderen Gewichtung des Schuldumfangs kommen als der frühere Tatrichter. Das ist ihm nicht nur erlaubt; die eigenständige Bewertung ist ihm vielmehr durch die Aufhebung der Feststellungen auch aufgegeben.
Der Senat teilt die Auffassung des 3. Strafsenats (BGHSt 45, 308, 312), dass die Verhängung einer gleich hohen oder nur unwesentlich ermäßigten Strafe dann einer besonderen Begründung bedarf, wenn die Verletzung des Beschleunigungsgebotes bei der früheren Straffestsetzung nicht oder nur in geringem Umfang berücksichtigt worden war oder erst nach der vorausgegangenen tatrichterlichen Entscheidung eingetreten ist. Diese besonderen Begründungsanforderungen können aber nur dann zur Anwendung kommen, wenn - anders als hier - ausschließlich der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben wurde, während die bisherigen Feststellungen zum Schuldspruch nicht neu zu treffen, sondern für den neuen Tatrichter bindend waren. Die von BGHSt 45, 308 verlangten besonderen Begründungsanforderungen waren zudem maßgeblich davon bestimmt, dass dort allein die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben worden war, während die Einzelstrafen bestehen blieben.
c) Im Übrigen hat das Landgericht - das die Häufigkeit und Intensität der abgeurteilten Straftaten zu Recht schwerer bewertet hat als der frühere Tatrichter, dessen allenfalls knapp über der Mindeststrafe liegende Einzelstrafen schwerlich noch als schuldangemessen bewertet werden können - alle maßgeblichen Strafzumessungserwägungen in nachvollziehbarer Weise dargelegt.
Dabei hat die Kammer auch unter Berücksichtigung der zusätzlich festgestellten Strafschärfungsgründe erkennbar begründet, aus welchen Gründen sie angesichts der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und unter besonderer Berücksichtigung der daraus resultierenden Folgen für die Geschädigte ohne das Vorliegen der festgestellten Verfahrensverzögerungen an sich höhere Strafen für jede einzelne Tat ausgesprochen und auch eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die danach vorgenommenen Strafmaßreduzierungen für die Einzelstrafen sind aus Rechtsgründen ebenso wenig zu beanstanden wie die Höhe der schließlich verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des zwischenzeitlich entstandenen relativ langen zeitlichen Abstandes zwischen Taten und Urteil und der sonstigen, nicht auf einer Verzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK beruhenden Verfahrensdauer, insbesondere der nahezu sieben Monate dauernden neuen, zweiten Hauptverhandlung, kann die verhängte Strafe im Hinblick auf die Schwere der Taten und die erheblichen gesellschaftlichen, familiären und sozialen Folgen für seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau nicht als schuldunangemessen bezeichnet werden.
Der Senat muss daher nicht besorgen, dass die Kammer ohne sachlichen Grund auf die bisherigen Strafen erkennen wollte, was freilich rechtlich bedenklich erscheinen könnte.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgezeigt.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 701
Bearbeiter: Karsten Gaede