HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 889
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 BGs 25/2006, Beschluss v. 27.02.2006, HRRS 2006 Nr. 889
Der Antrag des Betroffenen N.T. auf Ablehnung des Richters am Bundesgerichtshof H. wegen Besorgnis der Befangenheit vom 30. Januar 2006 ist - aus hiesiger Sicht - zulässig.
Der Nichtbeschuldigte N. T. ist als potentieller Nachrichtenmittler im Sinne von § 100 a Satz 2 2. Alt. StPO Betroffener einer ohne seine vorherige Anhörung (§ 33 Abs. 4 StPO) in einem Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a [Abs. 2 Nr. 2] StGB) richterlich gestatteten (§ 163 Abs. 3 StPO), inzwischen beendeten Überwachung der Telekommunikation. Von der Maßnahme wurde der Betroffene gemäß § 101 Abs. 1 StPO benachrichtigt. Im Rahmen der Nachholung des rechtlichen Gehörs ist nunmehr derselbe Richter, der die Überwachung der Telekommunikation gestattete, zur erneuten Überprüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Entscheidung berufen. Diesen lehnt der Betroffene wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Richter hätte seine eigene Entscheidung zu bewerten. Da er diese jedoch unter Nichtbeachtung verfassungsgerichtlicher Maßgaben getroffene habe - wie im Einzelnen dargelegt wird -, zweifle der Betroffene daran, dass er mit einer unvoreingenommenen Prüfung durch den abgelehnten Richter rechnen kann.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Ablehnungsgesuch bereits als unzulässig zu verwerfen.
Zum einen stehe nach § 24 Abs. 3 StPO ein Ablehnungsrecht nur der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger, dem Beschuldigten und weiteren durch Verweisungsnormen in der Strafprozessordnung bezeichneten Nebenbeteiligten zu (z.B. dem Nebenkläger, den Verfall- und Einziehungsbeteiligten) zu. Der Betroffene N. T. sei kein Berechtigter, dem nach diesen Vorschriften ein Ablehnungsrecht zustehe. Er sei insbesondere nicht Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens, sondern eine von Telekommunikationsmaßnahmen als Nachrichtenmittler betroffene Drittperson, die allenfalls als Zeuge für das Ermittlungsverfahren von Bedeutung sein könne. Zeugen und Sachverständigen stehe jedoch kein Ablehnungsrecht zu.
Abgesehen davon sei der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (§ 26 Abs. 2 StPO).
Über die Zulässigkeit der Ablehnung eines Richters im vorbereitenden Verfahren entscheidet dieser zunächst selbst (§ 26 a Abs. 2 Satz 3 StPO).
Der Befangenheitsantrag ist zulässig.
1. In der Strafprozessordnung werden zwar nur die vom Generalbundesanwalt genannten Verfahrensbeteiligten ausdrücklich als Berechtigte einer Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit genannt (zum Kreis der Ablehnungsberechtigten vgl. Wendisch in Löwe-Rosenberg StPO, 25. Aufl., § 24 Rn. 44, 46). Die Möglichkeit der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist jedoch ein auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG basierendes "prozessuales Grundrecht" (vgl. Lamprecht, Befangenheit an sich: Über den Umgang mit einem prozessualen Grundrecht, NJW 1993, 2222). "Nach Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG muss im System der normativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters Vorsorge dafür getroffen werden, dass im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann" (BVerfG NJW 1967, 1123; vgl. auch Classen in v.Mangoldt, Klein, Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 4. Aufl., Art 101 Abs. 1 Rn. 26; Leibholz, Rinck, Hesselberger, Grundgesetz, Art 101 Rn. 131, R. Hamm, Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 77 ff; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen Richter, 112 ff, jeweils m.w.N.). "Dementsprechend hat der Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein Ablehnungsrecht" (Voßkuhle a.a.O. S. 114). So wird nach heute wohl überwiegender Meinung zutreffend über den Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 StPO hinaus dem Verletzten als einer allein auf sich gestellten Verfahrenspartei im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2 StPO) ein eigenes Ablehnungsrecht eingeräumt (vgl. Wendisch a.a.O. Rn. 47; Pfeiffer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl., § 24 Rn. 10 f; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Aufl., § 24 Rn. 20; jeweils m.w.N; anders das Reichsgericht RGSt 52, 292). Bei "Dritten", die durch Ermittlungsmaßnahmen in Verfahren, die nicht gegen sie gerichtet sind, von schwerwiegenden - grundrechtsrelevanten - Eingriffen betroffen sind, wie etwa bei der Durchsuchung bei anderen Personen (§ 103 StPO), der Wohnraumüberwachung bei anderen (§ 100 c Abs. 3 Satz 2 StPO) oder eben bei der Überwachung der Telekommunikation bei Nichtbeschuldigten (§ 100a Satz 2 2. Alt.), kann hinsichtlich der Anordnung oder Gestattung der Maßnahme, sowie bei derer nachträglicher Überprüfung unter Nachholung des rechtlichen Gehörs oder - gegebenenfalls - im Beschwerdeverfahren nichts anderes gelten. Diejenigen Nichtbeschuldigten, gegen die sich derartige Ermittlungsmaßnahmen richten, sind nicht lediglich Beweismittel, wie Zeugen oder Sachverständige, die außerhalb des Verfahrens stehen (diese haben kein Ablehnungsrecht, vgl. Pfeiffer a.a.O. Rn. 11), Die Situation ist auch anders als beim Verletzen im Adhäsionsverfahren (nach h.M. nicht ablehnungsberechtigt vgl. Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 20 m.w.N.; R. Hamm, Recht des Verletzten zur Richterablehnung im Strafverfahren?, NJW 1974, 682 f), der darin nur gewinnen, seiner zivilrechtlichen Ansprüche aber nie verlustig gehen kann; von einer Entscheidung darüber wird im Strafverfahren allenfalls abgesehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Demgegenüber sind Nichtbeschuldigte, bei denen eine der genannten Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt wird, unmittelbar endgültig in elementaren Rechten eigenständig betroffen, sie sind selbst Objekt und damit Partei in diesem besonderen Verfahrensabschnitt. Ein so Betroffener muss entsprechend § 24 StPO die Möglichkeit haben, von sich aus auf eine Entscheidung durch einen unbefangenen Richter, einen nur dann gesetzlichen Richter, hinzuwirken zu können. "Es widerspräche jeder Gerechtigkeit, ihn ... darauf zu verweisen, dass das Gericht nach § 30 [StPO - Selbstanzeige] verfahren werde" (Wendisch a.a.O. Rn. 47 im Hinblick auf das Klageerzwingungsverfahren).
2. Die Umstände, auf die sich der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit stützt (der zugrunde liegende ermittlungsrichterliche Beschluss, die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs), sind aktenkundig beziehungsweise gerichtsbekannt. Einer weiteren Glaubhaftmachung der den Ablehnungsantrag tragenden Tatsachen bedarf es daher hier nicht mehr.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 889
Externe Fundstellen: NStZ 2006, 584; StV 2007, 117
Bearbeiter: Karsten Gaede