HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 310
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 67/06, Beschluss v. 08.03.2006, HRRS 2006 Nr. 310
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 13. September 2005 dahin abgeändert, dass die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs in sieben Fällen entfällt. Der Angeklagte ist somit verurteilt wegen
a) sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen,
b) schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, davon in fünf Fällen tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und
c) sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Hinsichtlich der Fälle II. 1.1, 1.2, 1.4 (zwei Taten), 1.6 (zwei Taten) und 2.1 der Urteilsgründe hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
"Die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen muss in diesen Fällen entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist für § 174 Abs. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die Tat unter II. 1.1 im Jahr 1997, die Tat unter II. 1.2 zwischen Mitte September 1997 und dem 20. März 1998. Die erste verjährungsunterbrechende Handlung - die erste Vernehmung des Beschuldigten (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) - erfolgte am 14. Mai 2004. Da in den Fällen II. 1.4, 1.6 und 2.1 nach dem Zweifelssatz von der jeweils zeitlich frühesten denkbaren Tatbegehung ausgegangen werden muss, waren auch insoweit die Verstöße gegen § 174 StGB im Zeitpunkt der verjährungsunterbrechenden Handlung verjährt.
Durch den mit dem Sexualdelikts-ÄndG vom 27. Dezember 2003 neu gefassten § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, in welchem nunmehr bestimmt ist, dass auch bei Straftaten nach § 174 StGB die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruht, hat sich an dieser Rechtslage für den vorliegenden Fall nichts geändert, weil zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 1. April 2004 bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten war (BGH NStZ 2005, 89)."
Dementsprechend hat der Senat den Schuldspruch geändert.
Die Schuldspruchänderung führt nicht zu einer Aufhebung des Strafausspruchs. Insoweit hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
"Die getroffenen Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe werden durch den Wegfall des jeweils tateinheitlich verwirklichten Vergehens nicht in Frage gestellt. Die Schuldspruchänderung lässt den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten unberührt, zumal das Landgericht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 174 StGB nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat. Im Übrigen können auch verjährte Taten straferschwerend berücksichtigt werden, wenn auch mit geringerem Gewicht (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 19 und 24 m.w.N.)."
Dem schließt sich der Senat an; denn es ist auszuschließen, dass das Landgericht geringere Freiheitsstrafen ausgesprochen hätte, wenn es sich der Verjährung des jeweils tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen bewusst gewesen wäre. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
[Redaktioneller Hinweis: Zur Kritik an der undifferenzierten strafschärfenden Verwertung von verjährten Straftaten m.w.N. Gaede StraFo 2002, 98 ff.]
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 310
Bearbeiter: Karsten Gaede