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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 523

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 198/05, Beschluss v. 07.06.2005, HRRS 2005 Nr. 523


BGH 1 StR 198/05 - Beschluss vom 7. Juni 2005 (LG Passau)

Antragsauslegung: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (eigenes Verschulden nach Rechtsmittelbelehrung; außergewöhnliche Fälle).

§ 300 StPO; § 44 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wer eine ihm vom Gericht erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht "mitkriegt", handelt regelmäßig nicht ohne eigenes Verschulden, wenn er die Frist, über die er belehrt wurde, nicht einhält.

2. Das Vorbringen der Angeklagten, sie sei wegen des Urteils "am Boden zerstört" gewesen, ändert daran nichts. Rechtsmittelbelehrung wird regelmäßig unmittelbar im Anschluss an eine Urteilsverkündung erteilt. Ob ungewöhnliche Ausnahmefälle vorstellbar sind, in denen sich allein aus dem Verfahrensablauf in Verbindung mit dem konkreten Inhalt des Urteils etwas anderes ergeben kann, kann offen bleiben.

Entscheidungstenor

Es bleibt bei dem Beschluß des Landgerichts Passau vom 14. Februar 2005.

Gründe

1. Die Angeklagte wurde am 21. Dezember 2004 wegen eines bewaffneten Überfalls, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann begangen hatte, unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu 18 Monaten Freiheitsstrafe wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Urteilsverkündung wurde Rechtsmittelbelehrung erteilt und ein Merkblatt (StP 133) ausgehändigt.

2. Mit Schreiben vom 19. Januar 2005, beim Landgericht eingegangen am 21. Januar 2005, legte die Angeklagte "Berufung" ein, die das Landgericht durch Beschluß vom 14. Februar 2005, zugestellt am 22. Februar 2005, zutreffend als Revision ausgelegt (§ 300 StPO) und gemäß § 346 Abs. 1 StPO als verspätet verworfen hat.

3. Mit Schreiben vom 22. Februar 2005, eingegangen am 25. Februar 2005, teilte die Angeklagte mit, sie "wolle in Revision gehen" und jetzt die Wahrheit sagen. Darüber hinaus führte sie in diesem und einem späteren Schreiben im wesentlichen aus, sie sei nach dem Urteil "am Boden zerstört" gewesen, weshalb es "sein kann", daß sie die Rechtsmittelbelehrung "nicht mitkriegte". Jedoch habe ihr ihre Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin H., gesagt, sie habe "vier Wochen Zeit, um in Berufung zu gehen". Das Merkblatt sei nicht ihr, sondern der Verteidigerin ausgehändigt worden. Im weiteren Verlauf habe sie der Sozius (und Ehemann) der Verteidigerin, der sie ursprünglich verteidigt hatte, aufgesucht und ihr ein Rechtsmittel "ausgeredet", da es "nichts bringe" und sie "froh sein solle, einen Weihnachtsbonus bekommen zu haben".

4. Rechtsanwältin H. hat zur Sache nichts erklärt. Zwischenzeitlich hat die Angeklagte noch Rechtsanwalt R. mit ihrer Verteidigung beauftragt, der auch Einsicht in die Verfahrensakten genommen hat. Er hat dem Landgericht mitgeteilt, er sei damit einverstanden, daß eine Entscheidung gemäß § 346 Abs. 2 StPO herbeigeführt werde und sich im übrigen nicht geäußert.

5. Das Vorbringen der Angeklagten kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben.

a) Der auf § 346 Abs. 1 StPO gestützte Beschluß des Landgerichts ist offensichtlich richtig, da die Angeklagte die Frist von einer Woche zur Einlegung der Revision nicht eingehalten hat. Anderes behauptet sie auch selbst nicht.

b) Vielmehr trägt sie im Kern vor, ihr sei die verspätete Einlegung ihres Rechtsmittels nicht anzulasten. Der Sache nach liegt also ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, auch wenn dieser Begriff nicht ausdrücklich verwendet worden ist (vgl. BGH, Beschluß vom 5. Dezember 2001 - 2 StR 491/01; Kuckein in KK 5. Aufl. § 346 Rdn. 29 m. w. N.).

(1) Ein erfolgreicher Wiedereinsetzungsantrag setzt jedoch zunächst voraus, daß der Antragsteller eine Frist ohne eigenes Verschulden versäumt hat (§ 44 Abs. 1 StPO). Wer eine ihm vom Gericht erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht "mitkriegt", handelt regelmäßig nicht ohne eigenes Verschulden, wenn er die Frist, über die er belehrt wurde, nicht einhält (vgl. Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 44 Rdn. 13 m. w. N.). Das Vorbringen der Angeklagten, sie sei wegen des Urteils "am Boden zerstört" gewesen, ändert daran nichts. Rechtsmittelbelehrung wird regelmäßig unmittelbar im Anschluß an eine Urteilsverkündung erteilt. Ob ungewöhnliche Ausnahmefälle vorstellbar sind, in denen sich allein aus dem Verfahrensablauf in Verbindung mit dem konkreten Inhalt des Urteils etwas anderes ergeben kann, kann offen bleiben, weil hier ein solcher Fall jedenfalls nicht vorliegt. Die Angeklagte war geständig, die Verteidigerin hatte auf die Annahme eines minder schweren Falls plädiert - dem ist die Strafkammer gefolgt - und die konkrete Strafhöhe ins Ermessen des Gerichts gestellt, nachdem die Staatsanwaltschaft eine Strafe von fünf Jahren und zehn Monaten beantragt hatte.

(2) Dem übrigen Vorbringen der Angeklagten, das zumindest teilweise nicht sehr naheliegend erscheint (z. B. das Gericht habe nicht ihr, sondern der Verteidigerin das Merkblatt ausgehändigt, die sie gleichwohl in mehrfacher Hinsicht (Berufung, vier Wochen) falsch unterrichtet habe), braucht der Senat jedoch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht näher nachzugehen.

Die Angeklagte hat nämlich selbst auf der Grundlage des von ihr geltend gemachten Irrtums ihr Rechtsmittel zu spät angebracht. Hätte sie vier Wochen Zeit gehabt, gegen das Urteil vom 21. Dezember 2004 Rechtsmittel einzulegen, hätte es spätestens am 18. Januar 2005 bei Gericht sein müssen. Tatsächlich stammt ihr Schreiben aber erst vom 19. Januar 2005 und es ist erst am 21. Januar 2005 eingegangen. Warum (auch) diese Verspätung unverschuldet sein soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 523

Bearbeiter: Karsten Gaede