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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 941

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 477/24, Urteil v. 08.05.2025, HRRS 2025 Nr. 941


BGH 4 StR 477/24 - Urteil vom 8. Mai 2025 (LG Paderborn)

Besonders schwerer Raub (Verwenden des gefährlichen Werkzeugs bei der Tat: Drohen mit dem Werkzeug und spätere Wegnahme mit einfacher Gewalt, Versuchsbeginn, enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang; Beweiswürdigung: Darstellungsanforderungen).

§ 22 StGB; § 249 Abs. 1 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

1. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verlangt, dass das gefährliche Werkzeug „bei der Tat“ verwendet wird. Erforderlich ist ein Einsatz der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Tatbeendigung. Ein Verwenden lediglich im Vorbereitungsstadium reicht zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht aus. Der Versuch des besonders schweren Raubes beginnt, wenn der Täter im Sinne des § 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur qualifizierten Nötigungshandlung ansetzt und dabei die Wegnahme unmittelbar nachfolgen soll.

2. Auch wenn die eigentliche Wegnahmehandlung (z.B. das Entreißen einer Tasche) letztendlich nur mit einfacher Gewalt ausgeführt wird, kann der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs zu einer Drohung einen Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes tragen, wenn eine einheitliche Wegnahmeabsicht vorliegt, die Wegnahme in engem zeitlich-räumlichen Zusammenhang zu der Drohung steht und der Geschädigte noch unter dem Einfluss der durch den Vorhalt des Werkzeugs zum Ausdruck gebrachten Bedrohung steht, diese also noch willensbeugend wirkt.

3. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Lückenhaft wäre die Beweiswürdigung dabei nur dann, wenn sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängende Erörterungen unterbleiben; das Maß der gebotenen Darlegung hängt dabei von der jeweiligen Beweislage ab.

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 12. Juni 2024 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; im Übrigen wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte verfolgte am 30. Juli 2023 gegen 04:00 Uhr morgens die auf dem Nachhauseweg befindliche und dabei telefonierende Nebenklägerin K. Er hatte sich spätestens zu diesem Zeitpunkt dazu entschlossen, der Nebenklägerin unter Vorhalt eines mitgeführten Messers (Klingenlänge ca. 10 cm) Wertgegenstände wegzunehmen. Er ergriff von hinten kommend zunächst ihren linken Arm. Als die Nebenklägerin sich erschrocken umdrehte, nahm sie das Gesicht des Angeklagten und das Messer, das er ihr deutlich sichtbar entgegenhielt, wahr. Das Vorhalten des Messers diente nach der Vorstellung des Angeklagten dazu, auf die Nebenklägerin eine Drohwirkung zu entfalten, um sie gefügig zu machen und letztlich zur Duldung der beabsichtigten Wegnahme von Wertgegenständen zu bewegen. Der Angeklagte forderte die Nebenklägerin mit den Worten „komm mit“ und „mach Handy stumm“ auf, mitzukommen und das von ihr mit der Zeugin S. fortwährend geführte Telefongespräch zu beenden. Sodann zog er sie einige Schritte weiter in Richtung einer nicht gut ausgeleuchteten Stelle, wobei er ihr linkes Handgelenk umklammert hielt. Da die Nebenklägerin befürchtete, Opfer eines Sexual- und/oder Tötungsdelikts zu werden, versuchte sie, Widerstand zu leisten und ließ sich schließlich auf ihre linke Seite zu Boden fallen. Durch den ruckartigen Sturz löste sich der Griff des Angeklagten an ihrem Handgelenk. Ohne zu zögern, ergriff der Angeklagte den über der Schulter der Nebenklägerin befindlichen Riemen ihrer Handtasche in dem Bestreben, die Tasche bzw. das darin befindliche stehlenswerte Gut wegzunehmen und sich dauerhaft anzueignen. Der Versuch der Nebenklägerin, den Angeklagten durch Festhalten der Tasche an der Wegnahme zu hindern, scheiterte. Nach einem kurzen Gerangel um die Tasche gab die Nebenklägerin, die noch immer unter dem Einfluss der vom Angeklagten durch den Vorhalt des Messers zum Ausdruck gebrachten Bedrohung stand, ihren Widerstand auf, so dass der Angeklagte ihr die Tasche von der Schulter reißen konnte. In der Tasche befanden sich u.a. 30 Euro Bargeld und eine Debitkarte. Die Nebenklägerin war durch die Tat nachhaltig traumatisiert.

2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt.

II.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

1. Obgleich der Angeklagte die eigentliche Wegnahmehandlung (Entreißen der Tasche) letztendlich nur mit einfacher Gewalt ausführte, tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes (§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB).

a) § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verlangt, dass das gefährliche Werkzeug „bei der Tat“ verwendet wird. Erforderlich ist ein Einsatz der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Tatbeendigung. Ein Verwenden lediglich im Vorbereitungsstadium reicht zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 − 4 StR 322/17, NStZ 2018, 148 mwN). Der Versuch des besonders schweren Raubes beginnt, wenn der Täter im Sinne des § 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur qualifizierten Nötigungshandlung ansetzt und dabei die Wegnahme unmittelbar nachfolgen soll (vgl. BGH aaO; SSW-StGB/Kudlich, 6. Aufl., § 249 Rn. 22 mwN).

b) Dies ist nach den Feststellungen der Fall. Die von der Nebenklägerin wahrgenommene Drohung sollte nach der Vorstellung des Angeklagten dazu dienen, sie für die beabsichtigte anschließende Wegnahme von Wertgegenständen gefügig zu machen. Dass der Täter die Nebenklägerin zunächst noch an eine nicht ausgeleuchtete Stelle zu führen beabsichtigte, ändert daran nichts. Seine Wegnahmeabsicht war dabei umfassend auf sämtliche Wertgegenstände, mithin auch auf die tatsächlich kurzzeitig später weggenommene Handtasche der Nebenklägerin samt Inhalt, gerichtet. Tatsächlich entwendete der Angeklagte der Nebenklägerin auch in engem zeitlich-räumlichen Zusammenhang zur Drohung mit dem Messer diese Tasche, indem er ihr diese von der Schulter riss. Allein der Umstand, dass die Nebenklägerin sich im Zeitpunkt der Wegnahme kurzzeitig zu wehren versuchte, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Denn die Nebenklägerin hat ihren Gewahrsam an der Handtasche aufgegeben, weil sie noch unter dem Einfluss der vom Angeklagten durch den Vorhalt des Messers zum Ausdruck gebrachten Bedrohung stand. Die ursprüngliche Drohung mit Gewalt war mithin noch willensbeugend.

2. Diese Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14 Rn. 9). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14 Rn. 8). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. August 2023 - 4 StR 29/23 Rn. 19; Beschluss von 28. April 2022 - 4 StR 299/21 Rn. 7). Lückenhaft wäre die Beweiswürdigung dabei nur dann, wenn sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängende Erörterungen unterbleiben; das Maß der gebotenen Darlegung hängt dabei von der jeweiligen Beweislage ab (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2024 ‒ 5 StR 588/24 Rn. 14).

b) Nach diesen Maßstäben liegt kein Rechtsfehler vor. Die Erwägungen, mit denen sich das Landgericht davon überzeugt hat, dass der Angeklagte der Nebenklägerin das Messer bereits zu Beginn des Tatgeschehens in der Absicht vorhielt, ihre Gegenwehr gegen die beabsichtigte Wegnahme von Wertgegenständen zu unterbinden, sind rechtsfehlerfrei. Das Landgericht ist im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung der für sich genommen rechtsfehlerfrei zustande gekommenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen tragfähig zu diesem Ergebnis gelangt. Es hat dabei das gesamte Verhalten des Angeklagten während der Tatausführung in den Blick genommen. Ihre Annahme, dass der Vorhalt des Messers nicht dazu diente, einen sexuellen Missbrauch der Nebenklägerin zu ermöglichen, hat die Strafkammer mit der Erwägung begründet, dass es keine dahingehende Äußerung des Angeklagten gegeben habe und er nach seiner eigenen Einlassung bisher an einer Beziehung zu Frauen kein Interesse gehabt habe. Dies ist eine zumindest mögliche Schlussfolgerung. Umgekehrt zieht die Kammer gerade aus dem Umstand, dass der Angeklagte ohne jedes Zögern nach dem Fall der Nebenklägerin sofort nach deren Tasche griff und hieran nachhaltig riss, den möglichen Schluss, dass er von Beginn des Tatgeschehens an die Absicht hatte, Wertgegenstände wegzunehmen, und er ausschließlich hierfür die Drohung mit dem Messer vornahm. Anhaltspunkte für eine Änderung seines Tatplans hat die Strafkammer nicht gesehen.

Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift die Erörterung vermisst, dass es zu dem Zeitpunkt der Drohung mit dem Messer und der Aufforderung „komm mit“ keinen Griff des Angeklagten an die Handtasche gegeben habe, um diese wegzunehmen, musste die Kammer dies nicht mehr ausdrücklich ansprechen. Der Umstand, dass die Kammer gerade in dem ohne Zögern und in einem räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit der Drohung mit dem Messer ausgeführten Wegziehen der Handtasche ein Indiz für den von Anfang an bestehenden Raubvorsatz gesehen hat, lässt erkennen, dass ihr der Zeitpunkt des ersten „Zugriffs“ auf die Handtasche und seine Relation zur Drohung mit dem Messer nicht aus dem Blick geraten ist. Diese tatrichterliche Überzeugungsbildung hätte der Senat grundsätzlich selbst dann hinzunehmen, wenn mit den Ausführungen des Generalbundesanwalts eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO, §§ 74, 109 Abs. 2 Satz 1 JGG (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2024 - 4 StR 174/24).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 941

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede