HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 369
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 438/24, Beschluss v. 17.09.2024, HRRS 2025 Nr. 369
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 5. April 2024 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird der Adhäsionsausspruch dahin geändert, dass Prozesszinsen ab dem 2. April 2024 zu zahlen sind.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die dem Adhäsions- und vormaligen Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen sowie die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung in drei tateinheitlichen Fällen und Computerbetrug zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es dem Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld von 2.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 1. April 2024 zuerkannt und festgestellt, dass diese Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrührt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Die Adhäsionsentscheidung hat überwiegend Bestand. Soweit das Landgericht den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.000 Euro verurteilt hat, lässt die Entscheidung einen Rechtsfehler zu seinem Nachteil nicht erkennen. Sie bedarf lediglich hinsichtlich des Zinsausspruchs der geringfügigen Korrektur.
a) Das Revisionsgericht hat zu prüfen, ob die notwendigen Sachurteilsvoraussetzungen im maßgeblichen Zeitpunkt der tatgerichtlichen Entscheidung über den wirksamen, insbesondere fristgerecht gestellten Adhäsionsantrag vorlagen (§ 404 Abs. 1 StPO). Dies gilt auch für die notwendige Antragsbefugnis des Verletzten (§ 373b Abs. 1 StPO) oder seines Erben (vgl. § 403 Satz 1 StPO; LR/Wenske, StPO, 27. Aufl., § 406 Rn. 14; zum Erbschein vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2016 - 2 StR 328/15, NStZ-RR 2016, 183; Beschlüsse vom 5. November 2009 - 3 StR 428/09, NStZ 2010, 714; vom 14. April 2010 - 2 StR 137/10). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Verletzte und Adhäsionskläger, der im Zeitpunkt der tatgerichtlichen Entscheidung noch lebte, war antragsbefugt.
b) Der Tod des Adhäsionsklägers während des Revisionsverfahrens führt nicht zur Unzulässigkeit des Antrags mit der Folge, dass die Adhäsionsentscheidung aufzuheben und von einer Entscheidung abzusehen wäre (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschriften über das Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO), das die prozessualen Wirkungen des Todes eines Antragstellers nicht regelt.
aa) Eine entsprechende Anwendung gesetzlicher Bestimmungen betreffend den Tod eines Verfahrensbeteiligten aus anderen strafprozessualen Regelungsbereichen oder der Zivilprozessordnung, die etwa eine Verfahrenseinstellung oder Aussetzung vorsehen, scheidet aus, weil die Voraussetzungen der Gesetzesanalogie (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2020 - 1 StR 118/20, BGHSt 65, 20 Rn. 21; vom 11. September 2024 - 3 StR 109/24, Rn. 17) nicht gegeben sind.
(1) Dies gilt zunächst für Bestimmungen aus dem Recht der Privatklage (§ 393 Abs. 2, § 374 Abs. 2 StPO) und der Nebenklage (§ 402 StPO). Es fehlt insoweit jedenfalls an der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke. Das Adhäsionsverfahren enthält in § 403 StPO eine Bestimmung auch über die Antragsbefugnis des Erben des Verletzten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 6 StR 495/23, NJW 2024, 1443, 1444). Obgleich der Gesetzgeber damit neben der originären Antragsbefugnis des Erben auch seinen grundsätzlichen Eintritt in ein anhängiges Verfahren als Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922 BGB) nach dem Tod des Verletzten erkennbar in den Blick genommen hat, hielt er die Folgen des Todes im (Revisions-)Verfahren ? anders als bei der Privatklage und der Nebenklage ? erkennbar nicht für regelungsbedürftig.
(2) Auch zivilprozessuale Bestimmungen über den Tod einer Partei (vgl. §§ 239, 246, 86 ZPO) sind nicht entsprechend anwendbar. Dagegen spricht bereits, dass sich das Adhäsionsverfahren grundsätzlich nach den Vorschriften und Grundsätzen der Strafprozessordnung richtet (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 1990 - 4 StR 519/90, BGHSt 37, 260, 261; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 404 Rn. 11; LR/Wenske, StPO, 27. Aufl., § 404 Rn. 9; SSW-StPO/Werner, 5. Aufl., § 404 Rn. 9). Nur vereinzelt und naheliegend abschließend verweisen die gesetzlichen Regelungen ergänzend auf das Zivilprozessrecht (vgl. § 404 Abs. 5, § 406 Abs. 1 und 3, § 406b StPO).
bb) Hierfür sprechen auch Sinn und Zweck des gesetzgeberischen Konzepts der Durchsetzung der aus einer Straftat folgenden vermögensrechtlichen Ansprüche des Verletzten. Dieses ermöglicht Verletzten von Straftaten, bürgerlich-rechtliche Ausgleichsansprüche bereits im Strafverfahren mithilfe der für sie günstigeren prozessualen Maßgaben durchzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 ? 2 BvR 2054/19, NStZ-RR 2020, 357, 358). Zugleich trägt das Anhangsverfahren in besonderer Weise zu einer Entlastung der Justiz bei (vgl. BT-Drucks. 15/1976, S. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 403 Rn. 1), indem Prozesse vor den Zivilgerichten über diese Ansprüche vermieden werden (vgl. § 406 Abs. 3 Satz 1 StPO). Dies spricht dafür, das Adhäsionsverfahren auch nach dem Tod des Verletzten im Revisionsverfahren fortzuführen. Nur dann nimmt der vollstreckbare Titel über den Adhäsionsausspruch an der materiellen Rechtskraft des Urteils teil und wird dem Erben, dessen Eintritt in das Verfahren schon aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung regelmäßig ausscheiden und zu einem Absehen von einer Adhäsionsentscheidung führen müsste, nicht vorschnell genommen (§ 406b Satz 1 StPO iVm § 727 Abs. 1 ZPO).
cc) Für dieses Auslegungsergebnis sprechen schließlich auch systematische Erwägungen. Die Vorschrift des § 404 Abs. 4 StPO, nach der ein Adhäsionsantrag nur bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden kann, zeigt, dass der Adhäsionskläger nach der erstinstanzlichen Entscheidung seine Dispositionsbefugnis über seinen Antrag verliert. Ist Gegenstand des Adhäsionsverfahrens schließlich ? wie hier ? ein Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB), erlaubt § 406 Abs. 1 Satz 6 iVm § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO ein Absehen von einer Entscheidung nur in bestimmten, gesetzlich genau umschriebenen Fällen.
c) Die Adhäsionsentscheidung ist lediglich im Zinsausspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin zu ändern, dass die geltend gemachten Prozesszinsen erst ab dem Tag zu entrichten sind, der auf die - hier am 1. April 2024 eingetretene - Rechtshängigkeit des Adhäsionsantrags folgt (vgl. § 404 Abs. 2 Satz 2 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 6 StR 395/20).
3. Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch seine Revision entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Auch hat er - ungeachtet der Beendigung der Nebenklage gemäß § 402 StPO durch den Tod des Nebenklägers - die notwendigen Auslagen der Nebenklage im Revisionsverfahren zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, Rn. 34; Beschluss vom 9. Januar 2024 - 2 StR 261/23, Rn. 10).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 369
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede