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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 236

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 1496/24, Beschluss v. 29.01.2025, HRRS 2025 Nr. 236


BVerfG 1 BvR 1496/24 (2. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 29. Januar 2025 (LG Hamburg / AG Hamburg)

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung (Wohnungsgrundrecht; Verhältnismäßigkeit; Angemessenheit; schwacher Anfangsverdacht der Unterschlagung im Zusammenhang mit hochstreitiger familienrechtlicher Auseinandersetzung; Missverhältnis zwischen Grad der Vorwerfbarkeit und Schwere des Grundrechtseingriffs); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Darlegung der Einhaltung der Monatsfrist bei fehlender Offensichtlichkeit; Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten der letztinstanzlichen strafgerichtlichen Entscheidung; Rechtswegerschöpfung bei Verfassungsbeschwerde gegen Art und Weise der Vollziehung einer Durchsuchung).

Art. 13 Abs. 1 GG; § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG; § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; § 35 Abs. 2 StPO; § 37 Abs. 2 StPO; § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 102 StPO; § 105 StPO; § 304 Abs. 1 StPO; § 246 StGB; § 247 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Durchsuchungsanordnung gegen den Vater eines von einem Sorgerechtsstreit betroffenen Kindes wegen des Vorwurfs der Unterschlagung einer beim Haushaltswechsel nicht zurückgegebenen Spielekonsole begegnet unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sich der auf eine Anzeige der Kindesmutter gestützte Anfangsverdacht aufgrund der im Hintergrund stehenden hochstreitigen familienrechtlichen Auseinandersetzung nur als schwach darstellt und eine etwaige Vorwerfbarkeit im Missverhältnis zu der Schwere des durch die Durchsuchung verursachten Grundrechtseingriffs steht.

2. Die Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde erstrecken sich auch auf die Wahrung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG, soweit sich diese nicht ohne Weiteres aus den eingereichten Unterlagen ergibt. Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchungsanordnung muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl dem Beschuldigten als auch der Verteidigung bekannt gemacht wurde; denn das einfache Prozessrecht sieht eine Bekanntgabe an beide vor, wobei die zeitlich frühere Bekanntgabe die Verfassungsbeschwerdefrist auslöst.

3. Wendet sich ein Beschuldigter mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Art und Weise der Vollziehung einer Durchsuchung, so hat er zur Erschöpfung des Rechtswegs zunächst analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen und gegen diese gegebenenfalls Beschwerde zu erheben.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist insbesondere eine ermittlungsrichterliche Durchsuchungsanordnung sowie die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung.

I.

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Beschwerdeführer zu 1) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterschlagung. Gemeinsam mit seiner getrenntlebenden Ehefrau übt der Beschwerdeführer zu 1) das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn aus, der auf Grundlage einer umgangsrechtlichen Regelung regelmäßig zwischen den Haushalten der beiden wechselte. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war ein solcher Haushaltswechsel.

Auf Grundlage der Aussage der bei der Abholung des Sohnes durch den Beschwerdeführer zu 1) nicht selbst anwesenden Ehefrau sowie einer Nachbarin, die den Sohn zum Wechselzeitpunkt betreute, ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zu 1) an. Es bestehe der Tatverdacht, dass der Beschwerdeführer zu 1) eine Spielekonsole samt vier Spielen des Sohnes, die bei dem Haushaltswechsel durch die Nachbarin übergeben worden sei, nicht zurückgegeben und für sich behalten habe. Die Durchsuchung erfolgte im Wohnhaus des Beschwerdeführers zu 1), in dem dieser zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin, der Beschwerdeführerin zu 2) sowie deren Töchtern, den Beschwerdeführerinnen zu 3) und zu 4) lebt. Die von allen Beschwerdeführenden gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet.

II.

Die Beschwerdeführenden sehen sich durch die gerichtlichen Entscheidungen unter anderem in ihren Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Insbesondere fehle es schon an einem Anfangsverdacht, jedenfalls sei die Durchsuchung aufgrund des Kontextes und des geringen Werts der Spielekonsole unverhältnismäßig gewesen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist.

1. Der Vortrag der Beschwerdeführenden genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung der Fristeinhaltung.

a) Eine Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen (vgl. BVerfGE 21, 359 <361>; stRspr). Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt grundsätzlich auch, dass die Beschwerdeführenden innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG darlegen, dass die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt (vgl. BVerfGK 14, 468 <469>). Bei einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme gerichteten Verfassungsbeschwerde muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl der Verteidigung als auch den Beschwerdeführenden bekannt gemacht wurde. Denn das einfache Prozessrecht sieht eine Bekanntgabe an beide vor, wobei die zeitlich frühere Bekanntgabe die Verfassungsbeschwerdefrist auslöst (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 5, 8 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juli 2023 - 1 BvR 58/23 -, Rn. 17 m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juli 2024 - 1 BvR 943/24 -, Rn. 2).

b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beschwerdeführenden nicht. Auf seiner Grundlage kann hier nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gewahrt hat.

Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 1) benennt die Beschwerdeschrift nur den Zeitpunkt, zu dem der Beschluss des Landgerichts einem weiteren Verteidiger des Beschwerdeführers zu 1) zugestellt wurde. Da aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beschluss auch dem Beschwerdeführer zu 1) selbst beziehungsweise seiner zweiten Verteidigerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugegangen ist, ist die Einhaltung der Frist zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG weder aus sich heraus noch aus dem Beschwerdevorbringen nachvollziehbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juli 2024 - 1 BvR 943/24 -, Rn. 3).

Auch hinsichtlich der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 4) ist die Fristeinhaltung nicht substantiiert vorgetragen. Es fehlt an jeglichem Vortrag, ob und wann die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts ihnen, dem von ihnen bestellten Verfahrensbevollmächtigten oder im Fall der Beschwerdeführerinnen zu 3) und zu 4) ihren gesetzlichen Vertretern bekanntgegeben wurde.

2. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die Durchsuchungsanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde in der Sache noch als verfassungsgemäß erweisen. Zweifel bestehen allerdings in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>).

Auf Grundlage des Vortrags der Beschwerdeführenden begegnet die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnung verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die vorgeworfene Straftat hat im hier zu beurteilenden Fall mit Rücksicht auf den vermeintlich betroffenen, nicht besonders hochwertigen Gegenstand nur geringes Gewicht. Weiterhin war zu beachten, dass der Anfangsverdacht sich aufgrund der im Hintergrund stehenden hochstreitigen familienrechtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer zu 1) und der anzeigenden Ehefrau als schwach darstellt. Das gilt insbesondere, weil gemäß § 247 StGB ein Antragsdelikt vorliegt und die Eigentumssituation an der Spielekonsole und daher die Strafantragsberechtigung vor der Durchsuchung nicht aufgeklärt worden waren. Der verdächtigte Beschwerdeführer zu 1) ist zudem einer der Sorgeberechtigten des Kindes, das die Spielekonsole nutzte. Eine etwaige Vorwerfbarkeit bewegte sich damit zumindest am untersten Rand der Strafbarkeit und steht deshalb im Missverhältnis zu der Schwere des durch die Durchsuchung verursachten Grundrechtseingriffs.

3. Soweit sich die Beschwerdeführenden auch gegen die Art und Weise der Vollziehung der Durchsuchung wenden, haben sie die Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargelegt. Für die Überprüfung der Art und Weise des Vollzuges kann die betroffene Person analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO richterliche Entscheidung beantragen (grundlegend BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1998 - 5 AR (VS) 2/98 -), die wiederum mit der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO angefochten werden kann. Es ist indes weder der Beschwerdeschrift noch den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen, dass das Amtsgericht über diese Anträge entschieden hätte und die Beschwerdeführenden hiergegen Beschwerde erhoben hätten.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 236

Bearbeiter: Holger Mann