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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1192

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 233/24, Beschluss v. 02.07.2025, HRRS 2025 Nr. 1192


BGH 4 StR 233/24 - Beschluss vom 2. Juli 2025 (Thüringer OLG)

Zulässigkeit eines „Zweitantrags“ nach § 1 Abs. 6 StrRehaG (Divergenzvorlage: Entfall der Vorlagevoraussetzungen, Klärung der vorgelegten Rechtsfrage durch Neufassung des Gesetzes; rechtkräftige Entscheidung über einen Rehabilitierungsantrag vor Neufassung des StrRehaG).

§ 1 Abs. 6 StrRehaG; § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG; § 13 Abs. 4 StrRehaG; § 15 StrRehaG; § 121 Abs. 2 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG in der seit dem 1. Juli 2025 geltenden Fassung ist ein erneuter Rehabilitierungsantrag nicht nach § 1 Abs. 6 Satz 1 StrRehaG unzulässig, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den erneuten Antrag geltenden Fassung Erfolg gehabt hätte.

2. Die Neufassung von § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG ist in strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene den erneuten Antrag vor dem 1. Juli 2025 gestellt hat und das Verfahren am 1. Juli 2025 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war.

3. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Strafverfahrensrechts ist neues Verfahrensrecht, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden. Es erfasst die Verfahren in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Vorschriften befinden; laufende Verfahren sind nach den neuen Vorschriften weiterzuführen. Dies gilt auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten im Prozess, ihre Befugnisse und ihre Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen Beteiligter, soweit nichts Abweichendes geregelt ist und es sich nicht um ein bereits beendetes prozessuales Geschehen handelt.

Entscheidungstenor

Die Sache wird an das Thüringer Oberlandesgericht zurückgegeben.

Gründe

I.

Der Betroffene hat am 18. August 2020 - erneut - seine Rehabilitierung nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG) wegen einer Einweisung in ein Spezialkinderheim und einer Einweisung in einen Jugendwerkhof beantragt. Das Landgericht Meiningen hat den Antrag mit Beschluss vom 3. August 2022 als unzulässig zurückgewiesen, weil nach § 1 Abs. 6 Satz 1 StrRehaG ein erneuter Rehabilitierungsantrag unzulässig sei, soweit nach dem 2. Oktober 1990 über einen auf denselben Sachverhalt gestützten zulässigen Antrag auf Rehabilitierung rechtskräftig entschieden wurde. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Das Landgericht habe bereits durch rechtskräftig gewordenen Beschluss vom 7. Juni 2010 über einen Rehabilitierungsantrag des Betroffenen vom 2. Dezember 2009, der unter anderem auch die beiden genannten Einweisungen zum Gegenstand gehabt habe, in der Sache entschieden.

Das Thüringer Oberlandesgericht beabsichtigt, die gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 3. August 2022 gerichtete Beschwerde des Betroffenen als unbegründet zurückzuweisen, soweit das Landgericht den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen als nach § 1 Abs. 6 Satz 1 StrRehaG unzulässigen sogenannten Zweitantrag abgelehnt hat. Hieran sieht es sich durch Entscheidungen des Oberlandesgerichts Dresden, des Brandenburgischen Oberlandesgerichts sowie des Kammergerichts gehindert, die Zweitanträge Betroffener nach § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG in der bis zum 30. Juni 2025 geltenden Fassung als zulässig erachtet hatten. Das Thüringer Oberlandesgericht hat die Sache daher mit Beschluss vom 10. Mai 2024 gemäß § 13 Abs. 4 StrRehaG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Frage vorgelegt:

„Ist ein ‚Zweitantrag’ gemäß § 1 Abs. 6 StrRehaG derjenigen zulässig, die in die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG genannten Heime und Einrichtungen eingewiesen wurden und deren Rehabilitierungsanträge vor der Einführung dieser Vorschrift mit dem ‚Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes’ vom 22.11.2019 (BGBl. I S. 1752) mit Wirkung vom 29.11.2019, rechtskräftig wegen Nichtfeststellbarkeit eines Rehabilitierungsgrundes zurückgewiesen worden waren.“ Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat sich im Ergebnis dem vorlegenden Thüringer Oberlandesgericht angeschlossen und beantragt zu beschließen, dass ein Zweitantrag gemäß § 1 Abs. 6 StrRehaG unzulässig ist, soweit über einen auf denselben Sachverhalt gestützten zulässigen Antrag auf Rehabilitierung rechtskräftig auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes - auch in früheren Fassungen - bereits entschieden worden ist.

II.

Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzugeben. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG sind nicht mehr erfüllt. Die vorgelegte Rechtsfrage hat sich durch die Neufassung von § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG durch den am 1. Juli 2025 in Kraft getretenen Artikel 3 des Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Februar 2025 (BGBl. 2025 I Nr. 63 vom 28. Februar 2025) erledigt.

1. Gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG in der seit dem 1. Juli 2025 geltenden Fassung ist ein erneuter Rehabilitierungsantrag nicht nach § 1 Abs. 6 Satz 1 StrRehaG unzulässig, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den erneuten Antrag geltenden Fassung Erfolg gehabt hätte. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung ausdrücklich ein Zweitantragsrecht einführen, um Personen, deren Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung unter der Geltung einer früheren - für den Betroffenen ungünstigeren - Rechtslage rechtskräftig abgelehnt wurde, zu ermöglichen, bei späteren gesetzlichen Änderungen im StrRehaG zugunsten des Betroffenen erneut einen Antrag auf Rehabilitierung zu stellen (vgl. BT-Drucks. 20/14744 S. 25).

2. Die Neufassung von § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG ist in strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene - wie hier - den erneuten Antrag vor dem 1. Juli 2025 gestellt hat und das Verfahren am 1. Juli 2025 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war.

Mangels einer ausdrücklichen Regelung zur Anwendung des neuen Rechts auf anhängige Verfahren sind gemäß § 15 StrRehaG die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung entsprechend heranzuziehen. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Strafverfahrensrechts ist neues Verfahrensrecht, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden. Es erfasst die Verfahren in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Vorschriften befinden; laufende Verfahren sind nach den neuen Vorschriften weiterzuführen. Dies gilt auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten im Prozess, ihre Befugnisse und ihre Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen Beteiligter, soweit nichts Abweichendes geregelt ist und es sich nicht um ein bereits beendetes prozessuales Geschehen handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2024 - 3 StR 97/24, NStZ-RR 2025, 55 Rn. 8 ff.; Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64 Rn. 13 und Beschluss vom 19. Februar 1969 - 4 StR 357/68, BGHSt 22, 321, 325; Kühne/Gössel/Lüderssen in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., Einleitung E.IV. Rn. 17; Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 354a Rn. 4).

3. Das vorlegende Oberlandesgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob der Antrag des Betroffenen vom 18. August 2020 nach Maßgabe von § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG in der seit dem 1. Juli 2025 geltenden Fassung zulässig ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1192

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede