HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1063
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 975/25, Beschluss v. 09.07.2025, HRRS 2025 Nr. 1063
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind ein ermittlungsrichterlicher Beschlagnahmebeschluss sowie die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung.
Am 14. März 2025 gegen 11:30 Uhr geriet die Beschwerdeführerin in eine Verkehrskontrolle durch mehrere Polizeibeamte, weil diese ein auffälliges Fahrverhalten festgestellt hatten. Die Beschwerdeführerin war als Führerin eines PKW im Straßenverkehr unterwegs und hatte ihre Kinder im Fahrzeug.
Im Verlauf der Kontrolle aktivierte einer der Polizeibeamten seine Bodycam. Die Beschwerdeführerin begann ebenfalls, mit ihrem Smartphone (iPhone 16) ein Video von der Kontrollsituation aufzunehmen. Im weiteren Verlauf fesselten die Polizeibeamten die Beschwerdeführerin und beschlagnahmten auf telefonische Anordnung der Staatsanwaltschaft ihr Smartphone wegen des Verdachts einer Strafbarkeit der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 StGB. Zwei der Polizeibeamten stellten Strafantrag „für alle in Betracht kommenden Delikte“. Nach der Verkehrskontrolle leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ein. Der Grund für den Vorwurf des Widerstands ergibt sich nicht aus den angegriffenen Entscheidungen. Die Beschwerdeführerin erklärte, zur Herausgabe der PIN des Smartphones bereit zu sein. Das Amtsgericht hat die Beschlagnahme des Smartphones bestätigt. Die von der Beschwerdeführerin hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Jedenfalls das Video sei als Beweismittel für das weitere Ermittlungsverfahren von Bedeutung.
Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die gerichtlichen Entscheidungen unter anderem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, ihrem Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 GG und ihrem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Ihr Verhalten sei bereits nicht nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar. Sie habe die Polizeikontrolle als schikanös empfunden und sei im Rahmen der Beschlagnahme gewaltsam zu Boden gebracht worden. Die Beschlagnahme sei wegen der Bedeutung des Smartphones für ihre Lebensführung und der langen Dauer der Beschlagnahme unverhältnismäßig.
Die Verfassungsbeschwerde war gemäß § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist.
1. Der Rechtsweg ist entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erschöpft. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin ausdrücklich und auch in der Sache eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt, allerdings keine Anhörungsrüge nach § 33a StPO erhoben, sodass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>).
2. Aufgrund der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann offenbleiben, ob sich die Beschlagnahmeanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde in der Sache noch als verfassungsgemäß erweisen. Zweifel bestehen allerdings vorliegend daran, ob die andauernde Beschlagnahme sich noch als verhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und Art. 14 Abs. 1 GG erweist.
a) Die Beschlagnahme und beabsichtigte Auswertung des Smartphones bedürfen wie jede Grundrechtsbeschränkung einer gesetzlichen Ermächtigung, die einen legitimen Gemeinwohlzweck verfolgt und im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. BVerfGE 65, 1 <44>; 100, 313 <359 f.>; stRspr). Sie müssen zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (vgl. BVerfGE 141, 220 <265 Rn. 93>; stRspr). Im Einzelnen unterscheiden sich hierbei die Anforderungen maßgeblich nach dem Gewicht des Eingriffs und sind insoweit mit den jeweiligen materiellen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit eng verbunden (vgl. BVerfGE 110, 33 <55>; 141, 220 <265 Rn. 94>; 155, 119 <181 Rn. 133>). Dabei obliegt es dem Bundesverfassungsgericht lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Gerichte sicherzustellen. In diesem Rahmen hat es zu prüfen, ob die angegriffenen Entscheidungen Auslegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihrer Schutzbereiche, beruhen und auch für die konkreten Rechtsfälle von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 42, 143 <148 >).
b) Danach begegnet die Angemessenheit der Beschlagnahme auf Grundlage der Gründe der angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlichen Bedenken. In einer Zusammenschau der zumindest umstrittenen fachrechtlichen Auslegung des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch die angegriffenen Entscheidungen (aa), eines nicht erkennbar besonders hohen staatlichen Interesses an der konkreten Maßnahme (bb) und eines durchaus hohen Interesses der Beschwerdeführerin an einer Herausgabe des Smartphones und einem Unterlassen der Auswertung (cc), bestehen bei jedenfalls hier bestehender Kooperationsbereitschaft hinsichtlich der Herausgabe der PIN durch die Beschwerdeführerin vorliegend insbesondere Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der andauernden Beschlagnahme des Smartphones selbst (dd).
aa) Die fachrechtliche Annahme der Fachgerichte, dass in der vorliegenden Konstellation einer Verkehrskontrolle durch Polizeibeamte im öffentlichen Straßenraum mit Bodycamaufzeichnung ein Anfangsverdacht einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliege, unterliegt bereits zumindest gewissen Zweifeln, auch wenn damit noch keine grundsätzlich unrichtige Auffassung der betroffenen Grundrechte einhergeht. Denn sowohl in der Literatur als auch der fachgerichtlichen Rechtsprechung werden beachtliche Argumente gegen die Strafbarkeit der Aufzeichnung polizeilicher Maßnahmen allgemein, jedenfalls aber von polizeilichen Maßnahmen, die seitens der Polizei offensichtlich mittels Bodycam aufgezeichnet werden, sowie hinsichtlich regelmäßig vorliegender Rechtfertigungssituationen geltend gemacht (vgl. etwa LG Osnabrück, Beschluss vom 24. September 2021 - 10 Qs 49/21 -, juris, Rn. 10 ff.; LG Hanau, Beschluss vom 20. April 2023 - 1 Qs 23/22 -, juris, 13 ff.; Ullenboom, NJW 2019, 3108 <3109 ff.> m.w.N.; Roggan, StV 2020, 328 <330, 332>; Schnabel/Wünschelbaum, StV 2024, 405 <409 f.>; wohl auch LG Aachen, Beschluss vom 19. August 2020 - 60 Qs 34/20 -, juris, Rn. 36). Den angegriffenen Entscheidungen gelingt es nur bedingt, diese Argumente zu entkräften - insbesondere hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung nach § 34 StGB oder Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung) sowie der Tatsache, dass gerade nicht jede Videoaufnahme polizeilicher Einsätze ein polizeirechtliches oder strafprozessuales Einschreiten rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2015 - 1 BvR 2501/13 -, Rn. 14 f.; BVerwGE 109, 203 <210 f.> m.w.N.). Polizeiliche Maßnahmen dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht dazu führen, dass Betroffene aus Furcht zulässige Aufnahmen und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2015 - 1 BvR 2501/13 -, Rn. 14).
bb) Das staatliche Interesse an der andauernden Beschlagnahme des Smartphones selbst ist jedenfalls auf Grundlage der Gründe der angegriffenen Entscheidungen als nicht besonders hoch zu bewerten. Denn schon abstrakt weist § 201 Abs. 1 StGB eine nicht besonders hohe Strafdrohung auf. Auch im Einzelfall dürfte bei einer jedenfalls nach den Entscheidungsgründen nicht erkennbar vorbestraften Beschwerdeführerin keine besonders hohe Strafe zu erwarten sein. Mit den Zeugenaussagen von drei Polizeibediensteten, einer schriftlichen geständigen Einlassung der Beschwerdeführerin, ihren Kindern als zwei weiteren potentiellen Zeugen (trotz deren Weigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) sowie dem objektiven Beweismittel der Bodycamaufzeichnung der Polizei liegen auch bereits erhebliche Beweismittel zum Tatnachweis vor, sodass die Beweisbedeutung des Smartphones als Tatmittel und auch des auf dem Smartphone gespeicherten Videos selbst nicht besonders hoch ist. Das Landgericht weist in der angegriffenen Beschwerdeentscheidung zudem selbst darauf hin, dass die Einziehung des hochwertigen Smartphones gemäß § 201 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 74 StGB im Lichte von § 74f StGB eher unwahrscheinlich sein dürfte.
cc) Den Aspekten, die das staatliche Interesse an einer über drei Monate andauernden Beschlagnahme des Smartphones als schwach erscheinen lassen, stehen hier durchaus gewichtige private Interessen der Beschwerdeführerin aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03 -, Rn. 43) gegenüber. Smartphones haben heute einerseits eine besondere Bedeutung für das alltägliche Leben ihrer Nutzenden, andererseits ergibt sich aus ihrer Auswertung ein erhebliches Risiko für die Persönlichkeitsrechte der Nutzenden. Sie haben eine für die persönliche Lebensführung unverzichtbare Bedeutung. Das hängt vor allem mit der ubiquitären Verbreitung des Internets in der Gesellschaft und den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten zusammen, die moderne digitale Endgeräte gerade auch mit Blick auf Anwendungen im Rahmen von Cloud-Computing vermitteln. Eine Beschlagnahme und Auswertung eines Smartphones kann sich für Betroffene daher - völlig unabhängig von einer späteren materiellen strafrechtlichen Sanktion - als eine faktische Sanktionierung ihres Handelns bereits im Ermittlungsverfahren darstellen, obwohl noch kein rechtsstaatliches Unwerturteil, sondern nur der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt und strafprozessuale Ermächtigungsgrundlagen gerade keine Ermächtigungsgrundlage für eine Sanktion sein können.
dd) Zumindest in der vorliegenden Konstellation einer prognostisch nur geringen Beweisbedeutung auf dem Endgerät gespeicherter Daten und des hier nur geringen Gewichts der vorgeworfenen Straftat, in der die Beschwerdeführerin sich nach den Gründen der angegriffenen Entscheidungen jedenfalls bereiterklärt hat, die PIN für ihr Smartphone herauszugeben, bestehen in einer Zusammenschau verfassungsrechtliche Zweifel an dessen andauernder Beschlagnahme. Eine unverzügliche Auswertung oder Spiegelung des Smartphones mit daran anschließender Beschlagnahme nur des gegenständlichen Videos und der Möglichkeit einer Herausgabe des Smartphones erscheint nach Herausgabe der PIN und der ausschließlichen Suche nach einem zeitlich und inhaltlich eingrenzbaren Video technisch und praktisch so schnell und einfach möglich, dass in Anbetracht der obigen Abwägungsaspekte eine länger andauernde Beschlagnahme des Smartphones selbst - abgesehen von einer konkret zu erwartenden Einziehung nach § 74 StGB - aus verfassungsrechtlicher Sicht nur schwer zu rechtfertigen sein dürfte.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1063
Bearbeiter: Holger Mann