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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 879

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 469/23, Beschluss v. 21.05.2024, HRRS 2024 Nr. 879


BGH 5 StR 469/23 - Beschluss vom 21. Mai 2024 (LG Berlin)

Keine Hinweispflicht in der Revisionsinstanz bei beabsichtigter Schuldspruchänderung.

§ 265 StPO; § 354 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Das Revisionsgericht ist weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich verpflichtet, den Verurteilten auf seine Rechtsauffassung oder den Inhalt seiner beabsichtigten Entscheidung hinzuweisen. Dies gilt auch dann, wenn es eine entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zulässige Schuldspruchverschärfung vornimmt. Eine solche Hinweispflicht ergibt sich insbesondere nicht aus § 265 StPO, denn die auf die Besonderheiten der Tatsacheninstanz zugeschnittene Vorschrift ist im Revisionsverfahren nicht anwendbar.

Entscheidungstenor

Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 13. Februar 2024 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

1. Der Senat hat die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 2023 durch Beschluss vom 13. Februar 2024 gemäß § 349 Abs. 2 sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO mit der Maßgabe verworfen, dass er im Fall 1 der Urteilsgründe statt der Verabredung zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Anhörungsrüge vom 18. März 2024. Er beanstandet eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot und „die strafrechtliche Wortlautgrenze“.

2. Die zulässig erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet.

a) Die Revisionsentscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Anspruchs des Verurteilten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Senat hat weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden ist, noch hat er zu berücksichtigendes Vorbringen von ihm übergangen oder in sonstiger Weise seinen Gehörsanspruch verletzt.

aa) Ohne Erfolg beanstandet der Verurteilte, dass ihn der Senat vor der Änderung des Schuldspruchs nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

Das Revisionsgericht ist weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich verpflichtet, den Verurteilten auf seine Rechtsauffassung oder den Inhalt seiner beabsichtigten Entscheidung hinzuweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2020 - 3 StR 233/19 Rn. 3; vom 12. Juli 2016 - 3 StR 143/16 Rn. 2; vom 28. Juni 2016 - 3 StR 17/15 Rn. 4 f.; BeckOK StPO/Wiedner, 51. Ed., § 356a Rn. 27). Dies gilt auch dann, wenn es eine entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zulässige Schuldspruchverschärfung vornimmt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 209/23 Rn. 3 [BeckRS 2023, 42082]; vom 6. Juni 2023 - 4 StR 85/23 Rn. 5; KKStPO/Gericke, 9. Aufl., § 354 Rn. 15; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit etwa BVerfG, Beschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2049/99 Rn. 3 mwN).

Eine solche Hinweispflicht ergibt sich insbesondere nicht aus § 265 StPO, denn die auf die Besonderheiten der Tatsacheninstanz zugeschnittene Vorschrift ist im Revisionsverfahren nicht anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 3 StR 17/15 Rn. 4; KKStPO/Bartel, 9. Aufl., § 265 Rn. 4 mwN). Der Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO soll dem Angeklagten ermöglichen, sich auch in tatsächlicher Hinsicht zu der veränderten Rechtslage zu äußern; vor dem Revisionsgericht kann er dies nicht (LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 354 Rn. 20). Der Senat hat geprüft, ob sich der Angeklagte gegen den anderslautenden Schuldvorwurf wirksamer hätte verteidigen können, dies aber - wie im verwerfenden Beschluss ausgeführt - verneint.

bb) Soweit der Verurteilte darüber hinaus geltend macht, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden, indem er zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Schuldspruchänderung bejaht und ein vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angenommen habe, obwohl es noch keinen Abnehmer für die Kokainlieferung gegeben habe, ist dies im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens unbehelflich (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2021 - 1 StR 519/20 Rn. 4 mwN). Dass es für die Tatvollendung nicht entscheidend auf das Feststehen eines Abnehmers ankommt, belegt darüber hinaus aber schon die vom Verurteilten selbst herangezogene Entscheidung (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252), wonach bereits die ernsthaften Verhandlungen über den Ankauf von Betäubungsmitteln ein vollendetes Handeltreiben des Käufers darstellen können.

cc) Der weitere Einwand, der Senat habe sich mit den Argumenten der Revision gegen eine Anwendbarkeit von § 6 Nr. 5 StGB in seinem Beschluss nicht genügend auseinandergesetzt, zeigt ebenfalls keinen Gehörsverstoß auf (vgl. zum Fehlen einer Begründungspflicht etwa BGH, Beschlüsse vom 4. April 2024 - 1 StR 450/23 Rn. 9; vom 12. April 2023 - 5 StR 406/22 Rn. 3; vom 1. Juni 2021 - 3 StR 20/21 Rn. 4 f.).

b) Die weiteren geltend gemachten Verfassungsverstöße (Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG) liegen ebenso wenig vor. Mangels Gehörsverstoßes sind sie im Rahmen der Entscheidung über den Rechtsbehelf nach § 356a StPO ohnehin unbeachtlich, denn das Verfahren nach dieser Vorschrift soll eine Entscheidung nicht generell erneut zur Überprüfung stellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 - 3 StR 441/20 Rn. 8; vom 4. Februar 2020 - 3 StR 233/19 Rn. 4 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 879

Bearbeiter: Christian Becker