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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 818

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1694/23, Beschluss v. 21.05.2024, HRRS 2024 Nr. 818


BVerfG 2 BvR 1694/23 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 21. Mai 2024 (OLG Braunschweig)

Auslieferung an die Republik Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung (türkischer Staatsangehöriger; Schutz vor Auslieferung bei akuter Suizidalität; Recht auf effektiven Rechtsschutz; unzureichende gerichtliche Sachaufklärung; unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze; verbindlicher völkerrechtlicher Mindeststandard; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens; Erschütterung des Vertrauens bei systemischen Defiziten im Zielstaat; völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen; Zweifel an der Belastbarkeit; eigene gerichtliche Gefahrprognose; Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK; Aufklärungs- und Prüfungspflichten bei Gefahr einer ernsthaften und irreversiblen Gesundheitsverschlechterung; erneuter Suizidversuch; Transport- und Haftfähigkeit; unzureichende Behandlungsangebote im türkischen Strafvollzug; Haftbedingungen in der Türkei; verfassungsgerichtliche Überprüfbarkeit der auslieferungsrechtlichen Bewilligungsentscheidung nur ausnahmsweise bei Abweichung von der Zulässigkeitsentscheidung).

Art. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 25 GG; Art. 79 Abs. 3 GG; Art. 3 EMRK; § 12 IRG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine auslieferungsrechtliche Zulässigkeitsentscheidung verletzt den Verfolgten in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn das Oberlandesgericht nicht weiter aufgeklärt hat, ob der Gefahr eines erneuten Suizidversuchs des Betroffenen hinreichend Rechnung getragen ist, indem es insbesondere zur Frage der Transport- und Haftfähigkeit kein Sachverständigengutachten eingeholt hat, obwohl die Ärzte im Straf- und Maßregelvollzug von einem hohen Suizidrisiko ausgegangen sind und deshalb von einer Auslieferung dringend abgeraten haben und obwohl nach einer Mitteilung der türkischen Behörden unklar geblieben ist, ob die in der dortigen Haft angebotene psychologische Betreuung für eine adäquate Behandlung des Verfolgten ausreicht (Hauptsacheentscheidung zur einstweiligen Anordnung vom 4. Dezember 2023 [= HRRS 2024 Nr. 2]).

2. Hingegen konnte das Oberlandesgericht die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Verfolgten mit Blick auf die allgemeinen Haftbedingungen in der Türkei ohne Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht verneinen, nachdem es auf der Grundlage einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zu der Feststellung gelangt war, dass in türkischen Haftanstalten EMRK-Standards grundsätzlich eingehalten werden könnten und dass Zusicherungen der Türkei belastbar seien, wonach der Verfolgte ausschließlich in solchen Anstalten untergebracht werde.

3. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung haben die deutschen Gerichte zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze und das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz sowie - insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind - den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren.

4. Dem ersuchenden Staat ist im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dies gilt nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr. Das Vertrauen kann jedoch durch entgegenstehende Tatsachen - wie etwa systemische Defizite im Zielstaat - erschüttert werden, angesichts derer gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Mindeststandards nicht beachtet werden.

5. Völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen des ersuchenden Staates sind zwar grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit einer Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Eine Zusicherung entbindet die Gerichte jedoch nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um die Situation im Zielstaat und so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können.

6. Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einschlägig, so sind die von diesem berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden.

7. Hat ein Verfolgter stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm im Falle der Auslieferung die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht, weil die Möglichkeit einer ernsthaften und irreversiblen Gesundheitsverschlechterung infolge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten und ein damit verbundenes intensives Leid beziehungsweise eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung besteht, so obliegt es nach der Rechtsprechung des EGMR den Vertragsstaaten, das bestehende Risiko sorgfältig aufzuklären. Dabei sind sowohl die Bedingungen im Herkunftsland als auch individuelle Umstände zu berücksichtigen und allgemeine Quellen wie Berichte der Weltgesundheitsorganisation und namhafter Nichtregierungsorganisationen sowie vorhandene Atteste heranzuziehen.

8. Die Durchführung einer Auslieferung ohne angemessene Risikobeurteilung kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen, wenn gewichtige Gründe für eine fehlende Reisefähigkeit aufgrund einer physischen oder psychischen Erkrankung bestehen. Die Prüfung der mit der Auslieferung verbundenen spezifischen Risiken muss dabei auf einer aktuellen fachkundigen Einzelfallbeurteilung des Gesundheitszustands der betroffenen Person beruhen, die auch die Bedingungen der geplanten Übergabe in der spezifischen Auslieferungssituation berücksichtigt.

9. Die auslieferungsrechtliche Bewilligungsentscheidung ist einer isolierten verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur zugänglich, wenn sie zulasten der Rechtsposition des Verfolgten von der vorangegangenen Zulässigkeitsentscheidung abweicht, weil dann im Rahmen des präventiven Rechtsschutzes nicht alle subjektiven öffentlichen Rechtspositionen berücksichtigt werden konnten und der von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz nicht in hinreichendem Maße gewährt werden konnte.

Entscheidungstenor

1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 13. März 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - und 1. November 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz, soweit dessen Auslieferung an die türkischen Justizbehörden für zulässig erklärt wurde; sie werden in diesem Umfang aufgehoben.

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 1. November 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - im Übrigen und der Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 24. November 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - werden insoweit gegenstandslos.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Oberlandesgericht Braunschweig zurückverwiesen.

4. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

5. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel der notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren sowie der notwendigen Auslagen für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

6. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro und für das einstweilige Anordnungsverfahren auf 7.500 (in Worten: siebentausendfünfhundert) Euro festgesetzt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafvollstreckung an die Republik Türkei.

I.

1. Dem Auslieferungsverfahren liegen insgesamt vier Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde.

Mit Urteil des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy vom 16. April 2015 wurde der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.600,00 TL wegen Diebstahls verurteilt.

Das 2. Strafgericht erster Instanz von Silivri verurteilte ihn am 25. November 2015, bestätigt durch den Beschluss der 2. Strafkammer des Kassationsgerichts vom 17. November 2020, zu neun Jahren Freiheitsstrafe wegen „Qualifizierten Diebstahls“. Die tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe wurde auf fünf Jahre, neun Monate und zwei Tage festgelegt.

Mit Urteil des 21. Strafgerichts erster Instanz von Küçükçekmece vom 20. Februar 2019 wurde er zu vier Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe ebenfalls wegen „Qualifizierten Diebstahls“ verurteilt. Die tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe wurde auf zwei Jahre, neun Monate und dreizehn Tage festgelegt.

Schließlich verurteilte ihn das 11. Strafgericht erster Instanz von Küçükçekmece am 28. Mai 2019 erneut wegen „Qualifizierten Diebstahls“. Die tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe wurde auf ein Jahr festgelegt.

Bei einer späteren Gesamtstrafenbildung durch Beschluss des 2. Vollstreckungsgerichts von Silivri vom 21. März 2022 wurden die der Geldstrafe zugrundeliegenden 530 Tagessätze in die Berechnung eingestellt, in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt und eine zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren, zwei Monaten und 530 Tagen festgelegt. Die tatsächlich zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe wurde auf zehn Jahre, elf Monate und 545 Tage bestimmt.

2. Mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 7. Februar 2019 wurde der Beschwerdeführer in anderer Sache zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, und es wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nach seinem Aufenthalt in der Entziehungsanstalt befand er sich in der stationären Unterbringung im Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen.

3. Die Republik Türkei ersuchte mit Verbalnote vom 27. Juli 2022 die deutschen Behörden um Auslieferung des Beschwerdeführers. Nach den Angaben in der Übersetzung des Auslieferungsersuchens wurden die Urteile des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy sowie des 21. und 11. Strafgerichts erster Instanz von Küçükçekmece in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet.

4. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ordnete das Oberlandesgericht Braunschweig am 23. August 2022 gegen den Beschwerdeführer die förmliche Auslieferungshaft an. Der Haftbefehl wurde nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßregelvollzug am 23. Februar 2023 in Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer in den Justizvollzugsanstalten Rosdorf und Wolfenbüttel inhaftiert.

5. Das Auswärtige Amt ersuchte mit Verbalnote vom 23. August 2022 die Botschaft der Republik Türkei um Übermittlung ausdrücklicher, völkerrechtlich verbindlicher und auf den Einzelfall bezogener Zusicherungen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in einem Gefängnis inhaftiert werde, das den Anforderungen nach Art. 3 EMRK und den in den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Ministerkomitees des Europarates festgelegten Mindeststandards entspreche, und er keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen werde. Die türkischen Behörden würden um Übermittlung einer ausdrücklichen und auf den Einzelfall bezogenen Zusicherung gebeten, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç inhaftiert werde. Zudem wurde unter anderem um Auskunft gebeten, in welchem Umfang der Beschwerdeführer in den den Verurteilungen zugrundeliegenden Verhandlungen anwesend oder durch einen Verteidiger vertreten gewesen sei, ob ihm das Recht auf ein neues Verfahren eingeräumt werde, soweit die Urteile in seiner Abwesenheit ergangen seien, und ob ihm der Beschluss über die Bildung der Gesamtstrafe vom 21. März 2022 bekanntgemacht worden sei.

6. Mit Verbalnote vom 5. Oktober 2022 teilte die Botschaft der Republik Türkei mit, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç untergebracht werde. Das Justizministerium der Republik Türkei sichere ausdrücklich zu, dass der Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werde, die den Anforderungen nach Art. 3 EMRK und den in den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Ministerkomitees des Europarates festgelegten Mindeststandards entspreche, und er keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen werde. Der für den Ort der Inhaftierung zuständigen deutschen Auslandsvertretung werde die Möglichkeit eingeräumt, den Beschwerdeführer zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren. Der Verbalnote war ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Silivri vom 6. September 2022 beigefügt, in dem zu der Frage der Anwesenheit des Beschwerdeführers während der Gerichtsverfahren erklärt wurde, die Urteile des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri seien ihm „ins Gesicht gesprochen“ worden. Die beiden anderen Verurteilungen seien in seiner Abwesenheit erfolgt.

7. Der Beschwerdeführer machte mit Schriftsatz vom 2. November 2022 an das Oberlandesgericht geltend, von den dem Auslieferungsersuchen zugrundliegenden Urteilen keine Kenntnis gehabt zu haben. Sie seien unter Verstoß gegen Art. 6 EMRK zustande gekommen, da sie in seiner Abwesenheit ergangen seien und er auch nie eine förmliche Ladung erhalten habe. Zudem habe er die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht begehen können, da er in den Jahren 2014 bis 2016 in der Türkei inhaftiert gewesen sei. Des Weiteren sei er behandlungsbedürftig psychisch krank. Die Straftaten erklärten sich alle aus seiner Drogenabhängigkeit. Er gehe davon aus, in der Türkei keine adäquate Behandlung erfahren zu können.

8. Mit Verbalnote vom 22. November 2022 erbat das Auswärtige Amt bei der Republik Türkei Auskünfte zum Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in der Zeit von Dezember 2014 bis März 2016 und zu Haftaufenthalten in der Türkei. An die Beantwortung dieser Verbalnote erinnerte das Auswärtige Amt mit Verbalnote vom 7. Februar 2023 und bat zugleich um Mitteilung der Möglichkeiten der psychologischen Betreuung in der Haftanstalt Yalvaç. Beide Verbalnoten blieben unbeantwortet.

9. Am 28. Januar 2023 unternahm der Beschwerdeführer im Maßregelvollzugszentrum einen Suizidversuch. Er übergoss sich mit Rasierwasser und zündete sich selbst an. Er wurde von Mitarbeitern und Insassen zu Boden gebracht und das Feuer mittels eines Feuerlöschers gelöscht. Aufgrund großflächiger Verbrennungen im Oberkörperbereich wurde er in eine Spezialklinik für Brandopfer verbracht.

10. In einem Schreiben vom 8. Februar 2023 führten der Ärztliche Direktor und die stellvertretende Ärztliche Direktorin des Maßregelvollzugszentrums aus, der Beschwerdeführer sei nicht ausreichend von seiner Suizidalität distanziert, was an den äußeren Umständen der drohenden „Abschiebung“ und Haft in der Türkei liege. Das grundsätzliche Risiko eines erneuten Suizidversuchs bleibe daher aus fachlicher Sicht auf einem hohen Niveau bestehen. Auch nach einer eventuellen Rückführung in das Maßregelvollzugszentrum sei eine durchgängige Einzelbetreuung erforderlich.

11. Im vorläufigen Arztbrief vom 20. Februar 2023 des Krankenhauses, in dem der Beschwerdeführer behandelt worden war, wurde mitgeteilt, dass er Verbrennungen auf 20 bis 29 Prozent seiner Körperoberfläche erlitten habe und eine Hauttransplantation erforderlich gewesen sei. Ein regulärer Termin in der dortigen Sprechstunde sei nicht erforderlich. Die Wundflächen seien weiter mit Verbänden und rückfettenden Externa zu versorgen.

12. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft erklärte das Oberlandesgericht Braunschweig mit Beschluss vom 13. März 2023 die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Republik Türkei zum Zwecke der Vollstreckung der Strafen aus den Urteilen des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri für zulässig. Die Urteile seien in seiner Anwesenheit gefällt worden. Es seien auch keine unmenschlichen oder erniedrigenden Haftbedingungen zu befürchten. Die türkischen Behörden hätten zugesichert, dass der Beschwerdeführer in der Haftanstalt Yalvaç oder in einer anderen Haftanstalt inhaftiert werde, die den Anforderungen des Art. 3 EMRK sowie den europäischen Mindeststandards genüge. Nach dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens im Auslieferungsverkehr könne auf diese Zusicherung vertraut werden. Die in der Selbstverletzung vom 28. Januar 2023 manifestierte und fortbestehende Suizidalität des Beschwerdeführers stehe der Auslieferung nicht entgegen. Einer − auch akuten − Suizidalität sei mit den therapeutischen Möglichkeiten des Strafvollzugs zu begegnen. Dies gelte sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. Ausweislich des Berichts der deutschen Botschaft in Ankara vom 18. Dezember 2019 verfüge die Haftanstalt Yalvaç über einen fest angestellten Psychologen. Damit könne suizidalen Tendenzen des Beschwerdeführers ausreichend belastbar entgegengewirkt werden. Gründe, die Auslieferung wegen der Gefahr des Todes oder schwerster gesundheitlicher Beeinträchtigungen abzulehnen, bestünden vor diesem Hintergrund nicht. Ebenso wenig stünden die durch die Selbstverletzung am 28. Januar 2023 erlittenen Verbrennungen der Haft- und Transportfähigkeit entgegen. Ausweislich des Arztberichts des behandelnden Klinikums sei nach der Entlassung eine ambulante Wundversorgung nötig. Haftverhinderungsgründe lägen aber nach medizinischer Einschätzung nicht vor. Dass eine angemessene medizinische Versorgung in der Haftanstalt Yalvaç nicht gewährleistet wäre, sei nicht erkennbar.

Hinsichtlich der Urteile des 21. und 11. Strafgerichts erster Instanz von Küçükçekmece stellte das Oberlandesgericht die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Beschwerdeführers zurück. Den türkischen Justizbehörden werde Gelegenheit gegeben, ergänzende Informationen zur Art und Weise seiner Teilnahme an den Verfahren zu übermitteln.

13. Mit Schreiben vom 31. März 2023 übersandte der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht ein ärztliches Attest des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel vom 21. März 2023 zur Kenntnis. Dieser ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Rettungsmedizin und suchtmedizinische Versorgung. Dort wird ausgeführt, er rate dringend von einer „Abschiebung“ des Beschwerdeführers in die Türkei ab. Der Beschwerdeführer bedürfe im Nachgang zu seinem Suizidversuch der täglichen medizinischen Behandlung. Es seien täglich komplizierte Verbandswechsel durchzuführen, er bedürfe einer umfassenden medikamentösen Behandlung, und es sei eine lebenslange besondere Hautpflege sowie eine spezielle Kompressionsbehandlung in einem dafür speziell vorgesehenen Body nötig. Diese spezifische Behandlung sei in der Türkei sicherlich nicht durchführbar. Zusätzlich würde sich seine Depression bei einer Abschiebung wieder stark verschlechtern, sodass erneute Suizidversuche wahrscheinlich seien.

14. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 5. April 2023 Stellung genommen und das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 6. April 2023 mitgeteilt hatte, dass das Schreiben vom 31. März 2023 als Antrag ausgelegt werde, gemäß § 33 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, wies es den so verstandenen Antrag mit Beschluss vom 19. April 2023 zurück.

Aus dem Schreiben vom 31. März 2023 und dem ärztlichen Attest vom 21. März 2023 ergäben sich keine neuen Tatsachen, die eine andere Entscheidung zu begründen geeignet wären. Die in dem Attest pauschal aufgestellte Behauptung, die erforderliche medizinische Behandlung der Brandverletzungen des Beschwerdeführers sei in der Türkei sicherlich nicht durchführbar, werde nicht näher belegt. Woher der Anstaltsarzt Kenntnisse über Behandlungsmöglichkeiten in der Haftanstalt Yalvaç besitze, sei nicht ersichtlich. Es dränge sich auch nicht auf, dass die von ihm beschriebene Behandlung dort nicht möglich sei. Hierfür spreche schon, dass nach dem vorläufigen Arztbrief des behandelnden Krankenhauses eine Weiterbehandlung empfohlen, ein regulärer Termin in der Sprechstunde aber nicht für erforderlich gehalten worden sei. Auch seitens der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel werde die Behandlung erkennbar nicht als zu komplex und ihre Möglichkeiten übersteigend angesehen. Eine Verlegung in das Justizvollzugskrankenhaus sei jedenfalls nicht für erforderlich gehalten worden.

15. Der Beschwerdeführer übersandte mit Schreiben vom 19. April 2023 dem Oberlandesgericht die ärztliche Stellungnahme eines Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Suchtmedizin vom 13. April 2023 zur Kenntnis. Darin führte der Arzt aus, er habe den Beschwerdeführer über mehrere Monate in der Justizvollzugsanstalt psychiatrisch betreut und untersucht. Er diagnostizierte eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und eine dissoziative Störung. Hintergrund des Traumas seien Misshandlungen während des Militärdienstes des Beschwerdeführers. Zur Frage der aktuell erforderlichen Therapie führte er aus, dass die Schaffung einer Bleibemöglichkeit eine starke therapeutische Wirkung haben könnte. Man könne vermuten, dass ohne eine dauerhafte Bleibeperspektive weder eine medikamentöse noch eine Psychotherapie Aussicht auf Erfolg hätten. Für die Krankheit des Beschwerdeführers gebe es keine anerkannte medikamentöse Therapie, wobei Medikamente grundsätzlich zur Linderung von Beschwerden eingesetzt werden könnten. Dasselbe gelte für die Psychotherapie, die mitunter als hilfreich und lindernd empfunden werde. Die Krankheit berge das Risiko, dass die Symptome durch Konfrontation mit Gerüchen, Geräuschen und optischen Eindrücken im Zielland verstärkt aufträten. Zwar seien auch in Deutschland die Möglichkeiten der Behandlung der andauernden Persönlichkeitsänderung begrenzt, und therapeutisch seien Menschen, die unter einer solchen Problematik litten, nur schwer zu versorgen. Es könne jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine Traumatherapie in Deutschland möglich sei, weil die traumatisierenden Trigger hier nicht vorhanden seien. Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer sich tatsächlich das Leben nehmen werde, sei nicht Aufgabe eines neuropsychiatrischen Sachverständigen. Es gebe hierfür auch keine Methode. Es gebe im Fall des Beschwerdeführers aber verschiedene Risikofaktoren, aufgrund derer das Risiko einer massiven Verschlechterung der Störung und eines Suizids für den Fall der Abschiebung als hoch einzustufen sei. Es handele sich um „echte“ Suizidalität und nicht um eine bloße Suizidankündigung. Der Beschwerdeführer sei daher nicht als reise- beziehungsweise transporttauglich anzusehen.

16. Einen Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Mai 2023, den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen, lehnte das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 11. Mai 2023 ab. Hierzu wurde auf den Beschluss vom 13. März 2023 verwiesen. Im Hinblick auf die ärztliche Stellungnahme vom 13. April 2023 sei schon bemerkenswert, dass die Prognose angeblich auf der Grundlage von „meist nicht länger als 20 Minuten“ andauernden, „teils wöchentlichen“ Gesprächen mit dem Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt erstellt worden sei, die vom Gutachter „über mehrere Monate“ geführt worden seien. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer erst am 24. Februar 2023 in die Justizvollzugsanstalt Rosdorf verlegt worden sei, sei dies offensichtlich unzutreffend. In dem Gutachten würden Diagnosen gestellt, die zuvor durch die Ärzte und Therapeuten im Maßregelvollzug trotz langjähriger Behandlung nicht gestellt worden seien. Darüber hinaus sei weder erkennbar noch werde durch das Gutachten erläutert, dass das diagnostizierte Trauma aufgrund von Misshandlungen während des Militärdienstes durch die Inhaftierung zur Strafvollstreckung reaktiviert würde, zumal in der Haftanstalt Yalvaç eine EMRK-konforme Unterbringung gewährleistet sei und die Einhaltung der europäischen Mindeststandards dort durch die diplomatischen Vertretungen überprüft werden könne und werde. Warum schon allein die Rückkehr in die Türkei zu einer Verstärkung der Krankheitssymptome führen solle, obwohl das diagnostizierte Trauma in eine klar abgegrenzte hochspezifische Lebensphase falle (Militärdienst), sei nicht ersichtlich. Der Auslieferungshaftbefehl sei aufrecht zu erhalten, da weiterhin Fluchtgefahr bestehe und die Haftdauer (noch) nicht unverhältnismäßig lang sei.

17. Mit Verbalnote vom 7. Juni 2023 teilte die Republik Türkei mit, dass die psychologische Betreuung in der Haftanstalt Yalvaç gewährleistet werden könne und übermittelte zur Beantwortung der Fragen des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 13. März 2023 betreffend die Anwesenheit des Beschwerdeführers vor dem 11. und 21. Strafgericht erster Instanz von Küçükçekmece diverse Unterlagen, darunter je einen Beschluss der beiden Gerichte über die Wiederaufnahme des Verfahrens, falls der Beschwerdeführer nach Bekanntgabe der ursprünglichen Urteile nach seiner Auslieferung in die Türkei innerhalb von sieben Tagen einen entsprechenden Antrag stelle.

18. In einer weiteren Verbalnote der Republik Türkei vom 12. Juni 2023 wurde eine Übersetzung einer Auskunft des türkischen Justizministeriums zur psychologischen Betreuung in der Haftanstalt übermittelt. Dort ist ausgeführt, wie im Allgemeinen die psychologische Betreuung von Inhaftierten in der Türkei ausgestaltet werde. So gebe es vor Ort Psychologen, Soziologen und Sozialarbeiter. Diese Mitarbeiter erhielten spezielle Schulungen im Rahmen eines strukturierten mentalen Bewertungs- und Interventionsprogramms zur individuellen Interventionspraxis für psychische Probleme. Während der gesamten Haftzeit stehe auch der Dienst für psychosoziale Hilfe zur Verfügung, der spezielle Programme anbiete. Zudem würden Einzelgespräche mit den Inhaftierten durch einen festangestellten Psychologen und einen Gefängniswärter geführt und die Inhaftierten nach dem Ende der Haftzeit bei Bedarf an Stellen außerhalb des Vollzugs weitergeleitet.

19. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom 6. Juli 2023, die Auslieferung wegen der Urteile des 11. und 21. Strafgerichts erster Instanz von Küçükçekmece für unzulässig zu erklären, und stellte bezüglich der bereits erfolgten Zulässigkeitserklärung im Hinblick auf die Auslieferung aufgrund der Urteile des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri einen Antrag nach § 33 IRG.

Die Zusicherungen der türkischen Behörden seien nicht ausreichend. Soweit etwa erklärt werde, ihm werde das Recht auf eine neue Verhandlung vor dem Strafgericht Küçükçekmece eingeräumt, bleibe bisher außer Betracht, dass Küçükçekmece etwa 545 Kilometer von der Haftanstalt Yalvaç entfernt sei, sodass eine Unterbringung in Yalvaç für die Dauer der Gerichtsverhandlung in Küçükçekmece gar nicht möglich und seine Unterbringung insoweit noch ungeklärt sei.

Hinsichtlich der medizinischen Versorgung in der Haftanstalt Yalvaç hätten die türkischen Behörden bisher keine Auskunft erteilt, sondern nur allgemeine Ausführungen zur grundsätzlichen Möglichkeit der psychologischen Betreuung in Haft gemacht. Zudem reiche eine psychologische Betreuung nicht aus; der Beschwerdeführer benötige eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung.

In Bezug auf die Urteile des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri sei nicht ausreichend aufgeklärt, wie viele Verhandlungstage es jeweils gegeben habe und ob der Beschwerdeführer anwesend oder zumindest geladen worden sei. Es reiche insoweit nicht aus, ihm „ein Urteil ins Gesicht zu sprechen“, nachdem er sich zuvor nicht habe verteidigen können.

20. Die Generalstaatsanwaltschaft trat diesen Ausführungen in einer Stellungnahme vom 11. Juli 2023 entgegen, woraufhin der Beschwerdeführer darauf hinwies, dass in den Unterlagen, die mit dem Auslieferungsersuchen der Republik Türkei übersandt worden seien, mindestens für drei Urteile die Rede davon sei, dass diese in seiner Abwesenheit ergangen seien, und nicht nur − wie das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 13. März 2023 annehme − für zwei.

21. Mit Beschluss vom 1. November 2023 erklärte das Oberlandesgericht Braunschweig die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Republik Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung nunmehr auch wegen der Strafen aus den Urteilen des 11. und 21. Strafgerichts erster Instanz von Küçükçekmece für zulässig und lehnte sowohl den Antrag, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung wegen der Strafen aus den Urteilen des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri zu entscheiden, als auch den zuvor gestellten Antrag auf Aufschub der Auslieferung ab.

Der Zulässigkeit der Auslieferung stehe nicht entgegen, dass die Urteile in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangen seien. Zwar sei eine Auslieferung zur Strafvollstreckung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig, sofern der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des Strafverfahrens unterrichtet gewesen sei und ihm keine tatsächliche Möglichkeit eröffnet sei, sich nach Kenntniserlangung nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen, um sich wirksam zu verteidigen. Eine Auslieferung sei aber zulässig, wenn − wie hier − der ersuchende Staat eine Zusicherung gebe, dem Verfolgten das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren zu gewährleisten, in dem die Rechte der Verteidigung gewahrt würden. Die türkischen Behörden hätten mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nach Bekanntgabe der Entscheidungen innerhalb von sieben Tagen die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen könne und ihm eine Berufung als zweite Tatsacheninstanz eröffnet werde. Damit sei das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren hinsichtlich beider Verurteilungen gewährleistet.

Was die fortbestehende Suizidalität des Beschwerdeführers angehe, werde auf die Ausführungen in den Beschlüssen vom 13. März 2023 und vom 11. Mai 2023 verwiesen. Zudem hätten die türkischen Behörden mit Verbalnote vom 12. Juni 2023, die als allgemein gehaltene Information zur psychologischen Betreuung Inhaftierter in der Türkei anzusehen sei, den Umfang einer solchen Betreuung dargelegt. Daraus folge insbesondere ein Programm zur Suizid- und Selbstverletzungsprävention und die Möglichkeit des Gesprächs mit einem festangestellten Psychologen in der Haftanstalt Yalvaç. Bei Bedarf könne auch externe Hilfe in Anspruch genommen werden. Durch diese Angaben hätten die türkischen Behörden dargetan, dass eine Behandlung der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers auch im türkischen Strafvollzug möglich sei.

Dem Antrag nach § 33 IRG bleibe der Erfolg verwehrt, da sich aus den Eingaben des Beschwerdeführers keine neuen Umstände ergäben, die dem Senat bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht bekannt gewesen seien. Entgegen seinem Vortrag hätten dem Senat bei seiner Entscheidung vom 11. Mai 2023 bereits die ärztliche Stellungnahme des Maßregelvollzugszentrums vom 12. Januar 2023, das ärztliche Attest des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel vom 21. März 2023 und das Gutachten des Facharztes vom 13. April 2023 vorgelegen. Der Senat habe sich damit auch bereits auseinandergesetzt.

22. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 6. November 2023, ihm wegen der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden habe. Zudem beantragte er im Hinblick auf die Beschlüsse vom 13. März 2023 und vom 1. November 2023, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und bis zur erneuten Entscheidung den Aufschub der Auslieferung anzuordnen. Das Oberlandesgericht habe sich im Beschluss vom 1. November 2023 unter anderem mit seinem Vortrag zu seinem Gesundheitszustand nicht auseinandergesetzt und diesbezüglich seine Aufklärungspflichten verletzt. Es habe sich nicht darauf beschränken dürfen, die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ohne ärztliche Sachkunde zu kritisieren und abzuwerten und sich stattdessen auf pauschale Behauptungen zur psychologischen Betreuung in türkischen Haftanstalten zu verlassen. Es hätte die mit der Auslieferung verbundenen spezifischen Risiken auf der Basis einer fachkundigen Beurteilung vornehmen, mithin ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Das Oberlandesgericht habe sich darüber hinaus auch nicht mit seinen Einwänden betreffend die noch nicht erfolgte Aufklärung seiner Anwesenheit in den Verhandlungen befasst. Die türkischen Behörden hätten nicht zugesichert, dass ihm gegen die streitgegenständlichen Urteile in der Türkei ein durchsetzbares Recht auf ein neues Tatsachenverfahren zustehe. Er habe vorgetragen, dass die Verbalnoten und ihre Anhänge unklar und unverständlich seien. Hierauf sei das Gericht nicht eingegangen.

23. Das Auswärtige Amt teilte der Republik Türkei mit Verbalnote vom 9. November 2023 mit, dass die Bundesregierung die Auslieferung bewilligt habe. Sie gehe davon aus, dass die Zusicherungen aus den Verbalnoten der Republik Türkei zu den Haftbedingungen, dem Ausschluss der Folter, den Haftbesuchen, einer Unterbringung in der Haftanstalt Yalvaç und der psychologischen Betreuung sowie der Gewährung eines neuen Verfahrens eingehalten würden. Der Beschwerdeführer sei suizidal. Es werde daher auf das Erfordernis besonderer Sicherungsmaßnahmen hingewiesen.

24. Mit Beschluss vom 24. November 2023 wies das Oberlandesgericht den Antrag, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, zurück. Dem Antrag bleibe der Erfolg verwehrt, da sich aus den Eingaben des Beschwerdeführers keine neuen Umstände ergäben, die dem Senat bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht bekannt gewesen seien. Insbesondere sei kein neuer Umstand deswegen anzunehmen, weil der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht ausreichend beachtet worden oder der Senat seiner Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei. Er habe sich ausführlich mit der Suizidalität des Beschwerdeführers befasst und sei zu dem Schluss gekommen, dass die türkischen Behörden der daraus resultierenden Gefahr angemessen begegnen würden. Zudem habe das Auswärtige Amt in seiner Bewilligungsentscheidung die türkischen Behörden auf die fortbestehende Suizidalität und das Erfordernis besonderer Sicherungsmaßnahmen hingewiesen und seine psychologische Betreuung als zugesichert angesehen. Daher bestünden auch weiterhin keine Bedenken gegen die Einhaltung insoweit abgegebener Zusicherungen. Die Frage der Anwesenheit des Beschwerdeführers während der Verhandlungen sei umfassend erörtert worden.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 3 EMRK.

Das Oberlandesgericht habe seine Aufklärungspflicht hinsichtlich des Zustandekommens der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Urteile verletzt. Es berufe sich für die Verneinung von Abwesenheitsurteilen ausschließlich auf die Verbalnote vom 5. Oktober 2022, die das nicht hergebe. Es erschließe sich nicht, wie das Oberlandesgericht aus den Erklärungen der türkischen Behörden den Schluss ziehen wolle, die Urteile des 12. Strafgerichts erster Instanz von Bakirköy und des 2. Strafgerichts erster Instanz von Silivri seien in seiner Anwesenheit ergangen. Es habe das Anwesenheitsrecht eines Angeklagten in einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung nicht verstanden und seiner Entscheidung einen unverständlichen Text zugrunde gelegt. Die türkischen Behörden hätten mit Verbalnoten ein unübersichtliches Konvolut von deutschen, englischen und türkischen Texten übersandt. Ein solches Konvolut könne keine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung sein.

Das Oberlandesgericht habe sich ferner mit den grundsätzlich schlechten Haftbedingungen in der Türkei nicht befasst und auch insoweit seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse das mit der Auslieferung befasste Oberlandesgericht die Haftbedingungen in denjenigen Haftanstalten prüfen, in denen der Betroffene nach den vorliegenden Informationen voraussichtlich inhaftiert werde, sei es auch nur vorübergehend oder zu Übergangszwecken. Dieser Prüfpflicht sei das Oberlandesgericht nicht nachgekommen. Zwar seien völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten sei, dass die Zusicherung nicht eingehalten werde. Eine Zusicherung entbinde das Gericht aber nicht von der Pflicht zur eigenen Gefahrenprognose. Eine solche könne nur durchgeführt werden, wenn klar sei, in welcher Haftanstalt der Beschwerdeführer untergebracht werde, und sei vorliegend unterblieben.

Es sei zudem unerfindlich, wie das Oberlandesgericht ohne ärztliche Beratung und ohne dass er ärztlich untersucht worden sei, zu dem Schluss komme, seiner Suizidalität könne in der Türkei mit den therapeutischen Möglichkeiten des Strafvollzugs und gegebenenfalls besonderen Sicherungsmaßnahmen begegnet werden. Der Hinweis auf den fest angestellten Psychologen in der Haftanstalt Yalvaç könne das nicht leisten. Zudem habe das Oberlandesgericht seinen Behandlungsbedarf nicht erfasst, denn die Betreuung durch einen Psychologen sei nicht ausreichend. Zu den Modalitäten des Transports nach Yalvaç fehlten Ausführungen gänzlich. Es hätte insoweit aufgeklärt werden müssen, ob im Falle der Auslieferung beim Transport und bei der Inhaftierung seinem gesundheitlichen Risiko angemessen Rechnung getragen werden könne. Das Oberlandesgericht werde auch nicht durch den Hinweis auf seine Suizidalität in der Verbalnote des Auswärtigen Amtes an die türkischen Behörden vom 9. November 2023 entlastet, denn die ausreichende medizinische Versorgung hätte es selbst im Zulässigkeitsverfahren aufklären und sicherstellen müssen. Es habe mit den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten eine ausreichende Grundlage an eindeutigen Erkenntnissen gehabt, die eine für ihn lebenserhaltende Aufklärungs- und Prüfpflicht begründet hätten. Insbesondere ziehe das Gericht keine externe ärztliche Sachkunde zurate, sehe nicht die Frage der Suizidalität während der Durchführung der Auslieferung und bei den möglichen Verlegungen in andere Haftanstalten und verschaffe sich keinen Überblick über den in seinen Krisen notwendigen Behandlungsbedarf. Die Kritik an den vorgelegten Gutachten sei unsachlich und unbegründet, trage das gefundene Ergebnis nicht und hätte das Gericht zu weiterer Sachaufklärung veranlassen müssen.

Unter Berücksichtigung der dem Oberlandesgericht vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen sei zu besorgen, dass sich sein Zustand bei einer Auslieferung bis hin zur Lebensgefahr destabilisiere, sodass der Auslieferung sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit entgegenstehe.

2. Zur Verfahrenssicherung hat die 1. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 4. Dezember 2023 die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Republik Türkei bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

3. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2023 hob das Oberlandesgericht den zuvor erlassenen (Auslieferungs-)Durchführungshaftbefehl vom 27. November 2023 auf. Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2023 stehe die Auslieferung nicht mehr unmittelbar bevor, sodass die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Durchführung der Auslieferung nicht mehr vorlägen.

4. Dem Niedersächsischen Justizministerium ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Es hat von der Abgabe einer Stellungnahme abgesehen.

5. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

III.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen insoweit vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Zulässigkeitserklärung der Auslieferung in den Beschlüssen vom 13. März 2023 und 1. November 2023 richtet, zulässig und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde die Bewilligungsentscheidung der Bundesregierung vom 9. November 2023 angreift, stellt sie schon keinen statthaften Rechtsbehelf dar.

Die dem auslieferungsrechtlichen Zulässigkeitsverfahren nachfolgende Bewilligungsentscheidung ist der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 21 m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2019 - 2 BvR 1092/19 -, Rn. 3). Dies wird der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich gerecht, weil der Rechtsschutz der betroffenen Person präventiv in dem der Bewilligungsentscheidung vorgeschalteten Zulässigkeitsverfahren gewährleistet wird. Das Ergebnis des Zulässigkeitsverfahrens determiniert gemäß § 12 IRG die Bewilligungsentscheidung dahingehend, dass eine Bewilligung, mit Ausnahme des Falls des vereinfachten Verfahrens nach § 41 IRG, nicht erfolgen darf, soweit die Auslieferung nicht zuvor für zulässig erklärt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 21 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2019 - 2 BvR 1092/19 -, Rn. 3).

Einer isolierten verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Bewilligungsentscheidung bedarf es nur, wenn diese zulasten der Rechtsposition der betroffenen Person von der Zulässigkeitsentscheidung abweicht, weil in einem solchen Fall im Rahmen des präventiven Rechtsschutzes nicht alle ihre subjektiven öffentlichen Rechtspositionen berücksichtigt werden konnten und der von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz nicht in hinreichendem Maße gewährt werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 22, 24; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2019 - 2 BvR 1092/19 -, Rn. 4; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1258/19 -, Rn. 45). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Bewilligungsentscheidung nicht zulasten des Beschwerdeführers von der Zulässigkeitsentscheidung abweicht.

3. Hinsichtlich der Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig in den Beschlüssen vom 13. März 2023 und 1. November 2023 über die Zulässigkeit der Auslieferung ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 113, 273 <310>; 129, 1 <20>). Im Rahmen des gerichtlichen Zulässigkeitsverfahrens im Vorgriff auf eine Auslieferung sind die zuständigen Gerichte verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären und etwaige Auslieferungshindernisse in hinreichender Weise, also in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig, zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 17). Zweck der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung im förmlichen Auslieferungsverfahren ist der präventive Rechtsschutz der betroffenen Person (vgl. BVerfGE 113, 273 <312>).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen die deutschen Gerichte bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung der verfassungsrechtlichen Pflicht, zu prüfen, ob die erbetene Auslieferung die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 GG unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz verletzt (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 63, 332 <337>; 108, 129 <136>; 140, 317 <355 Rn. 83 f.>). Sie sind zudem − insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind − verpflichtet, zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136>; 113, 154 <162>).

Gemäß Art. 25 GG sind bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts durch Verwaltungsbehörden und Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Hieraus folgt insbesondere, dass die Behörden und Gerichte grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken (vgl. BVerfGE 75, 1 <18 f.>; stRspr).

Nicht nur im Rechtshilfeverkehr unter Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz, dass dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtshilfe in Strafsachen sowie des Völkerrechts Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>; 140, 317 <349 Rn. 68>). Auch im allgemeinen Auslieferungsverkehr hat der ersuchende Staat ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe. Von der Begehung von Rechtsverletzungen, die die zukünftige Funktionsfähigkeit des Auslieferungsverkehrs zwangsläufig beeinträchtigen würden, wird ein ersuchender Staat schon deshalb regelmäßig Abstand nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 18 m.w.N.).

Dieser Grundsatz kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen, etwa systemische Defizite im Zielstaat, erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Das ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Fall einer Auslieferung die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden. Dafür müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die Mindeststandards nicht beachtet werden (vgl. BVerfGE 140, 317 <350 Rn. 71>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 19 m.w.N.).

c) Die vom ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr gegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen sind geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherungen nicht eingehalten werden (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfGK 2, 165 <172 f.>; 3, 159 <165>; 6, 13 <19>; 6, 334 <343>; 13, 128 <136>; 13, 557 <561>; 14, 372 <377 f.>; stRspr). Eine Zusicherung entbindet das über die Zulässigkeit einer Auslieferung befindende Gericht jedoch nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um die Situation im Zielstaat und so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Oktober 2019 - 2 BvR 828/19 -, Rn. 44 m.w.N.).

d) Nach diesen Maßstäben hält die Zulässigkeitsentscheidung einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt, indem es nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob sein Gesundheitszustand Maßnahmen zur Verhinderung eines erneuten Suizidversuchs gebieten könnte.

aa) Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einschlägig, so sind die von diesem in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es muss eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattfinden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, Rn. 12; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris, Rn. 6, sowie Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 2018 - 2 BvR 107/18 -, Rn. 26; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <323 f.>).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass in Abschiebungsfällen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliegen kann, wenn gewichtige Gründe („substantial grounds“) dafür angeführt werden, dass für den Betroffenen bei der Durchführung einer Abschiebung eine reale Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung insofern unterworfen zu werden, als die Möglichkeit einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Gesundheitsverschlechterung infolge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten und ein damit verbundenes intensives Leid beziehungsweise eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung besteht (vgl. EGMR [GK], Paposhvili v. Belgium, Urteil vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, § 183). Dies gilt sowohl für physische als auch für psychische Erkrankungen (vgl. EGMR [GK], Savran v. Denmark, Urteil vom 7. Dezember 2021, Nr. 57467/15, §§ 137 ff.). Um eine solche Gefahr auszuschließen, hat der Gerichtshof dem mit einer Abschiebungsanordnung befassten Gericht eigene Aufklärungs- und Prüfungspflichten auferlegt. Diese Rechtsprechung lässt sich angesichts einer vergleichbaren Gefährdungslage auf Auslieferungen übertragen (vgl. EGMR, Khachaturov v. Armenia, Urteil vom 24. Juni 2021, Nr. 59687/17, § 85). Demnach obliegt es dem Beschwerdeführer, den Nachweis zu erbringen, dass es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, er laufe im Falle der Durchführung der Auslieferung tatsächlich Gefahr, einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn der Beschwerdeführer die erforderlichen Nachweise beigebracht hat, obliegt es den Vertragsstaaten, das bestehende Risiko sorgfältig aufzuklären. Dabei sind sowohl die Bedingungen im Herkunftsland als auch individuelle Umstände zu berücksichtigen und allgemeine Quellen wie Berichte der Weltgesundheitsorganisation und namhafter Nichtregierungsorganisationen sowie vorliegende Atteste („medical certificates“) heranzuziehen (vgl. zum Ganzen EGMR [GK], Paposhvili v. Belgium, Urteil vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, §§ 186 ff.). Auch hinsichtlich der Frage der Reisefähigkeit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Durchführung einer Auslieferung ohne eine entsprechende angemessene Risikobeurteilung eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen kann, wenn gewichtige Gründe für eine fehlende Reisefähigkeit aufgrund einer physischen oder psychischen Erkrankung vorliegen. Gewichtige Gründe können sich auch insoweit aus Attesten und medizinischen Stellungnahmen ergeben (vgl. EGMR, Khachaturov v. Armenia, Urteil vom 24. Juni 2021, Nr. 59687/17, §§ 84 ff. m.w.N.). Die Prüfung der mit der Auslieferung verbundenen spezifischen Risiken muss dabei auf einer aktuellen fachkundigen Einzelfallbeurteilung des Gesundheitszustands der betroffenen Person beruhen, die auch die Bedingungen der geplanten Übergabe in der spezifischen Auslieferungssituation berücksichtigt (vgl. EGMR, Khachaturov v. Armenia, Urteil vom 24. Juni 2021, Nr. 59687/17, § 91).

bb) Die Gründe, aus denen das Oberlandesgericht nach Vorlage der Stellungnahmen der verschiedenen Ärzte vom 8. Februar 2023, 21. März 2023 und 13. April 2023 offenbar davon ausgegangen ist, dass es seinen Aufklärungs- und Prüfungspflichten aus Art. 19 Abs. 4 GG genügt habe, werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Insbesondere wird in der Entscheidung des Oberlandesgerichts die soeben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht berücksichtigt. Gerade vor dem Hintergrund des bereits durchgeführten Suizidversuchs des Beschwerdeführers bleibt offen, weshalb das Oberlandesgericht von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abgesehen hat, obwohl dies vom Beschwerdeführer mehrfach angeregt worden war. Die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen enthielten gewichtige Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Annahme, dass im Falle der Durchführung der Auslieferung tatsächlich die Gefahr eines erneuten Suizidversuchs bestehe. Selbst wenn − wie das Oberlandesgericht ausführt − das fachärztliche Gutachten vom 13. April 2023 Tendenzen eines „Gefälligkeitsgutachtens“ aufweist, genügt die Zurückweisung der dortigen Erkenntnisse den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Denn auch der Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel sowie der Ärztliche Direktor des Maßregelvollzugszentrums und seine Stellvertreterin beurteilten das Risiko eines erneuten Suizidversuchs aus fachlicher Sicht als hoch und rieten von einer „Abschiebung“ des Beschwerdeführers in die Türkei dringend ab. Soweit das Oberlandesgericht wiederholt auf die Möglichkeit der psychologischen Betreuung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç verweist, bleibt schon ungeklärt, ob dies für eine adäquate Behandlung des suizidalen Beschwerdeführers genügt. Es erscheint zweifelhaft, ob ein einziger Psychologe, der für sämtliche Häftlinge in der Haftanstalt Yalvaç verantwortlich ist, allein die zeitlichen Kapazitäten hat, den Beschwerdeführer adäquat zu betreuen. Der pauschale Verweis hierauf ist jedenfalls aufgrund der Vorgeschichte im Fall des Beschwerdeführers nicht ausreichend. Denn dieser hat einen Suizid für den Fall der Auslieferung nicht lediglich angekündigt, sondern bereits tatsächlich versucht, sich das Leben zu nehmen, und dabei verheerende Verletzungen davongetragen. Überdies übersieht das Gericht, dass die Suizidgefahr nicht nur nach einer erfolgten Auslieferung, sondern gerade auch während des Transports bestehen kann. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und angesichts der eindringlichen Warnung von insgesamt vier Ärzten hätte sich das Oberlandesgericht veranlasst sehen müssen, zumindest aufzuklären, ob und wie während des Transports die Verhinderung eines erneuten Suizidversuchs sichergestellt werden könne, oder − bei fortbestehenden Zweifeln an der Tragfähigkeit der ärztlichen Stellungnahmen − ein Sachverständigengutachten zur Transport- und Haftfähigkeit des Beschwerdeführers einholen müssen.

e) Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Oberlandesgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, ob die Haftbedingungen, die ihn in der Türkei erwarteten, im Übrigen den Anforderungen von Art. 3 EMRK gerecht werden, liegt demgegenüber kein Aufklärungsmangel vor.

Das Oberlandesgericht ist bei seiner Prüfung, ob aufgrund der Haftbedingungen insbesondere in der türkischen Haftanstalt Yalvaç die konkrete Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, ausgehend von der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 12. Juli 2022 und den Zusicherungen der Republik Türkei vom 5. Oktober 2022, vom 7. Juni 2023 und vom 12. Juni 2023 vertretbar zu dem Ergebnis gelangt, dass eine den Anforderungen von Art. 3 EMRK genügende Unterbringung sichergestellt ist.

Wie das Oberlandesgericht zu Recht ausführt, stellt das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme - anders als der Beschwerdeführer meint - fest, dass in türkischen Haftanstalten EMRK-Standards grundsätzlich eingehalten werden könnten und dahingehende Zusicherungen der Türkei belastbar seien. Allein der Verweis auf eine einzelne Erhebung, nach der die Überbelegung in den Haftanstalten in der Türkei im Durchschnitt 117,8 % betrage, reicht nicht aus, um die Verlässlichkeit der Zusicherung, der Beschwerdeführer werde in Yalvaç und darüber hinaus nur in Haftanstalten untergebracht, die EMRK-konform seien, in Frage zu stellen und das Oberlandesgericht zu weiteren Ermittlungen zu verpflichten. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, die Gerichtsorte der neu gegen ihn zu führenden Strafverfahren seien so weit von der Haftanstalt Yalvaç entfernt, dass er zwingend auch in anderen Haftanstalten untergebracht werden müsse und die Haftbedingungen dort nicht EMRK-konform seien, gilt nichts anderes.

4. Da die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts vom 13. März 2023 und 1. November 2023 im Hinblick auf die Zulässigkeitserklärung der Auslieferung schon wegen des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keinen Bestand haben, kann offenbleiben, ob die Beschlüsse weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzen (vgl. BVerfGE 128, 226 <268>).

IV.

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 13. März 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - und 1. November 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - werden, soweit sie die Zulässigkeit der Auslieferung betreffen, aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Mit der Aufhebung der Zulässigkeitsentscheidung werden die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 1. November 2023 im Übrigen und vom 24. November 2023 - 1 AR (Ausl.) 19/22 - insoweit gegenstandslos.

V.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 818

Bearbeiter: Holger Mann