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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 817

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 475/24, Beschluss v. 22.05.2024, HRRS 2024 Nr. 817


BVerfG 2 BvR 475/24 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 22. Mai 2024 (OLG Karlsruhe)

Kein Ausschluss von Bundesverfassungsrichtern von der Ausübung ihres Richteramtes betreffend ein missbräuchlich betriebenes Klageerzwingungsverfahren (eigene Betroffenheit bei Strafanzeige gegen den Richter; teleologische Reduktion der Ausschließungsvorschriften bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Beschwerdeführers; Verwerfung unter Mitwirkung des betroffenen Richters; Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Richterablehnung).

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG; § 19 Abs. 1 BVerfGG; § 172 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Begehrt ein Beschwerdeführer mit seiner gegen die Verwerfung eines Klageerzwingungsantrags gerichteten Verfassungsbeschwerde die Strafverfolgung eines Richters des Bundesverfassungsgerichts, so ist dieser grundsätzlich von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, weil er von der Sache unmittelbar rechtlich betroffen ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG).

2. Abweichendes gilt jedoch, wenn der formal verwirklichte Ausschlussgrund auf ein offensichtlich rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeht, weil dieser die Strafanzeige allein wegen der bloßen Mitwirkung des Richters an einer Entscheidung über die Nichtannahme einer früheren Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers erstattet hat, ohne auch nur ansatzweise Anhaltspunkte für ein möglicherweise strafbares Verhalten aufzuzeigen.

3. Ebenso wie bei missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen ist in derartigen Fällen unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden. Dies gilt auch mit Rücksicht auf das ansonsten drohende Risiko einer missbräuchlichen Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit des jeweiligen Spruchkörpers des Bundesverfassungsgerichts.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe in einem Klageerzwingungsverfahren sowie die dieser Entscheidung vorausgegangenen Bescheide der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe.

Der Beschwerdeführer erstattete Strafanzeige gegen die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts König sowie die Richter des Bundesverfassungsgerichts Maidowski und Offenloch unter anderem wegen Strafvereitelung im Amt und Rechtsbeugung, nachdem diese eine frühere Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers in einer Klageerzwingungssache nicht zur Entscheidung angenommen hatten. Die Staatsanwaltschaft lehnte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mangels Anfangsverdachts (§ 152 Abs. 2 StPO) ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers bei der Generalstaatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg. Seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Oberlandesgericht als unzulässig, weil er entgegen § 172 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet gewesen sei.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen eine Vielzahl von Grundgesetzbestimmungen, insbesondere eine Verletzung der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

II.

1. Die Kammer entscheidet in ihrer regelmäßigen planmäßigen Besetzung unter Mitwirkung der Vizepräsidentin König und des Richters Offenloch, die im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung ihres Richteramtes ausgeschlossen sind.

a) Zwar ist ein Richter grundsätzlich nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG wegen Beteiligung an der Sache von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er von einer Entscheidung in dem Verfahren deshalb unmittelbar rechtlich betroffen ist, weil der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Strafverfolgung dieses Richters begehrt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 - 2 BvR 740/15 -, Rn. 10).

b) Etwas anderes gilt aber dann, wenn der hiernach formal verwirklichte Ausschlussgrund auf ein offensichtlich rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeht, weil dieser die dem Verfahren zugrundeliegende Strafanzeige allein wegen der bloßen Mitwirkung des Richters an einer Entscheidung über die Nichtannahme einer früheren Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers erstattet hat, ohne auch nur ansatzweise Anhaltspunkte für ein möglicherweise strafbares Verhalten aufzuzeigen. Der Ausschlussgrund nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG bedarf insoweit einer einschränkenden Auslegung oder teleologischen Reduktion.

§ 18 BVerfGG zielt darauf, die subjektive Unabhängigkeit des Richters, seine Offenheit und Unbefangenheit im Hinblick auf den zur Entscheidung anstehenden Fall zu garantieren (BVerfGE 78, 331 <338>; 82, 30 <35>). Ebenso wie die Möglichkeit der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG soll die Ausschließung nach § 18 BVerfGG gewährleisten, dass an einer Entscheidung keine Richter mitwirken, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz eines unbeteiligten und deshalb am Ausgang des Verfahrens uninteressierten Dritten gegenüberstehen (BVerfGE 21, 139 <145 f.>; 46, 34 <37>). §§ 18 f. BVerfGG sind hingegen nicht dazu bestimmt, Beschwerdeführern eine missbräuchliche Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 - 2 BvR 740/15 -, Rn. 15).

Hinsichtlich der Richterablehnung nach § 19 Abs. 1 BVerfGG entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Ablehnungsgesuche, die sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützen, offensichtlich unzulässig und unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zu verwerfen sind (vgl. BVerfGE 159, 26 <30 Rn. 13, 39 Rn. 35> m.w.N. - Äußerungen der Bundeskanzlerin Merkel in Südafrika - Befangenheitsgesuch). Dasselbe gilt für missbräuchliche Ablehnungsgesuche (vgl. BVerfGE 11, 343 <348>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. Juni 2020 - 1 BvR 1634/18 -, Rn. 1; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2022 - 2 BvR 2126/22 -, Rn. 1). Hierdurch wird auch gewährleistet, dass offensichtlich unberechtigte Ablehnungsgesuche, selbst wenn sie gegen mehrere Richter angebracht werden, die Beschlussfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers von vornherein nicht zu beeinflussen vermögen. Eine vergleichbare Interessenlage besteht im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG, soweit der Ausschlussgrund auf ein offensichtlich missbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeht. Denn insoweit könnte ein Beschwerdeführer durch ein derartiges Verhalten - ebenso wie mit einem missbräuchlichen Ablehnungsgesuch, würde dieses nicht als unerheblich behandelt - letztlich die Beschlussunfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers des Bundesverfassungsgerichts herbeiführen und dessen Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 - 2 BvR 740/15 -, Rn. 15).

Im hier in Rede stehenden Kontext einer Klageerzwingungssache stellt sich die einer Verfassungsbeschwerde zugrundeliegende Strafanzeige gegen nunmehr (erneut) zur Entscheidung berufene Richter als offensichtlich rechtsmissbräuchlich dar, wenn die Strafanzeige allein wegen der bloßen Mitwirkung dieser Richter an einer Entscheidung über die Nichtannahme einer früheren Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers erstattet wird, ohne dass auch nur ansatzweise Anhaltspunkte für ein möglicherweise strafbares Verhalten aufgezeigt werden. In einem solchen Fall wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Strafanzeige der Sache nach gegen den unanfechtbaren Nichtannahmebeschluss und sucht auf diese Weise seine frühere, nicht angenommene Verfassungsbeschwerde gleichsam in neuem Gewand zu wiederholen, was allgemein als missbräuchlich einzustufen ist (vgl. BVerfGK 10, 94 <97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 - 2 BvR 740/15 -, Rn. 17). Die Beurteilung, dass eine Strafanzeige offenkundig substanzlos ist, weil sie nicht ansatzweise Anhaltspunkte für ein möglicherweise strafbares Verhalten aufzeigt, ist nicht in einem Maße von Wertungen abhängig, dass bei einer Mitwirkung der von einer solchen Strafanzeige betroffenen Richter deren Unbefangenheit und Uneigennützigkeit vernünftigerweise in Zweifel gezogen werden könnte. Dies gilt auch mit Rücksicht auf das ansonsten drohende Risiko einer missbräuchlichen Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit des jeweiligen Spruchkörpers des Bundesverfassungsgerichts. Dass ohne Mitwirkungsmöglichkeit der angezeigten Richter tatsächlich Beschlussunfähigkeit eintreten würde, etwa weil auch sämtliche zur Vertretung berufenen Senatsmitglieder angezeigt wurden (vgl. zu einer solchen Konstellation BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 - 2 BvR 740/15 -, Rn. 11 ff.), ist im Fall einer offenkundig substanzlosen Strafanzeige aber nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Mitwirkung.

c) So liegt es hier. Die Strafanzeige des Beschwerdeführers bezieht sich auf die bloße Mitwirkung der Vizepräsidentin und Richter des Bundesverfassungsgerichts an der Entscheidung über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers im Verfahren 2 BvR 1302/21. Über den Umstand der Mitwirkung hinaus bezeichnet die Anzeige nicht ansatzweise Gründe für eine mögliche Strafbarkeit, sondern erschöpft sich in wertenden Beschreibungen des Vorgangs aus Sicht des Beschwerdeführers („undifferenziert, so rechtsfern und Rechtsstaats-fern, so vor-demokratisch und autoritär, so Verfassungs-negierend und Demokratie-antiaffin, so unrealistisch und Tatsachen-verweigernd, so ignorant und das Böse […] einladend“).

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 817

Bearbeiter: Holger Mann