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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 801

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 173/23, Beschluss v. 12.03.2024, HRRS 2024 Nr. 801


BGH 4 StR 173/23 - Beschluss vom 12. März 2024 (LG Münster)

Ausschluss der Einziehung des Tatertrages oder des Wertersatzes (Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter: beschränkte Revisibilität, D&O-Versicherung, Wissentlichkeitsklausel, Risikoausschluss, Haftpflichtschuld, Tilgung, Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung; Erlöschen des Ersatzanspruches: Gesamtschuld, Vergleich; Übergang von Ersatzansprüchen: D&O-Versicherung).

§ 73e StGB; § 86 VVG; § 267 BGB; § 362 BGB; 426 BGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter unterliegt als wertender Akt einer nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann sie nur auf Rechtsfehler hin überprüfen, insbesondere darauf, ob sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder (sonst) gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 28. Oktober 2022 mit den zugehörigen Feststellungen im Einziehungsausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Untreue in 141 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 197.365,24 Euro angeordnet. Mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Einziehungsausspruch. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.

I.

Das Landgericht hat, soweit hier von Bedeutung, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte hatte von 1997 bis Oktober 2015 das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Sparda-Bank M., eines Kreditinstituts in der Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft, inne. Im - hier verfahrensgegenständlichen - Zeitraum zwischen 2011 und seinem Ausscheiden aus dem Vorstand der Bank beglich er in einer Vielzahl von Fällen privat veranlasste Rechnungen aus deren Vermögen oder bewirkte, dass ihm Kosten für private Aufwendungen durch die Bank erstattet wurden. Er war sich dabei bewusst und nahm billigend in Kauf, dass er sie hierdurch (pflichtwidrig) schädigte. Im Jahr 2018 schloss die geschädigte Bank zwei Vereinbarungen mit Versicherern, worin diese sich wegen etwa durch den Angeklagten und weitere (ehemalige) Organmitglieder verursachter Vermögensschäden vergleichsweise zur Zahlung von insgesamt ungefähr 1,8 Mio. Euro verpflichteten. Die vereinbarten Zahlungen wurden durch die Versicherer auch tatsächlich geleistet. Im Einzelnen schloss die Geschädigte eine „Vergleichsvereinbarung“ mit zwei Versicherungsunternehmen, bei denen sie eine sog. D&O-Versicherung hielt, sowie eine „Regulierungsvereinbarung“ mit ihrem Vertrauensschadenversicherer.

In dem erstgenannten Vertrag ist in einer Präambel festgehalten, die Geschädigte sei der Auffassung, dass ihr gegen den Angeklagten unter anderem Rückforderungsansprüche wegen zu Unrecht erlangter Leistungen und Schadensersatzansprüche wegen möglicherweise pflichtwidriger Vorstandstätigkeit sowie gegen weitere ehemalige Mitglieder ihres Vorstands und Aufsichtsrats ebenfalls Schadensersatzansprüche wegen möglicherweise pflichtwidriger Organtätigkeit zustünden. Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats während der Amtszeit des Angeklagten als Vorstandsmitglied und sodann Vorstandsvorsitzender sind in der Vereinbarung namentlich benannt. Weiter ist angeführt, dass gegen den Angeklagten und weitere Organmitglieder ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil der Geschädigten anhängig sei und dass diese mit mehreren Güteanträgen ihre Ansprüche gegen den Angeklagten und weitere Organmitglieder zunächst außergerichtlich geltend gemacht habe. Mit der Vereinbarung sollten langwierige Streitigkeiten zwischen den Versicherern und der Geschädigten - die durch einen Versicherungsvertrag mit zugrundeliegendem Klauselwerk („HPDO 2016“) verbunden seien - vermieden werden. In einer mit „Abgeltungs- und Verzichtserklärungen“ überschriebenen Ziffer der Vereinbarung heißt es, dass vorbehaltlich nachfolgender Vertragsbestimmungen alle etwaigen Ansprüche der Geschädigten gegenüber den Organmitgliedern sowie anderen versicherten Personen im Sinne der D&O-Versicherung aus oder in Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Sachverhalten mit der vollständigen Zahlung des Vergleichsbetrags abgegolten und endgültig erledigt seien. Im weiteren Vertragstext werden von dieser Abgeltung und Erledigung dann unter anderem ausgenommen alle etwaigen Ansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten, „die auf vorsätzlicher Organpflichtverletzung und/oder vorsätzlicher unerlaubter Handlung beruhen und die nach Ziffer 3.1 Abs. 1 HPDO 2016 nicht versichert sind“. Der Abgeltung und Erledigung etwaiger Ansprüche und Rechte der Bank gegenüber den Organmitgliedern komme beschränkte Gesamtwirkung zu; diese dürften sich im Sinne eines Vertrags zugunsten Dritter unmittelbar auf die Abgeltung und Erledigung berufen. Schließlich enthält die Vereinbarung einen Verzicht der Versicherer auf einen Regress gegenüber den Organmitgliedern oder anderen Personen.

In der weiteren vertraglichen Vereinbarung verpflichtete sich der Vertrauensschadenversicherer der Geschädigten zur Zahlung von 930.000 Euro an sie „zwecks finaler Abgeltung sämtlicher wechselseitigen Ansprüche der Parteien - bekannt oder unbekannt - in Zusammenhang mit der Schadenangelegenheit K. u.a.“. Die Zahlung sollte diese Ansprüche endgültig erledigen. Ein Anspruchsübergang auf den Versicherer wurde ausgeschlossen und - auch hier - ein Verzicht des Versicherers auf einen Regress gegenüber dem Angeklagten und weiteren im Vertragstext namentlich benannten Organmitgliedern vereinbart.

2. Das Landgericht hat die Taten als Untreue in 141 Fällen gewertet und die Einziehung der oben genannten Summe als Wert der Erträge aus 81 dieser Taten angeordnet. Die Vorschrift des § 73e Abs. 1 StGB stehe der Einziehung nicht entgegen. Der Ersatzanspruch der Geschädigten gegen den Angeklagten sei nicht durch ihre Vereinbarungen mit den Versicherern und deren Zahlungen hierauf erloschen. Dies gelte ungeachtet des jeweils vereinbarten Regressverzichts der Versicherer. Es fehle an einer Tilgungsbestimmung der Versicherer dahingehend, dass diese mit ihren Zahlungen die der Einziehungsentscheidung zugrundeliegenden Schulden des Angeklagten gegenüber der Geschädigten tilgen wollten. Hinsichtlich der Vereinbarung mit den D&O-Versicherern ergebe sich dies aus der vereinbarten Abgeltungs- und Erledigungsregelung. Diese beziehe sich gerade nicht auf (etwaige) Ansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten, die auf vorsätzlicher Organpflichtverletzung und/oder vorsätzlicher unerlaubter Handlung beruhten. Ebendies sei bei denjenigen Schadensbeträgen, die zu der Einziehungsanordnung führten, aber der Fall, denn ihnen lägen gerade vorsätzliche Pflichtverletzungen und vorsätzliche unerlaubte Handlungen zugrunde. Auch bei dieser Auslegung verbleibe der Abgeltungs- und Erledigungsklausel ein erheblicher Anwendungsbereich, denn ausweislich des weiteren Vereinbarungsinhalts hätten auch Ansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten wegen nicht strafbarer Handlungen sowie gegen andere Organmitglieder wegen möglicherweise pflichtwidriger Organtätigkeit in Frage gestanden. Auch hinsichtlich der Zahlung des Vertrauensschadenversicherers stehe der Inhalt der zwischen ihm und der Geschädigten getroffenen Regulierungsvereinbarung der Annahme eines Fremdtilgungswillens entgegen. Danach sollten durch die Zahlung nur Ansprüche der Geschädigten gegenüber dem Versicherer erledigt sein, der Geschädigten die Möglichkeit einer Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Angeklagten aber gerade erhalten bleiben.

II.

1. Die Revision des Angeklagten ist wirksam auf den Einziehungsausspruch beschränkt. Die auf § 73, § 73c StGB gestützte Einziehung ist - mangels Strafähnlichkeit - im Allgemeinen losgelöst vom Schuld- und Strafausspruch einer Rechtsfehlerkontrolle zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - 4 StR 102/22 Rn. 6). Besondere Umstände, die der Rechtsmittelbeschränkung ausnahmsweise entgegenstehen könnten, liegen nicht vor.

2. Die Revision führt zum Erfolg. Die Einziehungsentscheidung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Begründung, mit der das Landgericht einen Einziehungsausschluss nach § 73e Abs. 1 StGB verneint hat, nicht frei von Rechtsfehlern ist.

a) Soweit das Landgericht seine Annahme, dass die - den Einziehungsbetrag bei Weitem übersteigenden - Zahlungen der D&O-Versicherer nicht zum Erlöschen der auf den Taten beruhenden Ersatzansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten im Sinne der Norm geführt hätten, auf eine Auslegung der vereinbarten Abgeltungs- und Erledigungsklausel gestützt hat, leiden die Urteilsgründe an Darstellungs- und Erörterungsmängeln.

aa) Die Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter unterliegt als wertender Akt einer nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann sie nur auf Rechtsfehler hin überprüfen, insbesondere darauf, ob sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder (sonst) gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2020 - 5 StR 553/19 Rn. 32 mwN).

Dies ist hier aber der Fall, denn das Landgericht hat bei seiner Auslegung der Vergleichsvereinbarung wesentliche Umstände unerörtert gelassen. Seine Annahme, die D&O-Versicherer hätten die aus den hiesigen Taten resultierenden Ersatzforderungen gegen den Angeklagten nicht tilgen wollen, weil sie als auf dessen vorsätzlichem Handeln beruhend nicht von dem Versicherungsschutz umfasst seien, ist nicht tragfähig begründet. Zum einen hat die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick genommen, dass die (tatsächliche) Frage, ob und inwieweit der Angeklagte die Pflichtverletzungen, deren Folgen der Vergleich abschließend regeln sollte, vorsätzlich begangen hatte, ihrerseits Gegenstand des Streits gewesen sein könnte, den die Parteien - durch gegenseitiges Nachgeben - beilegen wollten. In diesem Fall würde der Umstand, dass das Landgericht seinerseits die Taten später als (bedingt vorsätzlich begangene) strafbare Untreuetaten gewertet hat, einem Regulierungswillen der Versicherer auch in Bezug auf die aus diesen Pflichtverletzungen entstandenen Schäden nicht entgegenstehen.

Zum anderen ist die rechtliche Argumentation der Strafkammer insofern lückenhaft, als es an näheren Feststellungen zu dem Inhalt des Versicherungsvertrags und des ihm zugrundeliegenden Bedingungswerks („HPDO 2016“) fehlt.

Ohne diese vermag der Senat die Richtigkeit der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung der Abgeltungs- und Erledigungsklauseln in dem Vergleich nicht nachzuvollziehen. Seine Annahme, der Ausschluss aller etwaigen Ansprüche, „die auf vorsätzlicher Organpflichtverletzung und/oder vorsätzlicher unerlaubter Handlung beruhen und die nach Ziffer 3.1 Abs. 1 HPDO 2016 nicht versichert sind“, stehe einem Tilgungswillen in Bezug auf die hier verfahrensgegenständlichen Ersatzansprüche entgegen, wäre nur dann tragfähig begründet, wenn - wie das Landgericht offenbar meint - die Konjunktion „und“ vor dem letzten Glied des zitierten Relativsatzes im Sinne eines „und deshalb“ zu lesen wäre. Bei diesem Verständnis, das auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift teilt, würde der vereinbarte Ausschluss der Abgeltung und Erledigung nicht zwei selbständige Voraussetzungen kumulativ erfordern, sondern der erstgenannte Umstand - die vorsätzliche Begehung - würde sich bloß als Begründung des zweitgenannten - des fehlenden Versicherungsschutzes - verstehen. Da der Wortlaut der Vereinbarung indes ebenso die Deutung zulässt, dass nur solche Ersatzansprüche unerledigt bleiben sollten, die auf vorsätzlichem Handeln beruhen und für die zusätzlich gilt, dass sie nicht versichert sind, hätte das Landgericht unter Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch das in Bezug genommene Klauselwerk gehört, näher begründen müssen, warum es die erstere Auslegung für zutreffend hält.

Dieses versteht sich auch nicht aufgrund der festgestellten Art der Versicherung von selbst. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass die vom Angeklagten nach den Feststellungen mit bedingtem Schädigungsvorsatz begangenen Taten außerhalb der versicherten Risiken lagen und die D&O-Versicherer - selbst wenn sie die spätere Bewertung des Landgerichts bezüglich der Schuldform bereits geteilt haben sollten - daher nicht auf die hier gegenständliche Haftpflichtschuld des Angeklagten zahlen wollten. Dass die Versicherungsbedingungen („HPDO 2016“) den Versicherungsschutz für jegliches vorsätzliche Handeln der versicherten Organmitglieder ausschlossen, ist weder festgestellt noch allgemeinkundig. Vielmehr kommt auch in Betracht, dass der Versicherungsvertrag nur solche Schäden von der Deckung ausnahm, denen eine wissentliche Pflichtverletzung zugrunde lag (vgl. zu den in D&O-Versicherungsverträgen gebräuchlichen Wissentlichkeitsklauseln Lange in Veith/Gräfe/Lange/Rogler, Der Versicherungsprozess, 5. Aufl., § 21 Rn. 110; Armbrüster in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 7, 6. Aufl., § 108, D&O-Versicherung, Rn. 66; Looschelders, VersR 2018, 1413, 1414; Dreher, VersR 2015, 781, 783, jew. mwN). In diesem Fall wäre ein sicheres Wissen im Sinne eines direkten Vorsatzes zweiten Grades in Bezug auf die Pflichtwidrigkeit Voraussetzung des Risikoausschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 90/13, NJW 2015, 947 Rn. 15; OLG Köln, Urteil vom 21. November 2023 - 9 U 206/22, NZG 2024, 313 Rn. 59). Ein solches hat das Landgericht indes nicht ausdrücklich festgestellt. Es hat zwar in der Mehrzahl der seiner Einziehungsentscheidung zugrundeliegenden Fälle angenommen, dass der Angeklagte nicht nur von der Schädigung des Vermögens der Bank, sondern auch von der Pflichtwidrigkeit „wusste“ bzw. sich beider Umstände „bewusst“ war. Letztlich ist es aber jeweils nur von einem - für § 266 Abs. 1 StGB auch genügenden - zumindest bedingten Tatvorsatz und nicht von einem dolus directus ausgegangen.

bb) Der Senat vermag auch nicht auszuschließen, dass die angefochtene Einziehungsentscheidung auf der unzureichend begründeten Auslegung der Vergleichsvereinbarung beruht.

(1) Sollten die der Einziehungsentscheidung zugrundeliegenden Taten Versicherungsfälle begründet haben, so läge nahe, dass die Zahlung der Vergleichssumme durch die D&O-Versicherer auf die Haftpflichtschuld des Angeklagten (Innenhaftung) erfolgte und damit die Ersatzansprüche im Sinne von § 267, § 362 BGB, § 73e StGB erloschen wären (vgl. zu § 73e StGB bei Leistung auf fremde Schuld BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 4 StR 182/22). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tilgt ein Haftpflichtversicherer durch die Zahlung an den Gläubiger, wenn auch in Erfüllung seiner Freistellungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer, regelmäßig eine fremde Schuld, nämlich die Haftpflichtschuld seines Versicherungsnehmers gegenüber dem Gläubiger (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1990 - XII ZR 130/89, BGHZ 113, 62, 65 mwN). Nichts anderes gilt für die hier gegebene D&O-Versicherung, bei der es sich um eine Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung handelt (BGH, Urteile vom 4. März 2020 - IV ZR 110/19, NJW 2020, 1886 Rn. 10; vom 13. April 2016 - IV ZR 304/13, BGHZ 209, 373, 380; Thönissen, VersR 2023, 553, 554 mwN). Zahlt hier der Versicherer in einem Fall der Innenhaftung direkt an den Versicherungsnehmer, so geschieht dies zwecks Freistellung des schädigenden Organmitglieds als versicherter Person in Form der Tilgung des gegen sie bestehenden Schadensersatzanspruchs (vgl. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl., § 14 Rn. 267, 281; Loritz/Wagner, DStR 2012, 2205, 2211). Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier ausnahmsweise anders verhalten haben könnte, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Insbesondere spricht gegen den Fremdtilgungswillen der Versicherer nicht, dass die Zahlungen auf einen Vergleich zwischen ihnen und der Geschädigten (Versicherungsnehmerin) erfolgten. Denn einem Vergleich kommt in der Regel keine novierende Wirkung zu (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2014 - V ZR 298/13, NJW 2014, 3314, 3315; MüKoBGB/ Habersack, 9. Aufl., § 779 Rn. 36 mwN). Gründe für eine hiervon abweichende Auslegung des Vergleichs hat das Landgericht nicht genannt und sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr nimmt die Vereinbarung mehrfach auf das die Parteien verbindende Versicherungsverhältnis sowie auf die Ansprüche der Geschädigten gegen die versicherten Organmitglieder Bezug und dient ersichtlich nur der Beilegung des Streits der Parteien über die Höhe der Haftpflichtschuld.

(2) Ferner steht auch § 86 VVG der Annahme einer Erfüllung gemäß § 267, § 362 BGB und damit dem Erlöschen des Ersatzanspruchs im Sinne des § 73e StGB nach den Feststellungen des Landgerichts jedenfalls nicht sicher entgegen. Anders als in der Vertrauensschadenversicherung, wo - auch unbeschadet des zwischen der Geschädigten und dem Versicherer vereinbarten Regressverzichts - aus der Vorschrift des § 86 VVG folgen dürfte, dass die Zahlung auf die Regulierungsvereinbarung kein Erlöschen eines Ersatzanspruchs gegen den Angeklagten bewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 4 StR 182/22 mwN), dürften bei der D&O-Versicherung die Voraussetzungen für einen Übergang des Ersatzanspruchs der Geschädigten gegen den Angeklagten nicht vorliegen. Dieser war nicht Dritter im Sinne der Vorschrift. Dies kann nur sein, wer nicht Versicherungsnehmer oder versicherte Person ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2018 - VI ZR 151/17, r+s 2018, 532 Rn. 19 mwN). Organmitglieder, für die eine D&O-Versicherung besteht, sind aber (wenigstens typischerweise) versicherte Personen (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2017 - IV ZR 360/15, r+s 2017, 301 Rn. 29; vgl. zur ? hier nicht gegebenen ? Ausnahme bei fehlender Betroffenheit von dem Versicherungsfall auch Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl., § 18 Rn. 38). Als solche werden die Organmitglieder - unter ihnen der Angeklagte - auch in der Vergleichsvereinbarung zwischen der Geschädigten und den D&O-Versicherern angesprochen, wo mehrfach von „Organmitgliedern und anderen versicherten Personen“ die Rede ist.

b) Zudem ist die Begründung, mit der das Landgericht die Voraussetzungen des § 73e Abs. 1 StGB verneint hat, auch unter einem weiteren Gesichtspunkt lückenhaft: Die Strafkammer hätte - selbst ausgehend von ihrer Rechtsauffassung, wonach die Vergleichsvereinbarung die aus den hier verfahrensgegenständlichen Straftaten resultierenden Ersatzansprüche gegen den Angeklagten nicht betroffen habe - erörtern müssen, ob die Ansprüche jedenfalls teilweise trotzdem, nämlich nach den Regeln der Gesamtschuld, erloschen sein können. Der Vergleich bezog sich nämlich auf die Innenhaftung nicht allein des Angeklagten, sondern einer Vielzahl von Organmitgliedern der Geschädigten, darunter auch solcher ihres Aufsichtsrats. Soweit diesen eine (fahrlässige) Verletzung ihrer Aufsichtspflicht über die Vorstandstätigkeit des Angeklagten vorgeworfen war und hieraus resultierende Ansprüche der Geschädigten durch Zahlung der D&O-Versicherer erledigt werden sollten, hätte das Landgericht in den Blick nehmen müssen, ob und in welchem Umfang diese Pflichtverletzungen gerade in einer unzureichenden Überwachung des Angeklagten und unterlassenen Verhinderung seiner Straftaten bestanden haben könnten. Soweit dies der Fall gewesen sein sollte, könnten die Zahlungen der Versicherer zwecks Freistellung der Aufsichtsratsmitglieder auf dieselben Schäden erfolgt sein, die auch den hier fraglichen Ersatzansprüchen der Geschädigten gegen den Angeklagten zugrunde lagen. Dies hätte die Strafkammer zu der Erörterung drängen müssen, ob insoweit eine Gesamtschuld zwischen den durch die Zahlung begünstigten Aufsichtsratsmitgliedern und dem Angeklagten bestanden hat (vgl. zur Gesamtschuld von Vorstand und Aufsichtsrat in der Genossenschaft Beuthien, GenG, 16. Aufl., § 34 Rn. 21) mit der Folge, dass die Zahlung der Vergleichssumme eine Gesamtwirkung entfaltet (§ 422 Abs. 1 BGB) und den Ersatzanspruch auch gegen den Angeklagten wegen des nämlichen Schadensfalls zum Erlöschen gebracht haben könnte. Hierfür könnte auch die in der Vergleichsvereinbarung geregelte beschränkte Gesamtwirkung der Abgeltung und Erledigung sprechen.

Die Vorschrift des § 426 BGB stünde dem Erlöschen im Sinne des § 73e StGB jedenfalls nicht entgegen. Der von ihr bestimmte (anteilige) Forderungsübergang auf den die Entschädigung leistenden Gesamtschuldner macht diesen nicht zum Verletzten oder zu dessen Rechtsnachfolger (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 6 StR 196/22 Rn. 8; Beschluss vom 22. Januar 2020 - 2 StR 582/18). Dies gilt unabhängig davon, ob die anderen Versicherten, für die die Leistung der D&O-Versicherer gegebenenfalls erfolgte, sich ihrerseits strafbar gemacht haben oder - bezüglich desselben Lebenssachverhalts - lediglich zivilrechtlich neben dem Angeklagten haften, denn schon die Schadensersatzpflicht schlösse sie von der einziehungsrechtlichen Verletztenstellung aus (vgl. NK-StGB/Saliger, 6. Aufl., § 73e Rn. 10, 19).

3. Die Sache bedarf daher hinsichtlich des Einziehungsausspruchs neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zum Inhalt und zur Auslegung der Vereinbarungen sowie zu den zwecks ihrer Erfüllung geleisteten Zahlungen zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird auch nicht gehindert sein, die zum Schuldspruch gehörenden und damit bindend gewordenen Feststellungen zum Schuldumfang gegebenenfalls - widerspruchsfrei - um Feststellungen dazu zu ergänzen, ob das Bewusstsein des Angeklagten von der Pflichtwidrigkeit seines Handelns den Grad eines sicheren Wissens (dolus directus II) erreicht hat (vgl. zur Bindungswirkung nach Teilaufhebung allgemein BGH, Urteil vom 14. Januar 1982 - 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340, 342 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 801

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede