HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 29
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 306/23, Beschluss v. 31.10.2023, HRRS 2024 Nr. 29
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts vom 23. Februar 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Kammergericht hat den Angeklagten wegen eines besonders schweren Kriegsverbrechens des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung in Tateinheit mit vier tateinheitlichen Fällen des Mordes sowie mit zwei tateinheitlichen Fällen des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Nach den vom Kammergericht getroffenen Feststellungen war der Angeklagte spätestens seit dem Jahr 2014 als bewaffneter Milizionär für eine palästinensische Gruppierung tätig, die sich im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten des syrischen Regimes stellte und in dem aus einem palästinensischen Flüchtlingslager hervorgegangenen D. er Stadtteil Y. agierte. In dem von regimetreuen Milizen kontrollierten nördlichen Teil des Stadtviertels wurden regelmäßig Güter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge ausgegeben. Um an die Waren zu gelangen, mussten die Bewohner Y. s den von Oppositionskräften beherrschten Teil verlassen und sich durch einen Checkpoint in den Norden begeben. Am 23. März 2014 versammelten sich über hundert unbewaffnete zivile Einwohner im nördlichen Teil, da Unterstützungspakete verteilt wurden. Der Angeklagte überwachte mit einer Gruppe weiterer regimetreuer Milizionäre die Ausgabe. Aus Wut darüber, dass ein Neffe zwei Tage zuvor von oppositionellen Kämpfern getötet worden war, wollte er an den wehrlosen Einwohnern Rache nehmen. Dazu ließ er sich von einem anderen Milizionär eine rückstoßfreie, tragbare Panzerabwehrwaffe reichen und schoss ohne äußeren Anlass gezielt einen Sprengkopf in die Menschenansammlung. Er hatte die Absicht, eine unbestimmte Mehrzahl von unbewaffneten Zivilisten zu töten. Durch die Explosion starben mindestens vier Menschen, die beiden Nebenkläger wurden schwer verletzt. Anschließend wurden vom Standort der Milizionäre Schüsse aus Schnellfeuerwaffen abgegeben.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Die Beweiswürdigung weist, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegt, keinen Rechtsfehler auf. Nach den insoweit geltenden Maßstäben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, BGHSt 66, 226 Rn. 29 f.) ergeben sich aus den im Rahmen der Sachrüge allein beachtlichen Urteilsgründen keine Widersprüche, Lücken, Unklarheiten oder Verstöße gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz. Soweit in der Revisionsbegründung die Beweiswürdigung des Kammergerichts mit urteilsfremdem Vorbringen in Zweifel gezogen wird, kann solches im Rahmen der Sachrüge keine Berücksichtigung finden.
2. Die Feststellungen tragen die rechtliche Bewertung des Kammergerichts, das im Übrigen die Verfolgung teilweise beschränkt hat (§ 154a Abs. 2 StPO).
a) Auf dieser Grundlage ist der Angeklagte des besonders schweren Kriegsverbrechens des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 VStGB schuldig.
aa) Unter einem Angriff im Sinne des Tatbestandes ist eine in militärische Feindseligkeiten eingebundene Gewaltanwendung gegen einen Gegner zu verstehen, unabhängig davon, ob sie offensiv oder defensiv geschieht (vgl. LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 11 VStGB Rn. 12 f.; MüKoStGB/Dörmann, 4. Aufl., § 11 VStGB Rn. 31; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1397). Dies ergibt sich nicht allein aus dem allgemeinen Wortsinn, sondern insbesondere aus der gesetzgeberischen Intention und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Danach beruht diese auf Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (i) und Abs. 2 Buchst. e (i) des IStGHSt sowie auf Art. 85 Abs. 3 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 32). In Art. 49 Abs. 1 des Zusatzprotokolls I (BGBl. II 1990 S. 1551, 1587 f.) ist in dem den allgemeinen Schutz der Zivilbevölkerung betreffenden Abschnitt der Begriff „Angriffe“ dahin näher definiert, dass er sowohl eine offensive als auch eine defensive Gewaltanwendung gegen den Gegner bezeichnet (vgl. dazu etwa Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols, 1987, Protocol I, Art. 49 Rn. 1877 ff.; Bothe, New Rules for Victims of Armed Conflicts, 2. Aufl., Protocol I, Art. 49, 327 ff.; zu der Entstehung Levie, Protection of War Victims: Protocol 1 to the 1949 Geneva Conventions, Volume 3, 1980, 75 ff.). Dieses Verständnis hat auch in der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs Niederschlag gefunden (vgl. IStGH, Entscheidung vom 9. Juni 2014 - ICC-01/04-02/06, Rn. 45).
Die völkerrechtlichen Bezüge, die etwa auf offensive oder defensive Gewaltanwendung abstellen, sprechen ebenso wie der in der Überschrift des § 11 VStGB verwendete Begriff „Methoden der Kriegsführung“ dafür, dass unter einen Angriff nur eine solche Gewaltanwendung fällt, die in militärische Feindseligkeiten eingebunden ist und sich gleichsam als militärische Operation darstellt (vgl. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1397; LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 11 VStGB Rn. 13; IStGH, Entscheidung vom 9. Juni 2014 - ICC-01/04-02/06, Rn. 46; Bothe, New Rules for Victims of Armed Conflicts, 2. Aufl., Protocol I, Art. 49, 328 f.; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols, 1987, Protocol I, Art. 49 Rn. 1880, 1882). Indes ist zu berücksichtigen, dass § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB ebenso wie Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (i) und Buchst. e (i) IStGHSt gerade Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche unter Strafe stellen. Mithin kommt es nicht darauf an, ob militärische Zwecke im engeren Sinne erreicht oder militärische Ziele bekämpft werden sollen, da die Strafnormen ansonsten weitgehend leerliefen. Es genügt, wenn militärische Gewalt als Mittel der feindseligen Auseinandersetzung gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird.
Die Frage, ob nach der genannten Definition eine Gewaltanwendung gegen die eigene Bevölkerung einen Angriff im Sinne der Vorschrift darstellen kann (vgl. dazu zum einen Bothe, New Rules for Victims of Armed Conflicts, 2. Aufl., Protocol I, Art. 49, 330; zum anderen LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 11 VStGB Rn. 19; MüKoStGB/Dörmann, 4. Aufl., § 11 VStGB Rn. 36), bedarf keiner Vertiefung; denn nach den getroffenen Feststellungen sind die Angegriffenen als Gegner im dargelegten Sinne zu beurteilen. Es besteht kein Anlass, den Begriff des Gegners enger als das bei anderen Kriegsverbrechen (etwa § 8 Abs. 6 Nr. 2 und 3, § 9 VStGB) verwendete Tatbestandsmerkmal der „gegnerischen Partei“ zu verstehen. Insoweit ist anerkannt, dass bei einer komplexen Bürgerkriegslage unter Beteiligung einer Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure mit unterschiedlichsten Interessen - wie etwa im Fall des syrischen Bürgerkriegs - bereits diejenige Person einem Gegner zuzurechnen sein kann, die den Absichten der Konfliktpartei entgegenstehende Ziele verfolgt (s. BGH, Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231 mwN). Bei den versammelten Menschen handelte es sich im Wesentlichen um Bewohner des südlichen Stadtteils, den die - aus Sicht des Angeklagten gegnerischen - Oppositionskräfte beherrschten. Nach den konkreten Umständen stellten sich die Versammelten für den Angeklagten somit als eine dem Gegner zuzurechnende Gruppe dar (vgl. demgegenüber für in der Hand des Angreifenden befindliche oder sich weit vom Kampfgebiet entfernt aufhaltende Zivilbevölkerung IStGH, Entscheidung vom 9. Juni 2014 - ICC-01/04-02/06, Rn. 45, 47).
Insgesamt liegt ein Angriff nach den zuvor dargelegten Maßstäben vor. Der Abschuss des Sprengkopfs war nach den konkreten Umständen ungeachtet davon in die militärischen Feindseligkeiten eingebunden, dass der Angeklagte aus einem persönlichen Rachemotiv handelte. Das Geschehen fügte sich in das gewaltsame Vorgehen der regimetreuen Gruppen ein, auf deren Seite er stand. Die ihn begleitenden Milizionäre trugen sein Handeln mit, wie die Übergabe der Waffe und die anschließenden Schüsse aus Schnellfeuergewehren zeigen. Der willkürliche Beschuss von Zivilisten durch ihn entspricht dem von dem Regime und unterstützenden Milizen propagierten gewaltsamen - auch militärischen - Vorgehen gegen die Bevölkerung von Y. Nach den Feststellungen des Kammergerichts hatte das Regime das Stadtviertel bereits im Dezember 2012 mit Artillerie, Mörsern sowie Raketen beschossen und bei einem Luftangriff Dutzende Zivilisten getötet. Danach kam es fortdauernd zu Artillerie- sowie Scharfschützenbeschuss und Bombardements. Das vom Angeklagten verfolgte Ziel, der Zivilbevölkerung zu schaden, war auch insofern eingebettet in das Handeln der Regimekräfte und regimetreuer Milizionäre, als diese die Bewohner bei den Hilfsgüterverteilungen mit willkürlichen Schlägen, Festnahmen und Vergewaltigungen drangsalierten. Schließlich ermöglichte ihm erst der bewaffnete Konflikt, die Tat auszuüben, da er nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht selbst die Tatwaffe besaß, sondern sie sich von einem anderen Milizionär reichen ließ.
bb) Der Einsatz militärischer Mittel ist bei der konkret verwendeten Kriegswaffe gegeben (vgl. auch MüKoStGB/Dörmann, 4. Aufl., § 11 VStGB Rn. 30).
cc) Die Handlung stand in Zusammenhang mit einem nichtinternationalen Konflikt. Der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang (vgl. dazu näher BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55 mwN) ist bei Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung evident (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 25), wie hier zudem die vorangegangenen Ausführungen zeigen.
dd) Der Angriff richtete sich gegen die Zivilbevölkerung als solche. Danach kommt es, entsprechend der gesetzgeberischen Intention (vgl. BT-Drucks. 14/8524 S. 33; LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 11 VStGB Rn. 18, 29; MüKoStGB/Dörmann, 4. Aufl., § 11 VStGB Rn. 146), darauf an, dass der Täter zielgerichtet in Bezug auf das Objekt des Angriffs handelt und weiß, dass es sich um die Zivilbevölkerung oder um einzelne Personen handelt, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Die Menschenmenge bestand, den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zufolge, aus unbewaffneten zivilen Einwohnern. Der Angeklagte handelte in der Absicht, eine unbestimmte Mehrzahl von ihnen aus der für ihn nicht überschaubaren Ansammlung zu töten.
ee) Da der Angeklagte durch seine Handlung den Tod von vier Zivilpersonen vorsätzlich herbeiführte, ist der Qualifikationstatbestand des § 11 Abs. 2 Satz 2 VStGB erfüllt.
b) Daneben verwirklichte der Angeklagte auf der Grundlage der vom Kammergericht getroffenen Feststellungen die Straftatbestände des Mordes, des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung. Wie in den Urteilsgründen näher dargelegt, sind die Mordmerkmale der Tötung aus niedrigen Beweggründen und mit gemeingefährlichen Mitteln gemäß § 211 Abs. 2 StGB gegeben. Neben dem vollendeten Mord an den vier Getöteten liegen ein versuchter Mord und eine gefährliche Körperverletzung mittels einer Waffe sowie einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu Lasten der beiden Nebenkläger vor. Ungeachtet der Frage, ob sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für die genannten Delikte hier trotz der nicht deckungsgleichen Tatbestandsmerkmale als Annex zu der nach § 1 Satz 1 VStGB eröffneten Zuständigkeit für das Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung ergeben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 71 mwN), ist der Geltungsbereich zumindest nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB eröffnet (s. zum Mord BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., NStZ-RR 2021, 118; zu Körperverletzungsdelikten in Syrien BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 53).
c) Die konkurrenzrechtliche Bewertung ist nicht zu beanstanden, dass mit dem besonders schweren Kriegsverbrechen vier tateinheitliche Fälle des Mordes sowie zwei tateinheitliche Fälle des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit stehen. Die Tatbestände des - teils versuchten - Mordes und der gefährlichen Körperverletzung treten nicht hinter das besonders schwere Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung zurück, da der Tatbestand des Völkerstrafgesetzbuches den Unrechtsgehalt der allgemeinen Tatbestände nicht erfasst (vgl. allgemein zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 82). Die Qualifikation gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 VStGB setzt nicht die Verwirklichung von Mordmerkmalen voraus. Für das Grunddelikt kommt es auf eine tatsächliche Verletzung von Personen nicht an (vgl. LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 11 VStGB Rn. 16; MüKoStGB/Dörmann, 4. Aufl., § 11 VStGB Rn. 29). Schließlich liegt trotz der Verletzung verschiedener höchstpersönlicher Rechtsgüter insgesamt Tateinheit vor, da der Angeklagte lediglich eine Handlung vornahm (vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. Januar 2022 - 3 StR 245/21, NStZ 2022, 743 Rn. 9 mwN; vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 80, 84).
3. Der Rechtsfolgenausspruch ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 29
Bearbeiter: Fabian Afshar