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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 245

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 413/23, Beschluss v. 10.01.2024, HRRS 2024 Nr. 245


BGH 1 StR 413/23 - Beschluss vom 10. Januar 2024 (LG Stuttgart)

Zulässiger Gegenstand einer Verständigung (Verzicht auf Beweisanträge).

§ 257 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 StPO; § 244 Abs. 3 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Zusage des Angeklagten, im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung keine weiteren Beweisanträge zu stellen, ist kein zulässiger Gegenstand einer Verständigung. Allenfalls einzelne Anträge können zum Gegenstand der Verständigung gemacht werden.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

2 Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 20. August 2020 wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen, Fälschung technischer Aufzeichnungen in sechs Fällen und der Vorbereitung von Datenveränderungen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und gegen ihn eine Einziehungsentscheidung getroffen. Der Senat hat mit Beschluss vom 2. Juni 2021 (1 StR 44/21) das Urteil wegen der Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO) aufgehoben.

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in sechs Fällen und der Vorbereitung von Datenveränderungen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat und von der ein Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen und von Gegenständen angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten mit der Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision hat erneut mit einer Verfahrensrüge Erfolg, weil das Landgericht im Rahmen der Verfahrensverständigung § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO verletzt hat.

1. Nach dem Vorschlag der Wirtschaftsstrafkammer sollte der Angeklagte neben einem abzugebenden Geständnis zusätzlich als weitere Voraussetzung einer Verfahrensverständigung auch „keine Beweisanträge bzw. sonstige Anträge“ stellen. Im Gegenzug sicherte das Landgericht zu, eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem Jahr zwei Monaten und einem Jahr fünf Monaten zu verhängen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Mit diesem Vorschlag, den der Angeklagte und die Verfahrensbeteiligten zugestimmt haben, hat das Landgericht die Zusage eines bestimmten Strafrahmens unsachgemäß mit einem vom Angeklagten erwarteten Prozessverhalten geknüpft. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Den umfassenden Verzicht auf Prozessanträge gegen die Zusicherung eines Strafrahmens hat der Gesetzgeber als zu weitgehend erachtet (BT-Drucks. 16/12310, S. 13). Allenfalls einzelne Anträge können zum Gegenstand der Verständigung gemacht werden (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 1 Variante 3 StPO). Anderenfalls wäre die Verletzung der Aufklärungspflicht zu besorgen, die der Verständigung entzogen ist (§ 257c Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO). Eine solch weitgehende Unterwerfung ist mit der Subjektstellung des Angeklagten unvereinbar, die auch bei Urteilsabsprachen zu wahren ist (Senat, Beschluss vom 21. September 2022 - 1 StR 479/21 -, NStZ 2023, 56; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04 - BGHSt 50, 40, 48; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2006 - 4 StR 153/06 -, NStZ 2006, 586).“

Dem tritt der Senat bei. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf diesem beruht.

2. Das neue Tatgericht wird im Hinblick auf die vom Generalbundesanwalt aufgezeigte Problematik betreffend die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 303a Abs. 1 und Abs. 3, § 202c Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwägen haben, ob eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen in Betracht kommt. Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache verwehrt, weil das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zu der Verfügungsbefugnis über die sich im Glücksspielautomaten befindlichen Daten getroffen hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 245

Bearbeiter: Christoph Henckel