HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1242
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 424/23, Urteil v. 14.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1242
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. April 2023
soweit es den Angeklagten K. betrifft
- im Schuldspruch hinsichtlich der Taten 1 bis 3, 5 bis 9 sowie 12 bis 16 der Urteilsgründe dahin neu gefasst, dass der Angeklagte schuldig ist des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in drei Fällen und des Handeltreibens mit Cannabis in zehn Fällen,
- hinsichtlich der für die Taten 1 bis 9 sowie 11 bis 16 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen zur Aufklärungshilfe aufgehoben,
soweit es den Angeklagten S. betrifft
- im Schuldspruch hinsichtlich der Taten 1 bis 3, 5 bis 10 sowie 12 bis 16 der Urteilsgründe dahin neu gefasst, dass der Angeklagte schuldig ist des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in drei Fällen und des Handeltreibens mit Cannabis in elf Fällen,
- im Strafausspruch mit den Feststellungen zur Aufklärungshilfe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. März 2022 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen einer weiteren Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat es gegen ihn außerdem eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt. Den Angeklagten S. hat es wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hinsichtlich beider Angeklagter hat das Landgericht zudem Einziehungsentscheidungen getroffen.
Mit ihren auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft bei beiden Angeklagten jeweils gegen den Strafausspruch, wobei sie sich namentlich gegen die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG iVm § 49 Abs. 1 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten ab dem 31. März 2020 unter Verwendung eines gemeinsam genutzten EncroChat-Mobiltelefons in zehn Fällen mit Marihuana, welches 12 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) enthielt, wobei insgesamt 185 Kilogramm umgesetzt wurden. In weiteren Fällen handelten sie mit 1 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 78 Prozent Kokainhydrochlorid (KHC, Tat 4 der Urteilsgründe), mit 1 kg Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 13 Prozent Amphetamin-Base (Tat 11) sowie mit 3,5 kg Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 17 Prozent THC (Tat 15). Das Landgericht hat die Angeklagten in jedem dieser Fälle wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen, wobei bei dem Angeklagten K. hinsichtlich Tat 10 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung abgesehen wurde.
Nachdem die Polizei den Angeklagten K. am 15. Mai 2020 im Besitz von Betäubungsmitteln angetroffen und vorübergehend in Gewahrsam genommen hatte, gewannen die Angeklagten den Mitangeklagten Ko., um gegen Entlohnung Auslieferungen von Marihuana an Kunden zu übernehmen. Auf diese Weise sollte der Angeklagte K. künftig verstärkt aus dem Hintergrund agieren können und weniger nach außen sichtbare Handlungen durchführen müssen. Für ihn wurde dazu ein weiteres, künftig nur durch ihn genutztes EncroChat-Handy beschafft, während der Angeklagte S. das schon vorhandene Gerät nunmehr allein verwendete. Dieser Abrede folgend handelten die Angeklagten mit Unterstützung des Mitangeklagten Ko. im Zeitraum zwischen dem 22. Mai und dem 11. Juni 2020 in weiteren drei Fällen (Taten 13, 14 und 16 der Urteilsgründe) mit insgesamt rund 40,5 Kilogramm Marihuana (Wirkstoffgehalt 12 Prozent THC). Diese Taten hat das Landgericht jeweils als bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bewertet. Die gegen den Angeklagten K. verhängte weitere Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten erging für einen zusätzlichen Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat 17 der Urteilsgründe), bei dem der Angeklagte am 14. November 2022 in seinem Haus Haschisch, Marihuana und Amphetamin zum gewinnbringenden Weiterverkauf bereithielt.
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht außer bei der zuletzt genannten Tat durchgehend den vertypten Milderungsgrund nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG bejaht. Es hat deshalb für die Taten 1 bis 12 - außer für die eingestellte Tat 10 bei dem Angeklagten K. - sowie die Tat 15 der Urteilsgründe bei beiden Angeklagten den Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemildert. In gleicher Weise ist es hinsichtlich des Angeklagten K. bei den Taten 13 und 14 mit dem Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG verfahren. Dagegen hat es bei ihm für Tat 16 sowie bei allen Bandentaten des Angeklagten S. unter „Verbrauch“ des vertypten Milderungsgrunds einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen und den Einzelstrafen diesen Strafrahmen zugrunde gelegt, wobei es aufgrund der angenommenen Sperrwirkung die Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG beachtet hat.
Die Strafmilderung hat das Landgericht damit begründet, dass dank der Angaben der Angeklagten im Zwischenverfahren die genaue Binnenstruktur des gemeinsam betriebenen Handels bekannt geworden und eine sichere Zurechnung der einzelnen Taten zu den Angeklagten ermöglicht worden sei. Sie hätten sich jeweils dazu geäußert, wer in den einzelnen Fällen das gemeinsame EncroChat-Handy genutzt und mit den Verkäufern korrespondiert habe. Beide hätten auch Angaben zur hälftigen Teilung der Kosten und der erzielten Gewinne sowie zur gemeinsamen Einbindung des Angeklagten Ko. getätigt. Letzterer habe seinerseits darlegt, von den Angeklagten K. und S. in deren bereits bestehenden Betäubungsmittelhandel eingebunden, mit einem EncroChat-Telefon versorgt und für jede erfolgte Auslieferung von Cannabis entlohnt worden zu sein.
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben im Anfechtungsumfang Erfolg.
1. Sie sind hinsichtlich beider Angeklagter auf den Strafausspruch mit den zur Aufklärungshilfe getroffenen Feststellungen beschränkt. Hinsichtlich des Angeklagten K. ist ausweislich des Inhalts der Revisionsbegründung zudem die im Fall 17 verhängte Einzelstrafe vom Revisionsangriff ausgenommen.
2. Auch wenn die Revisionen diese nicht angreifen, führen die Rechtsmittel mit Blick auf das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 109) im Anfechtungsumfang zur Neufassung der Schuldsprüche. Weder die Rechtskraft des Schuldspruchs noch - wie hier - seine Herausnahme aus dem Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft schränken die Neubestimmung der Strafe ein. Wenn daher durch eine nachträgliche, gemäß § 2 Abs. 3 StGB iVm § 354a StPO beachtliche Gesetzesänderung der Tatbestand der angewendeten Vorschrift nicht verändert, sondern nur die Strafdrohung gemildert worden ist, hat das Revisionsgericht dies zu berücksichtigen (vgl. für den Fall einer beschränkten Revision des Angeklagten bereits BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 mwN, NStZRR 2024, 216). Der Senat fasst deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO den Wortlaut des Schuldspruchs um, dass darin klar zum Ausdruck kommt, auf welche Gesetze sich der Strafausspruch jetzt gründet (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 35/64, BGHSt 20, 116, 121).
Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis dem hier milderen Konsumcannabisgesetz (BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 5 StR 136/24; vgl. insoweit zur nicht geringen Menge und zur Tenorierung BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216). Das vom Landgericht zu den Taten 1 bis 3, 5 bis 9, zu Tat 10 (hinsichtlich des Angeklagten S.) sowie zu den Taten 12 und 15 der Urteilsgründe festgestellte Geschehen ist nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) zu würdigen. Dass sich die Taten auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216). Hinsichtlich der Taten 13, 14 und 16 sind beide Angeklagte jeweils strafbar wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG). Dass diese Taten erneut Cannabis in nicht geringer Menge zum Gegenstand hatten, bedarf auch hier keiner Kennzeichnung in der Urteilsformel, da der Qualifikationstatbestand des Bandenhandels mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG stets voraussetzt, dass die Tat eine nicht geringe Menge betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 5 StR 4/24). Soweit die Strafkammer bei diesen Taten bereits einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG bejaht hat, bildet § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG gleichwohl das konkret mildere Recht, da angesichts der vom Landgericht übersehenen Sperrwirkung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, der Ablehnung eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG sowie des Umfangs der gehandelten Wirkstoffmenge eine Anwendung des § 30 Abs. 2 BtMG ausscheidet (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 - 5 StR 272/24). Für die Kokain oder Amphetamin betreffenden Taten 4 und 11 der Urteilsgründe haben die Schuldsprüche jeweils Bestand.
3. Dies ergibt sich bereits aus der unterbliebenen Berücksichtigung der Sperrwirkung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Soweit angegriffen halten die Strafaussprüche rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zudem bemängelt die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass die Ausführungen der Strafkammer die Voraussetzungen einer erfolgreichen Aufklärungshilfe im Sinne des zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung auf alle abgeurteilten Taten anzuwendenden § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht hinreichend belegen.
a) Eine Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG iVm § 49 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte. Die Aufklärungshilfe muss vor Eröffnung des Hauptverfahrens geleistet werden (§ 31 Satz 3 BtMG iVm § 46b Abs. 3 StGB) und zu einem Aufklärungserfolg geführt haben, zu dem der Täter wesentlich beigetragen hat. Dieser Aufklärungserfolg und die ihm zugrunde liegende richterliche Überzeugung müssen im Urteil konkret und nachprüfbar dargestellt werden. Dazu gehört es, dass die Angaben des Angeklagten, jedenfalls in ihrem tatsächlichen Kern, der Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden und etwaige durch die Angaben veranlasste Strafverfolgungsmaßnahmen dargelegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 2023 - 3 StR 440/22 Rn. 8; vom 19. Juni 2024 - 5 StR 217/24 Rn. 5).
Offenbaren mehrere Tatbeteiligte ihr Wissen über gemeinsame Taten, so ist zu beachten, dass die alleinige Bestätigung bereits bekannter Erkenntnisse grundsätzlich keine Aufdeckung im Sinne von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG darstellt (BGH, Urteil vom 13. September 1990 - 4 StR 253/90, StV 1991, 66). Die dort normierte Vergünstigung kommt in der Regel vielmehr nur demjenigen Mittäter zugute, der als erster einen über seinen Tatbeitrag hinausgehenden Aufklärungsbeitrag leistet und damit die Möglichkeit der Strafverfolgung im Hinblick auf begangene Taten nachhaltig verbessert (BGH, Beschluss vom 17. März 1992 - 5 StR 60/92, NStZ 1992, 389; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 55/12, NJW 2013, 883, 885). Eine zeitlich nachfolgende Aussage, die die bereits bekannten Erkenntnisse wiederholt und darüber hinaus lediglich unwesentliche Randdetails des Tatgeschehens schildert, kann nur dann noch einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag darstellen, wenn erst durch diese Aussage den Strafverfolgungsorganen die erforderliche Überzeugung vermittelt wird, dass die bisherigen Erkenntnisse zutreffen.
b) Das Landgericht hat diese Maßgaben teilweise nicht beachtet. Es hat ungeachtet der gebotenen Differenzierung für beide Angeklagte im Ergebnis unterschiedslose Beiträge zur Aufklärung der Taten 1 bis 16 der Urteilsgründe festgestellt. Hierfür fehlt eine Grundlage, da im Urteil ungeklärt geblieben ist, ob und inwieweit einer oder beide Angeklagte die genannten Voraussetzungen erfüllt haben. Zur hierfür wesentlichen Reihenfolge und dem etwaigen zeitlichen Abstand ihrer Angaben enthält es keine Angaben. Angesichts dessen besteht auch kein Anlass für die Annahme, dass sich die Angeklagten zur selben Zeit eingelassen haben.
c) Auf dem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler höhere Einzelstrafen und eine höhere Gesamtstrafe verhängt hätte. Von dem Rechtsfehler sind auch die Feststellungen zur Aufklärungshilfe betroffen, die daher gleichfalls aufzuheben sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Über die umfassend eingelegten Revisionen der Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 13. August 2024 entschieden.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1242
Bearbeiter: Christian Becker