HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 356
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1810/22, Beschluss v. 03.03.2023, HRRS 2023 Nr. 356
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gegenstandswertfestsetzung wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil und rügt, ein von ihr gestellter Adhäsionsantrag sei übergangen worden. Sie macht einen Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.
1. Die Beschwerdeführerin wurde im Juni 2020 Opfer eines Betrugs. Sie erlitt einen Vermögensschaden in Höhe von 110 Euro. Die Staatsanwaltschaft erhob am 22. September 2020 Anklage zu dem Amtsgericht Montabaur wegen gewerbsmäßigen Betrugs durch 16 selbständige Handlungen, darunter auch die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Tat. Die Anklageerhebung wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 mitgeteilt.
2. a) Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22. Oktober 2020 stellte die Beschwerdeführerin Adhäsionsantrag. Sie sei durch die Straftat geschädigt worden und beantrage, den Angeklagten zu einer Zahlung von 110 Euro nebst Prozesszinsen zu verurteilen.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 und 16. April 2021 erkundigte sich der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin nach dem Stand des Verfahrens, worauf ihm das Amtsgericht Montabaur jeweils antwortete, ein Termin zur Hauptverhandlung stehe noch nicht fest.
b) Mit hier angegriffenem Urteil vom 28. Juli 2021 verurteilte das Amtsgericht Montabaur den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 21 Fällen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und wegen weiterer elf Fälle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Zudem ordnete es die Einziehung der Taterträge an. Unter den abgeurteilten Taten befand sich auch die Tat zu Lasten der Beschwerdeführerin. Den Adhäsionsantrag der Beschwerdeführerin erwähnte und beschied das Amtsgericht nicht. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein.
c) Mit Schreiben vom 17. August 2021 fragte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Das Amtsgericht antwortete mit Schreiben vom 31. August 2021, der Angeklagte sei mit Urteil vom 28. Juli 2021 verurteilt worden; er habe hiergegen Berufung eingelegt. Ein Adhäsionsantrag sei nicht bekannt.
3. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2021 ließ die Beschwerdeführerin die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs durch das Vorgehen des Amtsgerichts rügen. Ihr Adhäsionsantrag sei zu Unrecht übergangen worden und sie sei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Hauptverhandlung geladen worden.
4. Eine mit Schreiben vom 16. September 2021 erhobene Verfassungsbeschwerde nahm die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 22. Dezember 2021 nicht zur Entscheidung an, da die Beschwerdeführerin ihren Adhäsionsantrag im Berufungsverfahren noch weiterverfolgen könne.
5. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22. Oktober 2021 wiederholte die Beschwerdeführerin ihren Adhäsionsantrag für das Berufungsverfahren. In der Hauptverhandlung am 22. Juni 2022 nahm der Angeklagte seine Berufung zurück. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. September 2022 übersandt.
Mit ihrer am 7. Oktober 2022 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG), des Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) und - der Sache nach - ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Zudem beantragt die Beschwerdeführerin die Anordnung der Auslagenerstattung und die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit.
Die Beschwerdeführerin steht auf dem Standpunkt, das Amtsgericht Montabaur habe offensichtlich die für das Adhäsionsverfahren geltenden Vorschriften der §§ 403 ff. StPO nicht berücksichtigt. § 406 Abs. 1 StPO gestatte das völlige Absehen von einer Entscheidung nicht. Darüber hinaus sei die Beschwerdeführerin nicht zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht geladen worden. Das Vorgehen des Amtsgerichts verletze den Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin. Es müsse im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung noch einmal entschieden werden.
Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig und zur Entscheidung anzunehmen. Sollte die Erhebung einer Anhörungsrüge für erforderlich gehalten werden, so sei eine solche in dem Schreiben vom 3. September 2021 zu sehen. Es sei jedoch festzuhalten, dass § 33a StPO nur für Beschlüsse gelte. Der Zivilrechtsweg sei aufgrund anfallender Gerichtskostenvorschüsse weniger günstig als das Adhäsionsverfahren, weshalb auch der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegenstehe.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zulässig ist. Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg noch nicht erschöpft. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO gehört vorliegend zum Rechtsweg (1.). In ihrem Schreiben vom 3. September 2021 ist eine solche Anhörungsrüge zu sehen, über die das Amtsgericht Montabaur noch zu entscheiden hat (2.). In der Sache spricht viel für einen Verstoß gegen den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (3.).
1. Die Verfassungsbeschwerde genügt dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO zählt vorliegend zum Rechtsweg.
a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde - gegebenenfalls lediglich der Sache nach - eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Erheben Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>).
Das Anhörungsrügeverfahren gehört andererseits nicht zum Rechtsweg und wirkt nicht fristbestimmend für die Verfassungsbeschwerde, wenn es offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 f. Rn. 23>; stRspr). Offensichtlich aussichtslos ist ein Rechtsbehelf, über dessen Unzulässigkeit der Beschwerdeführer bei seiner Einlegung nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 - 1 BvR 730/07 -, Rn. 10; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juni 2009 - 1 BvR 893/09 -, Rn. 16 m.w.N.).
b) Die Beschwerdeführerin ist nach diesem Maßstab darauf zu verweisen, eine Entscheidung über ihre mit Schreiben vom 3. September 2021 erhobene Anhörungsrüge herbeizuführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist ihre Verfassungsbeschwerde daher nicht zulässig. Die Anhörungsrüge zählt vorliegend zum Rechtsweg, da die Beschwerdeführerin jedenfalls der Sache nach die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht. Die Anhörungsrüge ist auch nicht offensichtlich aussichtslos. Insbesondere ist sie als statthaft anzusehen.
aa) Nach § 33a Satz 1 StPO versetzt ein Gericht, das in einem Beschluss das Recht eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt hat, das Verfahren in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hatte, wenn der Beteiligte noch beschwert ist und wenn ihm kein anderer Rechtsbehelf zusteht. Die Vorschrift dient dem Zweck, dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, einem Gehörsverstoß selbst abhelfen zu können (vgl. Schneider-Glockzin, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1). Für das Beschwerde- und das Revisionsverfahren stellen § 311a und § 356a StPO vorrangige Sonderregelungen der Anhörungsrüge dar (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3).
bb) Tauglicher Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO ist grundsätzlich nur ein Beschluss (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3). Im vorliegenden Fall jedoch ist die Anhörungsrüge ausnahmsweise auch gegen ein (amtsgerichtliches) Urteil statthaft.
(1) Wird ein Adhäsionsantrag gestellt und erweist sich dieser als zulässig und begründet, so hat das Gericht dem Adhäsionskläger die geltend gemachte Forderung in dem Strafurteil zuzusprechen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ist der Antrag unzulässig oder stellt sich das Strafgericht auf den Standpunkt, dass die geltend gemachte Forderung nicht begründet sei, so hat es nach Hinweis und Anhörung des Adhäsionsklägers (§ 406 Abs. 5 Satz 1 StPO) von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Diese Entscheidung ist durch Beschluss zu treffen (§ 406 Abs. 5 Satz 2 StPO). Gegen eine der Form nach korrekte, ausdrückliche Absehensentscheidung durch Beschluss ist sodann, bis zur instanzabschließenden Entscheidung, zunächst die sofortige Beschwerde (vgl. Grau, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2019, § 406, Rn. 17) und im Anschluss die Anhörungsrüge statthaft.
(2) Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts betrachtete eine Anhörungsrüge auch dann als statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft. Es hänge nicht von der Bezeichnung ab, ob eine Entscheidung hinsichtlich der statthaften Rechtsbehelfe als Urteil oder als Beschluss anzusehen sei; maßgeblich seien vielmehr der Inhalt der Entscheidung und die Gründe, auf denen sie beruhe (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 2054/19 -, Rn. 30).
(3) Die der genannten Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats zugrunde liegenden Erwägungen sind übertragbar mit der Folge, dass die Anhörungsrüge auch in der vorliegenden Fallkonstellation statthaft ist. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich von dem Sachverhalt, über den das Bundesverfassungsgericht bereits zu entscheiden hatte, nur dahingehend, als das Amtsgericht vorliegend nicht ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absah. Es sprach keine explizite Absehensentscheidung aus, sondern überging den Adhäsionsantrag stillschweigend. Dieses Vorgehen hat der Sache nach aber den gleichen Inhalt und die gleiche Wirkung wie eine ausdrücklich durch Urteil ausgesprochene Absehensentscheidung. Das Gericht enthält sich nämlich einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag. Ebenso wie im Falle einer ausdrücklichen Absehensentscheidung im Urteil ist auch die sofortige Beschwerde wegen des Abschlusses der Instanz ausgeschlossen (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). In beiden Fallkonstellationen kann der Adhäsionskläger seine Forderung zwar grundsätzlich im Rahmen einer Berufungsinstanz weiterverfolgen. Er kann jedoch eine Entscheidung, etwa wenn die Berufung, wie vorliegend, zurückgenommen wird, nicht erzwingen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27-29). Beide Fallkonstellationen unterscheiden sich daher nicht wesentlich voneinander. Ist die Anhörungsrüge statthaft, wenn das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, so muss das erst recht gelten, wenn es dies nur stillschweigend tut.
c) Die sofortige Beschwerde ist demgegenüber nicht mehr Teil des Rechtsweges, da die Instanz mit dem Strafurteil beendet wurde (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der verfassungsprozessuale Subsidiaritätsgrundsatz nicht dazu führt, dass die Beschwerdeführerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27 ff.).
2. Das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2021 ist als Anhörungsrüge zu werten. Die Beschwerdeführerin ließ darin sinngemäß rügen, dass ihr Adhäsionsantrag ohne zureichende Gründe übergangen worden sei. Nach der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten hat das Amtsgericht über diese Anhörungsrüge erneut zu entscheiden; die Beschwerdeführerin hat vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf eine solche Entscheidung hinzuwirken.
3. In der Sache spricht aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen sehr viel dafür, dass das Amtsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzte.
a) Art. 103 Abs. 1 GG garantiert die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>). Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>). Das Gericht hat das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei seiner Entscheidung darf das Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu rechnen braucht. Es darf auch keine Tatsachen zugrunde legen, zu denen nicht Stellung genommen werden konnte (vgl. BVerfGE 7, 275 <278>; 55, 1 <6>). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 149, 86 <109 Rn. 63>). Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>; stRspr).
b) Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen weisen deutlich darauf hin, dass das Amtsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben dürfte. Das Amtsgericht Montabaur überging den Adhäsionsantrag vollständig; auch schnitt es der Beschwerdeführerin die Möglichkeit ab, sich im Rahmen der Hauptverhandlung als Adhäsionsklägerin zu äußern. Dies alles ergibt sich schon daraus, dass das Amtsgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung erklärte, ein Adhäsionsantrag sei ihm nicht bekannt, obwohl es zuvor auf mehrere Sachstandsanfragen, die einen Verweis auf diesen Antrag enthalten hatten, geantwortet hatte. Selbst wenn die ursprüngliche Antragsschrift nicht bei dem Gericht eingegangen sein sollte - die Beschwerdeführerin legte keinen Zugangsnachweis vor -, hätten die Sachstandsanfragen doch Anlass geben müssen, diesbezüglich nachzufragen und frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eine Antragsschrift nicht eingegangen sei, zumal ein Adhäsionsantrag auch noch im Rahmen der Hauptverhandlung gestellt werden kann.
1. Das Land Rheinland-Pfalz hat die Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu tragen.
Nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>). Die Anordnung der Auslagenerstattung steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 75 <77>; 20, 119 <133 f.>; 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; 89, 91 <97>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>).
Die Auslagenerstattung wird angeordnet, da in der Sache ein Verfassungsverstoß gegeben sein dürfte und die Verfassungsbeschwerde lediglich aus prozessualen Gründen, die für die Beschwerdeführerin nur schwer antizipierbar waren, nicht zur Entscheidung angenommen werden kann. Ob eine Anhörungsrüge statthaft und als Teil des Rechtsweges anzusehen ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation durchaus problematisch; die Kommentarliteratur schweigt zu dieser Frage.
2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht besteht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2018 - 1 BvR 700/18 -, Rn. 4 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 962/19 -, juris, Rn. 4 f.).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 356
Bearbeiter: Holger Mann