HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1254
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 301/23, Beschluss v. 06.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1254
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 15. Mai 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit jeweils die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen; jedoch wird der Strafausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte M. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition verurteilt, und zwar den Angeklagten G. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten M. zu einer „Freiheitsstrafe“ von neun Jahren. Zudem hat es gegen die Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt - jeweils unter Bestimmung eines Vorwegvollzugs eines Teils der verhängten Strafe vor der Maßregel - angeordnet. Schließlich hat das Landgericht den Wert von Taterträgen und aus anderen Taten erlangtes Bargeld sowie verschiedene Tatobjekte und Tatmittel eingezogen. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Schuld-, Straf- und Einziehungsaussprüche halten revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Allein bedarf beim Angeklagten M. die Verhängung einer „Freiheitsstrafe“ der Korrektur in eine „Gesamtfreiheitsstrafe“.
2. Indes begegnet die Anordnung der Maßregel des § 64 StGB durchgreifenden Bedenken, weil die Annahme der Erfolgsaussichten mit der hierfür gegebenen Begründung unter zwei Gesichtspunkten rechtsfehlerhaft ist.
a) Nach § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten innerhalb der nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu bestimmenden Frist zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren und unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie zu erkennen sind, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht tragen. Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht, bedarf es der Darlegung konkreter, durch das Tatgericht als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände in den Urteilsgründen (zuletzt BGH, Beschluss vom 7. Juni 2023 - 4 StR 448/22 Rn. 3 mwN). Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände (zuletzt BGH, Beschluss vom 29. Juni 2023 - 6 StR 261/23 Rn. 7 mwN).
b) Hier fehlt es zum einen bereits gänzlich an einer Gesamtschau; das Landgericht hat allein auf die bekundete Therapiebereitschaft abgestellt und ist im Übrigen der Einschätzung der Sachverständigen gefolgt, ohne die hierfür relevanten Befundtatsachen mitzuteilen und sich mit etwaigen prognoseungünstigen Faktoren auseinanderzusetzen (UA S. 30 f.). Zum anderen lassen die Formulierungen „die Erfolgsaussichten für eine derartige Behandlung … [könnten] nicht verneint werden“ und „bei unterstellter Therapiebereitschaft“ besorgen, dass das Landgericht seiner Prüfung nicht den Überzeugungsmaßstab des § 261 StPO zugrunde gelegt, sondern sich mit einer „Nichtausschließbarkeit“ eines Behandlungserfolgs begnügt hat.
3. Die Sache bedarf daher - wiederum unter Hinzuziehung einer Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1254
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede