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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1077

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvL 9/23, Beschluss v. 05.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1077


BVerfG 2 BvL 9/23, 2 BvL 10/23, 2 BvL 11/23, 2 BvL 14/23, 2 BvL 15/23 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 5. Juli 2023 (AG Münster)

Weitere unzulässige Richtervorlagen zum strafbewehrten Cannabisverbot (konkrete Normenkontrolle betreffend die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zum unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten; erhöhte Begründungsanforderungen bei erneuter Vorlage nach früherer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts; Erfordernis der Darlegung einer rechtserheblichen Änderung der Sach- oder Rechtslage; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Übermaßverbot; „prozessuale Lösung“ bei Gelegenheitskonsumenten; allgemeiner Gleichheitssatz; bloße Unterschiede in der Rechtsanwendungspraxis).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG; § 80 Abs. 1 BVerfGG; § 29 BtMG; § 31a BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Richtervorlage betreffend Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zum unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten genügt nicht den für eine erneute Vorlage geltenden erhöhten Begründungsanforderungen, wenn sie keine rechtserheblichen Änderungen der Sach- und Rechtslage aufzeigt, auf deren Grundlage die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 ff.), wonach der mit dem strafbewehrten Cannabisverbot verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte der Konsumenten gerechtfertigt ist, nicht mehr tragfähig sein könnte (Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u. a. - [= HRRS 2023 Nr. 874]).

2. Das Konzept des Gesetzgebers, den Umgang mit Cannabisprodukten abgesehen von sehr engen Ausnahmen umfassend zu verbieten, verstößt nicht gegen das Übermaßverbot. Soweit sich die generelle, generalpräventiv begründete Strafandrohung gegen Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen von Cannabisprodukten richtet, ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 29 Abs. 5, § 31a BtMG von einer Verfolgung oder Bestrafung abgesehen werden kann.

3. Ein Verstoß der gesetzlichen Regelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz wird nicht durch Unterschiede in der Rechtsanwendungspraxis bei der Handhabung des § 31a BtMG begründet, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese auf einen strukturellen Mangel der Vorschrift selbst zurückzuführen sind.

Entscheidungstenor

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Vorlagen sind unzulässig.

Gründe

A.

Die fünf konkreten Normenkontrollverfahren haben das strafbewehrte Cannabisverbot zum Gegenstand. Das Amtsgericht Münster als vorlegendes Gericht erachtet Strafnormen des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - BtMG) für verfassungswidrig, soweit diese den Umgang mit den in der Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Cannabisprodukten betreffen. Es führt an, das strafbewehrte Cannabisverbot lasse sich mit Gewährleistungen der Art. 2 Abs. 1 - auch in Verbindung mit „dem Recht auf Rausch“ -, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Einklang bringen.

I.

1. § 1 BtMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl I S. 358), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 2021 (BGBl I S. 4530) mit Wirkung vom 28. Januar 2022, lautet:

§ 1 Betäubungsmittel

(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.

(2) 1 Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies

1. nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit,

2. wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder

3. zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit

erforderlich ist. 2 In der Rechtsverordnung nach Satz 1 können einzelne Stoffe oder Zubereitungen ganz oder teilweise von der Anwendung dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung ausgenommen werden, soweit die Sicherheit und die Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gewährleistet bleiben.

(3) 1 Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. 2 Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) in ihrer jeweils für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Fassung oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.

2. Anlage I (nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel) enthält folgende Bestimmung zu Cannabisprodukten (Hervorhebungen im Original):

INN

andere nicht geschützte oder Trivialnamen

chemische Namen (IUPAC)

Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen)

- ausgenommen

a)

deren Samen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist,

b)

wenn sie aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut von Sorten stammen, die am 15. März des Anbaujahres in dem in Artikel 9 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des Anhangs X der genannten Verordnung (ABl. L 181 vom 20.6.2014, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung genannten gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten aufgeführt sind, oder ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen,

c)

wenn sie als Schutzstreifen bei der Rübenzüchtung gepflanzt und vor der Blüte vernichtet werden,

d)

wenn sie von Unternehmen der Landwirtschaft angebaut werden, die die Voraussetzungen des § 1 Absatz 4 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte erfüllen, mit Ausnahme von Unternehmen der Forstwirtschaft, des Garten- und Weinbaus, der Fischzucht, der Teichwirtschaft, der Imkerei, der Binnenfischerei und der Wanderschäferei, oder die für eine Beihilfegewährung nach der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 608) in der jeweils geltenden Fassung in Betracht kommen und der Anbau ausschließlich aus zertifiziertem Saatgut von Sorten erfolgt, die am 15. März des Anbaujahres in dem in Artikel 9 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 genannten gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten aufgeführt sind (Nutzhanf) oder

e)

zu den in Anlage III bezeichneten Zwecken -

(Haschisch, das abgesonderte Harz der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen)

3. Anlage II (verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) enthält folgende Bestimmung zu Cannabisprodukten (Hervorhebungen im Original):

INN

andere nicht geschützte oder Trivialnamen

chemische Namen (IUPAC)

Δ 9-Tetrahydrocannabinol

(Δ 9-THC)

6,6,9-Trimethyl-3-pentyl-6a,7,8,10a-tetrahydro-6H-benzo[c]chromen-1-ol

4. Anlage III (verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel) enthält folgende Bestimmung zu Cannabisprodukten (Hervorhebungen im Original):

INN

andere nicht geschützte oder Trivialnamen

chemische Namen (IUPAC)

(Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen)

- nur aus einem Anbau, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Artikeln 23 und 28 Absatz 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe erfolgt, sowie in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind -

5. § 29 - § 31a BtMG in der aktuellen Fassung lauten:

§ 29 Straftaten

(1) 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,

2. eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,

3. Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,

4. (weggefallen)

5. entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,

6. entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel

a) verschreibt,

b) verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,

6a. entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,

7. entgegen § 13 Absatz 2

a) Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,

b) Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer abgibt,

8. entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,

9. unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,

10. einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,

11. ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,

12. öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,

13. Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,

14. einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.

2 Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) 1 In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. 2 Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,

2. durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nr. 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

§ 29a Straftaten

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1. als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder

2. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

§ 30 Straftaten

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1. Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,

2. im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,

3. Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder

4. Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

§ 30a Straftaten

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(2) Ebenso wird bestraft, wer

1. als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder

2. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.

(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

§ 30b Straftaten

§ 129 des Strafgesetzbuches gilt auch dann, wenn eine Vereinigung, deren Zwecke oder deren Tätigkeit auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln im Sinne des § 6 Nr. 5 des Strafgesetzbuches gerichtet sind, nicht oder nicht nur im Inland besteht.

§ 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe

1 Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder

2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.

2 War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. 3 § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

§ 31a Absehen von der Verfolgung

(1) 1 Hat das Verfahren ein Vergehen nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. 2 Von der Verfolgung soll abgesehen werden, wenn der Täter in einem Drogenkonsumraum Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch, der nach § 10a geduldet werden kann, in geringer Menge besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein.

(2) 1 Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. 2 Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 der Strafprozeßordnung angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 der Strafprozeßordnung und der §§ 232 und 233 der Strafprozeßordnung in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. 3 Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. 4 Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

6. Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 9. März 1994 unter anderem fest, dass § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, soweit er das Handeltreiben sowie die Einfuhr, die Abgabe und den Erwerb von Cannabisprodukten ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, und § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG, soweit er den Besitz von Cannabisprodukten mit Strafe bedroht, mit dem Grundgesetz vereinbar sind (BVerfGE 90, 145 ff.; vgl. die Zusammenfassung der maßgeblichen Erwägungen dieser Entscheidung in BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 8 ff.).

II.

Den Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen liegen Verfahren mit folgenden Sachverhalten zugrunde:

1. Vorlageverfahren 2 BvL 9/23

Die Staatsanwaltschaft Münster beantragte beim Amtsgericht Münster gegen den Angeschuldigten den Erlass eines Strafbefehls über 100 Tagessätze zu je 10 Euro wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in drei Fällen (9,77 Gramm Marihuana im ersten Fall, 10,29 Gramm Marihuana im zweiten Fall und 7,38 Gramm Marihuana im dritten Fall) gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG, § 53 StGB. Eine Einstellung nach § 31a BtMG lehnte die Staatsanwaltschaft ab, weil der Angeschuldigte wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft sei und weitere Verfahren gegen ihn bereits gemäß § 31a BtMG eingestellt worden seien. Daraufhin hat der Strafrichter am 23. März 2023 folgenden Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erlassen:

Das Amtsgericht Münster hält die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Cannabisprodukte in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Besitz geringer Mengen dieser Stoffe den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt, für verfassungswidrig.

Das Verfahren wird ausgesetzt und gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2. Vorlageverfahren 2 BvL 10/23

Die Staatsanwaltschaft Münster beantragte beim Amtsgericht Münster gegen den Angeschuldigten den Erlass eines Strafbefehls über 40 Tagessätze zu je 10 Euro wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln (0,71 Gramm Marihuana) gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG. Einer Einstellung nach § 31a BtMG auf Anfrage des zuständigen Strafrichters stimmte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf die Vorstrafen des Angeschuldigten nicht zu. Daraufhin hat der Strafrichter am 27. März 2023 einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erlassen, der sich mit jenem im Verfahren 2 BvL 9/23 deckt, mit der Abweichung, dass nicht der Besitz, sondern der Erwerb von Cannabisprodukten in Bezug genommen wird.

3. Vorlageverfahren 2 BvL 11/23

Die Staatsanwaltschaft Münster beantragte beim Amtsgericht Münster gegen den Angeschuldigten den Erlass eines Strafbefehls über 40 Tagessätze zu je 15 Euro wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (0,71 Gramm Marihuana) gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG. Einer Einstellung nach § 31a BtMG auf Anfrage des zuständigen Strafrichters stimmte die Staatsanwaltschaft nicht zu, ohne die Ablehnung zu begründen. Daraufhin hat der Strafrichter am 29. März 2023 einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erlassen, der jenem im Verfahren 2 BvL 9/23 entspricht.

4. Vorlageverfahren 2 BvL 14/23

Die Staatsanwaltschaft Münster erhob gegen den Angeschuldigten Anklage zum Amtsgericht Münster — Strafrichter wegen Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG. Sie legte ihm den Besitz von 0,86 Gramm Marihuana zur Last. Einer Einstellung nach § 31a BtMG auf Anfrage des zuständigen Strafrichters stimmte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf die Vorstrafen des Angeschuldigten nicht zu. Daraufhin hat der Strafrichter am 26. April 2023 einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erlassen, der mit jenem im Verfahren 2 BvL 9/23 übereinstimmt.

5. Vorlageverfahren 2 BvL 15/23

Die Staatsanwaltschaft Münster beantragte beim Amtsgericht Münster gegen den Angeschuldigten den Erlass eines Strafbefehls über 60 Tagessätze zu je 15 Euro wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in sechs Fällen (jeweils 1 Gramm Marihuana) gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG. Einer Einstellung nach § 31a BtMG auf Anfrage des zuständigen Strafrichters stimmte die Staatsanwaltschaft nicht zu, ohne die Ablehnung zu begründen. Am 9. Juni 2022 hat der Strafrichter einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erlassen, der jenem im Verfahren 2 BvL 9/23 entspricht, mit der Abweichung, dass nicht der Besitz geringer Mengen von Cannabisprodukten, sondern der Erwerb von Cannabisprodukten - ohne Beschränkung auf geringe Mengen - in Bezug genommen wird.

III.

1. Die verfahrensgegenständlichen Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse sind identisch aufgebaut. Nach einer Darstellung der vom Amtsgericht als wesentlich erachteten Prozessgeschichte, des Sachverhalts und der rechtlichen Würdigung übernimmt das Amtsgericht zur Begründung der Vorlage - durch Einrücken als Zitat gekennzeichnet - Auszüge aus dem Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 18. September 2019 (2 BvL 3/20), der sich wiederum an einer im Internet veröffentlichten Mustervorlage des Deutschen Hanfverbandes orientiert. Dabei gibt das Amtsgericht aus jenem Vorlagebeschluss das Vorwort, die Darlegungen zum „Hilfsantrag“ und zur behaupteten Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung wieder und schließt sich den dortigen Ausführungen ausdrücklich an, insbesondere im Hinblick auf die uneinheitlichen Richtlinien der Länder und die uneinheitliche Rechtsanwendungspraxis der örtlichen Staatsanwaltschaften in Bezug auf § 31a BtMG. Das Bundesverfassungsgericht hat zwischenzeitlich die Unzulässigkeit der Vorlage des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 18. September 2019 (2 BvL 3/20) sowie zwölf weiterer Vorlagen der Amtsgerichte Bernau bei Berlin, Münster und Pasewalk festgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a.-).

2. Das Amtsgericht Münster begründet die Vorlage - unter wörtlichem Rückgriff auf die Argumentation des Amtsgerichts Bernau bei Berlin - maßgeblich wie folgt (zur ausführlicheren Darstellung des übernommenen Teils der Antragsbegründung vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 44 ff.):

a) Die Vorlage sei zulässig, weil neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorlägen. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung aus dem Jahr 1994 (BVerfGE 90, 145 ff.) seien bei geringen Mengen von Cannabis die Einstellungsrichtlinien der Länder noch immer uneinheitlich. Hinzu kämen unterschiedliche Strafverfolgungskulturen der Staatsanwaltschaften.

b) Es sei ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, ferner gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem „Recht auf Rausch“, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 2 GG gegeben.

aa) Das strafbewehrte Verbot, Cannabisprodukte zu erwerben oder zu besitzen, verstoße in der Sache gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem „Recht auf Rausch“ und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Dabei bewirke bereits die Strafverfolgung als solche einen verfassungswidrigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, der durch eine spätere Einstellung nicht beseitigt werden könne. Eine Verfassungswidrigkeit sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine Fremdgefährdung allein als abstrakte Gefahr vorliege.

bb) Die unterschiedliche Rechtsanwendungspraxis des § 31a BtMG, der ein Absehen von der Verfolgung ermögliche, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil eine einheitliche Anwendung des § 31a BtMG entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 nach wie vor nicht gegeben sei.

cc) Außerdem liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor, weil die Anwendungspraxis des § 31a BtMG - und damit die Grenzen der Strafbarkeit - durch Richtlinien der Länder und deren Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive und nicht durch den Gesetzgeber bestimmt würden.

c) Eine verfassungskonforme Auslegung des Betäubungsmittelstrafrechts sei nicht möglich, weil § 29 BtMG insoweit nicht auslegungsfähig sei und für eine Opportunitätseinstellung die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft fehle. Ein Absehen von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG sei wegen des damit verbundenen Schuldspruchs und der Kostenfolge ebenfalls unbehelflich.

B.

Die Vorlagen sind unzulässig.

I.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 14. Juni 2023, mit dem es die Unzulässigkeit von 13 Vorlagen zum strafbewehrten Cannabisverbot festgestellt hat, nach der Darstellung der allgemeinen Anforderungen an die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 54 ff.) auf die erhöhten Anforderungen hingewiesen, die im Rahmen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG an eine erneute Richtervorlage zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 60 f.). Insbesondere hat es hervorgehoben, dass es ungenügend ist, dem Rechtsstandpunkt des Bundesverfassungsgerichts unter nur scheinbarem Verweis auf tatsächliche oder rechtliche Veränderungen einen abweichenden Rechtsstandpunkt gegenüberzustellen (vgl. BVerfGK 3, 285 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 61).

II.

Gemessen an diesen Maßstäben genügen die Vorlagen nicht den Anforderungen an einen zulässigen Normenkontrollantrag.

1. Soweit die Vorlagen der Sache nach bereits die Aufnahme von Cannabis in die Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG für verfassungswidrig halten und insoweit die grundsätzliche Einordnung von Cannabis als Betäubungsmittel beanstanden, lassen sie außer Acht, dass Gegenstand einer Normenkontrolle nur Vorschriften sein können, deren Gültigkeit für die von dem vorlegenden Gericht zu treffende Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BVerfGE 38, 121 <127>; 46, 66 <71>; 107, 218 <232>; 153, 310 <330 Rn. 47>; BVerfGK 3, 285 <293>). Dass dies auf alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes zutrifft, ist fernliegend (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 63).

2. Außerdem genügen die Vorlagen nicht den erhöhten Begründungsanforderungen, die an eine erneute Vorlage zu stellen sind. Die Vorlagen zeigen keine rechtserheblichen Änderungen der Sach- und Rechtslage auf, auf deren Grundlage die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 ff.), wonach der mit dem strafbewehrten Cannabisverbot verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte der Konsumenten gerechtfertigt ist, nicht mehr tragfähig sein könnte (vgl. ebenso BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 64 ff.).

a) Soweit die Vorlagen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG annehmen, werden sie in ihrer Darlegung den verfassungsrechtlichen Maßstäben für die angestrebte (erneute) Überprüfung eines Strafgesetzes nicht gerecht (ausführlich zu diesen Maßstäben vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 68 ff.). Aus dem Wesen der Strafe folgt, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesteigerte Bedeutung bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Strafvorschrift zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <262>; 120, 224 <239>; 153, 182 <268 Rn. 223>; 160, 284 <333 Rn. 125>). Dem Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit genügt ein grundrechtseinschränkendes Gesetz nur, wenn es geeignet und erforderlich ist, um die von ihm verfolgten legitimen Zwecke zu erreichen, und die Einschränkungen des jeweiligen grundrechtlichen Freiraums hierzu in angemessenem Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 30, 292 <316>; 67, 157 <173>; 76, 1 <51>; 153, 182 <268 Rn. 223>). Dabei kann der Erhalt eines tatsächlich bestehenden oder mutmaßlichen Konsenses über Wert- oder Moralvorstellungen nicht unmittelbares Ziel strafgesetzgeberischer Tätigkeiten sein (vgl. BVerfGE 153, 182 <271 Rn. 234> mit Verweis auf BVerfGE 120, 224 <264>, abw. Meinung Hassemer).

Die Vorlagen gehen von einem unzutreffenden Verständnis dieser Maßstäbe für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung von Strafnormen aus. Sie machen nicht deutlich, weshalb die tragenden Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots und der dieses Verbot ausfüllenden Strafnormen von Verfassungs wegen keinen Bestand mehr haben können (vgl. dazu ausführlich BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 76 ff.). Das allgemeine Konzept des Gesetzgebers, den Umgang mit Cannabisprodukten - abgesehen von sehr engen Ausnahmen - umfassend zu verbieten, verstößt nach der Entscheidung vom 9. März 1994 nicht gegen das Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 90, 145 <184 f.>). Auch soweit sich die generelle - generalpräventiv begründete - Strafandrohung gegen Probierer und Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen von Cannabisprodukten richtet, hat der Senat keine Unverhältnismäßigkeit angenommen (vgl. BVerfGE 90, 145 <189>). Er hat insoweit auf die Möglichkeiten verwiesen, von der Verfolgung solcher Taten gemäß § 31a BtMG oder von einer Bestrafung des Täters gemäß § 29 Abs. 5 BtMG abzusehen (vgl. BVerfGE 90, 145 <189 f.>). Die Vorlagen bringen keine rechtserheblichen Änderungen der Sach- und Rechtslage vor, die die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts erschüttern, sondern stellen lediglich ihre Auffassung von der Unverhältnismäßigkeit des Cannabisverbots der Auffassung des Senats gegenüber (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 97 ff.). Dies genügt den erhöhten Anforderungen an eine erneute Richtervorlage nicht (vgl. BVerfGE 65, 179 <181>; 87, 341 <346>; 94, 315 <323>; 120, 1 <23>). Soweit die Vorlagen einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit einem „Recht auf Rausch“ annehmen, geht die Darstellung in den Vorlagen über die bloße Behauptung des Verstoßes schon deshalb nicht hinaus, weil die zitierten Ausführungen des Amtsgerichts Bernau bei Berlin in diesem Punkt auf die Begründung zum „Hauptantrag“ verweisen, die das Amtsgericht Münster in seinen Vorlagen weder zitiert noch inhaltlich darstellt.

b) Die Vorlagen zeigen auch im Hinblick auf die unterschiedliche Praxis der Länder bei der Anwendung des § 31a BtMG nicht auf, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 in ihrer Begründung unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand mehr haben kann. Soweit die Vorlagen in der unterschiedlichen Rechtsanwendungspraxis neue entscheidungserhebliche Tatsachen sehen, trifft dies zwar im Ausgangspunkt zu. Jedoch setzen sich die Vorlagen insoweit nicht mit den Erwägungen des Senats zu einer Verletzung des Übermaßverbots durch § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG a.F. und § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG a.F. auseinander (BVerfGE 90, 145 <187 ff.>). Vielmehr machen sie einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geltend und lassen dabei außer Acht, dass - ihrer Argumentation folgend - dieser Verstoß in der Rechtsanwendung und nicht in der Rechtssetzung liegt (vgl. ebenso BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 104). Eine - an sich nicht zu beanstandende - gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt grundsätzlich nur dann selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen ist, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 Rn. 118>; 140, 1 <25 Rn. 68>; 145, 20 <79 Rn. 151>; 149, 346 <372 f. Rn. 61>; 150, 1 <153 Rn. 329>). Eine solche Konstellation zeigen die Vorlagen nicht auf (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 104).

c) Eine Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips aus Art. 103 Abs. 2 GG zeigen die Vorlagen ebenfalls nicht in einer den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise auf. Soweit die Vorlagen den Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG darin sehen, dass der Gesetzgeber keine Schwellenwerte für den Begriff der geringen Menge in § 31a Abs. 1 Satz 1 BtMG festgelegt hat, genügen diese Ausführungen den Begründungsanforderungen nicht, weil sich die Vorlagen nicht in der gebotenen Weise mit dem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab und der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzlichkeitsprinzip in der Ausprägung als Bestimmtheitsgebot (vgl. BVerfGE 136, 127 <142 Rn. 45>, 145 ff. Rn. 53 ff.>; 141, 1 <11 Rn. 23>; 159, 149 <171 Rn. 59>) auseinandersetzen (ausführlich dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2023 - 2 BvL 3/20 u.a. -, Rn. 105 ff.).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1077

Bearbeiter: Holger Mann