HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 863
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1630/21, Beschluss v. 22.07.2022, HRRS 2022 Nr. 863
1. Der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 11. März 2021 - V StVK 3/21 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz, der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. August 2021 - III-1 Vollz(Ws) 238+241+334-336/21 - in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz; die Entscheidungen werden aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Bochum zurückverwiesen.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der inhaftierte Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verpflichtung zur Entblößung seines Genitals bei mehreren beaufsichtigten Urinkontrollen zur Feststellung eines Suchtmittelkonsums.
1. Der Beschwerdeführer verbüßte seit Juni 2014 eine Freiheitsstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung. Zurzeit befindet er sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Werl. Seit dem 29. Juli 2020 war er in der Justizvollzugsanstalt Bochum inhaftiert. Um Suchtmittelmissbrauch zu unterbinden, wurden regelmäßig allgemeine Drogenscreenings mittels Urinkontrollen von der Abteilungsleitung angeordnet und ausschließlich durch gleichgeschlechtliche Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdiensts durchgeführt. Um Manipulationen oder Täuschungshandlungen, wie die Verwendung von Fremdurin, möglichst auszuschließen, erfolgten die Urinabgaben unter Aufsicht.
2. Am 24. November 2020 wurde der Beschwerdeführer von dem Vollzugsbediensteten P. zu einem Drogentest aufgefordert. Für diese Kontrolle musste er vor dem Urinal sein Genital für Herrn P. als Aufsichtsperson frei sichtbar entkleiden und einen Becher mit Urin füllen. Am 25. November 2020 wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Antrag an die Justizvollzugsanstalt und machte deutlich, dass er Urinkontrollen „mit (freier) Sicht auf das Genital“ als entwürdigende Maßnahme empfinde, zumal es sich bei dem kontrollierenden Beamten um seinen Betreuer gehandelt habe.
3. Am 30. November 2020 kam es erneut zu einem Drogenscreening in Form einer Urinkontrolle mit für den Vollzugsbediensteten J. sichtbar entkleidetem Genital. Herr J. teilte dem Beschwerdeführer vor der Kontrolle mit, dass sein Begehren vom 25. November 2020 von der Justizvollzugsanstalt ablehnend beschieden worden sei, einem Betreuerwechsel nicht zugestimmt werde und eine neue Drogenkontrolle in der vorherigen Form angeordnet worden sei.
4. Am 11. Dezember 2020 wurde wiederum ein Drogentest in Form einer Urinkontrolle mit entkleidetem Genital unter Aufsicht des Vollzugsbediensteten W. durchgeführt. Dieser beobachtete den Vorgang des Urinierens nicht vollständig, sondern wandte sich nach der Entkleidung des Beschwerdeführers nach einem „gezielten Blick auf (das) Genital“ zum Ausschluss etwaiger Manipulationsmöglichkeiten ab.
5. Eine weitere Drogenkontrolle fand am 28. Dezember 2020 unter Aufsicht des Vollzugsbediensteten F. in Form einer Urinkontrolle mit durchgehender Beobachtung des Genitals des Beschwerdeführers - wie am 24. und 30. November 2020 - statt.
6. Am 7. Dezember 2020 bemängelte der Beschwerdeführer die Urinkontrollen gegenüber Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt erneut als entwürdigend und beschämend.
7. Am 5. Januar 2021 beantragte er eine gerichtliche Entscheidung. Er begehrte, dass zukünftig Feststellungen zum Suchtmittelkonsum durch eine Blutentnahme aus der Fingerbeere erfolgen sollten. Zudem beantragte er die Feststellung, dass die Urinabgaben unter Sichtkontrolle am 24. und 30. November 2020 sowie am 11. und 28. Dezember 2020 rechtswidrig gewesen seien. Nach der ersten Urinprobe habe er am 25. November 2020 die Justizvollzugsanstalt ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei den durchgeführten Urinkontrollen mit freier Sicht auf das Genital um entwürdigende Maßnahmen handele. Ihm sei aber keine Alternative zur Abgabe der Urinprobe angeboten worden. Eine Verweigerung der Abgabe hätte ein sofortiges Disziplinarverfahren nach sich gezogen und sei deshalb keine Alternative gewesen. Die vier Urinproben innerhalb von vier Wochen hätten sein Schamgefühl erheblich verletzt und massiv in seine Intimsphäre eingegriffen. Insbesondere der Umstand, dass die Überwachung teilweise durch Mitglieder des festen Teams seiner Abteilung erfolgt sei, berühre ihn verstärkt in seinem Schamgefühl. Die hohe Anzahl der Urinkontrollen sei auch als solche erniedrigend und entwürdigend, da der Justizvollzugsanstalt bewusst gewesen sei, dass er sich gegen diese aufgrund drohender Disziplinarverfahren nur sehr schwer hätte wehren können. Durch die schwerwiegenden Grundrechtseingriffe bestehe ein Feststellungs- und Rehabilitationsinteresse sowie auch Wiederholungsgefahr. Zudem diene das Verfahren der Vorbereitung von Schadensersatz- und Amtshaftungsprozessen. Bei schwerwiegenden Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht müsse die Justizvollzugsanstalt in einem besonderen Maße die Verhältnismäßigkeit beachten.
8. Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 entgegnete die Justizvollzugsanstalt, dass der erste Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig sei, weil zuvor kein entsprechender Antrag bei ihr gestellt worden sei. Der zweite Antrag sei unbegründet. Rechtsgrundlage der Urinkontrollen sei § 65 Abs. 1 StVollzG NRW. Diese dienten der Feststellung des Suchtmittelmissbrauchs. Sie würden von gleichgeschlechtlichen Mitarbeitern der Abteilung durchgeführt. Um Manipulationen oder Täuschungshandlungen, namentlich die Verwendung von Fremdurin, möglichst auszuschließen, sei eine Urinabgabe unter Aufsicht erforderlich. Zwar seien auch andere Maßnahmen, wie etwa die körperliche Untersuchung der Gefangenen, möglich, um Manipulationen auszuschließen. In diesem Fall seien aber auch die Körperöffnungen zu überprüfen, um Täuschungshandlungen vorzubeugen. Somit würde eine solche Maßnahme einen körperlichen und damit einen wesentlich gravierenderen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht eines Gefangenen darstellen. Die derzeit angewandte Maßnahme sei daher das mildeste Mittel. Da das Untersuchungsergebnis einer Urinkontrolle nur eine punktuelle Aussage über das Drogenverhalten des Getesteten treffen könne, erfordere eine sachgerechte Beurteilung des Drogenverhaltens unerwartete Drogenscreenings über einen längeren Zeitraum hinweg. Die Zahl von vier Drogenscreenings innerhalb von zwölf Monaten sei vor diesem Hintergrund erforderlich und nicht unangemessen.
Die Durchführung von nicht manipulierbaren Urintests diene auch bei nicht drogenabhängigen Gefangenen deren Resozialisierung und dem Gesundheitsschutz. Die Maßnahme verletze weder die Menschenwürde, noch greife sie in die Persönlichkeitssphäre des Beschwerdeführers ein, sondern diene vielmehr seinem Gesundheitsschutz (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2007 - 1 Vollz (Ws) 113/07 -, juris). Die Mitwirkungspflicht eines Gefangenen bestehe auch dann, wenn bei ihm kein konkreter Verdacht auf einen Missbrauch von Betäubungsmitteln vorliege (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online). Die Abgabe einer Urinprobe sei dem Beschwerdeführer auch zumutbar. Einen rechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Feststellung von Suchtmitteln gebe es nicht.
9. Der Beschwerdeführer erwiderte mit Schreiben vom 24. Februar 2021, dass kein Ermessen ausgeübt und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht beachtet worden sei. Die Justizvollzugsanstalt habe nicht erkannt, dass Eingriffe in die Intimsphäre und das Schamgefühl konkret begründet werden müssten und nur zulässig seien, wenn diese unerlässlich seien. Für die von der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Urinkontrollen dürften keine weniger hohen Anforderungen gelten als bei mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchungen. Die Justizvollzugsanstalt habe aber nicht einzelfallbezogen entschieden und es lägen keine konkreten Tatsachen vor, die auf einen möglichen Drogenkonsum durch ihn hinwiesen. Es sei nicht zulässig, ihn anlasslos entwürdigenden Drogenscreenings zu unterziehen. Die Blutentnahme an der Fingerbeere stelle das mildere Mittel dar.
10. Mit angegriffenem Beschluss vom 11. März 2021 verwarf das Landgericht den ersten Antrag als unzulässig und den zweiten Antrag als unbegründet. Hinsichtlich des Antrags zu 1. verstreiche die in § 113 StVollzG normierte Dreimonats-Frist erst mit Ablauf des 6. April 2021. Der Beschwerdeführer habe vor dem 6. Januar 2021 auch keinen Antrag bei der Justizvollzugsanstalt auf Suchtmittelkontrolle durch Entnahme einer geringen Menge von Kapillarblut an der Fingerbeere gestellt.
Hinsichtlich des Antrags zu 2. seien die Urinkontrollen rechtmäßig erfolgt. Es gehöre zu den Aufgaben einer Justizvollzugsanstalt, den Drogenmissbrauch einzuschränken. Hierfür seien Urinkontrollen unerlässlich. Deren Anordnung sei zulässig, wenn damit auch Belange der Gesundheitsfürsorge verfolgt würden. Davon sei in der Regel auszugehen, denn die sich aus einer negativen Urinprobe ergebende Drogenfreiheit eines Gefangenen sei ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung seines Gesundheitszustands und - im Zusammenhang damit - auch für die Fortschreibung des Vollzugsplans von Bedeutung. Gleichwohl berühre diese Maßnahme nicht nur die gesundheitlichen Belange eines Gefangenen und seine Resozialisierung, sondern auch die Sicherheit des Strafvollzugs, die bei einem Gefangenen gefährdet sei, der sich sogar unter den verschärften Bedingungen des geschlossenen Vollzugs Zugang zu Drogen verschafft habe. Dass die Abgabe einer Urinprobe noch weiteren Vollzugszielen diene, sei unerheblich, denn diese stünden nicht im Widerspruch zueinander, sondern würden sich gegenseitig bedingen (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online; KG, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 5 Ws 16/06 Vollz -, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. März 1994 - 1 Ws 44/94 (Vollz) -, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 2. Mai 2004 - VAs 1/04 -, juris). An der zu seinem Gesundheitsschutz angeordneten Maßnahme habe der Gefangene nach § 56 Abs. 2 StVollzG mitzuwirken (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online). Diese Mitwirkungspflicht bestehe auch dann, wenn bei ihm bislang kein konkreter Verdacht auf einen Missbrauch von Betäubungsmitteln vorliege, denn auch bei Gefangenen, die bislang im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Betäubungsmitteln nicht auffällig geworden seien, bestehe die nicht fernliegende Gefahr, dass sie während des Vollzugs einer Haftstrafe erstmals mit Betäubungsmitteln in Berührung gekommen sein könnten (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online).
Die Abgabe einer Urinprobe unter Entblößung des Genitals sei für den Beschwerdeführer auch zumutbar gewesen. Insbesondere habe es für diesen Vorgang nicht der Beaufsichtigung durch einen Arzt bedurft, da es sich um einen natürlichen Vorgang handele, der eine spezielle medizinische Sachkenntnis nicht voraussetze (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online). Wegen des Fehlens einer - unter medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilenden - Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und jeglichen Gesundheitsrisikos sei auch an der Verhältnismäßigkeit nicht zu zweifeln (unter Bezugnahme auf OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 1 Ws 304/05 -, juris). Es sei weiterhin nicht zu beanstanden, dass die Vollzugsbehörde die Abgabe der Urinprobe in einer Weise verlange, die eine Manipulation durch den Beschwerdeführer möglichst ausschließe. Deshalb bestünden keine Bedenken dagegen, dass der Betroffene die Urinprobe unbekleidet und im Beisein eines Vollzugsbeamten abgeben soll, der den Vorgang beobachtet (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online). Dies verletze nicht die Menschenwürde. Zwar könne der Vorgang als solcher das Schamgefühl berühren und mit Unannehmlichkeiten verbunden sein. Durch die eingeforderte Abgabe von Urin werde der Beschwerdeführer aber nicht zu einem bloßen „Schauobjekt“ erniedrigt. Die Maßnahme diene weder der Herabwürdigung noch sonstigen rechtlich zu missbilligenden Zwecken, sondern unmittelbar der Resozialisierung, an der die Allgemeinheit ein überragendes Interesse habe (unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2006 - 2 BvR 204/06 -).
Die Überwachung der Urinabgabe durch Mitglieder des festen Teams der Abteilung führe nicht zu einer Änderung der rechtlichen Einschätzung. Den Interessen des Beschwerdeführers werde insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass es sich um jeweils gleichgeschlechtliche Mitarbeiter handele. Weiterhin ergebe sich aus § 65 StVollzG NRW keine Pflicht, eine andere Form der Kontrolle anzubieten. Andere Maßnahmen, die Manipulationen ausschließen würden, würden körperliche Untersuchungen voraussetzen, welche einen wesentlich gravierenderen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellten (unter Bezugnahme auf OLG Hamm, Beschluss vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03 -, beck-online). Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
11. Am 28. April 2021 erhob der Beschwerdeführer hiergegen Rechtsbeschwerde. Die erzwungene Urinkontrolle beruhe nicht auf einem konkreten, auf Tatsachen beruhenden Verdacht. Zudem sei der Sachverhalt nicht aufgeklärt worden. Treffe die Justizvollzugsanstalt Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, müssten sich diese regelmäßig gegen den Störer richten. Reine Vermutungen könnten keine gravierenden Eingriffe in den Intimbereich von Nichtstörern rechtfertigen. Der Beschluss verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 sowie Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Er wiederhole lediglich die von der Justizvollzugsanstalt vorgetragenen allgemeinen Darstellungen.
12. Nach Anhörung des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, das die Rechtsbeschwerde mangels Vorliegens eines Zulassungsgrundes für unzulässig hielt, verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 6. August 2021, dem Beschwerdeführer zugestellt am 16. August 2021, die Rechtsbeschwerde als unzulässig. In Bezug auf den Verpflichtungsantrag sei die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil - wie in dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts ausgeführt - kein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgelegen habe. Sofern das Landgericht die weiteren Anträge als einheitliches Feststellungsbegehren ausgelegt und dieses als unbegründet zurückgewiesen habe, sei die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil es nicht geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
1. Mit der am 8. September 2021 fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 3 EMRK.
Die schwerwiegenden Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte, insbesondere seine Intimsphäre und sein Schamgefühl, hätten keine Berücksichtigung gefunden. Aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt werde nicht deutlich, wie diese die unbestimmten Rechtsbegriffe ausgelegt habe. Ein konkreter Anlass, der die angeordnete Maßnahme zur Feststellung von Suchtmittelkonsum mit den damit verbundenen Eingriffen in seine Persönlichkeitsrechte habe unerlässlich erscheinen lassen, sei nicht begründet worden. Jedenfalls habe die Justizvollzugsanstalt ihr Ermessen nicht ausgeübt. Unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsrechte könne § 65 StVollzG NRW keine Rechtsgrundlage für anlasslose Urinabgaben unter Aufsicht mit Blick auf das Genital entnommen werden. Es sei auch nicht zulässig, nachträglich die Drogentests mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes und der Resozialisierung zu rechtfertigen. Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich einfacher gestalten würden, sei zur Rechtfertigung von Maßnahmen, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Gefangenen berührten, nicht ausreichend.
Schon der Gesetzgeber habe bei Erlass des § 65 StVollzG NRW festgestellt, dass die Urinprobe sehr stark in die Intimsphäre eingreife (unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung LTDrucks NRW 16/13470, S. 325). Da bei ihm bisher keine Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Drogenkonsum festgestellt worden seien, habe es auch keine Hinweise auf Manipulationen gegeben. Aufgrund des starken Eingriffs in seine Intimsphäre hätte mit seinem Einverständnis die Abnahme einer Blutprobe über die Fingerbeere als milderes Mittel angeordnet werden müssen. Insofern sei eine Urinabgabe unter Aufsicht nicht erforderlich gewesen. Die Drogenkontrolle sei auch nicht in Anwesenheit von medizinischem Personal erfolgt. Die Auslegung, dass teilweise bereits schon kein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgelegen habe, stelle eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG dar. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass er bereits am 25. November 2020 gegenüber der Justizvollzugsanstalt vorgetragen habe, dass der Drogentest in der durchgeführten Form eine entwürdigende Maßnahme darstelle. Es liege bei schweren Grundrechtseingriffen immer ein Feststellungsinteresse vor.
2. Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
3. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die insoweit für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Bochum vom 11. März 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
aa) Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts sind grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte, unterliegen aber der verfassungsgerichtlichen Prüfung daraufhin, ob sie die Grenze zur Willkür überschreiten oder die Bedeutung eines Grundrechts grundsätzlich verkennen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 30, 173 <196 f.>; 57, 250 <272>; 74, 102 <127>; stRspr). Der fachgerichtliche Spielraum ist insbesondere dann überschritten, wenn das Gericht bei der Gesetzesauslegung und -anwendung in offensichtlich nicht zu rechtfertigender Weise den vom Gesetzgeber gewollten und im Gesetzestext ausgedrückten Sinn des Gesetzes verfehlt (vgl. BVerfGE 86, 59 <64>) oder das zu berücksichtigende Grundrecht völlig unbeachtet gelassen hat (vgl. BVerfGE 59, 231 <268 f.>; 77, 240 <255 f.>).
bb) Grundrechte dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden; dies gilt auch für Grundrechte von Gefangenen (vgl. BVerfGE 33, 1 <11>; 89, 315 <322 f.>). Staatliche Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (vgl. BVerfGK 2, 102 <105>; 17, 9 <14>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. September 2020 - 2 BvR 1810/19 -, Rn. 21). Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug nicht immer vermeiden. Sie sind aber von besonderem Gewicht. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (vgl. BVerfGK 17, 9 <16>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. November 2016 - 2 BvR 6/16 -, Rn. 29; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2019 - 2 BvR 2294/18 -, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. September 2020 - 2 BvR 1810/19 -, Rn. 21). Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahmen einfacher gestalten, ist hier noch weniger als in anderen, weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen (vgl. BVerfGK 17, 9 <16>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2009 - 2 BvR 455/08 -, Rn. 33; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Juli 2013 - 2 BvR 2815/11 -, Rn. 17).
cc) Diesen Maßstäben wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts Bochum vom 11. März 2021 nicht gerecht. Die durch das Landgericht vorgenommene Auslegung der Tatbestandsmerkmale der von der Justizvollzugsanstalt für die angeordnete Urinkontrolle gewählten Rechtsgrundlage sowie die gerichtliche Überprüfung der durch die Justizvollzugsanstalt vorgenommenen Abwägung auf Ermessensfehler beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers.
(1) (a) Es ist bereits fraglich, ob die von der Justizvollzugsanstalt auf § 65 StVollzG NRW gestützte Urinkontrolle aufgrund des damit einhergehenden schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ohne konkreten Verdacht des Drogenmissbrauchs des betroffenen Gefangenen angeordnet werden kann.
(aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn eine Urinkontrolle bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Betäubungsmittelkonsum, wozu etwa auch eine einschlägige Vorbelastung des Gefangenen zählt, zum Nachweis eines eventuell vorausgegangenen Drogenkonsums angeordnet wird (vgl. für die Anordnung einer Urinkontrolle eines Untersuchungsgefangenen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 2007 - 2 BvR 1136/07 -, Rn. 27; für die Anordnung einer Urinkontrolle eines Strafgefangenen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. August 2009 - 2 BvR 2280/07 -, Rn. 3).
Hingegen betrifft der vom Landgericht im angegriffenen Beschluss vom 11. März 2021 in Bezug genommene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 2006 eine freiwillige Urinprobe, zu der sich der Gefangene im Rahmen der Vollzugsplanvereinbarung zur Vorbereitung von Vollzugslockerungen bereit erklärt hatte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2006 - 2 BvR 204/06 -, Rn. 8). Vor den Fachgerichten stand in diesem Fall in Streit, ob die Abgabe der Urinprobe nur auf Anordnung und in Anwesenheit eines Arztes zulässig gewesen sei. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgabe von Urinproben im Rahmen der Bewährungsüberwachung (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 1993 - 2 BvR 930/92 -, juris, und vom 9. Juni 1993 - 2 BvR 368/92 -, juris) führte das Bundesverfassungsgericht in dieser - nicht unmittelbar einschlägigen - Entscheidung aus, dass die Menschenwürde nicht verletzt sei. Der Betroffene werde durch die Abgabe von Urin nicht zu einem bloßen Schauobjekt erniedrigt. Die Maßnahme diene weder der Herabwürdigung noch sonstigen rechtlich zu missbilligenden Zwecken, sondern unmittelbar der Resozialisierung, an der die Allgemeinheit ein überragendes Interesse habe (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2006 - 2 BvR 204/06 -, Rn. 10).
(bb) In Nordrhein-Westfalen hat der Landesgesetzgeber mit § 65 StVollzG NRW vom 13. Januar 2015 (GV NRW 2015, S. 76) eine eigenständige Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Suchtmittelkontrolle geschaffen. Danach können zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen angeordnet werden, die geeignet sind, den Missbrauch von Suchtmitteln festzustellen. Mit Änderungsgesetz vom 1. September 2017 (GV NRW 2017, S. 511) wurde § 65 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW dahingehend geändert, dass die Maßnahme mit einem geringfügigen Eingriff, namentlich einer Punktion der Fingerbeere zur Abnahme einer geringen Menge von Kapillarblut, verbunden sein darf, wenn die Gefangenen einwilligen.
(cc) In Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung ist umstritten, ob im Strafvollzug zur Bekämpfung des Betäubungsmittelkonsums in Justizvollzugsanstalten Drogentests mittels Urinkontrollen auch anlasslos, das heißt ohne Vorbelastung oder einen sonst begründbaren Verdacht eines Drogenkonsums des Gefangenen, angeordnet werden können.
Nach einer Ansicht wird bei speziellen Rechtsgrundlagen in den Strafvollzugsgesetzen der Länder, die nach dem Wortlaut eine allgemeine Anordnung von Suchtmittelkontrollen zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zulassen, eine anlasslose Anordnung von Urinkontrollen in der Justizvollzugsanstalt für zulässig erachtet, weil der Drogenkonsum in Haftanstalten besondere Gefahren für deren Sicherheit und Ordnung mit sich bringe, denen anders nicht wirksam begegnet werden könne (vgl. KG, Beschluss vom 5. Oktober 2017 - 2 Ws 92/17 Vollz -, juris, Rn. 19; OLG München, Beschluss vom 27. September 2011 - 4 Ws 5/11 (R) -, juris, Rn. 26; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 1 Vollz (Ws) 250/15 -, juris, Rn. 2). Teilweise wird einschränkend gefordert, dass die Maßnahme entfallen müsse, wenn im konkreten Einzelfall die Annahme von Suchtmittelmissbrauch fernliegend erscheine (vgl. Harrendorf/ Ullenburch, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2019, 11. Kap., D., Rn. 15). Nach anderer Ansicht kann aufgrund der Eingriffsintensität eine nach den speziellen Rechtsgrundlagen mögliche „allgemeine“ Anordnung von Suchtmittelkontrollen mittels Urinproben nur erfolgen, wenn die angeordneten Kontrollen an hinreichend konkrete Aussagen dazu anknüpften, welcher Adressatenkreis aus welchem Anlass und unter welchen Voraussetzungen zu kontrollieren sei. Anordnungen, die voraussetzungslos alle Gefangenen einer jederzeitigen Kontrolle durch Abgabe von beobachteten Urinkontrollen unterziehen, seien hingegen nicht verhältnismäßig (vgl. Goerdeler, in: Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2017, Teil II, § 76 LandesR Rn. 11).
Unabhängig davon wird eine Urinkontrolle zum Schutz der Gesundheit überwiegend nur dann für zulässig erachtet, wenn aufgrund konkreter objektiver Tatsachen Anlass zu der Befürchtung bestehe, dass der Gefangene Suchtmittel konsumiert hat beziehungsweise eine Suchtmittelgefährdung des betroffenen Gefangenen bekannt ist und der Nachweis des Konsums und die hiermit verbundene Aufdeckung innervollzuglichen Drogenkonsums durch die Untersuchung der Urinprobe möglich erscheint. Der Konsum von Suchtmitteln durch einzelne Gefangene berge die Gefahr, dass weitere Gefangene freiwillig oder unfreiwillig, gegebenenfalls auch erstmals, mit Drogen in Kontakt kämen. Eine anlasslose Anordnung einer Urinprobe zum Schutz der Gesundheit sei aber im Lichte des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts unzulässig, weil die allgemeine Gefahr, dass Gefangene im Rahmen des Strafvollzugs mit Drogen in Kontakt kommen könnten, keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum des betroffenen Gefangenen liefern und nicht mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne, dass durch die Untersuchung der Probe Erkenntnisse im Hinblick auf einen etwaigen Drogenkonsum gewonnen werden könnten (vgl. LG Göttingen, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 53 StVK 13/16 -, juris, Rn. 14 f.; OLG Jena, Beschluss vom 10. Mai 2007 - 1 Ws 68/07 -, juris, Rn. 33; OLG Dresden, Beschluss vom 12. Mai 2004 - 2 Ws 660/03 -, juris, Rn. 11; OLG Rostock, Beschluss vom 2. Mai 2004 - VAs 1/04 -, juris, Rn. 18; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. August 1989 - 2 Vollz (Ws) 28/89 -, NStZ 1989, S. 550; LG Augsburg, Beschluss vom 6. November 1997 - 2 NöStVK 666/97 -, ZfStrVo 1998, S. 113; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 56 Rn. 5; Harrendorf/Ullenburch, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2019, 11. Kap., D., Rn. 12).
Nach der Gegenauffassung kann aufgrund des großen Anteils Drogenabhängiger an der Gefangenenpopulation ein Drogenscreening zum Schutz der Gesundheit der Gefangenen auch in Form von Zufallsstichproben angeordnet werden (vgl. Arloth, in: Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetze, 5. Aufl. 2021, § 56 StVollzG Rn. 9; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 10. März 2009 - 3 Ws 1111/08 (StVollz) -, NStZ-RR 2009, S. 295; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. März 1994 - 1 Ws 44/94 (Vollz) -, juris, Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2007 - 1 Vollz (Ws) 113/07 -, juris, Rn. 8).
(b) Die Frage, ob im Strafvollzug grundsätzlich auch anlasslos Urinkontrollen angeordnet werden können, kann vorliegend offen bleiben. Denn das Landgericht hat bei der vorgenommenen Auslegung der Tatbestandsmerkmale bereits nicht berücksichtigt, dass § 65 StVollzG NRW speziell Maßnahmen „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt“ ermöglicht. Für Maßnahmen zum Gesundheitsschutz des Gefangenen sehen sowohl das Strafvollzugsgesetz (des Bundes) als auch das Strafvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen eine eigenständige Rechtsgrundlage vor (vgl. § 56 StVollzG, § 43 StVollzG NRW). Auch die vom Landgericht in Bezug genommene fachgerichtliche Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm bezieht sich noch auf die rechtliche Lage vor dem Inkrafttreten der speziellen Rechtsgrundlage für Suchtmittelkontrollen in § 65 StVollzG NRW. So hätte sich das Landgericht insbesondere bei der umstrittenen Frage, ob beaufsichtigte Urinkontrollen auch anlasslos angeordnet werden können, damit auseinandersetzen müssen, ob diese unter Berücksichtigung des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung“ (so die von der Justizvollzugsanstalt herangezogene spezielle Rechtsgrundlage für Suchtmittelkontrollen nach § 65 StVollzG NRW) gerechtfertigt sein kann. Die vom Landgericht insoweit nicht differenzierende Abwägung lässt eine Unterscheidung der genannten Rechtsgrundlagen nicht erkennen. Unter Berücksichtigung des schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der die Intimsphäre berührt, kann die dieses Grundrecht einschränkende Rechtsgrundlage aber nicht dahinstehen.
(2) Darüber hinaus hat das Landgericht nicht beachtet, dass mit Änderungsgesetz vom 1. September 2017 (GV NRW, S. 511) § 65 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW dahingehend geändert wurde, dass die Maßnahme mit einem geringfügigen Eingriff, namentlich einer Punktion der Fingerbeere zur Abnahme einer geringen Menge von Kapillarblut, verbunden sein darf, wenn die Gefangenen einwilligen. Der Landesgesetzgeber hat die Gesetzesänderung damit begründet, dass die fachgerichtliche Rechtsprechung zwar gebilligt habe, dass die Vollzugsbehörde die Abgabe einer Urinprobe in einer Weise verlangen könne, die eine Manipulation der Probe nach Möglichkeit ausschließt, und dass dies in Einzelfällen etwa durch die Abgabe von Urinproben im Beisein von Bediensteten erfolgen könne (LTDrucks NRW 16/13470, S. 325). Allerdings wiege der damit verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht in der Regel schwerer als die bloße Punktion der Fingerbeere zur Abnahme eines Tropfen Blutes. Auch im Übrigen erscheine die Methode einer Punktion der Fingerbeere gegenüber anderen Methoden überlegen, weil sie effektiv Manipulationen verhindere und, anders als etwa Haaranalysen, konkrete Aussagen über die Art und das Maß eines Suchtmittelmissbrauchs zulasse (LTDrucks NRW 16/13470, S. 325). Vor diesem Hintergrund sollten sich die Gefangenen deshalb entscheiden können, ob sie beobachtet eine Urinkontrolle abgeben oder sich mit dem neuen Testverfahren einverstanden erklären wollten (LTDrucks NRW 16/13470, S. 325).
Mit Blick auf die durch diese Gesetzesänderung ausdrücklich ermöglichte alternative Testmöglichkeit kommt es nicht mehr darauf an, ob als milderes Mittel auch eine vorherige Durchsuchung des Gefangenen mit dessen Einverständnis in Betracht kommt. In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die nicht weiter ausgeführten Aussagen der Justizvollzugsanstalt und des Landgerichts, eine vorherige Durchsuchung sei jedenfalls mit einem erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbunden und komme deshalb nicht in Frage, in dieser Pauschalität nicht zu überzeugen vermögen. So ist es individuell verschieden, wie belastend beziehungsweise wie schamhaft die Abgabe von Urin unter Beobachtung durch eine dritte Person empfunden wird. Es kann also gerade der besonderen Rücksichtnahme auf das Schamgefühl des Gefangenen entsprechen, wenn diesem die Wahl gelassen wird, ob er mit einer vorherigen Durchsuchung einverstanden ist (mit der Folge, dass die Urinabgabe ohne Blick der Aufsichtsperson auf das entkleidete Glied erfolgen könnte) oder ob die Urinabgabe unter Aufsicht erfolgen soll (vgl. in diese Richtung LG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 1995 - 613 Vollz 87/95 -, juris).
Jedenfalls hat das Landgericht nicht geprüft, ob die Justizvollzugsanstalt - der Gesetzesänderung in § 65 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW entsprechend - als milderes Mittel statt einer beobachteten Urinkontrolle die Kontrolle durch Punktion der Fingerbeere zur Abnahme einer geringen Menge von Kapillarblut hätte anbieten müssen. Die vom Landgericht nicht näher erläuterte Annahme, dass andere Maßnahmen, die eine Manipulation ausschließen, körperliche Untersuchungen voraussetzen würden, welche einen wesentlich gravierenderen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellten, ist unter Berücksichtigung des ausdrücklich erklärten Einverständnisses des Beschwerdeführers mit einer Punktion der Fingerbeere nicht nachvollziehbar. So wiegt der die Intimsphäre berührende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei beaufsichtigten, mit Entkleidung verbundenen Urinkontrollen in der Regel deutlich schwerer als der mit einer (einverständlichen) Punktion der Fingerbeere verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Gefangenen. Da die Justizvollzugsanstalt bei Anordnung grundrechtseinschränkender Maßnahmen von Amts wegen zu prüfen hat, ob diese die Verhältnismäßigkeit wahren, also kein milderes Mittel zur Wahrung der Sicherheitsinteressen in Betracht kommt, steht dem auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer vor Anordnung der ersten Urinkontrolle keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hat, die Kontrolle mittels Punktion der Fingerbeere durchzuführen. Entsprechend hat auch der Landesgesetzgeber ausgeführt, dass die Gefangenen selbst entscheiden können sollen, ob sie sich mit der Punktion der Fingerbeere einverstanden erklären oder beobachtet eine Urinkontrolle abgeben wollen (vgl. LTDrucks NRW 16/13740, S. 325; eine Einschränkung des Auswahlermessens der Justizvollzugsanstalt ebenfalls bejahend, so dass bei Vorliegen einer Einwilligung für eine Punktion der Fingerbeere die Anordnung einer beobachteten Urinkontrolle nur in Ausnahmefällen ermessensfehlerfrei sein könne, Arloth, in: Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetze, 5. Aufl. 2021, § 65 StVollzG NRW Rn. 1; Schmitt, in: BeckOK StVollzG NRW, § 65 Rn. 9 <1. Dezember 2021>).
(3) Schließlich hat es das Landgericht versäumt, innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass auch die angeordnete Frequenz der Kontrollen nicht angemessen gewesen sein könnte. So erfordert ein gerechter Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, insbesondere der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen, und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt auch die Prüfung, in welcher Frequenz einzelne beobachtete Urinkontrollen zur Suchtmittelprävention angeordnet werden dürfen. Die Vorgehensweise der Justizvollzugsanstalt unterliegt aufgrund der Eingriffsintensität von vier beaufsichtigten Kontrollen innerhalb von fünf Wochen ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Überdies ist das Landgericht nicht darauf eingegangen, dass die Justizvollzugsanstalt keine überzeugende Begründung für die hohe Anzahl von anlasslosen Kontrollen innerhalb dieser kurzen Zeitspanne gegeben hat.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch hinsichtlich des angegriffenen Beschlusses des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. August 2021 offensichtlich begründet. Dieser Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Zwar fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG den Betroffenen auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Rechtssuchenden „leer laufen“ lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
bb) Diesen Anforderungen hält der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts nicht stand.
§ 119 Abs. 3 StVollzG erlaubt, von einer Begründung der Rechtsbeschwerde-entscheidung abzusehen, wenn das Oberlandesgericht die Beschwerde für unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtet, was der Senat hinsichtlich des Feststellungsbegehrens des Beschwerdeführers vorliegend getan hat. Dies ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 71, 122 <135>; 81, 97 <106>). Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der Beschluss selbst verfassungsrechtlicher Prüfung entzöge oder die Maßstäbe der Prüfung zu lockern wären. Vielmehr ist in einem solchen Fall die Entscheidung bereits dann aufzuheben, wenn an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen (vgl. BVerfGK 19, 306 <317 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 2021 - 2 BvR 676/20 -, juris, Rn. 43). Dies ist angesichts der aufgezeigten inhaltlichen Abweichung der Entscheidungsgründe des Landgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier der Fall.
Der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 11. März 2021 - V StVK 3/21 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. August 2021 - III-1 Vollz(Ws) 238+241+334-336/21 - werden aufgehoben; die Sache wird an das Landgericht Bochum zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2, § 90 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 863
Bearbeiter: Holger Mann