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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 249

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1872/21, Beschluss v. 19.01.2022, HRRS 2022 Nr. 249


BVerfG 2 BvR 1872/21 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 19. Januar 2022 (BGH / LG Bonn)

Unzulässigkeit einer Gegenvorstellung gegen Nichtannahmeentscheidungen des BVerfG (grundsätzlich fehlende Abänderungskompetenz der Kammer; mögliche Ausnahme bei Gehörsverletzung (offengelassen)).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 93b Satz 1 BVerfGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, sind unanfechtbar und können auf Gegenvorstellungen hin grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden (Folgeentscheidung zum Beschluss vom 22. November 2021 [= HRRS 2021 Nr. 1191]).

2. Ob ausnahmsweise eine Abänderungskompetenz der Kammer besteht, wenn bei der Entscheidung entscheidungserheblicher, dem Bundesverfassungsgericht vorliegender Prozessstoff in einer Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise außer Acht geblieben ist kann dahinstehen, soweit ein solcher Fall nicht gegeben ist.

Entscheidungstenor

Die Gegenvorstellung vom 17. Dezember 2021 gegen den Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2021 - 2 BvR 1872/21 - wird verworfen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführer wandten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die im Rubrum benannten Entscheidungen. Sie waren der Ansicht, die Feststellungen des Landgerichts Bonn sowie das Urteil des Bundesgerichtshofs stellten eine Verletzung der Unschuldsvermutung dar. Zudem sahen sie sich durch die Veröffentlichung der angegriffenen Entscheidungen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Verfassungsbeschwerde verbanden die Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung, es der Pressestelle des Bundesgerichtshofs vorläufig zu untersagen, zu verbreiten, der Beschwerdeführer zu 1. habe sich wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht.

Mit Beschluss vom 22. November 2021 nahm die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Der Beschwerdeführer zu 2. sei nicht beschwerdebefugt. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. genüge hinsichtlich der angegriffenen Urteile den Begründungs- und Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht. Hinsichtlich der Veröffentlichung der angegriffenen Entscheidungen und der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs hätten die Beschwerdeführer den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG nicht erschöpft.

Dagegen haben die Beschwerdeführer unter dem 17. Dezember 2021 eine Anhörungsrüge erhoben und vorgetragen, der Nichtannahmebeschluss beruhe auf einem Missverständnis der Beschwer, weswegen das Bundesverfassungsgericht andere als die eigentlich maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe zugrunde gelegt habe. Die Beschwerdeführer hätten sich in der Hauptsache gerade nicht primär dagegen gewandt, dass durch die Veröffentlichung der Entscheidungen ihr Ansehen in der Öffentlichkeit herabgewürdigt werde. Vielmehr sei es ihnen darum gegangen, dass sich das Landgericht Bonn bereits in abschließender Weise in Bezug auf ihre strafrechtliche Schuld festgelegt habe. Der im Beschluss vom 22. November 2021 zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 2009 - 2 BvR 2540/08 -, juris, Rn. 1; EGMR, Urteil vom 27. Februar 2014 - 17103/10 -, juris, Rn. 18), mit der sich die Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hätten auseinandersetzen müssen, liege darüber hinaus ein „anderer Sachverhalt“ zugrunde. Die dortigen Beschwerdeführer hätten sich in erster Linie gegen die namentliche Nennung ihrer Person in einer mündlichen Urteilsverkündung und die damit verbundene Zeitungsberichterstattung gewandt.

II.

Der als Gegenvorstellung zu wertende Antrag der Beschwerdeführer ist zu verwerfen.

Nichtannahmeentscheidungen der Kammern sind unanfechtbar und können auf Gegenvorstellungen hin grundsätzlich durch die Kammer selbst nicht mehr abgeändert werden. Nach Erschöpfung des Rechtswegs und Durchführung des Annahmeverfahrens besteht ein erhebliches Interesse an einer endgültigen Beendigung des Verfahrens, das der Zulässigkeit weiterer gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelfe grundsätzlich entgegensteht. Es kann dahinstehen, ob ausnahmsweise eine Abänderungskompetenz der Kammer besteht, wenn bei der Entscheidung entscheidungserheblicher, dem Bundesverfassungsgericht vorliegender Prozessstoff in einer Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise außer Acht geblieben ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Februar 2008 - 2 BvR 256/08 -; vom 13. Juli 2016 - 2 BvR 1304/14 -; vom 1. Februar 2017 - 2 BvR 2148/16 -; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2019 - 2 BvR 2255/17 -; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juni 2020 - 1 BvR 1586/14 -). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben; im Kammerbeschluss vom 22. November 2021 wird kein entscheidungserheblicher Prozessstoff übergangen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 249

Bearbeiter: Holger Mann