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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 629

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 172/20, Beschluss v. 29.04.2021, HRRS 2021 Nr. 629


BGH 2 ARs 172/20 2 AR 116/20 - Beschluss vom 29. April 2021

Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (Organisationshaft im Jugendvollzug).

§ 462a StPO; § 85 Abs. 2, Abs. 4 JGG; § 110 JGG

Leitsatz des Bearbeiters

Die Organisationshaft ist eine Form der Strafhaft, die im Erwachsenenvollzug die Zuständigkeit der örtlichen Strafvollstreckungskammern begründet. Sie tritt mit Rechtskraft der Verurteilung ein und dauert bis zur Verlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug an. Es handelt sich dabei nicht um eine kurzfristige vorübergehende Aufnahme, die noch keine zuständigkeitsbegründende Wirkung entfaltet. Nichts Anderes kann im Jugendvollzug gelten.

Entscheidungstenor

Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Organisationshaft aus der Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 20. Juni 2019 (6 KLs 1202 Js 81155/18 (6/19)) ist das Amtsgericht - Jugendrichterin als Vollstreckungsleiterin - Hameln zuständig.

Gründe

I.

Das Landgericht Oldenburg hat gegen den Verurteilten am 20. Juni 2019 eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das Urteil ist seit dem 28. Juni 2019 rechtskräftig. Der Verurteilte befand sich seit dem 20. Dezember 2018 in der Justizvollzugsanstalt V. in Untersuchungshaft; nach Eintritt der Rechtskraft wurde er am 16. Juli 2019 in die Jugendanstalt H. verlegt und befand sich dort zunächst in sogenannter Organisationshaft.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. August 2019 hat der Verurteilte beim Amtsgericht Hameln seine Freilassung, hilfsweise die Unterbrechung der Vollstreckung beantragt. Identische Anträge hat der Verurteilte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. August 2019 beim Amtsgericht Wildeshausen gestellt. Der Verurteilte ist am 24. September 2019 zur Vollstreckung der Maßregel in der A. -Klinik H. aufgenommen worden. Mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 30. September 2019 hat er gegenüber dem Amtsgericht Wildeshausen und dem Amtsgericht Hameln angesichts seiner Verschubung in die A. -Klinik H. in Abänderung seiner Anträge jeweils beantragt, festzustellen, dass die Vollstreckung der Organisationshaft bis zum 24. September 2019 rechtswidrig war.

Das Amtsgericht Wildeshausen hat sich mit Beschluss vom 4. Juni 2020 für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Hameln abgegeben. Das Amtsgericht Hameln hat sich mit Beschluss vom 24. Juni 2020 für unzuständig erklärt und das Verfahren gemäß § 14 StPO dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht der Amtsgerichte Wildeshausen (Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg) und Hameln (Oberlandesgerichtsbezirk Celle) zur Entscheidung des zwischen den Gerichten bestehenden Zuständigkeitsstreites nach § 85 Abs. 2 und 4, § 110 JGG berufen.

2. Zuständig für die in Streit stehende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Organisationshaft ist das Amtsgericht - Jugendrichterin als Vollstreckungsleiterin - Hameln.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift u.a. ausgeführt:

„Die Organisationshaft (ist) eine Form der Strafhaft, die im Erwachsenenvollzug die Zuständigkeit der örtlichen Strafvollstreckungskammern begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember - 2 ARs 541/17 -, juris, Rn. 10, OLG Celle, Beschluss vom 26. April 2016 - 1 Ws 217/16 -, juris, Rn. 14, OLG Hamm, Beschluss vom 19. Februar 2009 - 3 Ws 44/09 -, NStZ 2010, 295, 296, KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 462a Rn. 9, jew. m.w.Nachw.). Sie tritt mit Rechtskraft der Verurteilung ein und dauert bis zur Verlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug an. Es handelt sich dabei nicht um eine kurzfristige vorübergehende Aufnahme, die noch keine zuständigkeitsbegründende Wirkung entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 - 2 ARs 541/17 -, juris, Rn. 10 m.w.Nachw.).

Nichts Anderes kann im Jugendvollzug nach §§ 85 Abs. 2, Abs. 4, 110 JGG gelten. Mit Eintritt der Rechtskraft am 28. Juni 2019 und Aufnahme des Verurteilten in die Jugendanstalt H. am 16. Juli 2019 ist das für diese Jugendanstalt zuständige Amtsgericht Hameln für die Durchführung der Vollstreckung zuständig gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2020 - 2 ARs 162/20 -, juris, m.w.Nachw.). Die Verlegung des Verurteilten in die A. Klinik H. am 24. September 2019 änderte an der Zuständigkeit nichts, da das Amtsgericht Hameln noch nicht abschließend über die Frage der Rechtmäßigkeit der Organisationshaft befunden hat, mit der es befasst war, bevor der Verurteilte verlegt wurde (vgl. zum Erwachsenenvollzug: BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 - 2 ARs 541/17 -, juris, Rn. 16 m.w.Nachw.).“ Dem tritt der Senat bei.

3. Eine isolierte Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger kommt mit Blick auf den bereits am 9. August 2019 gegenüber dem Amtsgericht Hameln gestellten und bislang nicht beschiedenen Antrag auf Beiordnung im Vollstreckungsverfahren nicht in Betracht. Das für die Bescheidung (weiterhin) zuständige Amtsgericht Hameln wird im Rahmen der Beurteilung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage auch das hiesige Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung zu berücksichtigen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 629

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 226

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner