HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 57
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 529/19, Beschluss v. 16.09.2020, HRRS 2021 Nr. 57
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juni 2019
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in sechs Fällen, versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, Sich-Bereiterklärens zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen, versuchten sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in einundzwanzig Fällen, Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften und Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über aa) die Einzelstrafen mit Ausnahme der Freiheitsstrafe im Fall 46 der Urteilsgründe, bb) die Gesamtfreiheitsstrafe, cc) die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung, dd) die Einziehung der „Emailpostfächer“ des Angeklagten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in sechs Fällen, versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, Sich-Bereiterklärens zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen, versuchten sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in siebenundzwanzig Fällen sowie wegen Sich-Verschaffens von kinderpornographischen Schriften und Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Schließlich hat es sichergestellte SD-Karten und Festplatten, iPads, PCs, Kameras und „Emailpostfächer“ unter sechs Internetadressen eingezogen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Schuldspruch richtet, führt es nur zu einer Konkurrenzkorrektur.
a) Von einer Straftat im Rechtssinne kann ausgegangen werden, wenn mehrere natürliche Handlungen zu einer Einheit zusammengefasst werden. Das ist dann der Fall, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind. Eine tatbestandliche Handlungseinheit liegt vor, wenn mehrere natürliche Handlungen unter unterschiedlichen rechtlichen Aspekten zusammengefasst werden; darüber hinaus können Sinn und Zweck der verletzten Gesetzestatbestände zur Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit führen, die normativ bestimmt wird (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 5 f.).
Nach § 182 Abs. 2 StGB wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. Entgelt ist hierbei jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung. Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 182 Abs. 2 StGB reicht es aus, dass sich Täter und Opfer vor oder während des sexuellen Kontaktes einig sind, dass der Vermögensvorteil die Gegenleistung für das Sexualverhalten des Jugendlichen sein soll. Werden mehrere sexuelle Handlungen im Sinne von § 182 Abs. 2 StGB jeweils gesondert gegen Entgelt vorgenommen, kann eine Handlungsmehrheit von Taten nach § 182 Abs. 2 StGB vorliegen, soweit keine einheitliche Vereinbarung zu Grunde liegt. Erfolgen die mehrmaligen Sexualakte aber innerhalb eines einheitlichen Lebensvorgangs, liegt die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nahe. Gleiches gilt, wenn ein einmaliges Entgelt für mehrere sexuelle Handlungen gezahlt wird (vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 182 Rn. 24). In Fällen einer einheitlichen Entgeltzahlung kommt Tatmehrheit allenfalls dann in Betracht, wenn die sexuellen Handlungen auf getrennten Tatentschlüssen beruhen (MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 182 Rn. 74).
b) Nach diesem Maßstab ist in den Fällen 30 bis 34 sowie 37 bis 40 und 41 bis 42 die Annahme von Tatmehrheit mit insgesamt elf Fällen sexuellen Missbrauchs von (Schein-) Jugendlichen nicht gerechtfertigt. Vielmehr liegen insoweit drei Taten vor.
aa) In den Fällen 30 bis 34 hat der Angeklagte das Tatopfer nach seiner Vorstellung, von dem er zu Unrecht annahm, dass es minderjährig sei, auf seine Kosten in seinem Hotelzimmer einquartiert und dort sukzessive sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen oder von ihm an sich vornehmen lassen. Er wendete dafür insgesamt 3.468 philippinische Pesos auf.
bb) In den Fällen 37 bis 40 nahm der Angeklagte die dortige Geschädigte, die er als Minderjährige ansah, gegen einheitliches Entgelt als Begleiterin auf eine Reise mit und missbrauchte sie nach seiner Vorstellung durch sexuelle Handlungen.
cc) In den Fällen 41 und 42 wurde die scheinbar minderjährige Geschädigte für sexuelle Handlungen am 30. und 31. Dezember 2012 mit 1.000 philippinischen Pesos sowie einer Einladung zum Frühstück entlohnt.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
d) Die Änderung des Schuldspruchs hat zur Folge, dass die Einzelstrafen für die Fälle 31 bis 34, 38 bis 40 sowie 42 entfallen.
2. Der Strafausspruch hat auch im Übrigen, mit Ausnahme der Einzelstrafe im Fall 46, keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat für alle Fälle (Fälle 1 bis 44), außer den beiden Pornographiedelikten (Fälle 45 und 46), einheitliche Gründe zur Strafbemessung vorangestellt und dabei unter anderem auf Folgendes verwiesen: „Zu seinen Lasten spricht auch, dass der Angeklagte, wie aus den Chats hervorgeht, auch vor einem Missbrauch von 6-jährigen Mädchen nicht zurückschreckte.“ Das trifft nach den Feststellungen nicht zu. Der Angeklagte, der bevorzugt nach Mädchen im Alter von neun bis elf Jahren suchte, führte sexuelle Handlungen auch mit älteren Jugendlichen und auch mit Frauen aus, die er irrtümlich für minderjährig hielt. Ein ihm zum Missbrauch angebotenes Kind im Alter von sechs Jahren lehnte er ab, weil es ihm „zu jung“ erschien. Danach wird der Strafschärfungsgrund, er habe nicht davor zurückgeschreckt, auch sechsjährige Mädchen zu missbrauchen, von den Feststellungen nicht getragen.
b) Bei der Einzelstrafe im Fall 45 hat das Landgericht darüber hinaus nicht erörtert, ob anstelle der Freiheitsstrafe von zwei Monaten nach § 47 StGB auch eine Einzelgeldstrafe hätte verhängt werden können. Der Senat hebt daher auch diese Einzelstrafe auf.
c) Die Einzelstrafe im Fall 46 bleibt von den genannten Rechtsfehlern unberührt und ist auch sonst rechtlich nicht zu beanstanden.
3. Der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 45 zwingt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
4. Die weitgehende Aufhebung des Strafausspruchs führt außerdem zur Aufhebung des Ausspruchs über die Maßregel.
5. Rechtsfehlerhaft ist schließlich der Ausspruch über die Einziehung der „Emailpostfächer“ des Angeklagten im Rahmen einer Einziehung der „durch die Tatbegehung genutzten und die inkriminierten Dateien enthaltenden Asservate“. Das Landgericht hat seine Einziehungsentscheidung auch nur damit begründet, „inkriminierte Dateien enthaltende Asservate“ seien „gemäß § 74 StGB einzuziehen.“ Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Einziehungsgegenstand verkannt hat.
Einziehungsfähig im Sinne des § 74 sind zwar nicht nur Sachen, sondern auch Rechte; das kommt aber in der Entscheidung des Landgerichts nicht zum Ausdruck. Ein Emailpostfach bewahrt ein- und ausgehende elektronische Nachrichten bis zur endgültigen Löschung auf dem Mailserver des Internetanbieters auf. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Datenträger, der dem Staat aufgrund einer Beschlagnahme physisch - unter den „Asservaten“ - zur Verfügung steht. Daran gehen die Einziehungsanordnung und deren Begründung vorbei. Zudem bleibt offen, ob die Emailpostfächer unter den im Urteilstenor näher bezeichneten Internetadressen nur „inkriminierte Dateien“ enthalten, oder auch andere elektronische Nachrichten, die nicht der Einziehung als Tatobjekte unterliegen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 57
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 45
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner