HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 358
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 629/19, Beschluss v. 13.08.2020, HRRS 2021 Nr. 358
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 31. Juli 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich die Strafkammer die Überzeugung vom Vorliegen des angeklagten Tatvorwurfs verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, weil sich aus den Urteilsgründen nicht ergibt, ob und ggf. wie sich der Angeklagte zur Sache eingelassen hat.
a) Unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel ist regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat. Es bedarf daher einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 30. September 2010 - 4 StR 150/10 Rn. 23 mwN; vom 17. Mai 1990 - 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; vom 4. Juli 1991 - 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; Beschluss vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
Die Urteilsgründe enthalten weder die Mitteilung, dass sich der Angeklagte nicht zur Sache eingelassen hat, noch eine zusammenhängende Wiedergabe seiner Einlassungen in der Hauptverhandlung und/oder im Ermittlungsverfahren in ihren wesentlichen Grundzügen. Die Strafkammer hat vielmehr Angaben des Angeklagten nur bruchstückhaft und verteilt auf verschiedene Abschnitte der Urteilsgründe mitgeteilt. So hat sie an mehreren Stellen der Beweiswürdigung Feststellungen zur Person des Angeklagten, zum Werdegang, zum Alkoholkonsum, zu psychiatrischen Behandlungen und zu früheren Beziehungen auf die „Einlassung des Angeklagten“ gestützt. Außerdem hat sie Aussagen des Tatopfers gegenüber Ermittlungsbeamten für glaubhaft erachtet, weil diese „teils durch Angaben des Angeklagten“ bestätigt worden seien, ohne jedoch die Einlassung des Angeklagten darzustellen. Soweit sich aufgrund dieser Ausführungen den Gründen der angefochtenen Entscheidung noch entnehmen lässt, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen auch auf der Einlassung des Angeklagten zu seiner Person beruhen, lässt dies weder den Schluss zu, dass dieser keine Angaben zur Sache gemacht hat noch erschließt sich, welche Angaben er in welchem Verfahrensstadium gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300; Beschluss vom 12. Februar 2020 - 1 StR 518/20). Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich nicht, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung gar nicht zur Sache geäußert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 - 2 StR 416/19).
Infolgedessen ist das Urteil mangels einer durch das Revisionsgericht überprüfbaren Beweiswürdigung aufzuheben. Der Wiedergabe des Einlassungsverhaltens bedurfte es hier schon deshalb, um mit Blick auf die festgestellte vergleichsweise geringe Intensität der Nachstellungshandlungen, die zeitliche Abstände und Pausen aufwiesen, die psychische Vorbelastung der Geschädigten und das von ihr selbst provozierte Zusammentreffen mit dem Angeklagten drei Tage vor ihrem Suizid, mithin vor dem Hintergrund einer schwierigen Beweislage die Feststellungen zur subjektiven Tatseite überprüfen zu können.
2. Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass unabhängig von dieser Beweiswürdigungslücke nicht tragfähig begründet ist, dass der Angeklagte hinsichtlich der Verursachung der Todesfolge fahrlässig im Sinne von § 238 Abs. 3, § 18 StGB gehandelt hat. Insoweit weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:
a) Da der Täter bei einem erfolgsqualifizierten Straftatbestand schon durch die schuldhafte Verwirklichung des Grunddelikts objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, ist alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit der qualifizierenden Tatfolge, hier des Todes des Opfers (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - 4 StR 375/16 Rn. 22, BGHSt 62, 49; Urteile vom 15. November 2007 - 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686; vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18).
Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers vorausgesehen werden konnte oder ob die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - 4 StR 375/16 Rn. 22, BGHSt 62, 49; Urteile vom 15. November 2007 - 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686; vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18). Besteht die schwere Folge, wie hier, im Eintritt des Todes durch Suizid des Tatopfers, braucht sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs zu erstrecken, insbesondere nicht auf die durch die Tathandlung ausgelösten, im Einzelnen ohnehin nicht einschätzbaren somatischen Vorgänge, die den Tod schließlich ausgelöst haben; es genügt vielmehr die Vorhersehbarkeit des Erfolgs im Allgemeinen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - 4 StR 375/16 Rn. 22 mwN, BGHSt 62, 49; Urteile vom 15. November 2007 - 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686; vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18).
b) Bei der erforderlichen Gesamtabwägung wird dabei als ein der Vorhersehbarkeit eines Suizids entgegenstehender Umstand in den Blick zu nehmen sein, ob der Angeklagte Kenntnis von der psychischen Stabilisierung der Geschädigten nach ihrem Klinikaufenthalt vom 29. September bis zum 19. Oktober 2017 und der anschließenden Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit hatte. Sofern erneut festgestellt wird, dass der Angeklagte von der Behandlung der Geschädigten mit Psychopharmaka wusste, ist dies zu belegen.
Bei entsprechenden Feststellungen wird zudem zu erörtern sein, ob die Kenntnis des Angeklagten von einem früheren Suizidversuch der Geschädigten als Umstand für die Vorhersehbarkeit eines Suizids infolge der Nachstellungen des Angeklagten herangezogen werden kann. Denn der erste Selbstmordversuch des Tatopfers lag nach den bisherigen Feststellungen zehn Jahre zurück und ging auf eine völlig andere Situation zurück. Dasselbe gilt hinsichtlich des Alkoholkonsums der Geschädigten, der sich bei ihrem Tod nicht ursächlich ausgewirkt hat.
Insbesondere wird der neue Tatrichter der Anzahl (sieben Nachstellungshandlungen in einem Zeitraum von drei Monaten) und dem Gewicht der Nachstellungshandlungen sowie dem zeitlichen Abstand von zwei Wochen zwischen dem letzten Auflauern durch den Angeklagten und dem Suizid des Tatopfers bei der Beurteilung der Vorhersehbarkeit größere Bedeutung als bisher beizumessen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 358
Externe Fundstellen: StV 2021, 353
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner