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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 285

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2128/20, Beschluss v. 03.02.2021, HRRS 2021 Nr. 285


BVerfG 2 BvR 2128/20 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 3. Februar 2021 (OLG München)

Fortdauer der Untersuchungshaft über ein Jahr (Beschleunigungsgebot in Haftsachen im gerichtlichen Zwischenverfahren; ungerechtfertigtes Zuwarten mit der Eröffnungsentscheidung; fehlende Darlegung einer nur vorübergehenden, unvorhersehbaren und unvermeidbaren Überlastung der zuständigen Strafkammer; Freiheitsgrundrecht; Unschuldsvermutung; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Abwägung zwischen Freiheitsanspruch des Beschuldigten und unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung; Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 104 GG; § 112 StPO; § 121 StPO; § 122 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Haftfortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn nicht nachvollziehbar dargelegt ist, weshalb die zuständige Strafkammer über vier Monate nach Erhebung der Anklage noch keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen hat. Entscheidungen über einen Haftprüfungsantrag und die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind dabei regelmäßig nicht geeignet, ein Zuwarten mit der Eröffnung zu rechtfertigen.

2. Die Abstimmung von Terminen für eine Hauptverhandlung ab einem Zeitpunkt, zu dem sich der Beschuldigte bereits mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft befunden haben wird und der Eingang der Akten beim Landgericht über acht Monate zurückliegt, ist mit Blick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nur aus gewichtigen Gründen zu rechtfertigen. Solche sind nicht dargetan, wenn der Haftfortdauerbeschluss nicht erkennen lässt, inwieweit die durch ein von der Strafkammer verhandeltes Großverfahren bedingte Überlastung nur vorübergehend, unvorhersehbar und unvermeidbar war.

3. Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist wegen der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung nur ausnahmsweise zulässig, wenn die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung den Freiheitsanspruch des Beschuldigten überwiegen. Bei der Abwägung ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.

4. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse. Damit steigen die Anforderungen sowohl an die Zügigkeit der Bearbeitung der Haftsache als auch an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund.

5. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig.

6. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen beansprucht auch für das gerichtliche Zwischenverfahren Geltung. Im Falle der Entscheidungsreife ist über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und anschließend im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen.

7. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen. Eine erst bevorstehende, aber schon zum Entscheidungszeitpunkt deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht dabei bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleich.

8. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann die Haftfortdauer niemals rechtfertigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Überlastung auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt.

9. Haftfortdauerentscheidungen unterliegen von Verfassungs wegen einer erhöhten Begründungstiefe und erfordern regelmäßig schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen zum Fortbestehen der Voraussetzungen der Untersuchungshaft, zur Abwägung zwischen Freiheitsgrundrecht und Strafverfolgungsinteresse sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 28. Oktober 2020 - 2 Ws 1108/20 H - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München II zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.

I.

1. Der am 6. Januar 2020 vorläufig festgenommene Beschwerdeführer befindet sich seit dem 7. Januar 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft. An diesem Tag erließ das Amtsgericht München einen auf den dringenden Tatverdacht der besonders schweren Brandstiftung und den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl.

2. Am 16. Juni 2020 erhob die Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen den Beschwerdeführer zum Landgericht München II. Sie legte dem Beschwerdeführer besonders schwere Brandstiftung sowie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen zur Last. Der Beschwerdeführer habe zwischen dem 1. November 2019 und dem 5. Januar 2020 bei mindestens sechs Gelegenheiten jeweils mindestens 5 Gramm Marihuana veräußert und am 5. Januar 2020 in seiner Wohnung 0,5 Gramm Marihuana aufbewahrt, um durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen. Am selben Tag habe er sich über den Balkon Zutritt zur Wohnung seiner Großeltern verschafft. Da er sich verfolgt gefühlt habe, habe er dort randaliert und ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich genommen. Nach Eintreffen der von den Großeltern verständigten Polizei habe der Beschwerdeführer die Wohnungstür von innen versperrt und einen Kleiderschrank in Brand gesetzt, was zu massiven Rauchentwicklungen geführt habe. Der Beschwerdeführer habe sich anschließend mit dem Küchenmesser in der Hand auf das Fensterbrett des geöffneten Schlafzimmerfensters gestellt und den sich außerhalb des Hauses aufhaltenden Polizeibeamten gedroht zuzustechen. Nach einem ihn verfehlenden Schuss der Polizeibeamten sei er auf den Balkon auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnung geflüchtet, von wo aus er die Polizeibeamten mit dem Messer erneut bedroht habe, sodass Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr die Wohnung nicht betreten konnten. Der Beschwerdeführer habe letztlich mit mehreren Schüssen, von denen zwei den Beschwerdeführer in beide Unterschenkel getroffen hätten, überwältigt und in Gewahrsam genommen werden können. Erst zu diesem Zeitpunkt hätten die Einsatzkräfte der Feuerwehr die Wohnung betreten und den Brand löschen können. In der Wohnung der Großeltern des Beschwerdeführers sowie im Treppenhaus und den darüber liegenden Wohnungen hätten die Flammen und die Rauchentwicklung einen Schaden in Höhe von 120.000 Euro verursacht, sodass die Wohnungen für einen erheblichen Zeitraum unbewohnbar gewesen seien.

3. Die Anklageschrift wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 24. Juni 2020 mit Gelegenheit zur Äußerung binnen drei Wochen zugestellt. Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 ordnete das Oberlandesgericht München im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

4. Mit Schreiben vom 29. Juli 2020 fragte die Vorsitzende der zunächst zuständigen 2. Strafkammer des Landgerichts München II beim Verteidiger des Beschwerdeführers Terminskollisionen für eine voraussichtlich im Januar und Februar 2021 stattfindende Hauptverhandlung an und bat nach Schriftwechsel mit Schreiben vom 10. August 2020 um verbindliche Reservierung von sieben Terminen zwischen dem 17. Februar 2021 und dem 10. März 2021 zur Durchführung der Hauptverhandlung.

5. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. August 2020 die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung. Zur Begründung brachte er eine Verletzung des Beschleunigungsgebots an, da sich der Beschwerdeführer bei dem angedachten Beginn der Hauptverhandlung am 17. Februar 2021 bereits seit über 13 Monaten in Untersuchungshaft befinden würde. Das Ermittlungsverfahren sei von der Staatsanwaltschaft bereits am 16. Juni 2020 abgeschlossen worden. Trotz Entscheidungsreife sei noch nicht über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung entschieden worden. Es sei zudem nicht ersichtlich, wie das Verfahren ab Eröffnungsreife bis zum Beginn der Hauptverhandlung gefördert werden solle.

Mit Beschluss vom 8. September 2020 hielt die 2. Strafkammer den Haftbefehl aufrecht und ordnete dessen weiteren Vollzug an. Zur Begründung führte die Kammer unter anderem aus, dass im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Brandstiftung über den angeklagten Vorwurf hinausreichende, umfangreiche Ermittlungen erforderlich geworden seien, die insbesondere auch die Verletzungsfolgen und den Schadensumfang beträfen.

6. Mit Bericht vom 13. Oktober 2020 nahm die Staatsanwaltschaft München II zur anstehenden weiteren Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß § 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 StPO Stellung. Verwiesen wurde auf ein Telefonat mit der Vorsitzenden der 2. Strafkammer. Die Vorsitzende habe mitgeteilt, die Kammer warte das Ergebnis einer für den 19. oder 20. Oktober 2020 angedachten Sitzung des Präsidiums des Landgerichts ab. Besprochen werden solle in dieser Sitzung eine etwaige Entlastung der Kammer. Ob es zu einer Entlastung komme und ob das vorliegende Verfahren infolgedessen umverteilt werde, sei noch nicht absehbar.

Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte unter Bezugnahme auf den Bericht der Staatsanwaltschaft vom 13. Oktober 2020 die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es könne mit einem zügigen Fortgang des Verfahrens gerechnet werden. Die 2. Strafkammer habe nach Eingang der Anklageschrift zunächst deren Zustellung veranlasst und Nachermittlungen zur Schadenshöhe in Auftrag gegeben. Mittlerweile seien mit den Verteidigern - vorbehaltlich der Eröffnung des Hauptverfahrens - sieben Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung in der Zeit vom 17. Februar 2021 bis zum 10. März 2021 vereinbart worden.

7. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2020 informierte das Landgericht den Verteidiger des Beschwerdeführers, dass das Verfahren „zuständigkeitshalber innerhalb des Gerichts abgegeben“ worden sei.

8. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 nahm der Verteidiger des Beschwerdeführers zur anstehenden Entscheidung über die Haftfortdauer gegenüber dem Oberlandesgericht München Stellung und rügte erneut einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. Es seien keine Ermittlungen mehr notwendig, die für die Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung erforderlich wären. Hinsichtlich des konkreten Brandschadens hätten bereits vor Anklageerhebung entsprechende Ermittlungsergebnisse vorgelegen. Weitere ergänzende Ermittlungsergebnisse seien der Verteidigung mit Schreiben der Kammer vom 10. Juli 2020 übersandt worden. Es sei nicht erkennbar, inwiefern weitere Schadensermittlungen notwendig seien, die derart viel Zeit in Anspruch nähmen, dass die Hauptverhandlung erst am 17. Februar 2021 beginnen könne. Überdies habe die konkrete Schadenssumme auch keinen Einfluss auf die Eröffnungsentscheidung, zumal nur kleinere Abweichungen im Raum stünden. Nachermittlungen bezüglich der tatbedingten Verletzungsfolgen seien ebenfalls für die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens irrelevant. Darüber hinaus würden diese ins Leere laufen, da keine ärztliche Schweigepflichtentbindung des Beschwerdeführers vorliege. Weitere Ermittlungen, die zwingend vor einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens durchzuführen wären, seien ihm nicht bekannt. Eröffnungsreife habe spätestens ab Mitte August vorgelegen. Der späte Beginn der Hauptverhandlung beruhe auf einer Überlastung der zuständigen Strafkammer.

Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 ergänzte der Verteidiger des Beschwerdeführers, dass auch durch die Abgabe des Verfahrens an die nunmehr zuständige 1. Strafkammer die bisher eingetretene deutliche Verfahrensverzögerung nicht mehr aufgeholt werden könne. Die Zeit ab der Eröffnungsreife bis zur - noch nicht terminierten - Hauptverhandlung, in der das Verfahren nicht gefördert worden sei und für die keine weitere Verfahrensförderung absehbar sei, werde deutlich mehr als die noch zulässigen drei Monate betragen.

9. Mit angegriffenem Beschluss vom 28. Oktober 2020 ordnete das Oberlandesgericht München die Fortdauer der gegen den Beschwerdeführer vollzogenen Untersuchungshaft an und übertrug die Haftprüfung für die nächsten drei Monate der 1. Strafkammer des Landgerichts.

a) Das Oberlandesgericht erachtete das Beschleunigungsgebot nicht als verletzt, da das Verfahren seit der letzten Senatsentscheidung vom 16. Juli 2020 angemessen gefördert worden sei. Die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Nachermittlungen seien am 7. Juli 2020 und das toxikologische Gutachten vom 6. Juli 2020 am 9. Juli 2020 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Ab dem 29. Juli 2020 habe das Landgericht Terminsabsprachen mit den Verteidigern und dem psychiatrischen Gutachter unternommen. Vollständige Rückmeldungen habe es bis zum 10. August 2020 erhalten. Mit Schreiben vom selben Tag habe es um Reservierung von Terminen für eine mögliche Hauptverhandlung ab dem 17. Februar 2021 gebeten. Schließlich habe das Landgericht am 8. September 2020 über den Antrag des Beschwerdeführers auf Haftprüfung entschieden. Weitere Entscheidungen hätten die Anhaltung und Beschlagnahme von Briefen des Beschwerdeführers sowie die Pflichtverteidigung betroffen.

b) Der Zeitraum, in dem die Kammer die Eröffnung der Hauptverhandlung prüfe, und der avisierte Zeitpunkt der Hauptverhandlung ab dem 17. Februar 2021 übersteige zwar den üblichen vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig noch für zulässig erachteten Zeitraum seit Anklageerhebung für die Prüfung und Verhandlung einer Strafsache. Diese Verzögerung ergebe sich jedoch aus einer einmaligen und vorübergehenden Belastung der 2. Strafkammer des Landgerichts München II mit einem Großverfahren, das diese seit dem 16. September 2020 und im gesamten vierten Quartal 2020 in enger Terminsdichte verhandele. Die hierdurch entstandene Überlastung stelle einen anderen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO dar. Die Überlastung sei dem Präsidium des Landgerichts am 28. September 2020 angezeigt und durch Präsidiumsbeschluss vom 20. Oktober 2020 festgestellt worden. Demnach sei unter anderem das hiesige Verfahren auf die 1. Strafkammer des Landgerichts umverteilt worden. Von einem zügigen Fortgang des Verfahrens und dessen zeitnahem Abschluss könne daher ausgegangen werden.

II.

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 28. Oktober 2020 in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) und in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots im Zwischenverfahren verletzt.

Es sei nicht ersichtlich, weshalb nach wie vor keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen worden sei. Soweit das Oberlandesgericht zur Begründung der angemessenen Förderung des Verfahrens darauf hinweise, dass die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Nachermittlungen am 7. Juli 2020 und das toxikologische Gutachten vom 6. Juli 2020 am 9. Juli 2020 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen seien, hätten diese zeitnah nach Anklageerhebung vorgelegen und würden daher kein weiteres Abwarten von knapp fünf Monaten bis zur Eröffnungsentscheidung rechtfertigen. Überdies sei den Nachermittlungen und dem toxikologischen Gutachten keine Relevanz für die Eröffnungsentscheidung zu entnehmen. Die vom Oberlandesgericht nicht näher ausgeführten Nachermittlungen beträfen wohl die Konkretisierung des verursachten Brandschadens. Diesbezüglich hätten aber ausweislich der Anklageschrift bereits vor Anklageerhebung entsprechende Ermittlungsergebnisse vorgelegen, die im Rahmen der Anklage berücksichtigt worden seien. Die konkrete Schadenshöhe hätte keinen Einfluss auf die Eröffnungsentscheidung, weil das Vorliegen der angeklagten Brandstiftungstatbestände nicht von einer gewissen Schadenshöhe abhänge. Am 10. Juli 2020 habe die Vorsitzende Richterin der 2. Strafkammer die Übersendung des toxikologischen Gutachtens an den Sachverständigen verfügt. Dieser sei bereits zuvor ohne das toxikologische Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass möglicherweise von einer verminderten oder aufgehobenen Steuerungsfähigkeit auszugehen sei, was sich aus der Anklage ergebe. Der Vorausbericht des toxikologischen Gutachtens vom 8. Januar 2020 habe überdies ausweislich der Anklage bereits im Ermittlungsverfahren vorgelegen.

Soweit das Oberlandesgericht im Hinblick auf die angemessene Förderung des Verfahrens ausführe, die Kammer habe weitere Entscheidungen bezüglich der Anhaltung und Beschlagnahme von Briefen des Beschwerdeführers sowie zur Pflichtverteidigung getroffen, erschließe sich nicht, inwiefern diese Tätigkeiten Auswirkungen auf die Eröffnungsentscheidung haben könnten. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Eröffnungsentscheidung durch nicht erforderliche Nachermittlungen verzögert worden sei, weil die zunächst zuständige Kammer frühzeitig erkannt habe, dass das Verfahren nicht binnen drei Monaten nach Eröffnung entsprechend gefördert werden könne.

Das Oberlandesgericht verkenne die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und ziehe hieraus falsche Schlüsse, soweit es im angegriffenen Beschluss auf eine einmalige und vorübergehende Belastung der 2. Strafkammer abstelle. Das Oberlandesgericht hätte sich zu einer Aufklärung und näheren Begründung gedrängt sehen müssen, ob es sich bei der Überlastung auch um eine kurzfristige und insbesondere nicht vorhersehbare Belastungssituation gehandelt habe. Insbesondere habe das Oberlandesgericht nicht aufgeklärt, ab wann die Belastung bei der 2. Strafkammer bekannt gewesen sei. Entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts habe bei der 2. Strafkammer eine vorhersehbare Belastungssituation vorgelegen, die nicht nur einmalig und vorübergehend bestanden habe. Dem im angegriffenen Beschluss angeführten Großverfahren liege eine Anklage zugrunde, die bereits im Dezember 2019 erhoben worden sei. In einem weiteren Verfahren des Verteidigers des Beschwerdeführers, das keine Haftsache gewesen sei, habe die Vorsitzende der 2. Strafkammer bereits am 12. Februar 2020 verfügt, dass „wegen Überlastung und massiver Belastung“ keine Termine zur Hauptverhandlung vorgeschlagen und angeboten werden könnten. Die 2. Strafkammer hätte daher nach Ansicht des Beschwerdeführers deutlich früher Maßnahmen ergreifen müssen, um der sich abzeichnenden Überlastung entgegenzuwirken. Jedenfalls fehle dem angegriffenen Beschluss insoweit die erforderliche Begründungstiefe.

III.

1. Zur Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Nach seiner Auffassung ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

a) Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde begegne mit Blick auf § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG durchgreifenden Bedenken. Der Beschwerdeführer erwähne an keiner Stelle den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 16. Juli 2020, mit dem der Senat erstmalig über die Haftfortdauer entschieden habe. Der Inhalt des Beschlusses sei für das Verständnis der angegriffenen Entscheidung erforderlich, weil das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2020 zur Begründung des dringenden Tatverdachts und des Haftgrundes der Fluchtgefahr auf seinen vorangegangenen Beschluss vom 16. Juli 2020 Bezug genommen habe. Ohne diesen Beschluss lasse sich die Tragfähigkeit der Erwägungen des Oberlandesgerichts daher nicht abschließend beurteilen.

Darüber hinaus lege die Verfassungsbeschwerde die Überlastungsanzeige der Vorsitzenden der 2. Strafkammer vom 28. September 2020 und den hierauf ergangenen Präsidiumsbeschluss des Landgerichts München II vom 20. Oktober 2020 nicht vor und gebe diese auch nicht inhaltlich wieder. Ohne die Überlastungsanzeige und den Präsidiumsbeschluss lasse sich nicht beurteilen, ob die eingetretenen Verzögerungen auf einer außergewöhnlichen, unvorhergesehenen Belastungssituation der Strafkammer beruhten und ob die Reaktionen der Justizverwaltung hierauf als rechtzeitig und ausreichend zu erachten seien. Dieses Versäumnis werde nicht durch den Verweis auf eine Verfügung der Vorsitzenden in einem anderen Verfahren aus dem Februar 2020 aufgewogen. Die Verfügung habe sich auf ein Verfahren bezogen, das keine Haftsache darstelle. Dass die Kammer keine Kapazitäten habe, um in einem solchen Verfahren eine Hauptverhandlung durchzuführen, lasse nicht den Schluss zu, dass auch die bei der Kammer anhängigen Haftsachen nicht mit der gebotenen Beschleunigung hätten bearbeitet werden können.

Eine absehbare oder gar chronische Überlastung der Strafkammer könne auch nicht damit begründet werden, dass im ebenfalls in der Kammer anhängigen Großverfahren der Beginn der Hauptverhandlung bereits Anfang Juli 2020 festgestanden habe. Großverfahren seien keine Seltenheit und würden die parallele Verhandlung anderer Haftsachen regelmäßig nicht ausschließen. Eine Überlastungssituation könne sich allenfalls aus dem konkreten Verlauf der Hauptverhandlung in einem solchen Großverfahren ergeben und dann eine unvorhergesehene Belastungssituation erzeugen. Eine solche Entwicklung sei nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts nicht auszuschließen. Mangels näheren Vortrags des Beschwerdeführers hierzu sei eine verantwortliche Prüfung nicht möglich.

b) Die Verfassungsbeschwerde sei darüber hinaus unbegründet. Der von dem Beschwerdeführer gerügte Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen liege nicht vor. Die Gestaltung des Zwischenverfahrens sei sachlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht habe schon bei Zustellung der Anklageschrift die Durchführung der Hauptverhandlung im Blick gehabt und sich alsbald nach Ablauf der Stellungnahmefrist um die Abklärung freier Termine bemüht sowie zeitnah Nachermittlungen in Auftrag gegeben. Dass die sich Ende September 2020 zuspitzende Belastungssituation der ursprünglich zuständigen Strafkammer chronisch gewesen wäre und nicht etwa aufgrund nicht vorhersehbarer Entwicklungen erst während der laufenden Hauptverhandlung in dem parallel geführten Großverfahren entstanden sei, lasse sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen und könne ohne Anhaltspunkte nicht unterstellt werden. Es sei nicht erkennbar, dass die 2. Strafkammer schon vor der Überlastungsanzeige Ende September 2020 generell nicht mehr in der Lage gewesen wäre, eröffnungsreife Verfahren innerhalb angemessener Frist zu bewältigen. Nachdem die Kammer ihre Überlastung angezeigt habe, habe das Präsidium zeitnah reagiert und das Verfahren des Beschwerdeführers einer anderen Kammer zugewiesen. Zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung sei die Justizverwaltung ihrer Abhilfeverpflichtung damit ausreichend nachgekommen.

Es sei ferner nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer nicht sogleich über die Eröffnung entschieden habe. Die Anklage weise in rechtlicher Hinsicht nicht unerhebliche Schwierigkeiten auf. Problematisch sei, ob dem Beschwerdeführer auch der Vorwurf der besonders schweren Brandstiftung gemacht werden könne oder ob § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht auf Fälle des Inbrandsetzens beschränkt sei, eine Zerstörung durch Brandlegung mithin zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreiche. Auch vor diesem Hintergrund komme den Nachermittlungen zum Schadensumfang erhebliches Gewicht zu, weil sich diese Rechtsfrage nicht stelle, wenn doch wesentliche Bestandteile des Gebäudes gebrannt hätten. Hinzu komme, dass sich ein eventueller Verstoß gegen das Gebot, bei Entscheidungsreife über die Eröffnung zu entscheiden, vorliegend auf die Verfahrensförderung nicht ausgewirkt habe, weil die Strafkammer schon frühzeitig verbindliche Hauptverhandlungstermine für den Fall der Eröffnung reserviert habe und eine frühere Terminierung aus beachtlichen Gründen nicht möglich gewesen sei.

Die angegriffene Entscheidung werde auch der zu fordernden Begründungstiefe noch gerecht. Der Beschluss lasse erkennen, dass sich das Gericht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an eine über sechs Monate hinausgehende Untersuchungshaft zu stellen sind, bewusst gewesen sei.

2. Das Bayerische Staatsministeriums der Justiz hat davon abgesehen, zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen.

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Verfahrensakten des Landgerichts München II - 1 KLs 50 Js 307/20 - (Stand: 11. Januar 2021) in Abschrift vorgelegen.

Aus den Akten ergibt sich, dass das toxikologische Gutachten vom 6. Juli 2020 am 9. Juli 2020 beim Landgericht einging. Am selben Tag ging beim Landgericht ein Schreiben der Kriminalpolizeiinspektion Weilheim in Oberbayern ein. Die Kriminalinspektion teilte unter Bezugnahme auf einen Nachermittlungsauftrag des Landgerichts vom 22. Juni 2020 mit, dass die Feststellungen zur Schadenshöhe durch den Versicherer noch nicht abgeschlossen seien. Der Zeitpunkt des endgültigen Abschlusses des Versicherungsfalls könne noch nicht angegeben werden. Erfahrungsgemäß sei die derzeitige Schadenshöhe mit 120.000 Euro jedoch so konkret berechnet, dass lediglich eine Abweichung um maximal 10.000 Euro nach oben oder unten zu erwarten sei. Die endgültige Schadenssumme werde von dem Versicherer ohne weitere Aufforderung mitgeteilt.

Die 1. Strafkammer des Landgerichts München II hat nach Terminsabsprachen mit der Verteidigung und dem Sachverständigen mit Beschluss vom 25. November 2020 das Hauptverfahren eröffnet und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Zugleich hat sie Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. Januar 2021 mit Fortsetzungsterminen bis zum 5. Februar 2021 bestimmt.

4. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers mitgeteilt, die Hauptverhandlung habe am 27. Januar 2021 begonnen.

B.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, da der Beschwerdeführer sämtliche für die hier zu beurteilende verfassungsrechtliche Fragestellung relevanten Unterlagen vorgelegt hat. Die Vorlage der Überlastungsanzeige der 2. Strafkammer des Landgerichts München II vom 28. September 2020 sowie des Präsidiumsbeschlusses des Landgerichts vom 20. Oktober 2020 war nicht erforderlich, weil der angegriffene Beschluss diese lediglich erwähnt, aber nicht tragend auf ihren Inhalt Bezug nimmt. Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG.

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis Abs. 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>). Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 45; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 61).

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist daher stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>).

b) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>). Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 56; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 47).

c) Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 57).

d) Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht dabei auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. So ist nach Anklageerhebung bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 - 2 BvR 1258/18 -, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 49).

e) Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474 <480>; 17, 517 <523>). Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. BVerfGK 7, 140 <156>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 58). Zu berücksichtigen ist, dass auch eine erst bevorstehende, aber schon zum Entscheidungszeitpunkt deutlich absehbare Verfahrensverzögerung bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleichsteht (vgl. BVerfGK 6, 384 <392 f.>; 12, 166 <168>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 57; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 50).

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 - 2 BvR 225/20 -, Rn. 62). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 59).

f) Im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Rechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG ist der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 54). Haftfortdauerentscheidungen unterliegen insofern einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können. Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 60). Eine Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung auf die zutreffende Anwendung einfachen Rechts nimmt das Bundesverfassungsgericht hingegen ausschließlich im Rahmen des Willkürverbots vor (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 65, 317 <322>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 - 2 BvR 1787/20 -, Rn. 56; stRspr).

2. Diesen Vorgaben genügt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München nicht. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen, und wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.

a) Das Oberlandesgericht hat nicht schlüssig begründet, weshalb vorliegend weder die (ursprünglich zuständige) 2. Strafkammer noch die (nunmehr zuständige) 1. Strafkammer bis zum angegriffenen Beschluss über vier Monate nach Erhebung der Anklage noch keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen haben.

aa) Das Oberlandesgericht hat nicht hinreichend dargelegt, dass das Verfahren angemessen gefördert worden ist. Die Entscheidungen des Landgerichts, die das Oberlandesgericht zur Begründung anführt, sind zum Nachweis einer Verfahrensförderung erkennbar nicht geeignet. Es ist jedenfalls ohne nähere Erläuterung nicht ersichtlich, wie den Entscheidungen über den Antrag auf Haftprüfung, über die Anhaltung und Beschlagnahme von Briefen des Beschwerdeführers sowie über die Pflichtverteidigung Auswirkungen auf die Eröffnungsreife zukommen konnten und sie damit zur Verfahrensförderung beigetragen haben können.

bb) Darüber hinaus ist unerheblich, ob die vom Oberlandesgericht angeführten Nachermittlungen und das Abwarten des Eingangs des toxikologischen Gutachtens vom 6. Juli 2020 das Verfahren angemessen gefördert haben. Denn die Ergebnisse gingen bereits am 9. Juli 2020 beim Landgericht ein. Die Stellungnahmefrist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO war seit dem 15. Juli 2020 abgelaufen. Dass die Strafkammer ab diesem Zeitpunkt weitere Nachermittlungen in Auftrag gab, führt das Oberlandesgericht weder an noch ist ein solcher Auftrag sonst ersichtlich. Das Oberlandesgericht führt überdies nicht aus, dass nach Eingang der Nachermittlungen noch keine Eröffnungsreife vorgelegen habe. Weshalb das Landgericht dennoch mehr als drei Monate nach Kenntnis der Nachermittlungsergebnisse keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen hatte, begründet der Senat nicht tragfähig und lässt somit die notwendige Begründungstiefe vermissen. Rechtliche Schwierigkeiten, die einer Eröffnungsentscheidung entgegenstanden haben könnten, sind weder dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts zu entnehmen noch sind sie sonst ersichtlich.

b) aa) Die verspätete Entscheidung hat das Verfahren auch verzögert, obwohl die Vorsitzende der 2. Strafkammer vor der Eröffnungsentscheidung bereits Termine für die Durchführung der Hauptverhandlung mit den Verteidigern des Beschwerdeführers abgesprochen hat, denn auch die von der Kammervorsitzenden avisierten Termine ab dem Februar 2021 führen zu einer deutlichen Überschreitung des vom Bundesverfassungsgericht für die Dauer des Zwischenverfahrens für den Regelfall als geboten erachteten Zeitraums (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 - 2 BvR 1258/18 -, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 49). Damit setzt sich das Oberlandesgericht nicht in der erforderlichen Begründungstiefe auseinander. Es musste bei seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2020 berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im Februar 2021 schon mehr als ein Jahr und einen Monat in Untersuchungshaft befinden würde und der Eingang der Akten beim Landgericht über acht Monate zurücklag. Eine solche späte Terminierung hätte unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots nur mit gewichtigen Gründen gerechtfertigt werden können, die ausweislich des angegriffenen Beschlusses nicht ersichtlich sind.

bb) Das Oberlandesgericht legt auch nicht in der gebotenen Begründungstiefe dar, dass sich die Verzögerung aus einer einmaligen und vorübergehenden Belastung der 2. Strafkammer mit einem ab dem 16. September 2020 und im gesamten vierten Quartal 2020 verhandelten Großverfahren ergebe. Die Ausführungen des Senats lassen nicht erkennen, ob die Belastungssituation der Strafkammer tatsächlich unvorhersehbar und unvermeidbar war, oder ob die Strafkammer nicht bereits vorher dauerhaft, nicht nur vorübergehend überlastet war und damit letztlich eine unzureichende Personalausstattung oder -verwaltung die wesentliche Ursache für die Verfahrensverzögerungen war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 72), denn der angegriffene Beschluss verhält sich nicht dazu, ob die vom Oberlandesgericht angenommene Überlastung durch das anhängige Großverfahren nicht bereits deutlich vor dem Anbringen der Überlastungsanzeige erkennbar gewesen ist. Das Oberlandesgericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Staatsanwaltschaft in dem angeführten Großverfahren schon Mitte Dezember 2019 Anklage erhob und die Hauptverhandlung erst - wie es der Tagespresse zu entnehmen ist - für die Zeit ab dem 16. September 2020 bis zum 21. Dezember 2020, mithin ebenfalls neun Monate nach Akteneingang, angesetzt war. Das Oberlandesgericht lässt auch Ausführungen dazu vermissen, dass die Vorsitzende der 2. Strafkammer schon am 11. Februar 2020 in einem anderen Verfahren bereits von „Überlastung und massiver Belastung mit vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen“ berichtete. Tragfähig rechtfertigende Gründe dafür, weshalb die Überlastung beim Präsidium des Landgerichts erst am 28. September 2020, also deutlich über drei Monate nach Anklageerhebung und deutlich über zwei Monate nach Abschluss der Nachermittlungen angezeigt wurde, sind nicht in der erforderlichen Begründungstiefe dargetan.

cc) Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts setzt sich schließlich nicht in der gebotenen Begründungstiefe mit den vom Präsidium des Landgerichts aus Anlass der Überlastungsanzeige getroffenen Abhilfemaßnahmen auseinander. Der Senat wäre insoweit gehalten gewesen, ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation der Strafkammer darzulegen, inwieweit die Umverteilung des Verfahrens rechtzeitig, geeignet und hinreichend wirksam war, um die Voraussetzungen für eine dem Beschleunigungsgebot genügende Verfahrensgestaltung (wieder) herzustellen, oder ob das Präsidium die angezeigte Maßnahme erst zu einem Zeitpunkt getroffen hat, zu dem eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verfahrensführung nicht mehr zu gewährleisten war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, Rn. 35). Es fehlen insbesondere Erörterungen dazu, weshalb das Verfahren erst durch Beschluss des Präsidiums vom 20. Oktober 2020, also gut drei Wochen nach Anzeige der Überlastung am 28. September 2020 umverteilt wurde.

II.

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 28. Oktober 2020 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verletzt. Der Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Die Sache ist an das Landgericht München II zurückzuverweisen, da die Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts im besonderen Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO mit dem Beginn der Hauptverhandlung in der anhängigen Strafsache endet (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 121 Rn. 31). Deshalb wird das Landgericht als das nun zuständige Gericht unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer zu entscheiden haben.

III.

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

C.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 - 2 BvR 225/20 -, Rn. 84). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 285

Bearbeiter: Holger Mann