hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 250

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 526/19, Beschluss v. 16.12.2020, HRRS 2021 Nr. 250


BGH 4 StR 526/19 - Beschluss vom 16. Dezember 2020 (OLG Hamm)

BGHSt; Straßenverkehrsordnung; sonstige Pflichten von Fahrzeugführenden (elektronischer Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist).

§ 23 Abs. 1a StVO

Leitsätze

1. Ein elektronischer Taschenrechner unterfällt als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO. (BGHSt)

2. § 23 Abs. 1a StVO ist wirksam. Die Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 neu gefasst worden. Diese Neufassung erfüllt die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG an die Wirksamkeit von Rechtsverordnungen stellt, indem sie sich auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die im Vorspruch zur Änderungsverordnung ordnungsgemäß angegeben ist. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass der Verordnungsgeber die Regelung der Benutzung elektronischer Geräte durch Kraftfahrzeugführer auf die allgemeine Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 3 erster Halbsatz StVG gestützt hat.

Entscheidungstenor

Ein elektronischer Taschenrechner unterfällt als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lippstadt hat den Betroffenen mit Urteil vom 11. Februar 2019 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit „verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer“ zu einer Geldbuße von 147,50 € verurteilt.

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen überschritt der Betroffene, ein Immobilienmakler, am 22. Mai 2018 bei einer Fahrt mit seinem Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Während der Fahrt hielt er einen elektronischen Taschenrechner in der Hand, mit dem er die Provision eines bevorstehenden Kundentermins berechnete.

Der Betroffene hat form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und diesen begründet. Er wendet sich mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen die tateinheitliche Verurteilung wegen verbotswidriger Benutzung eines elektronischen Geräts.

Das Oberlandesgericht Hamm, das die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen, sieht sich daran aber durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. Juni 2018 ? 2 Ss OWi 175/18 ? gehindert. Da das Oberlandesgericht Oldenburg auf Anfrage erklärt hat, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten, hat das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 15. August 2019 die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Beantwortung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Fällt ein reiner (elektronischer) Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, unter § 23 Abs. 1a StVO? Der Generalbundesanwalt ist der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts beigetreten und beantragt, entsprechend zu beschließen.

II.

Die Vorlage ist gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG zulässig.

1. Die Vorlagefrage betrifft die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, mithin eine Rechtsfrage.

2. Die Rechtsfrage ist auch entscheidungserheblich.

a) § 23 Abs. 1a StVO ist wirksam und daher vom vorlegenden Gericht bei seiner Entscheidung anzuwenden. Die Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 (BGBl. I, S. 3549) neu gefasst worden. Diese Neufassung erfüllt die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG an die Wirksamkeit von Rechtsverordnungen stellt (vgl. BVerfGE 101, 1; 136, 69; 151, 173), indem sie sich auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die im Vorspruch zur Änderungsverordnung ordnungsgemäß angegeben ist. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass der Verordnungsgeber die Regelung der Benutzung elektronischer Geräte durch Kraftfahrzeugführer auf die allgemeine Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 3 erster Halbsatz StVG gestützt hat.

b) Das Oberlandesgericht Hamm kann die Rechtsbeschwerde nicht wie beabsichtigt als unbegründet verwerfen, ohne von tragenden Gründen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg zur Auslegung des § 23 Abs. 1a StVO abzuweichen.

3. Die Vorlegungsfrage ist allerdings zu weit gefasst. Sie schließt mehrere tatbestandliche Varianten der elektronischen Geräte im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO ein, während die Divergenz ? wie sich aus dem Vorlagebeschluss und der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg ergibt ? allein die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des elektronischen Geräts, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, betrifft.

Der Senat fasst die Vorlegungsfrage daher wie folgt:

Unterfällt ein elektronischer Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO?

III.

Der Senat entscheidet die Vorlagefrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

Durch die 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 (BGBl. I, S. 3549) ist die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO grundlegend umgestaltet worden. An die Stelle der früheren, vom Verordnungsgeber nicht mehr als zeitgemäß erachteten Verbotsnorm des § 23 Abs. 1a StVO aF, die lediglich für Mobil- oder Autotelefone galt, ist eine als Gebotsvorschrift ausgestaltete Bestimmung getreten, welche die Voraussetzungen regelt, unter denen die in der Vorschrift genannten elektronischen Geräte beim Führen eines Fahrzeugs benutzt werden dürfen. Mit der Neuregelung verfolgte der Verordnungsgeber den Zweck, im Interesse einer Verbesserung der Verkehrssicherheit die Reichweite der Regelung über den bisherigen Bereich der Mobil- und Autotelefone hinaus auszudehnen und eine Benutzung der in der Vorschrift näher bezeichneten elektronischen Geräte davon abhängig zu machen, dass die Hände des Fahrzeugführers während der Fahrt grundsätzlich zur Bewältigung der Fahraufgaben zur Verfügung stehen und der Blick des Fahrzeugführers im Wesentlichen ? von kurzen Blickabwendungen abgesehen ? auf das Verkehrsgeschehen konzentriert bleibt (vgl. Entwurfsbegründung BRDrucks. 556/17, S. 16, 25 f.). § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO schreibt unter anderem vor, dass derjenige, der ein Fahrzeug führt, ein elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen darf, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und die weiteren in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 StVO normierten Anforderungen an die mit der Benutzung verbundenen Tätigkeiten erfüllt sind.

Zu den elektronischen Geräten, die der Information dienen oder zu dienen bestimmt sind, gehört auch ein elektronischer Taschenrechner. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO.

1. Nach der Wortbedeutung des Begriffs der Information handelt es sich bei elektronischen Geräten zur Information um Geräte, die der Unterrichtung über jegliche einer Mitteilung zugängliche Umstände dienen (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 134, 194, 198; OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. Juli 2019 ? 1 Ss (OWi) 87/19; Will, NJW 2019, 1633, 1636). Für die Informationsfunktion des Geräts ist es ausgehend vom Wortsinn weder von Bedeutung, ob der Gegenstand der Unterrichtung bereits in dem Gerät gespeichert vorhanden ist oder erst im Wege der Datenübertragung auf das Gerät übermittelt wird, noch hängt sie davon ab, dass der Gegenstand der Unterrichtung im Zuge der Gerätenutzung auf dem Gerät gespeichert wird. Danach ist auch die Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners zur Ermittlung eines auf dem Gerät ablesbaren Ergebnisses als Informationsvorgang anzusehen, so dass der Taschenrechner nach dem Wortlaut der Norm als Gerät zur Information der Regelung des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO unterfällt.

2. Mit der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO wollte der Verordnungsgeber das Benutzen elektronischer Geräte während des Führens eines Fahrzeugs nicht ausnahmslos untersagen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollte aber die Nutzung von Geräten aus den in der Vorschrift im einzelnen aufgeführten Gerätekategorien im Interesse der Verkehrssicherheit an die Erfüllung der strengen Anforderungen geknüpft werden, die in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 und 2 StVO normiert sind. Den Materialien zu der Änderungsverordnung ist weiterhin zu entnehmen, dass die in der Bestimmung genannten Gerätekategorien umfassend der Nutzungsregelung des § 23 Abs. 1a StVO unterstellt werden sollten (vgl. BRDrucks. 556/17, S. 3, 16). Der ausdrücklich verlautbarte Wille des Verordnungsgebers, sämtliche Geräte aus den aufgeführten Gerätekategorien zu erfassen, spricht für eine weite, die Wortbedeutung ausschöpfende Auslegung des Tatbestandsmerkmals des der Information dienenden Gerätes. Die in der Verordnungsbegründung beispielhaft genannten Geräte (vgl. BRDrucks. 556/17, S. 27) zeigen zudem ebenso wie die Geräte, die Gegenstand der in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO aufgenommenen klarstellenden Einbeziehungsregelung sind, dass es für die Subsumtion unter die Gerätekategorien des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO ? von den Geräten der elektronischen Kommunikation abgesehen ? weder auf eine Datenübertragung auf das Gerät noch eine Speicherfunktion des Geräts ankommen sollte.

3. Schließlich streitet auch der Zweck der Vorschrift für dieses Auslegungsergebnis. Die Bestimmung des § 23 Abs. 1a StVO dient dem Ziel, durch eine Regelung der Anforderungen, die bei der Nutzung der tatbestandlich erfassten elektronischen Geräte während des Führens eines Fahrzeugs einzuhalten sind, Gefahren für die Verkehrssicherheit zu verhindern, die aus einem Aufnehmen und Halten des Geräts oder einer mit der Gerätenutzung verbundenen nicht nur unwesentlichen Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens resultieren können. Eine solche Gefahrenlage ist auch bei der Benutzung eines elektronischen Taschenrechners beim Führen eines Fahrzeugs gegeben.

4. Auf die vom Generalbundesanwalt in den Vordergrund gerückte Frage, ob ein elektronischer Taschenrechner als tragbarer Flachrechner im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO anzusehen ist, kommt es nach alledem nicht mehr an.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 250

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner