HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 131
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 318/20, Beschluss v. 19.11.2020, HRRS 2021 Nr. 131
§ 64 StGB setzt nicht voraus, dass der Suchtmittelgebrauch „handlungsleitend“ ist; eine Mitursächlichkeit ist ausreichend. Entscheidungstenor 1. Auf die Revision des Beschwerdeführers wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 13. Februar 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Strafkammer hat ihre Entscheidung maßgeblich wie folgt begründet:
„Anhaltspunkte für das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen einem Hang des Angeklagten und der festgestellten Taten hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Zum Tatzeitpunkt lebte der Angeklagte von Sozialhilfe und verfügte nicht über ein regelmäßiges Einkommen. Die festgestellten Taten dienten dem Angeklagten […] nicht der Drogenfinanzierung, sondern allgemein der Verbesserung seiner finanziellen Situation. So ließ sich der Angeklagte […] dahingehend ein, dass er nach seiner Haftentlassung nur konsumierte, wenn ihm Geld zur Beschaffung zur Verfügung stand. Die Beute aus Fall 1 habe er in erster Linie an Spielautomaten „verzockt“ und den Rest für Drogen ausgegeben. Die Verwendung der Tatbeute diente damit zwar auch der Finanzierung des Rauschmittelkonsums, war allerdings nicht handlungsleitend, sondern lediglich Folge der neuen finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten“.
2. Die Ablehnung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen einem (möglichen) Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und den festgestellten Taten begegnet im Ergebnis durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Der Symptomwert der festgestellten Tat für den Hang des Angeklagten (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2013 - 2 StR 174/13, BeckRS 2013, 15926 mwN, und vom 16. Oktober 2019 - 2 StR 306/19, BeckRS 2019, 30971) liegt ebenfalls nahe. Vor dem Hintergrund, dass sich der Angeklagte nach eigener Einlassung Betäubungsmittel beschafft, sobald er dafür die finanziellen Mittel hat (UA S. 39), er wegen zahlreicher Vermögensstraftaten vorbelastet ist, nicht über ein reguläres Einkommen verfügt und das Erlangte der Tat zu Fall II.1 auch für Betäubungsmittel aufwandte, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Betäubungsmittelkonsum für die Begehung der Straftaten jedenfalls mitursächlich war. Eine Mitursächlichkeit wäre ausreichend; § 64 StGB setzt nicht voraus, dass der Suchtmittelgebrauch „handlungsleitend“ ist, wovon das angefochtene Urteil auszugehen scheint (vgl. UA S. 40; vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2013 - 2 StR 174/13, BeckRS 2013, 15926 mwN, und 15. März 2000 - 2 StR 46/00, BeckRS 2000, 3833)“.
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Weil das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen gemäß § 64 StGB nicht von vornherein ausscheidet, insbesondere die Annahme eines Hangs mit Blick auf den festgestellten langjährigen Betäubungsmittelkonsum sowie die Verurteilungen des Angeklagten wegen Vermögensdelikten und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz jedenfalls möglich erscheint, muss über die Maßregelanordnung neu verhandelt werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht; er hat deren fehlende Anordnung nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 30. Juli 2019 - 2 StR 93/19, NStZ-RR 2020, 37, 38).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 131
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner