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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1243

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 ZB 1/20, Beschluss v. 10.06.2020, HRRS 2021 Nr. 1243


BGH 3 ZB 1/20 - Beschluss vom 10. Juni 2020

BGHSt; richterliche Anordnung der Datenerhebung durch längerfristige Observation und den Einsatz technischer Mittel; unbestimmter Rechtsbegriff der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ (Prognose: Verhalten des Betroffenen, hinreichend zuverlässige Tatsachenbasis, konkrete tatsächliche Anhaltspunkte; Wahrscheinlichkeitsmaßstab: keine überspannten Anforderungen; Möglichkeit anderer Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen).

§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG; § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG; § 58a Abs. 1 AufenthG

Leitsätze

1. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung grundsätzlich bindend. Es überprüft aber im Rahmen der Rechtsbeschwerde ihre Beurteilung in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe. (BGHSt)

2. Das individuelle Verhalten einer Person begründet die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird, wenn sich aus ihrem Verhalten auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachenbasis konkrete tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sich jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Es reicht dabei nicht aus, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet ist. Ebenso wenig genügen reine Vermutungen oder bloße Spekulationen. (BGHSt)

3. An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, keine überspannten Anforderungen zu stellen. (BGHSt)

4. Insbesondere steht der Prognose nicht entgegen, dass andere Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht ausgeschlossen sind. Sind die für eine Gefahrprognose sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies für die erforderliche konkrete Wahrscheinlichkeit aus. (BGHSt)

5. Verdachtsfälle, die bereits eine (endgültige) Abschiebung ohne vorherige Androhung tragen, beziehungsweise wertungsmäßig ähnlich gewichtige Fälle müssen jedenfalls auch für die Rechtfertigung des weniger schwerwiegenden Eingriffs der Datenerhebung durch längerfristige Observation ausreichen. (BGHSt)

6. Anknüpfungspunkt der Prognose muss stets das Verhalten des Betroffenen sein. Allein seine Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten, reicht nicht aus. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen oder Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Betroffenen in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu stabilisieren oder gar zu bestärken. (BGHSt)

7. Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ist der gebotenen richterlichen Begriffskonturierung zugänglich. Insbesondere ist sie auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot verfassungsgemäß. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Landes , vertreten durch das Polizeipräsidium O., wird der Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben.

2. Die Datenerhebung durch längerfristige Observation und den Einsatz technischer Mittel (Foto- und Videotechnik, GPS-Sender) gegen den Betroffenen wird für die Dauer von drei Monaten für den räumlichen Bereich der Bundesländer und angeordnet.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Polizeipräsidiums O. gegen den Beschluss des Amtsgerichts F. zurückgewiesen, mit dem dieses die beantragte richterliche Anordnung der Datenerhebung durch längerfristige Observation und den Einsatz technischer Mittel gegen den Betroffenen gemäß § 15 HSOG abgelehnt hatte. Die - zugelassene - Rechtsbeschwerde des Landes , vertreten durch das Polizeipräsidium O., führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Anordnung der beantragten Datenerhebung.

A.

I. Am 22. November 2019 hat das Polizeipräsidium O. hinsichtlich des Betroffenen die richterliche Anordnung der Datenerhebung durch längerfristige Observation und den Einsatz technischer Mittel gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) beantragt. Das Amtsgericht F. - Vormundschaftsgericht - hat den Antrag durch Beschluss vom abgelehnt, weil die für den Erlass der Anordnung erforderliche konkrete Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts nicht gegeben sei; der dagegen gerichteten Beschwerde hat es mit Beschluss vom nicht abgeholfen.

Das Oberlandesgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom die Beschwerde zurückgewiesen und ausgeführt, von dem Betroffenen gehe keine im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG durch konkretisierende Elemente qualifizierte abstrakte Gefahr aus. Das individuelle Verhalten des Betroffenen begründe im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose derzeit keine konkrete Wahrscheinlichkeit, dass er innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werde.

II. Mit seiner im Beschluss des Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich das Land gegen die ablehnende Entscheidung und beantragt, den Beschluss aufzuheben und die begehrte längerfristige Observation für die Dauer von drei Monaten für den räumlichen Bereich der Bundesländer und anzuordnen.

B.

Die aufgrund der Zulassung durch das Oberlandesgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg (§§ 70, 72, 74 FamFG).

I. Das Oberlandesgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

II. Die Verneinung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen wie folgt begründet, wobei es davon ausgegangen ist, von dem Betroffenen müsse eine durch „konkretisierende Elemente qualifizierte abstrakte Gefahr“ ausgehen:

III. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG und damit auf einer Verletzung des Rechts im Sinne von § 72 Abs. 1 FamFG. Das Oberlandesgericht hat den Bedeutungsgehalt der Eingriffsvoraussetzungen, deren korrekte Rechtsanwendung der vollständigen Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterliegt (dazu 1.), verkannt und einen zu strengen Beurteilungsmaßstab angelegt (dazu 2.).

1. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung grundsätzlich bindend (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, §§ 559, 564 ZPO; vgl. auch Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 74 Rn. 29 f.; MüKo-FamFG/Fischer, 3. Aufl., § 74 Rn. 6 f.). Es überprüft aber im Rahmen der Rechtsbeschwerde ihre Beurteilung in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe. In Fällen, in denen eine individuelle Beurteilung nicht typisierbarer Einzelfälle, die Beurteilung persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, eine Prognose oder eine aus sonstigen besonderen Gründen nicht über den Einzelfall hinaus verallgemeinerungsfähige Entscheidung erforderlich ist, steht dem Tatrichter allerdings ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 2017 - XII ZB 90/17, juris Rn. 13; vom 30. September 2015 - XII ZB 53/15, NJW-RR 2016, 1 Rn. 18; BayObLG, Beschlüsse vom 22. November 1995 - 3Z BR 230/95, juris Rn. 12; vom 14. April 1992 - 1Z Berufung 27/92, NJW-RR 1992, 1219, 1220; Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 4. Aufl., § 72 Rn. 16; Bahrenfuss/Joachim, FamFG, 3. Aufl., § 72 Rn. 9; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 72 Rn. 17 ff.; Bork/Jacoby/Schwab/Müther, FamFG, 3. Aufl., § 72 Rn. 15.1; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, 6. Aufl., § 72 Rn. 16).

Damit obliegt dem Senat die Prüfung, ob das Oberlandesgericht den Rechtbegriff der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ zutreffend erfasst und ausgelegt hat, d.h. vor allem die dem Begriff zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe erkannt und herangezogen hat, und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt sowie vollständig und widerspruchsfrei ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze gewürdigt worden sind.

2. Nach den genannten Maßstäben hat das Oberlandesgericht den Bedeutungsgehalt des unbestimmten Rechtsbegriffs der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ verkannt.

a) § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG gestattet die Datenerhebung durch Observation und den Einsatz technischer Mittel über Personen, deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werden, wenn die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftat erforderlich ist.

aa) Die Frage, welche Voraussetzungen hierfür im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist bislang ungeklärt, insbesondere ist sie bisher nicht höchstrichterlich entschieden worden.

(1) Eine Legaldefinition der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ findet sich weder im HSOG noch in anderen Polizeigesetzen, welche die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Eingriffsmaßnahme ebenso normieren (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKAG auf Bundesebene sowie auf Landesebene etwa § 23b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PolG BW, § 63 Abs. 2 Nr. 3 SächsPVDG, § 20c Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW sowie Art. 36 Abs. 2 PAG i.V.m. Art. 11 Abs. 3 PAG). Gesetzlich aufgegriffen wird die Formulierung lediglich im bayerischen Polizeiaufgabengesetz, in dem sie einen Teil der Legaldefinition für eine „drohende Gefahr“ darstellt (vgl. Art. 11 Abs. 3 PAG).

Auch die Rechtsprechung hat bisher weder für das HSOG noch für andere Polizeigesetze eine nähere Begriffsbestimmung vorgenommen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 7. März 2019 - Vf. 15-VII-18, juris; OLG München, Beschluss vom 1. April 2019 - 34 Wx 289/18, NJW 2019, 2404; krit. dazu Kremer, GSZ 2019, 175).

(2) Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ist der gebotenen richterlichen Begriffskonturierung zugänglich. Insbesondere ist sie entgegen einer vereinzelt in der Literatur vertretenen Auffassung auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot verfassungsgemäß. Insoweit gilt:

Die Norm wurde durch das Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen vom 25. Juni 2018 (GVBl. vom 3. Juli 2018, S. 302 ff.) neu gefasst. Die Neufassung sollte Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts insbesondere zum Gefahrvorfeld beziehungsweise zur Straftatenverhütung umsetzen (LT-Drucks. 19/6502, S. 23 f.; vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 [BKAG]).

Das Bundesverfassungsgericht hatte insoweit betont, dass der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht darauf beschränkt ist, Eingriffsmaßnahmen an das Vorliegen einer Gefahrenlage zu knüpfen, sondern für bestimmte Bereiche mit dem Ziel bereits der Straftatenverhütung die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduzieren kann. Bei terroristischen Straftaten gilt dies auch dann, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]).

Diese Formulierung hat der Landesgesetzgeber wörtlich in § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG übernommen. Der Bedeutungsgehalt der Tatbestandsmerkmale ergibt sich hinreichend klar und bestimmt aufgrund ihrer Herleitung aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie aus der Gesetzeshistorie und ist eine verlässliche Basis zur Definition der Eingriffsschwelle (vgl. OLG München, Beschluss vom 1. April 2019 - 34 Wx 289/18, NJW 2019, 2404 Rn. 92; s. auch Holzner, DÖV 2018, 946, 950).

Das Bundesverfassungsgericht hatte insoweit ausgesprochen, der Gesetzgeber könne auf die von ihm aufgestellten Maßstäbe „abstellen“. Aus dem weiteren Hinweis, dass die diesbezüglichen Anforderungen normenklar zu regeln seien (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 164 [BKAG]), ist nicht zu folgern, eine Übernahme der durch das Bundesverfassungsgericht selbst formulierten Maßstäbe sei normenunklar. Er ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass eine gesetzgeberische Umsetzung ebenso normenklar sein müsse wie die gemachten Vorgaben, wenn und soweit der Gesetzgeber sich zu einer anderen Umschreibung entscheiden sollte (a.A. Gazeas, Stellungnahme 17/945 zur Anhörung des Innenausschusses Nordrhein-Westfalens, S. 12 f.; Kremer, GSZ 2019, 175, 176; Löffelmann, GSZ 2018, 85, 87; krit. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., D. Rn. 46).

bb) Der Senat umschreibt nach alledem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG wie folgt:

Das individuelle Verhalten einer Person begründet die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird, wenn sich aus dem Verhalten dieser Person, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass eine Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann, auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachenbasis konkrete tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sich in der Person des Betroffenen jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Es reicht dabei nicht aus, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet ist. Ebenso wenig genügen reine Vermutungen oder bloße Spekulationen.

Anknüpfungspunkt der Prognose muss stets das Verhalten des Betroffenen sein, nicht etwa allein seine Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen oder Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Betroffenen in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu stabilisieren oder gar zu bestärken.

An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, keine überspannten Anforderungen zu stellen.

Insbesondere steht der Prognose nicht entgegen, dass andere Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht ausgeschlossen sind. Sind die für eine Gefahrprognose sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies für die erforderliche konkrete Wahrscheinlichkeit aus.

cc) Die vorgenommene Konturierung ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:

(1) § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG erfordert nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck weder eine „konkrete Gefahr“ im polizeirechtlichen Sinne noch einen strafrechtlichen Anfangsverdacht. Eine Datenerhebung ist bereits bei einem geringeren Verdachtsgrad zulässig.

(a) Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch haben die Begriffe „Wahrscheinlichkeit“ und „Gefahr“ eine unterschiedliche Bedeutung und sind nicht identisch.

(b) Auch die Gesetzessystematik spricht für eine unterschiedliche Begriffsbestimmung. Dies folgt bereits aus der inneren Systematik der Norm selbst, weil beispielsweise § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HSOG ausdrücklich eine (konkrete) „Gefahr“ voraussetzt und auch in anderen Absätzen der Gefahrbegriff verwendet wird (etwa „dringende Gefahr“ Abs. 4 oder Abs. 6).

(c) Ein weiterer Beleg ist die vorgenannte Entstehungsgeschichte der Norm. Der Landesgesetzgeber hat die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts wörtlich zur Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben übernommen. Nach seinem Willen sollten demnach die Eingriffsvoraussetzungen unterhalb der Schwelle einer konkreten Gefahr ansetzen.

(d) Dafür sprechen auch Sinn und Zweck der Norm.

Diese will ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drucks. 19/6502, S. 36) und des Gesetzeswortlauts terroristische Straftaten „verhüten“. Sie dient demnach der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ (vgl. § 1 Abs. 4 HSOG) und ist Teil des gegenüber der klassischen Gefahrenabwehr in zeitlicher und sachlicher Hinsicht erweiterten Aufgabenkreises der Polizeibehörden (vgl. BeckOK PolR Hessen/Mühl/Fischer, 17. Ed., HSOG, § 1 Rn. 128 ["weg von der konkreten Tat"]). Die Verhütung von Straftaten setzt für das Tätigwerden der Polizeibehörden keine konkrete Gefahrenlage voraus, sondern ermöglicht polizeiliches Handeln bereits im sog. Gefahrenvorfeld (vgl. BeckOK PolR Hessen/Mühl/Fischer, 17. Ed., HSOG, § 1 Rn. 128; Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 12 f.; BeckOK PolR BW/von der Grün, 18. Ed., § 23b Rn. 17; Darnstädt, GSZ 2017, 16, 18). Sie beruht auf Tatsachenfeststellungen, bei denen ein weit größerer Grad an Ungewissheit in Kauf genommen wird, als dies schon beim Gefahrenverdacht der Fall ist, und auf einem ungleich geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad einer künftigen Straftatbegehung als bei der Gefahrenprognose (vgl. Lisken/Denninger/Rachor/Graulich, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., E. Rn. 153).

Erst recht muss daher für eine Maßnahme nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG noch kein Anfangsverdacht einer Straftat im Sinne des § 152 StPO bestehen, denn die Norm dient gerade der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 13).

(2) Für die weitere Konkretisierung der Eingriffsvoraussetzungen hat der Senat die verfassungsgerichtlichen Vorgaben in den Blick genommen, auf die auch die Formulierung des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG zurückgeht (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]).

(a) Grundrechtseingriffe sind im Rahmen einer mit präventiver Zielsetzung durchgeführten Maßnahme verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen, selbst wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt; auf eine bloße Möglichkeit darf die Wahrscheinlichkeitsschwelle nicht herabgesenkt werden, und zwar selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 u.a., BVerfGE 120, 274, 326, 327 [Online-Durchsuchung]; BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 - 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320, 369 f. [Rasterfahndung]).

Zwar darf die Wahrscheinlichkeit, mit der auf eine geplante Straftat geschlossen werden kann, desto geringer und die dem Verdacht zugrundeliegenden Tatsachen desto weniger fundiert sein, je gewichtiger das bedrohte Rechtsgut ist und je weitergehend es beeinträchtigt werden würde. Die Tatsachen müssen aber den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen sowie darauf zulassen, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Ãœberwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt werden und weitgehend auf sie beschränkt werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 u.a., BVerfGE 120, 274, 327, 328 f. [Online-Durchsuchung]; s. auch BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., BVerfGE 125, 260, 330 f. [Vorratsdatenspeicherung]; vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 668/04, BVerfGE 113, 348, 386 [TKÃœ nach NdsSOG]; Beschlüsse vom 4. April 2006 - 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320, 360 f. [Rasterfahndung]; vom 3. März 2004 - 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33, 60 f. [Zollkriminalamt]; Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a., BVerfGE 100, 313, 392 f. [BND]).

(b) Heimliche Ãœberwachungsmaßnahmen mit hoher Eingriffsintensität sind im Bereich der Gefahrenabwehr, bei der es entscheidend auf das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter ankommt, grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn eine Gefährdung der Rechtsgüter im Einzelfall hinreichend konkret absehbar und der Adressat der Maßnahmen aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach in sie verfangen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 108 f. [BKAG]). Verfassungsrechtlich ausreichend sind insoweit jedenfalls die Anforderungen zur Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 111 [BKAG]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 - 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320, 360 ff. [Rasterfahndung]).

Von Verfassungs wegen ist der Gesetzgeber aber nicht auf diese Gefahrenlagen beschränkt. Für bestimmte Bereiche mit dem Ziel bereits der Straftatenverhütung können verfassungsrechtlich reduzierte Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs ausreichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]).

(aa) Eine hinreichend durch tatsächliche Umstände konkretisierte Gefahr muss zwar auch in diesen Fällen bestehen. Ausreichend ist aber, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]).

(bb) Bei im Raum stehenden terroristischen Straftaten können die Anforderungen von Verfassungs wegen weiter reduziert werden.

Insoweit sind heimliche Überwachungsmaßnahmen verfassungsrechtlich bereits dann zulässig, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Dies ist beispielsweise bei der Einreise aus einem ausländischem Ausbildungslager für Terroristen der Fall (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112).

Die Zulässigkeitsgrenze dieses mit Blick auf die vorbeugende Bekämpfung terroristischer Straftaten personalisierten Gefahrenbegriffs (vgl. Darnstädt, DVBl 2017, 88 ff.; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677, 680; hieran festhaltend BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2835/17, juris Rn. 141) verläuft jedoch dort, wo der Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr verlegt wird, nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage hochambivalent ist, weil die Geschehnisse in harmlosem Zusammenhang verbleiben, aber auch den Beginn eines Vorgangs bilden können, der in eine Gefahr mündet. Dies ist etwa der Fall, wenn lediglich bekannt ist, dass der Betroffene sich zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 113 [BKAG]).

(3) Hinsichtlich der durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht weiter präzisierten Merkmale „individuelles Verhalten“ und „in überschaubarer Zukunft“ gilt:

(a) Die Formulierung „individuelles Verhalten“ (krit. zum Begriff Schenke/ Graulich/Ruthig, BKAG, 2. Aufl., § 45 Rn. 14; s. aber auch Griebel/Schäfer, NVwZ 2020, 511, 514) setzt voraus, dass das Verhalten einen Anknüpfungspunkt im Tatsächlichen bildet, der sich von diffusen Anhaltspunkten unterscheidet (vgl. Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677, 681). Zugleich darf die Prognose nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen, sondern nur an das individuelle Verhalten der Person; allein aus ihrer Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten, können deshalb keine hinreichenden Rückschlüsse gezogen werden (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, 2. Aufl., § 45 Rn. 14; BeckOK PolR Hessen/Bäuerle, 17. Ed., HSOG § 15 Rn. 47; Darnstädt, DVBl 2017, 88, 95; Wehr, Jura 2019, 940, 948).

(b) Die Bedeutung der Eingriffsvoraussetzung „in überschaubarer Zukunft“ liegt insbesondere in dem Merkmal „überschaubar“, so dass der Eingriffsanlass nicht noch weiter in das Vorfeld einer in Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr verlegt werden darf (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 113 [BKAG]).

Im Übrigen dehnt sich der zulässige polizeiliche Aktionsraum auch in zeitlicher Hinsicht desto weiter aus, je größer das sich abzeichnende Schadenspotential ist. Damit kann bei terroristischen Straftaten, die hochrangige Rechte und Rechtsgüter bedrohen, grundsätzlich auch ein mehrjähriger Zeithorizont noch ein überschaubarer Zeitraum sein (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, 2. Aufl., § 45 Rn. 11).

(4) Maßgeblich ist weiter, dass im Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab keine überspannten Anforderungen zu stellen sind.

Betroffen ist die Verhütung terroristischer Straftaten, deren Eigenart gerade darin besteht, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise begangen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]).

Je ranghöher das Schutzgut und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind von Verfassungs wegen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94, BVerfGE 100, 313, 392 [BND]). Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und die Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr großes Gewicht für die demokratische und freiheitliche Grundordnung haben (vgl. BVerfG, Urteile vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 96 [BKAG]; vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277 Rn. 133 [Anti-Terror-Datei]) und die Folgen terroristischer Anschläge für hochrangige Rechtsgüter verheerend sind.

(5) Zur weiteren Konturierung der Eingriffsvoraussetzungen war schließlich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Maßnahmen nach § 58a AufenthG zu berücksichtigen.

Das Bundesverwaltungsgericht legt zur Konkretisierung einer insoweit vorausgesetzten „terroristischen Gefahr“ denselben Maßstab zugrunde, der Eingriffsvoraussetzung für § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ist. Abschiebungen nach § 58a AufenthG stellen zudem ebenfalls (ausländerrechtliche) Maßnahmen der Gefahrenabwehr dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 12). Verdachtsfälle, die bereits eine (endgültige) Abschiebung ohne vorherige Androhung tragen, beziehungsweise wertungsmäßig ähnlich gewichtige Fälle müssen daher jedenfalls auch für die Rechtfertigung des weniger schwerwiegenden Eingriffs der Datenerhebung durch längerfristige Observation ausreichen. Im Einzelnen:

(a) Nach § 58a Abs. 1 AufenthG kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung erlassen werden, ohne dass es einer Abschiebungsandrohung bedarf.

(b) Die von dem Ausländer ausgehende Bedrohung muss nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten.

Eine Abschiebungsanordnung ist abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab angesichts der besonderen Gefahrenlage schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine besondere Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr umschlagen kann, sofern nicht eingeschritten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 33, 35; Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 17, 19; Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 25, 27; s. zur verfassungsrechtlichen Billigung BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17, NVwZ 2017, 1526 Rn. 42 ff.).

In Bezug auf terroristische Straftaten kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 34; Beschlüsse vom 22. Mai 2018 - 1 VR 3.18, juris Rn. 21; vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 18; Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 26).

Für eine entsprechende Prognose bedarf es einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage; nicht ausreichend sind ein bloßer (Gefahren-)Verdacht, Vermutungen oder Spekulationen. Erforderlich ist eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 37).

Von Bedeutung sind dabei insbesondere die Einbindung und Stellung des Betroffenen in die extremistische beziehungsweise islamistische Szene, sein eventueller Ausstieg aus dem „bürgerlichen Leben“ (Studium, Beruf, Sportverein, Familie), ein etwaiger Besitz extremistischen beziehungsweise islamistischen Propagandamaterials, eine vollendete oder versuchte Ausreise etwa in „IS"-Kampfgebiete, seine Gewaltbereitschaft, die ihm mögliche Verfügbarkeit von Waffen oder Anleitungen zum Bombenbau, ausgesprochene konkrete Drohungen, angekündigte Gewaltakte, eine labile Persönlichkeitsstruktur oder leichte Beeinflussbarkeit, bestehende Selbstmordgedanken, eine fehlende oder vorhandene Stabilisierung durch Familie, Partner oder Verantwortung für Kinder sowie, ob sich der Betroffene nach einer bereits begangenen Tat deradikalisiert hat (vgl. Dörig, jM 2019, 238, 241; s. auch Enders, DÖV 2019, 205, 209; Kulick, AöR 143 [2018], 175, 202 ff.).

Der Prognose steht dabei eine mögliche andere Deutung der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht entgegen. Sind die für einen in überschaubarer Zukunft drohenden Terroranschlag sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2018 - 1 A 4.17, juris Rn. 75).

(c) Ein beachtliches Risiko kann sich in einer Gesamtwürdigung etwa grundsätzlich schon daraus ergeben, dass sich die Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikalislamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten Jihad als verpflichtend ansieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 34; Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 18).

Gleiches gilt, wenn sich die Person freiwillig im Ausland im unmittelbaren Umfeld jihadistischer oder sonstiger terroristischer oder extremistischer Vereinigungen aufgehalten hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 34; Beschluss vom 22. Mai 2018 - 1 VR 3.18, juris Rn. 21) oder sich mit dem Ziel, am militärischen Jihad teilzunehmen oder sich in Fertigkeiten unterweisen zu lassen, die der Begehung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten dienen, ins Ausland zu begeben sucht (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 34).

Ebenso genügt es, wenn ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Betroffener sich in besonderem Maße mit dem radikalextremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in „religiösen“ Fragen regelmäßig austauscht (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 37; vom 27. März 2018 - 1 A 5.17, juris Rn. 36; Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 20; Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 28), oder die Radikalisierung einer solchen Person ein Stadium erreicht, in dem sich dieser nach reiflicher Abwägung verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen, auch wenn dieser Kampf zunächst im Ausland stattfinden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 37).

Dasselbe gilt, wenn ein Betroffener fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 36; Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17, juris Rn. 20), oder eine salafistisch radikalisierte Person mit dem Ziel ausreist oder auszureisen versucht, an dem militärischen oder terroristischen „Kampf zur Verteidigung des Islams“ teilzunehmen oder sich für terroristische Zwecke ausbilden zu lassen, um sodann als „Märtyrer“ ins Paradies einzuziehen; ist eine solche Reise für diese oder andere terroristische Zwecke bestimmt, so ist es für die Annahme jedenfalls einer terroristischen Gefahr grundsätzlich unerheblich, dass diese Person noch keine konkreten Vorstellungen von dem Ort der Begehung terroristischer Straftaten entwickelt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 36).

b) Den sich aus alledem ergebenden Bedeutungsgehalt der Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG hat das Oberlandesgericht verkannt.

Es ist zwar zu Recht - anders als zuvor noch das Amtsgericht - von einer Eingriffsschwelle unterhalb derjenigen einer konkreten Gefahr ausgegangen, hat aber die dem Wahrscheinlichkeitsgrad zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe (vgl. dazu Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 4. Aufl., § 72 Rn. 16) nicht in ihrer vollen Bedeutung erkannt und deshalb einen zu strengen Beurteilungsmaßstab angelegt.

Das Oberlandesgericht hat nicht beachtet, dass mit Blick auf die vorgenannten, aus der Verfassung abgeleiteten Wertungsmaßstäbe, namentlich das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. B.III.2.a)). Zu diesen Wertungsmaßstäben hat es sich nicht verhalten und die zu berücksichtigende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 58a AufenthG nicht in den Blick genommen.

Das Oberlandesgericht hat vielmehr als wertungsmäßigen Vergleichsmaßstab den vom Bundesverfassungsgericht beispielhaft genannten Fall herangezogen, dass eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen in die Bundesrepublik einreist (vgl. S. 16 des Beschlusses; s. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]). Aus diesem Beispiel lässt sich aber nicht folgern, heimliche Überwachungsmaßnahmen seien nur in vergleichbaren Fällen zulässig. Dagegen spricht bereits, dass in derartigen Konstellationen regelmäßig ein Anfangsverdacht einer Straftat nach § 89a StGB besteht, der sogar repressive Eingriffsbefugnisse rechtfertigen würde (vgl. Griebel/Schäfer, NVwZ 2020, 511, 514 Fn. 29), § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG aber als der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und dem Gefahrenabwehrrecht zuzuordnende Norm einen Anfangsverdacht im Sinne des Strafprozessrechts gerade nicht voraussetzt, sondern eine geringere Verdachtsschwelle genügen lässt.

Mit der Anlegung dieses rechtsfehlerhaften Maßstabs hat das Oberlandesgericht auch seinen - sich aus der Prognoseelemente enthaltenden Wahrscheinlichkeitsbetrachtung ergebenden - Beurteilungsspielraum überschritten.

IV. Der Beschluss ist demnach aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG).

1. Der Senat kann in der entscheidungsreifen Sache selbst entscheiden, einer Zurückverweisung bedarf es nicht (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Aufgrund der durch den vorgenannten Rechtsfehler entfallenden Bindungswirkung ist der Senat dabei zu einer eigenen Würdigung und Gewichtung der durch das Oberlandesgericht festgestellten Tatsachen berechtigt (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1993 - V ZR 234/91, BGHZ 122, 308, 316; BayObLG, Beschluss vom 14. April 1992 - 1Z BR 27/92, NJW-RR 1992, 1219, 1220; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 74 Rn. 30, 69).

2. Die Anordnungsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG liegen auf der Grundlage der durch das Oberlandesgericht festgestellten Tatsachen nach Maßgabe der Ausführungen unter B.III.2.a) vor. Aufgrund des Verhaltens des Betroffenen, dessen Identität bekannt ist und auf den sich die Überwachungsmaßnahme weitgehend beschränken lässt, bestehen nach der gebotenen umfassenden Würdigung der durch das Oberlandesgericht festgestellten Umstände ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, dass sich in seiner Person jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Im Einzelnen:

Dass er bisher nicht durch terroristische Straftaten aufgefallen ist, ist ebenso wenig entscheidend wie die Tatsache, dass die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel möglicherweise noch nicht feststehen, denn die Eigenart terroristisch motivierter Anschläge besteht - wie dargelegt - gerade darin, oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt zu werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220 Rn. 112 [BKAG]; BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 36).

An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind dabei ohnehin mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer vorgenannten Eigenart keine überspannten Anforderungen zu stellen.

Unerheblich ist auch, dass eine andere - isolierte - Deutung der festgestellten Tatsachen, wie sie das Oberlandesgericht vorgenommen hat, möglich ist. Entscheidend und ausreichend ist, dass die für eine Gefährdungslage sprechenden Umstände insgesamt mindestens ebenso gewichtig sind wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe. Dies ist hier der Fall.

V. Eine Kostenentscheidung zugunsten der an dem Verfahren beteiligten Behörde unterbleibt, weil ihr über den bloßen Verwaltungsaufwand hinaus keine besonderen Kosten erwachsen sind (vgl. Keidel/Weber, FamFG, 20. Aufl., § 80 Rn. 17).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1243

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede