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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 420

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 174/19, Beschluss v. 14.01.2020, HRRS 2020 Nr. 420


BGH 2 StR 174/19 - Beschluss vom 14. Januar 2020 (LG Kassel)

Urteilsgründe (Dokumentation des Beratungsergebnisses); Ausschluss der Einziehung des Tatertrages oder des Wertersatzes (Erfüllungswirkung nach Forderungsübergang auf eine Versicherung).

§ 267 StPO; § 73 StGB; 73c StGB; § 73e Abs. 1 StGB; § 407 Abs. 1 BGB; § 412 BGB; § 86 VVG; § 116 SGB X

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen das unter Beteiligung der Schöffen gefundene Beratungsergebnis dokumentieren. Sie dienen dazu, dem Revisionsgericht die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen. Deshalb ist es unzulässig, zur Korrektur etwaiger Fehler und zur Absicherung der Entscheidung andere Gründe einzufügen; die Urteilsgründe müssen vielmehr wahrheitsgetreu abgefasst sein und inhaltlich mit dem Beratungsergebnis übereinstimmen.

2. Gemäß § 407 Abs. 1 BGB muss ein neuer Gläubiger eine Leistung, die der Schuldner nach der Abtretung an den bisherigen Gläubiger bewirkt, gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Abtretung bei der Leistung oder der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt. Diese Vorschrift findet auch auf den Übergang einer Forderung kraft Gesetzes, beispielsweise nach § 86 VVG, entsprechende Anwendung (§ 412 BGB), so dass insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.040 Euro gemäß § 73e Abs. 1 StGB ausgeschlossen sein könnte.

3. Zur Kenntnis von den den Forderungsübergang begründenden Tatsachen gehört im Rahmen des § 86 VVG die Kenntnis von der Leistung des Versicherers, da erst diese den Forderungsübergang bewirkt, Anders als beim sozialversicherungsrechtlichen Regress nach § 116 SGB X genügt nicht allein die Kenntnis des Schädigers davon, dass der Geschädigte versichert ist und dass mit einer Leistungspflicht ernsthaft zu rechnen ist. Denn der Schuldner verliert den Schutz des § 407 BGB nicht schon bei fahrlässiger Unkenntnis, sondern nur bei positiver Kenntnis des Forderungsüberganges, der bei § 86 VVG aber erst mit der Zahlung des Versicherers eintritt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 1. Februar 2019 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im gesamten Strafausspruch, soweit es den Angeklagten M. betrifft,

b) im Gesamtstrafenausspruch, soweit es den Angeklagten U. betrifft und

c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit gegen die Beschwerdeführer gesamtschuldnerisch die Einziehung von Wertersatz von mehr als 2.088,21 Euro angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubes schuldig gesprochen. Den Angeklagten U. hat es unter Auflösung der mit Urteil des Amtsgerichts Eschwege vom 23. Februar 2017 gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Eschwege vom 20. September 2016, vom 8. November 2016 und vom 23. Februar 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und den Angeklagten M. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Daneben hat es gegenüber beiden Angeklagten als Gesamtschuldner „die Einziehung eines Betrages“ in Höhe von 3.128,21 Euro und die Einziehung der bei der Tat verwendeten, im Urteilstenor konkret bezeichneten Softair-Pistole angeordnet. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Nach den Urteilsfeststellungen betrat der gesondert Verurteilte G. auf Grundlage eines zuvor mit den Angeklagten vereinbarten Tatplans am 6. September 2015 kurz vor Ladenschluss einen Supermarkt, um gewaltsam Bargeld zu entwenden. Unter Vorhalt einer Softair-Pistole, die ihm zuvor der Angeklagte U. ausgehändigt hatte, forderte er die Herausgabe von Geld. Eine Mitarbeiterin des Supermarktes, die die Waffe für echt hielt, stellte den Kasseneinsatz mit Bargeld in Höhe von 3.128,21 Euro auf einen Tisch. G. ergriff den Kasseneinsatz und flüchtete zu dem außerhalb des Supermarktes auf ihn wartenden Angeklagten M. Beide begaben sich zur Wohnung des Angeklagten U. Das Geld, auf das alle drei Beteiligten Zugriff hatten, teilten sie absprachegemäß gleichmäßig unter sich auf.

Der durch die Tat verursachte Schaden wurde in der Folgezeit durch eine Versicherung reguliert. Während der laufenden Hauptverhandlung hat der Angeklagte M. über seinen Verteidiger einen Betrag in Höhe von 1.040 Euro auf das Konto des Trägers des Supermarktes überweisen lassen.

2. Bei seiner Strafzumessung hat das Landgericht in den Urteilsgründen jeweils den Strafrahmen des minder schweren Falles gemäß § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt. Dabei hat die Strafkammer für beide Angeklagten eingestellt, dass sie die Tat nicht eigenhändig begangen und kein Tatbestandsmerkmal selbst verwirklicht haben. Bezüglich des Angeklagten M. hat die Strafkammer zudem ausgeführt, dass dessen gewichtigere Planungs- und Mitwirkungshandlungen seine geständige Teileinlassung und der zur Schadenswiedergutmachung geleistete Teilbetrag gegenüberstünden. Das Landgericht hat sodann ausgeführt: „Soweit sich die Kammer in der mündlichen Urteilsbegründung im Hinblick auf den Angeklagten M. noch auf die Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 46a Nr. 2, 49 Abs. 1 StGB bezogen hat, liegt eine Schadenswiedergutmachung in diesem Sinne tatsächlich nicht vor. […] Es entsprach aber dem Beratungsergebnis der Kammer, dass der Strafrahmen nur deshalb § 49 Abs. 1 StGB zu entnehmen sei, weil dies ein Günstigkeitsvergleich mit § 250 Abs. 3 StGB notwendig macht; dass dies aber, da sich die Strafuntergrenze nur um sechs Monate unterscheidet, keine Auswirkung auf die konkret auszuwerfende Strafe haben soll.“

II.

1. Die aufgrund der Sachrügen veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum jeweiligen Schuldspruch keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

2. Die Strafaussprüche halten hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Soweit es den Angeklagten M. betrifft, ist bereits die Strafrahmenwahl nicht nachvollziehbar und damit rechtsfehlerhaft; der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat.

aa) Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe aufgrund der Urteilsberatung ursprünglich den nach § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt, der von sechs Monaten bis zu elf Jahren und drei Monate reicht. Dieser sei mit Blick auf den Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) günstiger. Bei Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB hingegen nicht mehr als gegeben erachtet und ist nunmehr von einem minder schweren Fall ausgegangen.

Dies war rechtsfehlerhaft. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen das unter Beteiligung der Schöffen gefundene Beratungsergebnis dokumentieren. Sie dienen dazu, dem Revisionsgericht die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen. Deshalb ist es unzulässig, zur Korrektur etwaiger Fehler und zur Absicherung der Entscheidung andere Gründe einzufügen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai 2017 - 2 StR 427/16, StraFo 2017, 236; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 2d); die Urteilsgründe müssen vielmehr wahrheitsgetreu abgefasst sein und inhaltlich mit dem Beratungsergebnis übereinstimmen (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 656 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel, aaO, mwN).

bb) Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte durch diese rechtsfehlerhafte Strafzumessung beschwert ist.

b) Der Gesamtstrafenausspruch hinsichtlich des Angeklagten U. hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass der Einbeziehung der im Urteilstenor genannten Entscheidung des Amtsgerichts Eschwege vom 20. September 2016 die Zäsurwirkung zweier Strafbefehle aus dem Jahr 2014 entgegenstehen könnte. Die der Verurteilung vom 20. September 2016 zugrundeliegenden Taten waren nämlich zuletzt im Oktober 2013 begangen worden. Diese früheren Vorverurteilungen des Angeklagten könnte - in Abhängigkeit von dem in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten Vollstreckungsständen - eine Zäsurwirkung entfalten (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276, und vom 15. Oktober 2013 - 3 StR 295/13; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1244 f.). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich eine möglicherweise fehlerhafte Gesamtstrafenbildung zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat.

3. Auch die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in der einen Betrag von 2.088,21 Euro übersteigenden Höhe gemäß §§ 73, 73c StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.

Zwar haben die Angeklagten ursprünglich eine Tatbeute in Höhe von 3.128,21 Euro erlangt; allerdings hat der Angeklagte M. über seinen Verteidiger im Verlauf der Hauptverhandlung einen Betrag in Höhe von 1.040 Euro auf das Konto des Trägers des Supermarktes überweisen lassen. Soweit die Strafkammer der Ansicht ist, dieser Betrag sei bei der Einziehungsanordnung nicht zu berücksichtigen, weil dieser Zahlung nach Schadensregulierung durch die Versicherung aufgrund der Legalzession keine unmittelbare Erfüllungswirkung zukomme, greift dies zu kurz.

Gemäß § 407 Abs. 1 BGB muss ein neuer Gläubiger eine Leistung, die der Schuldner nach der Abtretung an den bisherigen Gläubiger bewirkt, gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Abtretung bei der Leistung oder der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt. Diese Vorschrift findet auch auf den Übergang einer Forderung kraft Gesetzes, beispielsweise - wie hier - nach § 86 VVG, entsprechende Anwendung (§ 412 BGB), so dass insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.040 Euro gemäß § 73e Abs. 1 StGB ausgeschlossen sein könnte. Allerdings hat das Landgericht keine näheren Feststellungen getroffen, inwieweit der Angeklagte M. Kenntnis von den den Forderungsübergang begründenden Tatsachen hatte. Dazu gehört im Rahmen des § 86 VVG die Kenntnis von der Leistung des Versicherers, da erst diese den Forderungsübergang bewirkt. Anders als beim sozialversicherungsrechtlichen Regress nach § 116 SGB X (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1163) genügt nicht allein die Kenntnis des Schädigers davon, dass der Geschädigte versichert ist und dass mit einer Leistungspflicht ernsthaft zu rechnen ist. Denn der Schuldner verliert den Schutz des § 407 BGB nicht schon bei fahrlässiger Unkenntnis, sondern nur bei positiver Kenntnis des Forderungsüberganges, der bei § 86 VVG aber erst mit der Zahlung des Versicherers eintritt (BGH, Urteil vom 7. Februar 1966 - II ZR 279/63, VersR 1966, 330 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 420

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner