HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1165
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 556/18, Beschluss v. 25.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1165
1. Der Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 15. Dezember 2017 - 7a StVK 64/17 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. Februar 2018 - 2 Ws 60/18 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. Februar 2018 - 2 Ws 60/18 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
4. Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung.
1. Das Landgericht Bayreuth verurteilte den wegen mehrfachen Diebstahls, versuchter Vergewaltigung in Tatmehrheit mit Mord, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vorbestraften und bereits seit 1994 inhaftierten Beschwerdeführer am 1. März 2004 wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der Beschwerdeführer hatte in der Justizvollzugsanstalt versucht, einen Mithäftling unter der Drohung mit Vergewaltigung und Tötung des Mithäftlings selbst sowie mit sonstigen Gewalttaten gegen dessen Töchter dazu zu veranlassen, seine angeblichen Spielschulden beim Beschwerdeführer in Höhe von 10.000 Euro zu begleichen. Ferner ordnete das Landgericht Bayreuth die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB an, die seit dem 16. September 2010 vollstreckt wird.
2. Das Landgericht Koblenz hat mit angegriffenem Beschluss vom 15. Dezember 2017 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet.
a) Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass der Beschwerdeführer schwere Gewalt- und Sexualstraftaten begehen werde, weil die dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen nicht hinreichend therapeutisch bearbeitet worden sei.
Zwar trete das in der Vergangenheit häufig gezeigte aggressive Verhalten des Beschwerdeführers nicht mehr auf und die erneut gewährten beiden Ausführungen seien beanstandungsfrei verlaufen. Auch führe der Beschwerdeführer weiterhin Einzelgespräche mit dem Anstaltspsychologen, seine Arbeit in der Schlosserei werde als zufriedenstellend beschrieben und im April 2017 sei mit der Maßnahme „Behandlungsgruppe für Gewalttäter“ begonnen worden.
Aber diese Umstände reichten bei weitem noch nicht aus, um eine Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherungsverwahrung in Erwägung zu ziehen. So habe der Beschwerdeführer im September 2017 den Konsum von synthetischen Cannabinoiden eingeräumt. Ferner sei kurze Zeit später bei ihm regelwidrig ein Mobiltelefon gefunden worden. Aufgrund dieser Regelverstöße sei er für sechs Monate von der Arbeit abgelöst und aus der Behandlungsgruppe für Gewalttäter ausgeschlossen worden; auch die kürzeren Ausführungen seien ausgesetzt.
Die Vorfälle sowie die Einlassung des Beschwerdeführers hierzu zeigten, dass er in seiner dissozialen Persönlichkeit nach wie vor verhaftet sei. Er bagatellisiere und externalisiere sein Verhalten weiterhin, obwohl ihm die Konsequenzen der Regelverstöße bekannt gewesen seien. Solange keine weiteren Therapieerfolge erkennbar seien und die äußerst problematische Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers nicht vollständig bearbeitet sei, sei es offenkundig, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.
b) Das Gericht stützte seine Prognose auf ein Sachverständigengutachten vom 15. Januar 2015, auf die Anhörung des Beschwerdeführers vom 15. Dezember 2017 sowie auf die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 8. August und vom 23. November 2017. Ein neues Sachverständigengutachten habe das Gericht nicht eingeholt, da es eine Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherungsverwahrung bei dem gegebenen Sachstand - insbesondere der unzureichenden Behandlung und der im Wesentlichen weiterhin unveränderten, tatauslösenden Persönlichkeitsmerkmale - nicht erwogen habe.
3. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit angegriffenem Beschluss vom 15. Februar 2018 die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Es bestehe keine Notwendigkeit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, weil sich keine durchgreifenden Änderungen seit der letzten Begutachtung ergeben hätten. Eine kritische Auseinandersetzung mit den früheren Straftaten und seiner Persönlichkeitsstörung stehe noch aus. Sein regelwidriges Verhalten (Konsum von Cannabis und Besitz eines Mobiltelefons) zeige, dass er nicht in der Lage sei, sich an die für sein soziales Umfeld geltenden Regeln zu halten. Dies stelle Ausflüsse seiner dissozial und psychopathisch gestörten Persönlichkeit dar und habe keiner weiteren Abklärung durch einen Sachverständigen bedurft.
Daher sei nach wie vor aus konkreten Umständen in der Person und dem Verhalten des unter anderem wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung in Erscheinung getretenen Beschwerdeführers die Gefahr abzuleiten, dass er wieder schwere Gewalt- und Sexualstraftaten begehen werde.
Die weitere Vollstreckung der Maßregel stehe auch nicht außer Verhältnis zu vom Beschwerdeführer drohenden erheblichen Straftaten, bei denen es sich um schwere Gewalt- und Sexualstraftaten handle.
4. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ordnete das Landgericht Koblenz mit rechtskräftigem Beschluss vom 8. Oktober 2018 erneut die Fortdauer des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an.
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt mit seiner mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.
Das Landgericht Koblenz sei von Verfassungs wegen verpflichtet gewesen, zur Vorbereitung der Fortdauerentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zwar folge aus § 463 StPO lediglich die positivrechtliche Verpflichtung, ein legal-prognostisches Gutachten in den Fällen, in denen das Gericht die Aussetzung der Maßregel erwäge, einzuholen. Das sage aber nichts über die verfahrensrechtlichen Erfordernisse in den Fällen aus, in denen das Gericht die Aussetzung nicht erwäge. Da das Gericht die Erledigung der Maßregel erst nach Einholung eines Sachverständigengutachtens beschließen dürfe, müsse dies dem Grundsatz in dubio pro libertate entsprechend erst recht dann gelten, wenn das Gericht die Fortdauer der Sicherungsverwahrung anordnen wolle. Bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung seien alle für und gegen die Aussetzung streitenden Tatsachen zu berücksichtigen; dazu gehörten auch die Befundtatsachen eines vorab einzuholenden Sachverständigengutachtens. Auch wenn eine einfachgesetzliche Verpflichtung zu dessen Einholung nicht bestehe, könne diese sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben. Im vorliegenden Fall sei das letzte Sachverständigengutachten schon circa drei Jahre alt und die Sicherungsverwahrung bestehe bereits seit mehr als sieben Jahren. Auch sei das Gutachten von einer vom Beschwerdeführer abgelehnten Sachverständigen erstellt worden.
1. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mit Schreiben vom 30. Mai 2018 zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Er hält sie für nicht Erfolg versprechend.
a) Die Verfassungsbeschwerde sei bereits unzulässig, da die Substantiierungsanforderungen nicht erfüllt seien. Sie setze sich nicht im ausreichenden Maße mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die hier angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen auseinander. So hätte der Beschwerdeführer dazu Stellung nehmen müssen, dass in den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen die Notwendigkeit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt worden sei, die letzte Begutachtung jeweils deutlich länger zurückgelegen habe als im vorliegenden Fall. Ferner hätte sich die Verfassungsbeschwerde zu dem entscheidungserheblichen Punkt der neueren Entwicklungen in der Person des Beschwerdeführers verhalten müssen, die die Gefahrenprognose beeinflussen könnten.
b) Abgesehen davon sei die Verfassungsbeschwerde auch unbegründet. Gemäß § 463 Abs. 3 Satz 3, § 454 Abs. 2 StPO hole das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen über den Beschwerdeführer ein, wenn es erwäge, die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Das Landgericht Koblenz habe dies bereits nicht getan. Die zugrundeliegenden Ausführungen zum Vollzugsverhalten und zur fortbestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers hielten sich im Rahmen des dem Fachgericht zustehenden Ermessens. Allein der seit der letzten Begutachtung verstrichene Zeitraum von etwa drei Jahren und die Gesamtdauer der bisherigen Sicherungsverwahrung von etwa sieben Jahren vermöchten eine Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens noch nicht zu begründen.
2. Das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz hat von einer Stellungnahme abgesehen.
3. Dem Bundesverfassungsgericht hat das Vollstreckungsheft vorgelegen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297; BVerfGK 4, 176). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Ein Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht ist hinreichend substantiiert dargetan.
aa) Eine § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105, 252 <264>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Der verfassungsrechtliche Bezug ist unter Rückgriff auf die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe herzustellen (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>).
Zur Substantiierung kann außerdem die Vorlage von Dokumenten erforderlich sein, damit dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung der Verfassungsbeschwerde ohne weitere Ermittlungen möglich ist (vgl. BVerfGE 93, 266 <288>). Dementsprechend kann sich das Erfordernis der Vorlage angegriffener Entscheidungen, vorinstanzlicher Entscheidungen, gerichtlicher Schreiben, Sachverständigengutachten, in Bezug genommener Anlagen sowie von Schriftsätzen, Anträgen und Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter ergeben. Zu beachten ist, dass eine bloß pauschale Bezugnahme auf diese Dokumente nicht ausreicht (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).
bb) Demgemäß liegt eine hinreichend substantiierte Rüge des Freiheitsgrund rechts nur vor, soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Gefahrenprognose wendet.
(1) Soweit er eine Verletzung dieses Rechts unter dem Gesichtspunkt der Nichteinholung eines Gutachtens rügt, genügt der Sachvortrag den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht. Denn der Beschwerdeführer hat es unterlassen, Unterlagen vorzulegen, die für die Nachprüfung der angegriffenen Entscheidungen unter diesem Gesichtspunkt unerlässlich sind. Insbesondere hat er die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 8. August und vom 23. November 2017 nicht vorgelegt. Ohne diese Stellungnahmen kann jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob aufgrund neuerer Entwicklungen von Veränderungen in der Persönlichkeit des Beschwerdeführers auszugehen ist, deren Bewertung die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderte.
(2) Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch zulässig, soweit sie sich in der Sache gegen die in den angegriffenen Beschlüssen vorgenommene Gefahrenprognose wendet. Zwar hat der Beschwerdeführer ein darauf bezogenes Begründungsdefizit nicht ausdrücklich gerügt, seinem Vortrag lässt sich eine dahingehende Rüge aber zumindest in der Gesamtschau entnehmen. Denn mit der Forderung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens macht der Beschwerdeführer im Ergebnis geltend, dass der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung das Fehlen der Feststellung einer von ihm ausgehenden Gefahr erheblicher Straftaten in einem den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Umfang entgegensteht. Damit rügt er letztlich eine Verletzung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Begründungsanforderungen an die der Fortdauerentscheidung zugrundeliegende Gefahrenprognose. Da die Überprüfung der Beachtung dieser Anforderungen in den angegriffenen Beschlüssen aber eine Vorlage der Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt vom 8. August und vom 23. November 2017 nicht voraussetzt, ist deren Nichtvorlage diesbezüglich ohne Belang und die Verfassungsbeschwerde insoweit hinreichend substantiiert.
b) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die weitere Fortdauer der Unterbringung zwischenzeitlich mit Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 8. Oktober 2018 erneut angeordnet worden ist. Denn die vorliegend angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Koblenz und des Oberlandesgerichts Koblenz waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 128, 326 <389>). Der Beschwerdeführer hat daher ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer hierauf bezogenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 91, 125 <133>; 104, 220 <234 f.>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Koblenz und des Oberlandesgerichts Koblenz verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie keine hinreichenden Ausführungen zur Gefahrenprognose enthalten.
a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der sogenannten Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die dem Richter auferlegte Prognose erfordert eine wertende Entscheidung. Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 f.>). Es ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten abzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin geeignet sein, die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB zu tragen (entsprechend bezüglich § 63 StGB: BVerfGE 70, 297 <313>).
Die Beurteilung hat sich demnach darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist vor allem aber auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12 -, Rn. 20 ff.).
b) Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Koblenz genügen diesen Maßstäben nicht. Sie enthalten keine hinreichenden Ausführungen zur Art und zum Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftig vom Beschwerdeführer zu erwartender rechtswidriger Taten.
aa) Das Landgericht beschränkt sich in seinem angegriffenen Beschluss darauf festzustellen, dass der Beschwerdeführer seiner dissozialen Persönlichkeit nach wie vor verhaftet sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Vielmehr sei weiterhin aus konkreten Umständen in seiner Person und seinem Verhalten die Gefahr schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten abzuleiten.
Diese Ausführungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr nicht. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die abstrakte Formulierung, dass vom Beschwerdeführer „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ zu erwarten seien, die Art der zu erwartenden Straftaten hinreichend konkretisiert. Dem steht die Vielzahl der in Betracht kommenden Straftaten, die mit sehr unterschiedlichen Strafdrohungen belegt sind, entgegen. Jedenfalls fehlt es an einer hinreichenden Darlegung des Grades der Wahrscheinlichkeit derartiger Straftaten in der Zukunft.
bb) Auch das Oberlandesgericht beschränkt sich auf die Feststellung der Gefahr künftiger „schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten“, ohne diese im Einzelnen zu konkretisieren. Es verweist zwar darauf, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit unter anderem bereits wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung in Erscheinung getreten sei. Ob von ihm allerdings derartige Straftaten erneut zu erwarten sind, kann dem Beschluss nicht entnommen werden. Ebenso wenig erfolgt eine Bezugnahme auf die Anlasstat in Form einer schweren räuberischen Erpressung. Unabhängig davon fehlt es in dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts jedenfalls an der gebotenen Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten.
3. Es ist daher festzustellen, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz ist aufzuheben und die Sache ist aufgrund der prozessualen Überholung durch die abermalige Anordnung der Unterbringung zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2018 - 2 BvR 2071/16 -, Rn. 26, m.w.N.). Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (BVerfGE 7, 99 <109>; stRspr.).
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG und die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1165
Bearbeiter: Holger Mann