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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 826

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 40/19, Urteil v. 05.06.2019, HRRS 2019 Nr. 826


BGH 2 StR 40/19 - Urteil vom 5. Juni 2019 (LG Kassel)

Grundsätze der Strafzumessung (Strafzumessung bei mehreren Tatbeteiligten: unzulässige Gleichbehandlung bei ungleicher Sachlage).

§ 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar ist bei mehreren Tatbeteiligten jeder nach dem Maß seiner Schuld abzuurteilen, so dass die Revision grundsätzlich nicht auf einen Vergleich der Strafzumessung hinsichtlich verschiedener Täter gestützt werden kann. Anders liegt es jedoch ausnahmsweise, wenn es an einer nachvollziehbaren Begründung für eine Gleichbehandlung verschiedener Täter trotz erheblich unterschiedlicher Strafzumessungssachverhalte geht und die Berechtigung dieses Ergebnisses auch nicht aus den sonstigen Urteilsfeststellungen geschlossen werden kann.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 18. Oktober 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt, den Angeklagten F. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten W. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Außerdem hat es zwei Messer eingezogen. Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte, zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte F. hatte Möbel, Elektrogeräte und Kleidungsstücke für die Dauer einer Wohnungssuche in der Wohnung des Zeugen R., der ihm früher Drogen verkauft hatte, untergestellt. Nachdem F. eine Wohnung gefunden hatte, wollte er seine Sachen abholen und stellte verärgert fest, dass R. Teile seiner Stereoanlage in seinem Wohnzimmer aufgebaut hatte. Auch glaubte F., dass R. einige seiner Sachen unterschlagen habe. Er suchte ihn in der Folgezeit mehrfach auf. Am 16. Mai 2018 wollte er erneut Sachen abholen und außerdem 50 Euro von dem Geschädigten fordern, weil er diesem einen solchen Betrag für Haschisch gezahlt, aber keines erhalten hatte. Er fragte den Angeklagten W., ob dieser ihn begleiten wolle. Damit war W. trotz erheblicher Alkoholisierung einverstanden. Die Angeklagten begaben sich zu der Wohnung des Geschädigten und drängten diesen nach Öffnen der Wohnungstür ins Wohnzimmer. F. sprach den Geschädigten wegen „seiner Anlage“ an, der jedoch beteuerte, alle Sachen seien bereits abgeholt worden. F. glaubte, dass der Geschädigte ihn belüge und forderte die Herausgabe von Bargeld und Betäubungsmitteln. Der Angeklagte W. erkannte dessen Absicht und beteiligte sich an der Tat. Die Angeklagten drohten dem Geschädigten: „heute schneiden wir Dich“, worauf er seine Geldbörse hervorholte, die ihm F. aus der Hand riss und das Geld entnahm. Die Angeklagten waren mit dieser Beute in Höhe von 15 Euro nicht zufrieden und versetzten dem Geschädigten jeweils einen Faustschlag ins Gesicht. F. durchsuchte die Wohnung und entdeckte ein ihm gehörendes Küchenmesser, das er auch als Drohmittel einsetzte. W. zog ein mitgeführtes Taschenmesser und drohte dem Geschädigten damit. Daraufhin übergab R. dem Angeklagten F. eine Plombe mit 10,5 g Haschisch. Auch hiermit waren die Angeklagten nicht zufrieden und durchsuchten die Wohnung weiter. Dabei nahm F. zwei Feinwaagen, zwei Teleskopschlagstöcke und einen Faustdolch an sich, während W. eine Dose mit Betäubungsmitteln und das Mobiltelefon des Geschädigten wegnahm. F. übergab W. noch vor Verlassen des Anwesens einen der Schlagstöcke.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten F. weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Vorteil auf, weil die Gleichbehandlung der Angeklagten bei der Strafrahmenwahl nicht nachzuvollziehen ist.

a) Zwar ist bei mehreren Tatbeteiligten jeder nach dem Maß seiner Schuld abzuurteilen, so dass die Revision grundsätzlich nicht auf einen Vergleich der Strafzumessung hinsichtlich verschiedener Täter gestützt werden kann. Anders liegt es jedoch ausnahmsweise, wenn es an einer nachvollziehbaren Begründung für eine Gleichbehandlung verschiedener Täter trotz erheblich unterschiedlicher Strafzumessungssachverhalte geht und die Berechtigung dieses Ergebnisses auch nicht aus den sonstigen Urteilsfeststellungen geschlossen werden kann (vgl. für den umgekehrten Fall der Ungleichbehandlung bei gleicher Sachlage Senat, Beschluss vom 11. August 2010 - 2 StR 318/10, StV 2010, 677, 678).

b) Nach diesem Maßstab ist die Anwendung von § 250 Abs. 3 StGB auf den Angeklagten F. rechtsfehlerhaft.

aa) Das Landgericht hat ausgeführt, erst „unter zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte W. bei der Begehung der Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert war“, sei die Anwendung des § 250 Abs. 3 StGB gerechtfertigt. Danach bleibt unverständlich, warum dies bei dem Angeklagten F. möglich sein soll, obwohl bei diesem die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht vorlagen.

bb) Auch die sonstigen Feststellungen vermögen die Anwendung von § 250 Abs. 3 StGB auf den Angeklagten F. trotz Fehlens eines vertypten Milderungsgrundes nicht zu erklären. Der zur Tatzeit 54-jährige Angeklagte F. war Initiator der Tat, er ist deutlich älter als der zur Tatzeit 23-jährige Angeklagte W. und wesentlich stärker vorbestraft; auch hat er die Tat kurz nach seiner letzten Haftentlassung begangen und war bei allen Teilakten der Tatbegehung führend. Demgegenüber reicht der Hinweis des Landgerichts, dem Angeklagten W. sei der Geschädigte bis zur Tat „völlig unbekannt“ gewesen und er habe seinen Tatentschluss „ohne jeden nachvollziehbaren Grund“ gefasst, nicht aus, um die Gleichbehandlung bei der Anwendung des § 250 Abs. 3 StGB trotz unterschiedlicher Sachlagen hinsichtlich des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zu erklären.

2. Die Strafzumessung im engeren Sinne begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat wesentliche, im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmende Strafzumessungstatsachen zum Vorteil der Angeklagten außer Betracht gelassen.

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte F. dem Geschädigten nicht nur Geld und Drogen weggenommen hat, sondern auch Waffen, nämlich zwei Teleskopschlagstöcke und einen Faustdolch. Dem Angeklagten W., der sich seinerseits Drogen verschafft hat, hat der Angeklagte F. noch „vor Verlassen des Anwesens“ einen Teleskopschlagstock übergeben. Nach diesen Feststellungen verschafften sich beide Angeklagten Betäubungsmittel (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) und sie führten bei der Tatbegehung Waffen mit sich (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB). Darin liegt jeweils ein bestimmender Strafzumessungsgrund, den das Landgericht nicht in seine Abwägung einbezogen hat.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch hinsichtlich beider Angeklagten auf den genannten Rechtsfehlern beruht.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 826

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner