HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 587
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 11/19, Beschluss v. 07.02.2019, HRRS 2019 Nr. 587
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 10. September 2018
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Weiter hat es dem Anerkenntnis des Angeklagten gemäß eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten der Neben- und Adhäsionsklägerin (im Folgenden nur Nebenklägerin) getroffen.
Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich die damals 14jährige Nebenklägerin mit ihrer Freundin, der im Jahr 2005 geborenen Tochter der früheren Lebensgefährtin des Angeklagten, zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt im Januar 2017 zu Besuch und zur Übernachtung in der Wohnung des Angeklagten auf. Am Abend bot der Angeklagte den Mädchen jeweils ca. 4 bis 8 cl Creme-Sahne-Likör an, den beide tranken. Auch der Angeklagte nahm im Verlauf des Abends alkoholische Getränke zu sich und war daher zur Tatzeit enthemmt, aber in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt. In der Nacht, vermutlich zwischen 1.00 und 2.00 Uhr, begab sich der Angeklagte in das Kinderzimmer, in dem beide Mädchen schliefen. Er erkannte, dass die Adhäsionsklägerin tief schlief, und nutzte dies bewusst aus, um mit dieser den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr durchzuführen. Dabei war ihm bekannt, dass die Nebenklägerin zwar körperlich altersgemäß entwickelt war, sie aber in ihrer geistigen Reife noch einem Kind gleichstand und über keine sexuellen Erfahrungen verfügte. Auch erkannte er es als möglich und nicht ganz fernliegend, dass die Nebenklägerin durch die Tat erhebliche psychische Folgen davontragen könnte, und fand sich damit ab.
Die Nebenklägerin wachte am nächsten Morgen mit starken Bauchschmerzen auf und litt unter starker Übelkeit. Wegen der anhaltenden Übelkeit konnte sie in den folgenden vier Wochen die Schule nicht besuchen. Der ungeschützte Geschlechtsverkehr führte zur Schwangerschaft der Nebenklägerin, die erst Anfang Mai 2017 festgestellt wurde. Im Oktober 2017 brachte die Nebenklägerin ihr Kind zur Welt, um dessen Betreuung sie sich mit Unterstützung ihrer Mutter kümmert. Nach dem Tatgeschehen kam es zu Verhaltensänderungen der Nebenklägerin dergestalt, dass sie sich aufmüpfiger gegenüber der Mutter verhielt, sie sich nach außen hin hart zeigte, aber allein viel weinte, sie mit ihrem Schicksal haderte und frustriert war. Beziehungen zu gleichaltrigen Jungen meidet sie seit der Tat, weil sie Sexualkontakte vermeiden will und Sex „eklig“ findet.
1. Der Schuldspruch wegen schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 7 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen und hat daher keinen Bestand.
a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Feststellungen jedenfalls die Annahme einer vorsätzlichen Herbeiführung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung nicht tragen.
aa) Der Tatbestand der schweren Vergewaltigung setzt nach § 177 Abs. 7 Nr. 3 StGB voraus, dass der Täter die Person, an der er gegen ihren erkennbaren Willen eine sexuelle Handlung vornimmt, hierdurch in die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt. Erforderlich ist dabei, dass die Tat für das Opfer eine konkrete Gefahr eines schweren Gesundheitsschadens - hierunter fällt auch die Gefahr einer schweren Schädigung der psychischen Gesundheit (vgl. LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 177 Rn. 282; MüKo/Renzikowski, StGB, 3. Aufl., § 177 Rn. 157 f.; Schroth, NJW 1998, 2861, 2865) - geschaffen hat (vgl. LK/Hörnle aaO Rn. 279; MüKo/Renzikowski aaO Rn. 157, 159). Auf die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung muss sich auch der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 226 ff.; SSW-StGB/Wolters, 4. Aufl., § 177 Rn. 112).
bb) Ob die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Nebenklägerin durch die Tat in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht, von den Feststellungen getragen wird, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Denn jedenfalls die Annahme eines auf diese Gefahr bezogenen bedingten Tatvorsatzes des Angeklagten ist nicht hinreichend belegt. Allein der Hinweis des Landgerichts darauf, dass der Angeklagte das Alter und den Entwicklungsstand der Nebenklägerin gekannt und deren Schlaf gezielt zur Tatbegehung ausgenutzt habe, belegt das Erkennen und die Billigung einer konkreten Gefahr von schweren physischen oder psychischen Folgeschäden für die Nebenklägerin nicht. Im Hinblick darauf, dass die Nebenklägerin nach den Feststellungen tief schlief, als der Angeklagte den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, entbehrt die Annahme des Landgerichts, es habe „auf der Hand“ gelegen, dass die Nebenklägerin durch den sexuellen Übergriff einen psychischen Schaden erleiden könne (UA S. 26), der Grundlage; vielmehr ist sogar naheliegend, dass der Angeklagte wegen des Tiefschlafs der Nebenklägerin annahm, diese werde von dem Tatgeschehen nichts mitbekommen. Auch ansonsten ist nicht beweiswürdigend belegt, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung die Herbeiführung einer konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung der Nebenklägerin in Betracht zog und billigend in Kauf nahm.
b) Auch der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme, der Angeklagte habe die Nebenklägerin unter Ausnutzung einer Zwangslage durch Vornahme von sexuellen Handlungen an ihr missbraucht, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.
Eine Zwangslage im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers voraus (BGH, Urteil vom 25. Februar 1997 - 4 StR 40/97, BGHSt 42, 399, 400 mwN; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 182 Rn. 5 mwN). Hiernach ist eine Zwangslage nicht schon immer dann anzunehmen, wenn die Situation des Jugendlichen nach den Umständen des Falles die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert und der Täter lediglich die sich ihm dadurch bietende Gelegenheit wahrnimmt (vgl. BGH aaO). Eine solche Auslegung wird nicht mehr vom Sinngehalt des Wortes „Zwangslage“ gedeckt (BGH aaO). Als „Zwangslage“ kommen nur bedrängende Umstände von Gewicht in Betracht, denen in spezifischer Weise die Gefahr anhaftet, sexuellen Übergriffen gegenüber einem Jugendlichen in einer Weise Vorschub zu leisten, dass sich der Jugendliche ihnen gegenüber nicht ohne weiteres entziehen kann (vgl. BGH aaO, 400 f.; Fischer aaO; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 182 Rn. 5 mwN). Derartige Umstände sind hier nicht festgestellt.
c) Der Senat schließt aus, dass ein neuer Tatrichter Feststellungen treffen könnte, die eine Verurteilung wegen schwerer Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 7 Nr. 3 StGB oder sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB tragen könnten.
Da jedoch, wie auch das Landgericht erkannt hat (UA S. 20, dort unter Ziffer 3.), die getroffenen Feststellungen einen Schuldspruch wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) tragen, ändert der Senat den Schuldspruch selbst in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. Dass es sich bei § 177 Abs. 6 StGB um eine bloße Strafzumessungsregelung handelt, hindert die Änderung des Schuldspruchs entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nicht, weil hiermit lediglich die Legaldefinition der nach den getroffenen Feststellungen verwirklichten Variante des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in den Schuldspruch aufgenommen (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 2 StR 562/18, juris Rn. 6 mwN), nicht aber der dem neuen Tatrichter im Rahmen der Strafzumessung obliegenden Beurteilung vorgegriffen wird, ob nach der gebotenen Gesamtbetrachtung ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 177 Abs. 6 StGB vorliegt. Auch § 265 StPO steht der Abänderung des Schuldspruchs nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Angesichts des Umstandes, dass infolge der Schuldspruchänderung nunmehr ein Strafrahmen mit niedrigerer Untergrenze eröffnet ist, war der - an sich maßvolle - Strafausspruch aufzuheben. Der Senat hebt auch die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter insoweit insgesamt widerspruchsfreie Urteilsfeststellungen zu ermöglichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 587
Externe Fundstellen: StV 2019, 544
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede