HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 379
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 247/18, Urteil v. 19.12.2018, HRRS 2019 Nr. 379
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Juni 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte T. S. freigesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bildung bewaffneter Gruppen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Vom (tatmehrheitlich angeklagten) Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Soweit für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft von Bedeutung hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Mitangeklagte M. war mit einer Gruppe von Personen aus B. („B. Gruppe“) aus ungeklärten Gründen in Konflikt geraten. Nachdem es zwischen ihm und dem zu dieser Gruppe gehörenden Zeugen Mu. bei einem Treffen am 7. Juli 2014 zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen war, wurde M. noch am selben Tag „Besuch“ von Leuten aus B. oder „den Dieben“ aus L. für den Fall angekündigt, dass er sich für das Vorgefallene nicht entschuldige. Aus Angst begab er sich zu seinem Freund K. S., dem Bruder des Angeklagten, nach E., wobei er bereits eine Schusswaffe „SIG Sauer“ Kaliber 9x19 mm mit sich führte. Nachdem die Gruppe um K. S., also die im Raum E. lebenden armenischen und aserbeidschanischen Staatsangehörigen, die mit diesem befreundet waren und ihn und den Mitangeklagten M. unterstützen („E. Gruppe“), am 12. Juli 2014 gegen 22:30 Uhr festgestellt hatte, dass Mitglieder der „B. Gruppe“ in Richtung E. fuhren, wurde telefonisch ein Treffen der Gruppen in der K. S. gehörenden Spielothek in E. verabredet. Dort versammelten sich ab ca. 1:00 Uhr des 13. Juli 2014 die Mitglieder der „E. Gruppe“, darunter der Angeklagte, nachdem K. S. veranlasst hatte, dass Mitarbeiter und Gäste diese verließen. Sie wollten der Gruppe aus B. aus einer Position der Stärke entgegentreten und bereiteten sich auf deren Erscheinen vor, indem man die in der Spielhalle installierten Kameras abdeckte oder wegdrehte, so dass sie die Geschehnisse in der Spielhalle nicht aufzeichnen konnten, und sich bewaffnete oder Waffen griffbereit legte. So war auch der Angeklagte im Besitz einer Waffe mit dem Kaliber 6,35 mm oder 9x17 mm.
Ab 1:22 Uhr erschienen der Geschädigte Z. zusammen mit weiteren Mitgliedern der „B. Gruppe“ in der Spielhalle, in der es alsbald zu einer Auseinandersetzung kam und sich eine Menschentraube bildete. Um 1:27:10 Uhr waren alle in der Spielhalle befindlichen Personen Teil dieser Menschentraube. Innerhalb der Traube entstand „eine Schubserei bzw. ein Gerangel“. Gegen 1:28 Uhr wurden von nicht mehr identifizierbaren Personen mindestens vier Schüsse auf und in Richtung des Z. abgegeben, worauf die anwesenden Personen schlagartig zurückwichen. Z. rannte zusammen mit einem unbekannten Begleiter um 1:28:07 Uhr aus der Spielhalle, um über den Parkplatz und eine zu diesem führende Ausfahrrampe aus dem ansonsten umzäunten Gelände zu fliehen. Der Mitangeklagte M. eilte ihnen unmittelbar nach, gab elf Schüsse in Richtung der beiden Fliehenden ab, einen davon um 1:28:10 Uhr aus einer Entfernung von wenigen Metern gezielt auf den Rücken des Geschädigten Z., und nahm dabei dessen Tod zumindest billigend in Kauf. Um 1:28:19 Uhr rannte M. zurück, lud seine Waffe nach und eilte ab 1:28:21 Uhr wieder den fliehenden Personen nach, wobei sich nicht feststellen ließ, ob er noch weitere Schüsse abgab. Der Geschädigte wurde von insgesamt mindestens fünf Schüssen getroffen und lebensgefährlich verletzt; ein Projektil des Kalibers 9x17 mm wurde bei der Notoperation in seinem Bauchraum gefunden.
Während M. die fliehenden Personen verfolgte, eilten weitere Mitglieder der „E. Gruppe“ hinterher, einer davon gab um 1:28:14 Uhr einen Schuss aus einer Luftdruckpistole in Richtung der Auffahrrampe ab. Nahezu zeitgleich im Zeitraum zwischen 1:28:14 Uhr und 1:28:16 Uhr schoss der Angeklagte zweimal von der offenen Eingangstüre nach draußen.
Zur selben Zeit hielt sich der Vater des Angeklagten im Bereich der Auffahrtrampe auf und wurde versehentlich durch einen Schuss verletzt, der von der „E. Gruppe“ abgegeben wurde. Um 1:37:41 Uhr telefonierte der Angeklagte mit seinem Bruder und brachte zum Ausdruck, dass er glaube, den Vater getroffen und verletzt zu haben. Im Innenraum und im Außenbereich der Spielhalle wurden später 19 nicht aus der Waffe des Mitangeklagten M. stammende Munitionsteile aufgefunden, darunter im Umfeld des Bewegungsbereichs des Angeklagten wie auch im Außenbereich der Rampe Patronenhülsen der Kaliber 6,35 mm und Patronenhülsen 9x17 mm.
2. Das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, ob der Angeklagte gezielt auf die flüchtenden Personen zielte, ob er diese überhaupt noch erkennen konnte und verletzen wollte oder sogar ihren Tod billigend in Kauf nahm. Nach den Videoaufzeichnungen lasse sich, so die Strafkammer, eine Schussrichtung nicht sicher feststellen. Es sei nicht wahrscheinlich und nur Spekulation, dass der Angeklagte „in Richtung der eigenen Leute geschossen“ habe. Nach dem Zweifelssatz könne zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden, dass er nur Warnschüsse in den Himmel abgegeben habe. Angesichts der Hemmschwelle, die vor der Tötung eines Menschen bestehe, sei im Zweifel zugunsten des Angeklagten anzunehmen, dass er darauf vertraut habe, niemanden zu töten oder zu verletzen.
Dem Angeklagten könnten auch weder die im Innen- noch die vom Mitangeklagten M. im Außenbereich der Spielhalle auf Z. abgegebenen Schüsse nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Es könne nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass er gezielte Schüsse auf den Geschädigten Z. mitbekommen und diese gebilligt habe.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Es kann dahinstehen, ob der Teilfreispruch bereits den an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Mindestanforderungen (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2001 - 2 StR 50/01) deshalb nicht genügt, weil der Anklagevorwurf in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt wird. Denn die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, aaO mwN). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN; vom 14. September 2017 - 4 StR 45/17). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere widersprüchlich und lückenhaft, zudem fehlt es an einer Gesamtschau der Indizien und Beweismittel.
a) Dies gilt zunächst, soweit das Landgericht eine Schussrichtung nicht sicher festzustellen vermochte, weil nicht auszuschließen sei, der Angeklagte habe seiner Einlassung entsprechend „nur Warnschüsse in den Himmel“ abgegeben oder „lediglich ‚in die Luft‘“ geschossen.
aa) Diese Würdigung ist mit den getroffenen Feststellungen ohne weitere Erörterung nicht widerspruchsfrei zu vereinbaren. Danach hat der Angeklagte zwei Schüsse mit jeweils ausgestrecktem Arm abgegeben; der Arm wurde nach dem ersten Schuss gesenkt und sodann wieder gehoben. Dies ist, wie die Strafkammer feststellt, auf der Aufzeichnung einer oberhalb des Angeklagten angebrachten Videokamera deutlich zu sehen. Unerörtert bleibt, in welche Richtung der deutlich erkennbare ausgestreckte Arm zeigte, ob der Angeklagte in eine andere Richtung als der des ausgestreckten Arms geschossen haben könnte, oder welche Rückschlüsse aus dem Senken und Heben des ausgestreckten Armes nach dem ersten Schuss zu ziehen sind. Vielmehr schließt sich das Landgericht den für überzeugend erachteten Darlegungen des Sachverständigen an, wonach die Schussabgabe deutlich zu erkennen und nicht auszuschließen sei, der Angeklagte habe in die Richtung der eigenen Leute geschossen. Die hierzu an anderer Stelle vorgenommene Bewertung, es sei nicht wahrscheinlich, dass der Angeklagte in Richtung der „eigene Leute geschossen“ habe, steht im Widerspruch zur Feststellung, dass der Vater des Angeklagten, der zu diesem Zeitpunkt in der Fluchtrichtung des Geschädigten Z. und seines Begleiters stand, versehentlich von den eigenen Leuten getroffen wurde.
bb) Die Würdigung des Telefonats zwischen dem Angeklagten und seinem Bruder um 1:37 Uhr des Tattages leidet an einem Erörterungsmangel. Die Strafkammer ist der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt, er habe in diesem Telefonat die Schuld für die Verletzungen des Vaters lediglich deswegen auf sich genommen, um Racheakte seines Bruders zu verhindern. Sie erörtert dann aber nicht, ob die vom Angeklagten geäußerte Befürchtung, den Vater getroffen zu haben, eine andere als die nach dem Wortsinn naheliegende Bedeutung haben kann, wonach der Angeklagte selbst von einem Schuss auf die in Richtung des Vaters stehende Personengruppe ausging und es deshalb mindestens für möglich hielt, durch einen seiner Schüsse jemanden getroffen zu haben. Der von der Strafkammer gezogene Schluss auf den Vorsatz, wonach nicht ausgeschlossen sei, der Angeklagte habe auf einen guten Ausgang vertraut, ist zudem ohne Aussagegehalt für den objektiven Tathergang.
cc) Zudem unterstellt das Landgericht bei der Würdigung des Telefonats zugunsten des Angeklagten eine Hypothese (Schüsse in den Himmel), die es anhand der Feststellungen zum Telefonat aber gerade zu überprüfen gilt. Dies lässt auch besorgen, dass das Landgericht den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt hat. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83, 85 mwN; vom 27. Juni 2001 - 3 StR 136/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24).
dd) Schließlich fehlt es an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1986 - 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85). Das Landgericht hätte in den Blick nehmen müssen, dass im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein kann, der im Rahmen der Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21) und dass nach Widerlegung eines Teils der Angaben des Angeklagten die weiteren vom Angeklagten vorgetragenen Umstände als kritisch zu betrachten sind (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2009 - 5 StR 65/09, NStZ-RR 2009, 290 Rn. 15). In die erforderliche umfassende Beweiswürdigung wären auch weitere vom Landgericht festgestellte Indizien einzubeziehen gewesen, etwa die dem Tatgeschehen vorangehende Konfliktlage, die Vorbereitungen auf ein bewaffnetes und nach Möglichkeit nicht überwachtes Zusammentreffen und das Auffinden von Patronenhülsen im Bereich der Ausfahrtsrampe.
b) Auch soweit das Landgericht eine Zurechnung der auf den Geschädigten Z. abgegebenen Schüsse verneint, erweist sich die Beweiswürdigung als lückenhaft. Die Annahme, es lasse sich „nicht ausreichend sicher“ feststellen, dass der Angeklagte die vom Mitangeklagten M. auf den Geschädigten Z. in der Spielhalle abgegebenen Schüsse mitbekommen hat, hätte angesichts der hierzu im Widerspruch stehenden Feststellung, alle Anwesenden seien Teil der Menschenmenge gewesen und auf das Geschehen dort konzentriert gewesen, näherer Erörterung bedurft. Im Übrigen fehlt es auch insoweit an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände. In diese Gesamtwürdigung wäre auch die den Schüssen vorausgehenden Verabredung und Vorbereitung des Aufeinandertreffens mit der „B. Gruppe“, die Wahrnehmbarkeit der Schüsse sowie der zeitliche Ablauf einzubeziehen gewesen, aus dem sich ergibt, dass auch noch nach Schussabgabe durch den Angeklagten die Flucht und die Fluchtrichtung des Geschädigten und seines Begleiters erkennbar war.
Soweit das Landgericht darauf abstellt, es sei nicht festzustellen, dass der Angeklagte „gezielt“ auf Menschen geschossen hat, hätte es erörtern müssen, inwieweit allein die festgestellte Schussabgabe eine Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB eröffnete. Da die Urteilsgründe zudem darauf abstellen, ob der Angeklagte „gezielte Schüsse“ auf den Geschädigten mitbekommen hat, ist zu besorgen, dass das Landgericht überzogene Anforderungen an einen Tatnachweis gestellt hat. Für eine strafbare Tatbeteiligung des Angeklagten kann ausreichend sein, dass er Schüsse in Richtung des Geschädigten oder der flüchtenden Mitglieder der „B. Gruppe“ gewahr wurde. Angesichts der objektiven Gefährlichkeit eines solchen Schusswaffengebrauchs könnte ein bedingter Tötungs- oder zumindest Verletzungsvorsatz des Mitangeklagten M. nicht fernliegen (vgl. MünchKomm-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 212 Rn. 24 f. mwN), welchen der Angeklagte erkannt und als Mittäter oder Gehilfe unterstützt haben könnte.
c) Da sich die Beweiswürdigung schon aus den vorstehend genannten Gründen als rechtsfehlerhaft erweist, kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Landgerichts zur „Hemmschwelle, die vor der Tötung eines Menschen besteht“ ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Die Urteilsgründe lassen jedenfalls besorgen, das Landgericht könnte der Hemmschelle als vorsatzkritischem Indiz angesichts der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine zu große Bedeutung beigemessen haben (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, aaO und vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17 Rn. 19 jeweils mwN).
3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien den Angeklagten auch wegen dessen Schusswaffengebrauch als Täter, Mittäter oder Gehilfe verurteilt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 379
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 157 ; StV 2020, 846
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner