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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1205

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1339/19, Beschluss v. 31.10.2019, HRRS 2019 Nr. 1205


BVerfG 2 BvR 1339/19 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 31. Oktober 2019 (Saarländisches OLG / LG Saarbrücken)

Lockerungen im Strafvollzug und ausländerrechtlicher Status (Resozialisierungsgrundrecht; Einzelfallprüfung auch bei vollziehbar ausreisepflichtigen ausländischen Gefangenen; Missbrauchsgefahr; Gesamtwürdigung konkreter Umstände in der Person des Gefangenen); Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (kein Offenhalten der Verfassungsbeschwerdefrist durch offensichtlich aussichtslose Anhörungsrüge; konkreter Verfahrensbezug der Vollmacht).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 22 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG; § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; § 11 StVollzG; § 38 Abs. 5 SLStVollzG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Versagung von Vollzugslockerungen begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Gerichte es ausreichen lassen, dass gegen einen ausländischen Gefangenen eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung besteht, ohne in eine Prüfung einzutreten, inwiefern eine Genehmigung von Lockerungen geboten ist, um den verfassungsrechtlich geschützten Resozialisierungsinteressen des Gefangenen Rechnung zu tragen.

2. Das Resozialisierungsgrundrecht ist außerdem verletzt, wenn die einer Gewährung von Lockerungen entgegenstehende Missbrauchsgefahr ohne die gebotene Gesamtwürdigung und ohne Angabe konkreter Umstände in der Person des Gefangenen lediglich mit dessen ausländerrechtlichem Status und der von ihm zu verbüßende Reststrafe begründet wird.

3. Eine offenkundig unzulässige Anhörungsrüge, mit welcher der Beschwerdeführer lediglich seine rechtliche Argumentation aus der Rechtsbeschwerde bekräftigt, gehört nicht zu dem vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfenden Rechtsweg und ist daher nicht geeignet, die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offen zu halten.

4. Die Vollmacht zur Vertretung im Verfassungsbeschwerdeverfahren muss sich ausdrücklich auf das konkrete Verfahren beziehen und darf nicht nur allgemein „wegen (einer) Verfassungsbeschwerde“ erteilt sein.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, ohne dass es auf die Mängel der allgemein „wegen Verfassungsbeschwerde“ erteilten Vollmacht ankommt (vgl. BVerfGE 62, 194 <200>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Oktober 2014 - 2 BvR 2446/14 -, Rn. 1). Ihre Begründung und zum Verständnis erforderliche Unterlagen sind erst nach Ablauf der Verfassungsbeschwerdefrist am 29. Oktober 2018 um 24 Uhr per Fax eingegangen. Hierauf wurde der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 9. November 2018 durch das Allgemeine Register hingewiesen. Die von dem Beschwerdeführer am 29. Oktober 2018 beim Oberlandesgericht eingelegte und von diesem am 14. Juni 2019 verworfene Anhörungsrüge gehörte infolge ihrer offenkundigen Unzulässigkeit nicht zum Rechtsweg und konnte die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG demnach nicht offenhalten (vgl. BVerfGE 5, 17 <19>; 48, 341 <344>; BVerfGK 7, 115 <116>; 11, 203 <205 ff.>; 20, 300 <302 ff.>). Mit seiner Anhörungsrüge bekräftigte der Beschwerdeführer lediglich seine rechtliche Argumentation aus der Rechtsbeschwerde. Seine Rüge betraf damit allein die Richtigkeit der Ausführungen des Gerichts. Dies vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. BVerfGK 11, 203 <207>).

Vor diesem Hintergrund muss dahinstehen, dass die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt und die sie bestätigenden fachgerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Sie verkennen das Resozialisierungsgrundrecht des seit 2001 in Haft befindlichen und eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßenden Beschwerdeführers, indem sie für die Versagung von Vollzugslockerungen im Ergebnis haben ausreichen lassen, dass gegen ihn eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung besteht und § 38 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Saarländischen Strafvollzugsgesetzes (SLStVollzG) der Gewährung von Lockerungen demnach grundsätzlich entgegensteht. Von den Fachgerichten wäre jedenfalls zu prüfen gewesen, inwiefern das Resozialisierungsgrundrecht ein Vorgehen nach § 38 Abs. 5 Satz 2 und 4 SLStVollzG erfordert, der vorsieht, dass geeigneten ausländischen Strafgefangenen, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung besteht, Vollzugslockerungen genehmigt werden können, um so ihren verfassungsrechtlich geschützten Resozialisierungsinteressen im Strafvollzug Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2002 - 2 BvR 461/02 -, Rn. 15; vom 15. März 2004 - 2 BvR 1530/03 -, Rn. 4; und vom 29. Januar 2004 - 2 BvR 2167/03 -, Rn. 5).

Soweit die Vollzugsplankonferenz zudem davon ausgegangen ist, dass eine Missbrauchsgefahr der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehe, beschränkte sich dies auf eine pauschale Behauptung, die lediglich mit dem ausländerrechtlichen Status des Beschwerdeführers und die von ihm zu verbüßende Reststrafe begründet worden ist. Das Resozialisierungsgrundrecht erfordert jedoch, dass die Annahme einer Missbrauchsgefahr aufgrund einer Gesamtwürdigung der für und gegen den Beschwerdeführer sprechenden Umstände erfolgt, im Rahmen derer nähere Anhaltspunkte dargelegt werden müssen, die geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 64, 261 <277>; 70, 297 <312 ff.>). Das mit jeder Vollzugslockerung verbundene Risiko eines Entweichens aus der Haft oder eines Missbrauchs der Maßnahme zu Straftaten muss aus diesen Gründen heraus unvertretbar erscheinen (vgl. BVerfGE 70, 297 <313>). Die Entscheidung der Vollzugsplankonferenz lässt nicht erkennen, dass diese Anforderungen erfüllt waren. Sie lässt vielmehr besorgen, dass die aus dem Vollzugsplan ersichtlichen, für den Beschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte bei der Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1205

Bearbeiter: Holger Mann