HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1159
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 377/19, Beschluss v. 05.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1159
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 3. April 2019 wird
a) das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in drei Fällen, sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Verschaffung des Besitzes an jugendpornografischen Schriften in 12 Fällen schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten und notwendigen Auslagen der Nebenklägerin im Revisionsverfahren. Im Übrigen wird von einer Auferlegung von Kosten und notwendigen Auslagen im Revisionsverfahren abgesehen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung, Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in drei Fällen, sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Verschaffung des Besitzes an jugendpornografischen Schriften in zwölf Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Auf seine Revision hat der Senat das Verfahren im Fall II. 1 der Urteilsgründe eingestellt; im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
1. Soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung verurteilt worden ist, hat der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, weil sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob ein strafbefreiender Rücktritt in Betracht kommt und eine Zurückverweisung zur Nachholung entsprechender Feststellungen aus prozessökonomischen Gründen nicht sinnvoll wäre. Die Verfahrenseinstellung zieht eine Änderung des Schuldspruchs nach sich.
2. Im Übrigen weist der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten in den Fällen II. 3 bis 5 der Urteilsgründe, in denen er im Rahmen von Videoanrufen freiwillig vorgenommene sexuelle Handlungen seiner jugendlichen Gesprächspartnerin durch heimliche Screenrecords aufnahm und speicherte, zu Recht nicht das Privileg des § 184c Abs. 4 StGB zugebilligt. Zwar neigt der Senat dazu, in der Anfertigung der Screenrecords nicht - wie die Jugendkammer meint - lediglich ein Sichverschaffen des Besitzes an einer jugendpornografischen Schrift im Sinne des § 184c Abs. 3 1. Alternative StGB zu sehen (zum Sichverschaffen von kinderpornografischen Bildern durch deren Anfertigung vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2017 - 3 StR 548/16, NStZ 2018, 90), sondern insoweit ein Herstellen im Sinne des § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB anzunehmen, weil der Angeklagte die übertragenen Bilder in einer Weise in einem Datenspeicher fixiert hat, dass ihm dadurch deren (wiederholte) visuelle Reproduktion und Wahrnehmung ohne weiteres möglich wurde (vgl. BTDrucks. 15/2466, S. 5 zu § 201a Abs. 1 StGB; Schreibbauer, Das Pornografieverbot des § 184 StGB, 1999, S. 277 zu § 184 Abs. 1 Nr. 8 StGB; Hörnle in Münch.Komm. z. StGB, 3. Aufl., § 184 Rn. 68; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 184 Rn. 60). Dies hätte zwar zur Folge, dass § 184c Abs. 4 StGB unmittelbar anwendbar wäre, doch fehlt es an einer Einwilligung der Zeugin als dargestellter Person in den mit der Anfertigung der Screenrecords verbundenen Herstellungsprozess und der damit verbundenen bildlichen Perpetuierung ihrer zur einmaligen Betrachtung dargebotenen sexuellen Handlungen. Aus diesem Grund braucht der Senat auch nicht zu entscheiden, ob § 184c Abs. 4 StGB, der seinem Wortlaut nach nur den Hersteller einer jugendpornografischen Schrift und dessen sich daran anschließenden Besitz an dem selbst hergestellten Produkt zu privilegieren vermag (vgl. BTDrucks. 16/9646, S. 18, Hilgendorf in SSW-StGB, 4. Aufl., § 184c Rn. 11; Hörnle in Münch.Komm. z. StGB, 3. Aufl., § 184c Rn. 20; Palm, Kinderund Jugendpornografie im Internet, 2012, S. 172), in besonderen Fällen des Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften im Sinne des § 184c Abs. 3 1. Alternative StGB (analog) Anwendung finden kann (vgl. dazu BTDrucks. 16/3439, S. 9; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 18; Palm, Kinderund Jugendpornografie im Internet, 2012, S. 174) oder eine entsprechende teleologische Reduktion vorzunehmen ist (vgl. Hörnle in Münch.Komm. z. StGB, 3. Aufl., § 184c Rn. 20).
b) Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 6 bis 14 der Urteilsgründe mit einem zweiten Mobiltelefon Aufnahmen mehrerer sich nach einer gewissen Zeit selbst löschender Videos gefertigt hat, die ihm von der 14-jährigen Zeugin P. auf seinen Wunsch über den Onlinedienst Snapchat übermittelt worden waren und die die Zeugin bei der Vornahme von sexuellen Handlungen zeigten, kommt eine direkte oder analoge Anwendung des § 184c Abs. 4 StGB ebenfalls nicht in Betracht. Dabei kann es auch hier dahinstehen, ob in dem Abfilmen und in der damit verbundenen Anfertigung eines neuen, nicht von einer systembedingten Löschung betroffenen Datensatzes ein Herstellen im Sinne des § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB gesehen werden kann (zur Besitzverschaffung bei systembedingter Löschung vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 430/06, NStZ 2007, 95; siehe dazu auch Baumann, Besitz an Daten, 2015, S. 191 f.), denn es würde jedenfalls an einer Einwilligung der Zeugin als dargestellter Person in den ihr unbekannten Aufnahmevorgang fehlen.
3. Die verhängte Jugendstrafe kann trotz der Verfahrenseinstellung bestehen bleiben. Der Senat vermag auszuschließen, dass die Jugendkammer ohne eine Aburteilung der Tat unter II. 1 der Urteilsgründe auf eine niedrigere Jugendstrafe erkannt hätte. Denn das Landgericht hat sich sowohl bei der Annahme von schädlichen Neigungen, als auch bei der Bemessung der Jugendstrafe vornehmlich an bereits vor den ausgeurteilten Taten und in den gravierenden sexuellen Übergriffen zutage getretenen erheblichen Persönlichkeitsdefiziten des Angeklagten orientiert und den Gesamterziehungsbedarf entsprechend bestimmt.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1159
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 341
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner