HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 872
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 150/18, Urteil v. 18.07.2018, HRRS 2018 Nr. 872
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Dezember 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für eine Bewährungszeit von zwei Jahren ausgesetzt. Dagegen richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der Angeklagte am 17. Januar 2016 mit seinem Onkel Mi. und dem Zeugen K. in dessen Wohnung auf. Sie planten einen Einbruch in die Wohnung des damals 87-jährigen Geschädigten Ka. Gegen Mitternacht kundschafteten sie zusammen mit L. den Tatort aus. Am Morgen des 18. Januar 2016 fuhr K. die Mittäter Mi., L. und den Angeklagten zum Tatort. Diese vermummten sich, zogen sich Handschuhe an und brachen den Schließzylinder des Hoftores auf, wonach sie in das Wohngebäude eindrangen.
Der Geschädigte, dessen Ehefrau in der Woche zuvor verstorben war, wachte durch Geräusche an der Wohnungstür auf. Während einer der Täter versuchte, die Tür aufzuhebeln, wollte der Geschädigte diese aufschließen, um nachzusehen. Dabei wurde die Tür von außen mit Gewalt aufgestoßen. Der Geschädigte stand dann Mi. und dem Angeklagten gegenüber. L., der sich im engen Flur hinter diesen befand, stach von seiner Position aus mit einem Schraubendreher mehrmals in Richtung des Kopfes des Geschädigten. Dieser wurde auch von den Mittätern gestoßen, geschlagen und getreten, um ihn zu überwältigen. Der Geschädigte erlitt Streifverletzungen am Kopf, eine Stichverletzung an der linken Hand, zahlreiche Prellungen und eine Schürfwunde am Bein. Mi. fragte ihn: „Wo Drogen?“ Damit konnte der Geschädigte nichts anfangen. Mi. gab den Mittätern zu verstehen, was sie zu tun hatten. Einer bewachte den Geschädigten unter Vorhalt einer mitgeführten Plastikpistole, die der Geschädigte als echte Schusswaffe ansah. Die anderen Mittäter durchsuchten die Wohnung. Sie erbeuteten 1.000 Euro Bargeld und Schmuck im Wert von 50.000 Euro. Anschließend zogen die Täter den Geschädigten in die Küche, wo er gefesselt wurde. Dann rissen sie das Kabel des Telefons aus der Buchse und zerstörten eine Gegensprechanlage, bevor sie vom Tatort flohen.
Am darauf folgenden Tag verkaufte der Angeklagte zusammen mit K. einen Teil des Schmucks für 3.900 Euro an einen Juwelier. Von diesem Erlös erhielt er 1.000 Euro.
2. Das Landgericht hat auf den Angeklagten, der zur Tatzeit 20 Jahre alt war, Jugendstrafrecht angewendet. Es hat ausgeführt, eine Schwere der Schuld, welche die Verhängung einer Jugendstrafe gebieten könnte, sei nicht festzustellen. Dem Unrechtsgehalt der Tat komme nur mittelbar Bedeutung zu. Maßgeblich seien jugendspezifische Kriterien. Der Angeklagte habe „einen schweren Raub begangen“, jedoch zeigten die Umstände, dass eine Schwere der Schuld nicht anzunehmen sei. Der Angeklagte habe unter dem bestimmenden Einfluss seines Onkels gestanden und sei nicht in der Lage gewesen, sich diesem Einfluss zu entziehen. Er habe keine kriminelle Erfahrung. Die Untersuchungshaft habe ihn positiv verändert. Er habe in der Hauptverhandlung Reue gezeigt und sich bei dem Geschädigten entschuldigt. Das Vorliegen schädlicher Neigungen sei noch nicht mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen.
Das Rechtsmittel ist begründet.
Die Entscheidung des Landgerichts, gegen den Angeklagten nicht auf Jugendstrafe zu erkennen und die Entscheidung darüber zurückzustellen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten derzeit noch keine schädlichen Neigungen festzustellen sind. Zu beanstanden ist jedoch die Annahme, die Schwere der Schuld des Angeklagten, welche die Verhängung einer Jugendstrafe gebieten würde (§ 17 Abs. 2 Var. 2 JGG), sei nicht festzustellen.
1. Nach der Rechtsprechung und Teilen der Literatur kommt dem Unrecht der Tat bei der Prüfung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG im Allgemeinen keine selbstständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1960 - 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 225 f.; Urteil vom 29. September 1961 - 4 StR 301/61, BGHSt 16, 261, 263; Beschluss vom 9. August 2000 - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216; Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 353/11, NStZ 2012, 164; Beschluss vom 22. Januar 2014 - 5 StR 555/13, NStZ-RR 2014, 119; Eisenberg, JGG, 10. Aufl. 2018, § 17 Rn. 34 ff.; Sonnen in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl. 2015, § 17 Rn. 22; a.A. Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl. 2018, § 17 Rn. 27; MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl. 2017, § 17 JGG Rn. 58 ff.). Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist jedoch insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schwere seiner Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 3 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 155, 156; Urteil vom 9. Januar 2018 - 1 StR 239/17). Der Unrechtsgehalt der Tat, der auch in der gesetzlichen Strafandrohung zum Ausdruck kommt, darf demnach auch bei der Prüfung, ob die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld geboten ist, nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 1982 - 2 StR 192/82, NStZ 1982, 332).
2. Danach ist der Erziehungszweck der Jugendstrafe nicht das einzig maßgebliche Kriterium. Hierzu gilt im Einzelnen:
Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen in der Regel miteinander in Einklang (vgl. BGH Urteil vom 16. November 1993 - 4 StR 591/93, StV 1994, 598 f.; Urteil vom 23. April 1998 - 4 StR 12/98; Urteil vom 4. August 2016 - 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648, 649). Bei einem Gewaltverbrechen kann die Schwere der Schuld aber auch eigenständige Bedeutung haben (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659 mit Anm. Eisenberg, NStZ 2013, 636 ff.). Schwere Gewaltdelikte begründen regelmäßig die Schwere der Schuld (vgl. MüKo-StGB/Radtke aaO § 17 JGG Rn. 71), wenngleich dies nach der Rechtsprechung nicht ausnahmslos der Fall ist. Der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs darf in solchen Fällen jedenfalls nicht völlig hinter den Erziehungsgedanken zurücktreten; denn auf die Möglichkeit der Bestrafung schwerer Straftaten durch Verhängung einer Jugendstrafe kann auch in Fällen nicht verzichtet werden, in denen ein Jugendlicher oder Heranwachsender nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig ist (vgl. BTDrucks. I/3264 S. 40 f.; BGH aaO). Jedenfalls aber ist die Schwere der Schuld mit zunehmendem Alter des Heranwachsenden modifiziert zu beurteilen (vgl. Eisenberg, JGG aaO § 17 Rn. 29a; s.a. MüKo-StGB/Radtke aaO § 17 JGG Rn. 65). Dies gilt erst recht, wenn der Angeklagte, der zur Tatzeit noch Heranwachsender war, im Urteilszeitpunkt bereits Erwachsener ist. In solchen Fällen ist die Zielsetzung der Jugendstrafe anders zu bewerten, als etwa bei einem Jugendlichen, der das die Strafmündigkeit begründende Alter gerade erreicht hat (vgl. Kaspar in Festschrift für Schöch, 2010, S. 209, 213 f., der ausnahmsweise für eine Rechtfertigung der Jugendstrafe durch positive Generalprävention plädiert, aaO S. 222; ähnlich Ostendorf, JGG, 10. Aufl. 2016, § 17 Rn. 5). Welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen zukommt, ist abhängig vom Einzelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1981 - 1 StR 634/81, NStZ 1982, 163; Urteil vom 21. April 1982 - 4 StR 99/83, EzSt JGG § 17 Nr. 1). Der Tatrichter hat dazu eine umfassende Abwägung vorzunehmen.
3. Nach diesen Maßstäben rügt die Revision zu Recht, dass die Abwägung durch das Landgericht lückenhaft ist. Die Jugendkammer hätte sich hier dezidiert mit dem Tatgeschehen und den Tatbeiträgen des angeklagten Heranwachsenden auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2000 - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216). Sie hat sich jedoch mit einem bloßen Hinweis darauf begnügt, dass der Angeklagte „einen schweren Raub begangen“ habe. Abgesehen davon, dass dabei die tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung und die Sachbeschädigung unberücksichtigt bleibt, fehlt es an einer Bewertung des konkreten Verhaltens des Angeklagten vor, während und nach der Tat.
Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass der Angeklagte - unbeschadet der dominierenden Rolle seines Onkels - nach seiner Einlassung schon im Vorfeld am Erwerb der bei der Tat als Drohmittel verwendeten Spielzeugpistole und der Gartenhandschuhe beteiligt war. Zudem wirkte er auch an der Planung der Tat und an dem Ausspähen des Tatorts mit. Er nahm ferner beim eigentlichen Tatgeschehen selbst gewichtige Ausführungshandlungen vor. Ihm sind auch die Verletzungen des zur Tatzeit 87-jährigen Geschädigten, mit Ausnahme der vom Landgericht als Mittäterexzess bewerteten Stiche mit dem Schraubendreher, sowie die Suche nach der erheblichen Beute und deren Wegnahme, das Fesseln des Geschädigten und der Verkauf eines Teils des Schmucks an einen Juwelier als eigene Tatbeiträge zuzurechnen.
All diese Umstände hätte das Landgericht in seine Abwägung einbeziehen müssen. Es hat aber nach der verkürzten Kennzeichnung der Tat als schwerer Raub nur die gegen eine Schwere der Schuld sprechenden Aspekte aufgeführt. Das reicht hier nicht aus.
4. Der Rechtsfolgenausspruch kann daher keinen Bestand haben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Beachtung der Grundsätze zur Bewertung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG eine Jugendstrafe verhängt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 872
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 728
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner