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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 579

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 23/18, Beschluss v. 19.04.2018, HRRS 2018 Nr. 579


BGH 3 StR 23/18 - Beschluss vom 19. April 2018

Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung der abgelehnten Richter (völlig ungeeignete Begründung; Abgrenzung zum offensichtlich unbegründeten Gesuch; konkrete Umstände des Einzelfalles; Erfordernis einer inhaltlichen Prüfung; Willkür; Richter „in eigener Sache“).

§ 26a StPO; § 27 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 StPO verwirft das Gericht ein Ablehnungsgesuch als unzulässig, wenn ein Grund zur Ablehnung nicht angegeben wird. Dem Fehlen einer Begründung wird der Fall gleichgestellt, dass die Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist. Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vorgebrachte Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss wegen des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) ein strenger Maßstab angelegt werden.

2. Entscheidend für die Abgrenzung zu „offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfasst und damit nach § 27 StPO zu behandeln sind, ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus.

3. Die Vorbefassung eines Richters als solche kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen, so dass die nur auf diese Tatsache und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen gestützte Ablehnung ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig verworfen werden kann. Auch eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es müssen vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen. Diese ü muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen.

4. Die Besorgnis der Befangenheit kann sich auch daraus ergeben, dass die in der Vorentscheidung vertretene Auffassung eines Richters als willkürlich erscheint oder sich aus der Art und Weise der Begründung der früheren Entscheidung seine Voreingenommenheit ergibt. Dies bedeutet aber nicht, dass allein wegen der pauschalen Behauptung des Ablehnenden, eine an sich prozessordnungsgemäße Vorentscheidung sei willkürlich oder mit einer abwegigen Rechtsauffassung begründet, die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig versagt wäre. Auch bei behaupteter Willkür kommt der Anschein einer Voreingenommenheit nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass in der behaupteten willkürlichen Rechtsauffassung eine Befangenheit gegenüber dem Antragsteller zum Ausdruck kommt.

Entscheidungstenor

Die Ablehnung der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol sowie der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg und Hoch wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Das Landgericht hat die Angeklagte mit Urteil vom 28. Juli 2017 wegen Raubes mit Todesfolge zu der Jugendstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen haben sie und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Termin für die Revisionshauptverhandlung ist auf den 28. Juni 2018 bestimmt.

Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 22. März 2018 hat die Angeklagte die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg und Hoch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie angeführt, die drei abgelehnten Richter hätten bereits an dem vorangegangenen Revisionsverfahren mitgewirkt, in dem ein erstes Urteil wegen Raubes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag vom Senat auf die Sachrüge der Angeklagten aufgehoben worden war. In dieser Entscheidung hätten sie die von der Revision der Angeklagten geltend gemachte Verfahrensrüge, mit der die Unverwertbarkeit polizeilicher Vernehmungen geltend gemacht worden war, vorläufig als unbegründet bewertet. Damit sei davon auszugehen, dass sie im nun anstehenden Verfahren, in dem diese Rüge erneut erhoben worden ist, nicht unparteiisch seien. Denn die in der vorläufigen Bewertung der Verfahrensrüge als unbegründet zum Ausdruck gekommene Ansicht des Senats sei nicht nur rechtlich falsch, sondern beinhalte eine Grundeinstellung zum Wert des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen, die die Revisionsführerin befürchten lasse, dass künftige Entscheidungen unter Beteiligung der abgelehnten Richter „maßgeblich in Dimensionen polizeitaktischer Praktikabilität angesiedelt“ seien und „ohne Berücksichtigung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen gefällt werden“. Die Argumentation der Vorentscheidung verrate einen mangelnden Respekt des Senats vor einem Menschenrecht. Zudem dokumentiere „das Verhalten“ der abgelehnten Richter, dass sie aus Sicht der Revisionsführerin in ihrer Ansicht derart festgelegt seien, dass eine neutrale Würdigung der anstehenden Rechtsfrage von ihnen nicht erwartet werden könne.

2. Der auf diese Begründung gestützte Ablehnungsantrag der Angeklagten erweist sich als unzulässig und ist deshalb zu verwerfen.

a) Nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 StPO verwirft das Gericht ein Ablehnungsgesuch als unzulässig, wenn ein Grund zur Ablehnung nicht angegeben wird. Dem Fehlen einer Begründung wird - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50; vom 27. April 2007 - 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 276) - der Fall gleichgestellt, dass die Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 367/09, NStZ 2010, 401, 402 mwN). Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vorgebrachte Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss wegen des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) allerdings ein strenger Maßstab angelegt werden (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50 f.; BGH, vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN). Entscheidend für die Abgrenzung zu „offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfasst und damit nach § 27 StPO zu behandeln sind, ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Über eine bloß formale Prüfung hinaus dürfen sich die abgelehnten Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu „Richtern in eigener Sache“ machen (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50 f.; vom 27. April 2007 - 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 276).

Die Vorbefassung eines Richters als solche kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen, so dass die nur auf diese Tatsache und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen gestützte Ablehnung ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig verworfen werden kann (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 367/09, NStZ 2010, 401, 403). Auch eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es müssen vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen; diese über die Vorentscheidung hinausreichenden Umstände muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen. Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit können in dem Verhalten des Richters oder in den Gründen der vorangegangenen Entscheidung gefunden werden (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2007 - 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 277).

b) Hieran gemessen ist das Befangenheitsgesuch der Revisionsführerin unzulässig und nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu verwerfen. Die Antragstellerin begründet ihr Ablehnungsgesuch ausschließlich mit der Vorbefassung der abgelehnten Richter an der vorangegangenen Revisionsentscheidung und der darin vertretenen Rechtsansicht. Da das - vom Verteidiger der Angeklagten in der damaligen Revisionshauptverhandlung angeregte - Vorgehen des Senats, in seinem Urteil vom 9. Februar 2017, mit dem er das vorangegangene Urteil des Landgerichts auf die Sachrüge hin aufgehoben und zu neuer Verhandlung zurückverwiesen hatte, im Hinblick auf das neu zur Entscheidung anstehende Verfahren eine vorläufige Einschätzung zur Verwertbarkeit der polizeilichen Vernehmung der Angeklagten abzugeben, prozessordnungsgemäß war, kann auf die Mitwirkung an dieser Entscheidung die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht gestützt werden. Auch die in dieser vorläufigen Einschätzung vertretene Rechtsauffassung als solche vermag - selbst wenn sie rechtsfehlerhaft wäre - eine solche nicht zu begründen.

Hieran ändert auch nichts, dass die Revisionsführerin die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung als rechtlich völlig abwegig und willkürlich bewertet. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Besorgnis der Befangenheit auch daraus ergeben, dass die in der Vorentscheidung vertretene Auffassung eines Richters als willkürlich erscheint oder sich aus der Art und Weise der Begründung der früheren Entscheidung seine Voreingenommenheit ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373; vom 10. September 2002 - 1 StR 169/02, BGHSt 48, 4, 8; Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342). Dies bedeutet aber nicht, dass allein wegen der pauschalen Behauptung des Ablehnenden, die - an sich prozessordnungsgemäße - Vorentscheidung sei willkürlich oder mit einer abwegigen Rechtsauffassung begründet, die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig versagt wäre. Da die mit der Tatsache der Vorbefassung notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen als solche keinen Grund für eine Richterablehnung bilden, kommt auch bei behaupteter Willkür der Anschein einer Voreingenommenheit nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass in der behaupteten willkürlichen Rechtsauffassung eine Befangenheit gegenüber dem Antragsteller zum Ausdruck kommt. Dies mag beim Vorwurf subjektiver Willkür oder dann der Fall sein, wenn Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden den Schluss zulassen, der Richter offenbare mit seiner angeblich abwegigen oder willkürlichen Meinung die Absicht, gerade ihn in seinen Rechten zu beeinträchtigen. Nur in einem solchen Fall wäre der den Befangenheitsantrag bescheidende Richter gezwungen, durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO sich zum „Richter in eigener Sache“ zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2007 - 2 BvR 2335/06 u.a., BVerfGK 12, 139 ff.).

Solches ist im Ablehnungsantrag indes nicht vorgetragen. Die Behauptung, die Entscheidung offenbare einen „verqueren Blick auf rechtsstaatliche Prinzipien“ und einen „nicht behebbaren Mangel an Respekt gegenüber einem Menschenrecht“ stellt lediglich eine allgemeine, nicht von Tatsachen getragene Wertung der Antragstellerin dar, die aus ihrer Sicht möglicherweise Zweifel an den Fähigkeiten oder allgemeinen Rechtsanschauungen der Richter aufkommen lassen, nicht aber in irgendeiner Weise eine Voreingenommenheit ihr gegenüber offenbaren. Einer inhaltlichen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls bedarf es daher nicht; dementsprechend könnten die abgelehnten Richter in Erklärungen nach § 26 Abs. 3 StPO auch lediglich ihre Mitwirkung an den Vorentscheidungen mitteilen und nicht auf konkret vorgetragene Tatsachen eingehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2007 - 2 BvR 1674/06, NStZ 7 - RR 2007, 275, 277). Auch soweit die Revisionsführerin schließlich geltend macht, „das Verhalten“ der Richter dokumentiere, dass sie aus Sicht der Revisionsführerin in ihrer Ansicht derart festgelegt seien, dass eine neutrale Würdigung der anstehenden Rechtsfrage in dem neuen Revisionsverfahren nicht erwartet werden könne, wird dies ausschließlich mit einer allgemeinen Bewertung der in der Vorentscheidung vertretenen Rechtsansicht, nicht aber mit einem außerhalb der Entscheidung beobachteten sonstigen Verhalten der abgelehnten Richter oder einer im Inhalt der Entscheidung aufscheinenden Voreingenommenheit gegenüber der Antragstellerin begründet.

Das Ablehnungsgesuch war deshalb nach § 26a Abs. 1, 2 Satz 1 StPO unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als unzulässig zu verwerfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 579

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 252

Bearbeiter: Christian Becker