HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 4
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2772/17, Beschluss v. 21.12.2017, HRRS 2018 Nr. 4
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung des Aufschubs der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gemäß § 455 StPO.
1. Der am 10. Juni 1921 geborene Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2015, rechtskräftig seit dem 21. September 2016, wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatte der Beschwerdeführer als Mitglied der SS im Konzentrationslager Auschwitz ab dem 25. September 1942 den Dienst an der Rampe versehen, bei dem er die Aufgabe hatte, während der Entladung der ankommenden Züge das auf der Rampe abgestellte Gepäck zu bewachen und Diebstähle zu verhindern; außerdem hatte er das den Deportierten abgenommene Geld verbucht und verwahrt.
2. Der Beschwerdeführer beantragte den Aufschub der Strafvollstreckung gemäß § 455 Abs. 3 StPO wegen erheblicher gesundheitlicher Einschränkungen. Zu deren Nachweis legte er ein Attest seines Hausarztes vor, in dem dieser dem Beschwerdeführer Haftuntauglichkeit bestätigte. Nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme und der Vorlage eines ergänzenden psychiatrischen Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. K. lehnte die Staatsanwaltschaft Hannover den Antrag des Beschwerdeführers mit angegriffener Entscheidung vom 14. Juli 2017 ab, da sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht die vorliegenden Gutachten die Haftfähigkeit des Verurteilten bestätigten. Den daraufhin gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO wies das Landgericht Lüneburg mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 17. August 2017 zurück. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen sofortige Beschwerde und legte ein von ihm in Auftrag gegebenes psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. D. vor. Nachdem durch das Oberlandesgericht Celle eine ergänzende Stellungnahme dieses Sachverständigen eingeholt worden war, verwarf es die sofortige Beschwerde mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 7. November 2017. Die bei dem Verurteilten festzustellenden gesundheitlichen Einschränkungen geböten weder einen Strafaufschub nach § 455 Abs. 1 und 2 StPO, noch sei die Vollstreckungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nach den Maßstäben des § 455 Abs. 3 StPO ermessensfehlerhaft.
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die angegriffenen Entscheidungen genügten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die notwendige Sachaufklärung, da der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers von den durch die Staatsanwaltschaft beauftragten medizinischen Sachverständigen beurteilt worden sei, ohne zuvor eine eigene körperliche Untersuchung des Beschwerdeführers durchgeführt zu haben. Darüber hinaus verstießen die angegriffenen Entscheidungen aufgrund einer unzureichenden Berücksichtigung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für den Beschwerdeführer bestehe das Risiko einer schweren Depression, wenn er aus seinem sozialen Netz herausgerissen werde und durch die Inhaftierung die bislang erfahrene Wertschätzung verliere. Es sei nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Strafvollzug eine bessere pflegerische Unterstützung als zu Hause erfahren werde. Es müsse daher mit großen Nachteilen für seine Gesundheit, einer deutlichen Lebensverkürzung und der sehr großen Gefahr seines Todes gerechnet werden.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Entscheidung über Aufschub und Unterbrechung der Strafvollstreckung nach § 455 StPO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind (vgl. BVerfGK 17, 133 <140>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist - mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg - auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, da die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten verletzen.
1. a) Die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und die Gleichbehandlung aller im Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten gebieten grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs (vgl. BVerfGE 51, 324 <343 f.>). Das bedeutet auch, dass rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafen zu vollstrecken sind.
b) Das Gebot, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, findet seine Grenzen im Grundrecht des Verurteilten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Bei Gesundheitsgefährdungen eines Strafgefangenen entsteht zwischen der Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs und dem Interesse des Verurteilten an der Wahrung seiner verfassungsmäßig verbürgten Rechte ein Spannungsverhältnis. Dieses ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der bei der Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Beachtung erfordert, durch Abwägung der widerstreitenden Interessen aufzulösen. Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen des Verurteilten ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die Strafvollstreckung dienen soll, so verletzt der Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und damit das Grundrecht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 51, 324 <343 f.; BVerfGK 17, 133 <140>). Diese Grenze ist jedenfalls erreicht, wenn angesichts des Gesundheitszustands des Verurteilten ernsthaft zu befürchten ist, dass er bei der Durchführung der Strafvollstreckung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen wird (vgl. BVerfGE 51, 324 <345 ff.>; BVerfGK 17, 133 <140>).
c) Darüber hinaus verpflichtet Art. 1 Abs. 1 GG die Strafvollstreckungsbehörde dazu, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>). Der Strafvollzug steht unter dem Gebot, schädlichen Auswirkungen für die körperliche und geistige Verfassung des Gefangenen im Rahmen seiner Möglichkeiten entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 109, 133 <150 f.>; 117, 71 <91>) und die Gefangenen lebenstüchtig zu halten (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 117, 71 <91>). Ein menschenwürdiger Vollzug der Strafe wäre nicht mehr sichergestellt, wenn dem Verurteilten von vornherein jegliche Hoffnung genommen würde, seine Freiheit wiederzuerlangen. Deshalb muss auch der mit besonders schwerer Tatschuld beladene Verurteilte die grundsätzlich realisierbare Chance haben, seine Freiheit wiederzugewinnen (vgl. BVerfGE 45, 187 <245, 258, 259>; 64, 261 <272>; 72, 105 <116 f.>). Zwar ist der Vollzug der Strafe auch im hohen Lebensalter nicht ausgeschlossen. Fallgestaltungen, die den Verurteilten von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilen oder seine Chance, der Freiheit wieder teilhaftig zu werden, auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest reduzieren, sind dem Strafvollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes grundsätzlich fremd (vgl. BVerfGE 64, 261 <272>; 72, 105 <116 f.>).
d) § 455 StPO trägt diesem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zur Durchsetzung seines Strafanspruchs einerseits und dem Interesse des Verurteilten an der Wahrung seiner Gesundheit und der Erhaltung seiner Lebenstüchtigkeit andererseits Rechnung. Bei der Auslegung von § 455 StPO hat die Vollstreckungsbehörde die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Rechnung zu stellen. § 455 StPO verbietet einen Vollzug, von dem eine nahe Lebensgefahr oder schwere Gesundheitsgefahren drohen. Stehen hingegen ausreichende Mittel zur medizinischen Betreuung und zur Abwehr vorhandener Gesundheitsgefahren zur Verfügung, bedarf es eines Zurücktretens des staatlichen Strafanspruchs nicht (vgl. BVerfGK 17, 133 <141>).
e) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>).
2. Diesen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen Rechnung. Weder beruhen sie auf einer unzureichenden Sachaufklärung (a) noch liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vor (b).
a) Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers durch die Staatsanwaltschaft Hannover und das Landgericht Lüneburg erfolgten auf der Grundlage des ärztlichen Attestes des ehemaligen Hausarztes des Beschwerdeführers, der amtsärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamts des Landkreises Walsrode und des psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. K. Darüber hinaus bezog das Oberlandesgericht Celle bei seiner angegriffenen Entscheidung das vom Beschwerdeführer selbst in Auftrag gegebene psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. D. sowie dessen ergänzende Stellungnahme ein. Vor diesem Hintergrund waren Staatsanwaltschaft und Fachgerichte ohne Weiteres in der Lage, den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einzuordnen und davon ausgehend eine Abwägung zwischen der Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs und den Grundrechten des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vorzunehmen.
Der Einwand des Beschwerdeführers, er sei weder von den Amtsärzten noch von dem Sachverständigen Dr. K. körperlich untersucht worden, vermag keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung zu begründen. Die Bewertung des körperlichen Gesundheitszustands des Beschwerdeführers durch die Amtsärzte und den Sachverständigen Dr. K. erfolgte nach einem Besuch des Beschwerdeführers in seiner Wohnung aufgrund der vollständig vorliegenden Arztbriefe der vergangenen Jahre. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Eine trotz der vorliegenden Arztbriefe unzureichende medizinische Dokumentation des Gesundheitszustands, die eine darüber hinausgehende eigene körperliche Untersuchung durch die Amtsärzte und den Sachverständigen Dr. K. erforderlich gemacht hätte, wird vom Beschwerdeführer jedenfalls nicht substantiiert dargelegt. Darüber hinaus kamen sämtliche verfahrensbeteiligten Ärzte zu dem Ergebnis, dass der körperliche Zustand des Beschwerdeführers zwar einen besonderen Betreuungsbedarf begründet. Wenn diesem Rechnung getragen werde, stehe die körperliche Verfassung des Beschwerdeführers aber dem Vollzug der Strafvollstreckung nicht entgegen. Diese Bewertung wird auch durch den Sachverständigen Dr. D. geteilt, der ausweislich seines Gutachtens eine körperliche Untersuchung unter den Bedingungen der häuslichen Umgebung des Beschwerdeführers durchgeführt hat. Auch nach seiner Einschätzung begründet allenfalls die psychische Verfassung des Beschwerdeführers ein Vollstreckungshindernis. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die angegriffenen Entscheidungen deshalb auf einer unzureichenden Sachaufklärung beruhen, weil seitens der Amtsärzte und des Sachverständigen Dr. K. keine eigene körperliche Untersuchung des Beschwerdeführers durchgeführt wurde.
b) Die in den angegriffenen Entscheidungen durchgeführte Abwägung des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs mit den Grundrechten des Beschwerdeführers lässt eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht erkennen.
aa) Verfassungsrechtlich unbedenklich wird in den angegriffenen Entscheidungen davon ausgegangen, dass das hohe Lebensalter des Beschwerdeführers für sich genommen nicht ausreichend ist, um von der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs abzusehen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass der Beschwerdeführer wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig gesprochen worden ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs ein besonderes Gewicht, dem gegenüber ein eindeutiges Überwiegen der Interessen des Verurteilten an einer Haftverschonung alleine aufgrund seines Alters nicht anzunehmen ist.
bb) Nach den Feststellungen der Fachgerichte kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Vollzug der Freiheitsstrafe unverhältnismäßig ist, weil dem Beschwerdeführer jegliche realistische Chance, seine Freiheit wiederzugewinnen, genommen würde. Zwar ist angesichts des hohen Lebensalters davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nur noch über eine begrenzte Lebenserwartung verfügt. Es ist aber - zumal unter Berücksichtigung der gesetzlichen Möglichkeiten einer teilweisen Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung - nicht erkennbar, dass bei einem Vollzug der vierjährigen Freiheitsstrafe die Chance des Beschwerdeführers, der Freiheit wieder teilhaftig zu werden, von vornherein entfällt oder sich auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest reduziert.
cc) Schließlich ist auch die Einschätzung der Staatsanwaltschaft und der Fachgerichte, der Verhältnismäßigkeit des Vollzugs der Freiheitsstrafe stünden schwere Gesundheitsgefahren oder eine nahe Lebensgefahr des Beschwerdeführers nicht entgegen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Beschwerdeführer leidet zwar unter altersbedingten Krankheiten und bedarf ärztlicher Fürsorge. Nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen steht aber der körperliche Zustand des Beschwerdeführers dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entgegen (s.o., Rn. 15). Den bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen kann durch entsprechende medizinische Vorkehrungen Rechnung getragen werden. Insoweit hat die Justizvollzugsanstalt Uelzen mitgeteilt, dass eine hauptamtliche Ärztin und ausgebildetes Sanitätspersonal zur Versorgung des Beschwerdeführers zur Verfügung steht. Angesichts der Gewährleistung medizinischer Versorgung begründen die bereits bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers kein Überwiegen seiner durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Interessen gegenüber der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch den Vollzug der Freiheitsstrafe schwere, bisher nicht bestehende Gesundheitsgefahren in körperlicher Hinsicht für den Beschwerdeführer begründet würden. Sollten sich im Laufe des Vollzugs erhebliche nachteilige Veränderungen des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers ergeben, kann dem im Wege der Vollzugsunterbrechung gemäß § 455 Abs. 4 StPO Rechnung getragen werden.
Es ist verfassungsrechtlich ferner nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft und die Fachgerichte die Verhältnismäßigkeit des Vollzugs der Freiheitsstrafe auch angesichts der bestehenden psychischen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers bejahten und auch insoweit keine durch den Vollzug drohende nahe Lebensgefahr oder schwere Gesundheitsgefahr festgestellt haben. Das gilt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers trotz des Gutachtens des Sachverständigen Dr. D., der den Zustand des Beschwerdeführers anders als der Sachverständige Dr. K. als höchst labil eingestuft und ausgeführt hat, jede Veränderung des bestehenden Settings, vor allem der Wegfall des vorhandenen sozialen Netzes, bringe den Beschwerdeführer in akute Lebensgefahr. Nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. D. besteht ein hohes Risiko der Dekompensation, die sich zum einen in akuter Suizidalität äußern könne und zum andern die Ausbildung einer hirnorganischen Symptomatik im Sinne zunehmender kognitiver Leistungseinbußen und eine bedrohliche Verschlechterung seines körperlichen Zustands bei Zunahme der Depression befürchten lasse.
Das Oberlandesgericht hat bei der Abwägung in Anbetracht der Schwere des den Beschwerdeführer treffenden Schuldvorwurfs und des daraus resultierenden erheblichen Interesses an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine haftbedingte Lebensgefährdung beziehungsweise naheliegende Gefahr des Todes gefordert. Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.
Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit hat es auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. K. verneint, der - bei mit dem Sachverständigen Dr. D. übereinstimmender Beurteilung der psychischen Ausgangssituation - die Auffassung vertreten hat, daraus lasse sich eine Krankheitsverschlechterung bei Inhaftierung nicht automatisch herleiten. Das Oberlandesgericht hat sich mit der unterschiedlichen sachverständigen Beurteilung eingehend auseinandergesetzt und für die Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. insbesondere angeführt, dass der Beschwerdeführer sich auch der erheblichen Belastung durch das in den Jahren 2013 bis 2016 gegen ihn geführte Strafverfahren gewachsen gezeigt habe, er auch im Vollzug von seinen Angehörigen und dem ihn bislang mitbetreuenden Freund besucht werden könne und er zudem im Justizvollzug, vor allem was seine körperlichen Einschränkungen anbelange, eine Unterstützung erfahren werde, die über das Maß hinausgehen werde, das ihm ausweislich der Stellungnahme seines Hausarztes durch die Unterstützung einer Haushaltshilfe und seines Bekannten bisher zuteil geworden sei. Diese Bewertung ist, auch wenn die genannten Umstände anders sind als das bisherige soziale Netz des Beschwerdeführers, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 13, 127; 102, 197 <198, 224>; ebenso - deklaratorisch - § 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 4
Bearbeiter: Holger Mann