HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 290
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 458/17, Beschluss v. 16.01.2018, HRRS 2018 Nr. 290
1. Dem Angeklagten A. wird auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 30. Mai 2017 gewährt.
Der Angeklagte hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) diesen Angeklagten betreffend,
aa) soweit er im Fall II.2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
bb) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Maßregel der Besserung und Sicherung,
b) die Mitangeklagten H. und M. N. betreffend, im Umfang ihrer Verurteilung.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit „fahrlässiger“ Gefährdung des Straßenverkehrs, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und vorsätzlicher Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt; ferner hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf einer Frist von drei Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Die nicht revidierenden Mitangeklagten H. und M. N. hat das Landgericht wegen Diebstahls mit Waffen (H. N.) bzw. Beihilfe „hierzu“ (M. N.) jeweils zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte A. mit der auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt nach Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Umfang der Aufhebung war die Entscheidung auf die Mitangeklagten zu erstrecken. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den zugunsten der Angeklagten getroffenen Feststellungen zu Fall II.2 der Urteilsgründe kam der in der Spielhalle „F.“ in G. beschäftigte Zeuge Al. auf die Idee, mittels eines vorgetäuschten Überfalls einen höheren Bargeldbetrag zu erbeuten. Auf der Grundlage eines gemeinsam mit den drei Mitangeklagten gefassten Tatplans wurde der Überfall am Morgen des 12. Oktober 2016 ausgeführt. Der Angeklagte A., der, wie er wusste, nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war, fuhr mit einem Pkw der Marke BMW Typ 118i zusammen mit den beiden früheren Mitangeklagten zu der in Aussicht genommenen Spielhalle; dort trafen sie kurz vor 7.00 Uhr ein. H. N. hatte sich, wie zuvor verabredet, teilweise maskiert und ging in die Halle 4a der Spielhalle. Der Zeuge Al., der sich auf die Öffnung der Spielhalle vorbereitete, stand hinter einem Tresen und zählte Geld. H. N. ging auf ihn zu, hielt ihm in einer Entfernung von ca. einem Meter ein etwa 22 cm langes Küchenmesser mit ungefähr 11 cm langer Klinge vor die Brust und forderte ihn auf, ihm das auf dem Tresen bzw. in der offenen Kasse liegende Geld zu übergeben. Der Zeuge tat verängstigt und übergab H. N., scheinbar von dem vorgehaltenen Messer beeindruckt, tatsächlich jedoch aufgrund der vorangegangenen Absprache, einen Betrag in Höhe von 2.512,50 Euro, den H. N. in einer mitgeführten Plastiktüte verstaute. Anschließend flüchteten die drei Mitangeklagten in dem weiterhin vom Angeklagten A. geführten Pkw.
A. fuhr mit hohem Tempo von teilweise mehr als 160 km/h über die Bundesstraße 3 in Richtung B. Zur gleichen Zeit verließ der Zeuge K. - aus Richtung N. kommend - mit seinem Pkw Marke Audi Typ A 2 die Bundesstraße 3 an der Ausfahrt B. (G. Straße). In der dortigen, auf einer Kuppe gelegenen Kreuzung befand er sich in bevorrechtigter Position, als A. des ungehinderten Fortkommens wegen mit sehr hoher und den Straßenverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit ebenfalls in die Kreuzung einfuhr. Er missachtete - gleichgültig und ohne Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer - das in seiner Fahrtrichtung an der Kreuzung befindliche Stoppschild und fuhr mit dem zur Flucht genutzten Fahrzeug in die Beifahrerseite des Pkw des Zeugen K. Dieser wurde durch den Zusammenstoß verletzt, was A. bei Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können. An beiden Wagen entstand Totalschaden in Höhe von „jeweils mehreren tausend Euro“.
Der Angeklagte A. entfernte sich - ebenso wie seine Tatgenossen - von der Unfallstelle, ohne zuvor dem Zeugen K. gegenüber Angaben zu seiner Person und der Art der Unfallbeteiligung gemacht zu haben. Das erbeutete Geld konnte in dem an der Unfallstelle zurückgelassenen Fluchtfahrzeug aufgefunden und sichergestellt werden.
2. Der Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Verurteilung des Angeklagten A. wegen Diebstahls mit Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 19. Dezember 2017 das Folgende ausgeführt:
„Der Schuldspruch (wegen) Diebstahl(s) mit Waffen (§ 244 StGB) kann keinen Bestand haben. Möglicherweise kommt im vorliegenden Fall Unterschlagung (§ 246 StGB) in Betracht.
Ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen hat, hat in aller Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt. Ohne seine Mitwirkung darf niemand Geld aus der Kasse nehmen, damit bei Fehlbeträgen die Verantwortlichkeit festgestellt werden kann. Das generelle Kontroll- und Weisungsrecht des Dienstherren gegenüber seinem Bediensteten begründet nicht ohne weiteres den Mitgewahrsam des Dienstherrn (vgl. BGHR StGB § 246 Abs. 1 Alleingewahrsam 1 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 03. April 2001 - 1 StR 45/01 -, Rn. 5, juris.).
Die Feststellungen des Landgerichts verdeutlichen nicht, worin das Landgericht einen Mitgewahrsam des Spielhallenbetreibers begründet sieht (vgl. UA S. 27). Vielmehr spricht der äußere Anschein, wie das Abrechnen und Zählen von Einnahmen durch den Zeugen Al. sowie das eigenverantwortliche Deponieren von Geldern im Tresor (vgl. UA S. 15, 24 f.), dafür, dass dieser allein die Kasse verwaltet hat. Ob die zur Tatzeit ebenfalls in der Spielhalle beschäftigte Zeugin G. dort Aufgaben wahrgenommen hat, die gegebenenfalls einen Mitgewahrsam am Kasseninhalt begründen, oder ob sonstige Umstände vorliegen, die die Annahme eines Diebstahls rechtfertigen könnten, beispielsweise die Anwesenheit des Spielhallenbetreibers, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die Sache bedarf daher in diesem Punkt erneuter Verhandlung und Entscheidung.
Die Frage, ob das Landgericht im Fall II. 2. im Hinblick auf die verwirklichten Straßenverkehrsdelikte fehlerhaft Tateinheit statt Tatmehrheit annimmt, kann dahin gestellt bleiben, da der Angeklagte insoweit nicht beschwert ist.
Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2 der Urteilsgründe und der zugehörigen Einzelstrafe zieht neben der Aufhebung der Gesamtstrafe auch die der Maßregel (§§ 69, 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) nach sich, denn bei der Begründung der Maßregel und bei der Bestimmung der Dauer der Sperrfrist stützt sich das Landgericht auch auf die im Fall II. 2 mitverwirklichten Straftaten der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs, des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und der fahrlässigen Körperverletzung.“
Dem schließt sich der Senat an.
b) Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten A. im Fall II.2 der Urteilsgründe auf die früheren Mitangeklagten H. und M. N. zu erstrecken.
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. ergeben.
4. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, die Frage der Konkurrenz zwischen dem „Diebstahl mit Waffen“ einerseits sowie der „fahrlässigen“ Gefährdung des Straßenverkehrs, des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und der fahrlässigen Körperverletzung andererseits erneut zu prüfen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liegt eine Teilüberschneidung der Ausführungshandlungen im Stadium zwischen Vollendung und Beendigung des Tatgeschehens in der Spielhalle nicht vor. Die Verwirklichung des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2a und d, Abs. 3 Nr. 1 StGB beginnt erst mit Annäherung an die Kreuzung; die Tat ist kein Dauerdelikt (vgl. König in LK, StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 2, 196; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 315c Rn. 23). Auch wird der neue Tatrichter die Erfüllung der Voraussetzungen des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB - sofern er insoweit nicht von § 154a Abs. 2 StPO Gebrauch macht - genauer als bisher geschehen zu belegen haben (vgl. König, aaO, § 315c Rn. 110). Bei der Fassung des Tenors wird ggf. zu beachten sein, dass die vom Landgericht auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen angenommene Verwirklichung der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB als „vorsätzliche“ Gefährdung des Straßenverkehrs zu kennzeichnen ist (§ 11 Abs. 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2015 - 4 StR 74/15; Beschluss vom 31. Januar 2017 - 4 StR 597/16, NZV 2017, 278 mit Anm. Sandherr).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 290
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 108
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede