HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 866
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 160/16, Urteil v. 12.07.2017, HRRS 2017 Nr. 866
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Januar 2016 wird mit der Maßgabe verworfen, dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes und wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts klingelte der Angeklagte am 27. Juli 2015 gegen 14.00 Uhr spontan an der in einem Behindertenwohnzentrum in A. gelegenen Wohnung der 74-jährigen, behinderten Zeugin H. Diese lag auf ihrem Bett und öffnete mit einem automatischen Türöffner, weil sie ihren Therapeuten erwartete. Der Angeklagte betrat die Wohnung und gab sich als Lieferant für Katzenfutter aus. Die Zeugin forderte ihn auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte ging aus dem Schlafzimmer, kehrte kurze Zeit später aber ans Bett der Zeugin zurück, hielt ihr einen spitzen metallischen Gegenstand mit einer Länge von ca. 6 cm vor, forderte sie auf, ihm Geld zu geben und drohte, sonst müsse er ihr weh tun. Dabei ging die Strafkammer der Einlassung des Angeklagten entsprechend davon aus, dass er einen Schlüssel so in der Hand gehalten habe, dass die Zeugin ihn für ein Messer halten konnte und sollte. Im Anschluss an die weitere Aufforderung, den Notrufknopf nicht zu drücken, wies die Zeugin, die den Schlüssel wie beabsichtigt für ein Messer hielt, angesichts dieser Bedrohung auf ihr Portemonnaie hin, das zehn Euro enthalte. Er solle sich das nehmen und dann gehen. Der Angeklagte nahm das Geld, etwa 14 Euro, an sich und fragte die Zeugin, ob sie noch mehr Geld in der Wohnung habe. Sie verneinte dies. Daraufhin erzählte der Angeklagte, er brauche das Geld für einen kranken Sohn, um die Zeugin zur weiteren Herausgabe von Geld zu bewegen. Als sie ihm nach einiger Zeit zu verstehen gab, dass sie nicht mehr habe, verließ der Angeklagte die Wohnung, um sich von dem erbeuteten Geld Heroin und Bier zu kaufen.
Am nächsten Tag, dem 28. Juli 2015, fuhr der Angeklagte zum Sozialamt der Stadt A., um dort Geld zu bekommen. Als ihm dies nicht gelang, versuchte er ebenfalls erfolglos, beim Pfarrer einer Kirchengemeinde und beim Verwaltungsleiter eines Hospitals zu Bargeld zu gelangen. Er ging sodann in ein nahe gelegenes Seniorenheim, um bei den dortigen Bewohnern - wie in der Vergangenheit schon häufiger geschehen - um Geld zu betteln. Gegen 12.00 Uhr klingelte er an der Wohnungstür der 71-jährigen gehbehinderten Zeugin P. Als diese die Tür öffnete, fragte der Angeklagte nach einem Hausbewohner mit Namen R. oder Ra. Als die Zeugin verneinte, einen Hausbewohner dieses Namens zu kennen, bat er sie um einen Kugelschreiber, um eine Nachricht für ihn aufzuschreiben. In diesem Augenblick fasste er den spontanen Entschluss, die Zeugin zu überfallen und ihr Geld zu entwenden. Er drängte sie zurück in ihr Zimmer und sagte, dies sei ein Überfall. Er fragte nach Geld, woraufhin die Zeugin um Hilfe rief. Er umfasste sie sodann fest am Oberkörper und hielt ihr Mund und Nase zu, so dass sie keine Luft mehr bekam. Nachdem er von ihr abgelassen hatte, forderte er sie auf, ihm Geld zu geben und still zu sein, andernfalls steche er sie ab. Er griff in die von ihm mitgeführte Plastiktüte, woraufhin die Zeugin Todesangst bekam, weil sie glaubte, er würde in der Tüte ein Messer mit sich führen. Unter dem Eindruck der Drohung zeigte die Zeugin dem Angeklagten ihre Geldbörse und sagte zu ihm, er solle sich das Geld nehmen und gehen. Der Angeklagte nahm ca. 40 Euro Bargeld an sich und fragte, ob sie noch mehr habe. Die Zeugin schrie wieder um Hilfe, worauf der Angeklagte erneut drohte, sie abzustechen, und sie ins Badezimmer stieß, um sie dort einzuschließen. Da in der Badezimmertür kein Schlüssel steckte, schloss er mit dem in der Wohnungstür steckenden Schlüssel diese nach Verlassen der Wohnung von außen ab. Die Zeugin floh in Panik auf den Balkon ihrer Wohnung und versuchte, aus Angst vor dem Angeklagten über die Balkonbrüstung zu klettern. Dies beobachteten Zeugen, die die Polizei verständigten. Währenddessen ging der Angeklagte zum K. in A. und kaufte sodann von dem erbeuteten Geld Heroin.
2. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB) hinsichtlich der Tat vom 27. Juli 2015.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB als erfüllt angesehen und dies damit begründet, dass es sich bei dem vom Angeklagten mitgeführten Schlüssel, den er so in der Hand gehalten habe, dass die Zeugin diesen für ein Messer halten sollte, um ein „sonstiges Werkzeug“ gehandelt habe. Diesen habe er zur Überwindung des (möglichen) Widerstandes der Zeugin unter der Drohung „sonst muss ich Dir weh tun“ eingesetzt. Diese rechtliche Bewertung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
Es reicht zur Erfüllung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht aus, irgendeinen Gegenstand zur Überwindung des Widerstands eines Dritten einzusetzen. Nach dem weiten Wortlaut der Norm ist es zwar nicht erforderlich, dass das mitgeführte Werkzeug oder Mittel seiner Beschaffenheit nach objektiv geeignet ist, das Opfer durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen.
Als tatbestandsqualifizierende Drohungsmittel scheiden aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solche Gegenstände aus, bei denen die Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild des Gegenstands selbst, sondern (allein oder jedenfalls maßgeblich) auf täuschenden Erklärungen des Täters beruht (vgl. BGHSt 38, 116, 118 f.; BGH, NStZ 1997, 184; NStZ 2007, 332, 333; Senat, NStZ 2011, 278; 703). Liegt danach aus der Sicht eines objektiven Betrachters auf das äußere Erscheinungsbild die objektive Ungefährlichkeit des Gegenstands offenkundig auf der Hand, liegt kein Fall des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB vor.
Ein solcher Fall, in dem die Rechtsprechung ausnahmsweise von einer Verurteilung gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB absieht, ist nicht gegeben. Ein Schlüssel ist - anders als etwa ein Plastikrohr (BGHSt 38, 116, 117 ff.) oder ein Holzstück (BGH NStZ-RR 1996, 356) - ohne Weiteres geeignet, bei einer Verwendung als Schlag- oder Stoßwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen durchaus ernsthafte Verletzungen zu verursachen. Von einer objektiven Ungefährlichkeit kann insoweit nicht die Rede sein. Dass die Drohwirkung des eingesetzten Schlüssels auch auf dem täuschenden Verhalten des Angeklagten beruht, steht der Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht entgegen. Ob darüber hinaus der konkrete Einsatz des Schlüssels auch den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt, bedarf hier keiner Erörterung; der Angeklagte ist durch das Unterbleiben einer Verurteilung insoweit nicht beschwert.
3. Im Hinblick auf die Dauer des Revisionsverfahrens, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat, war anzuordnen, dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 866
Externe Fundstellen: NJW 2018, 90; NStZ 2017, 581
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner