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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 52/23, Beschluss v. 15.11.2023, HRRS 2024 Nr. 1


BVerfG 1 BvR 52/23 (2. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 15. November 2023 (LG Heilbronn / AG Heilbronn)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung einer Wohnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten (Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung; Wohnungsgrundrecht; grundsätzliche Zulässigkeit einer Durchsuchung zur Ermittlung der Tagessatzhöhe; Unverhältnismäßigkeit bei sich im Einzelfall aufdrängenden milderen Ermittlungsmaßnahmen; Anfrage bei Besoldungsstelle und BaFin; Vorrang der Schätzung); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Rechtsschutzbedürfnis; Feststellungsinteresse nach Vollziehung der Durchsuchung; tiefgreifender Grundrechtseingriff auch bei Kooperation des Betroffenen).

Art. 13 Abs. 1 GG; § 102 StPO; § 160 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 40 Abs. 2 StGB; § 40 Abs. 3 StGB; § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Durchsuchung einer Wohnung mit dem Ziel der Ermittlung der Einkommensverhältnisse des Beschuldigten - als Grundlage für die Festsetzung der Tagessatzhöhe - in einem Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ist unverhältnismäßig, wenn die Ermittlungsbehörden weder den Beschuldigten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen befragt noch auf dessen Erklärung, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, die zuständige Besoldungsstelle um Mitteilung der Besoldungshöhe gebeten haben. Zudem hätten über eine - ebenfalls grundrechtsschonendere - Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eventuelle weitere Einkünfte ermittelt werden können.

2. Dem mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre des Einzelnen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Durchsuchung ist unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des im jeweiligen Verfahrensabschnitt bestehenden Tatverdachts steht.

3. Eine Wohnungsdurchsuchung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil sie allein dem Zweck dient, die Einkommensverhältnisse des Beschuldigten festzustellen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben sich auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; hierzu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zur Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen sind insoweit jedoch grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel selbst eine Schätzung nach § 40 Abs. 3 StGB nicht möglich ist.

4. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Durchsuchungsanordnung besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffs fort, wenn die Durchsuchung vollzogen und damit erledigt ist. Dies gilt auch dann, wenn Durchsuchungsbeamte unter Vorlage des Durchsuchungsbeschlusses dessen Vollzug lediglich ankündigen, den - kooperativen - Betroffenen so zur Herausgabe der gesuchten Gegenstände veranlassen und dabei seine Wohnung betreten.

Entscheidungstenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Heilbronn vom 24. November 2021 - 23 Gs 3515/21 - und vom 27. Januar 2022 - 43 Cs 23 Js 34451/21 - sowie der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 29. Juli 2022 - 2 Qs 16/22 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes.

2. Der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 29. Juli 2022 - 2 Qs 16/22 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten an das Landgericht Heilbronn zurückverwiesen.

3. Damit wird der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 14. September 2022 - 2 Qs 16/22 - gegenstandslos.

4. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts und gegen die zu seinem Antrag auf Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit ergangenen Gerichtsentscheidungen.

1. Der Beschwerdeführer ist verbeamteter Lehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Die Staatsanwaltschaft führte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung. Sie warf ihm vor, am 19. Juni 2021 als Teilnehmer einer Kundgebung von sogenannten Querdenkern zwei dort eingesetzte Polizeibeamte als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ bezeichnet zu haben. In der nach Gewährung von Akteneinsicht mit Schreiben vom 19. November 2021 durch seinen Verteidiger abgegebenen Stellungnahme beantragte dieser die Einstellung des Verfahrens. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. In Rahmen der Stellungnahme teilte der Verteidiger unter anderem auch mit, der Beschwerdeführer sei „Beamter im aktiven Dienst“.

2. Nach Eingang der Stellungnahme beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Das Amtsgericht ordnete daraufhin mit angegriffenem Beschluss vom 24. November 2021 die Durchsuchung unter anderem der Person und der Wohnung des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Die Durchsuchung sei zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts.

Der Beschluss wurde am 14. Januar 2022 vollzogen. Nachdem dem Beschwerdeführer von dem den Einsatz leitenden Polizeibeamten „die weitere Vorgehensweise“ erklärt worden war, gewährte er den Beamten Eintritt in seine Wohnung. Unter deren Aufsicht suchte er seine drei jüngsten Bezügemitteilungen sowie eine Einkommensteuererklärung heraus und händigte diese den Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen wurden daraufhin nicht mehr durchgeführt.

3. Im Rahmen eines Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses machte der Beschwerdeführer geltend, die Durchsuchung seiner Wohnung sei offensichtlich unzulässig gewesen. § 102 der Strafprozessordnung (StPO) decke keine Durchsuchung allein zur Feststellung von Tagessatzhöhen. Die Durchsuchungsanordnung sei auch unverhältnismäßig, denn die gewünschten Ermittlungsergebnisse hätten auch anderweitig beschafft werden können. Die Informationen über sein Einkommen hätten - da sein Beamtenstatus bekannt gewesen sei - grundrechtsneutral über die Besoldungsstelle eingeholt werden können.

Mit angegriffenem Beschluss vom 27. Januar 2022 lehnte das Amtsgericht den Antrag ab. Die Maßnahme sei aufgrund der im Durchsuchungsbeschluss genannten Gründe verhältnismäßig gewesen. Eine Wohnungsdurchsuchung zur Feststellung der Einkommensverhältnisse werde in der Rechtsprechung auch in verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht beanstandet (Verweis auf LG Hagen, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 46 Qs 85/18 -).

4. Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass in der vom Amtsgericht in Bezug genommenen Entscheidung durchaus untersucht worden sei, ob die gewünschten Informationen anderweitig hätten beschafft werden können. Der dortige Täter sei aber kein Beamter gewesen, dessen Einkommen man einfach hätte nachschlagen können. Auch habe dieser auf Befragen im Rahmen der Hauptverhandlung keine Angaben gemacht.

Mit angegriffenem Beschluss vom 29. Juli 2022 verwarf das Landgericht die Beschwerde als unbegründet. Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung sei - wenngleich es sich ersichtlich um einen Grenzfall handle - noch zu bejahen. Mildere Mittel als die Wohnungsdurchsuchung hätten nicht zur Verfügung gestanden. Die Mitteilung, der Beschwerdeführer sei Beamter, habe nicht wesentlich weiter geführt. Viele weitere Faktoren der persönlichen Verhältnisse, die im Rahmen der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen seien, seien gleichwohl nicht geklärt gewesen. Außerdem hätten gegebenenfalls mehrere Besoldungsstellen angefragt und weitere Umfeldermittlungen angestellt werden müssen. All dies hätte im Vergleich zu einer Durchsuchung keine gleich geeignete Ermittlungsmaßnahme dargestellt. Die Durchsuchungsanordnung sei angesichts des starken Tatverdachts und der gravierenden Beleidigung gegenüber im Einsatz befindlichen Polizeibeamten auch angemessen gewesen.

5. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 14. September 2022 verwarf das Landgericht eine hiergegen gerichtete Anhörungsrüge als unbegründet. Eine Gehörsverletzung sei nicht gegeben.

6. Nachdem das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl erlassen und der Beschwerdeführer hiergegen Einspruch eingelegt hatte, fand am 13. Januar 2023 vor dem Amtsgericht eine Hauptverhandlung statt, in der das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde.

II.

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 13, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG. § 102 StPO decke keine Durchsuchungen allein zur Feststellung von Tagessatzhöhen. Die Durchsuchungsanordnung sei jedenfalls unverhältnismäßig gewesen. Als mildere Mittel gegenüber einer Durchsuchung wären Anfragen bei der Besoldungsstelle, beim Beschwerdeführer oder bei dessen Verteidiger in Betracht gekommen.

III.

Die Verfassungsbeschwerdeschrift samt Anlagen ist dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof sowie dem Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg zugestellt worden.

1. Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 28. Juni 2023 zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Diese sei zumindest unbegründet. Die Durchsuchungsmaßnahme sei erforderlich gewesen. Mildere Mittel hätten nicht zur Verfügung gestanden. Die ihm eingeräumte Möglichkeit, zu seinen finanziellen Verhältnissen Stellung zu nehmen, habe der Beschwerdeführer nicht genutzt. Anhaltspunkte dafür, dass er auf Nachfrage freiwillig Einkommensnachweise herausgegeben hätte, hätten nicht bestanden. Die Auswertung von Gehaltsmitteilungen hätte zudem nur eine eingeschränkte Aussagekraft gehabt, weil Beamte über erhebliche Nebeneinkünfte aus Nebentätigkeiten oder aus der Nutzung eigenen Vermögens verfügen könnten, die sich insbesondere der Kenntnis der Besoldungsstelle entzögen. Zudem sei grundsätzlich der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung dem Nettoeinkommen hinzuzurechnen, soweit dieser nicht durch die Leistung entsprechender Schuldzinsen aufgezehrt werde. Die Schätzungsmöglichkeit nach § 40 Abs. 3 StGB könne die Durchführung von Ermittlungen nicht ersetzen, weil auch sie die Feststellung der Schätzungsgrundlagen voraussetze. Eine Abfrage aus dem Dateisystem der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und anschließende Bankanfragen hätten angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung von gegebenenfalls auch sensiblen Daten keinen weniger intensiven Grundrechtseingriff bedeutet als eine Wohnungsdurchsuchung.

2. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts erwidert. Das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist, jedenfalls soweit eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG gerügt wird, zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde entfiel nicht durch den Vollzug des Durchsuchungsbeschlusses am 14. Januar 2022. Auch nach Erledigung einer belastenden Maßnahme kann das Rechtsschutzbedürfnis fortbestehen, wenn es sich um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff handelte und sich die Maßnahme typischerweise auf einen Zeitraum beschränkte, in dem Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen können (vgl. BVerfGE 117, 244 <268> m.w.N.). Ein tiefgreifender Grundrechtseingriff kommt vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz vorbeugend dem Richter vorbehalten hat. Zur Fallgruppe dieser Eingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor einer möglichen gerichtlichen Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört insbesondere die Durchsuchung aufgrund einer richterlichen Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfGE 117, 244 <269> m.w.N.). Dabei ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff nicht nur gegeben, wenn es zu einer Durchsuchung im Sinne eines „wahllosen Herumwühlens“ (vgl. BVerfGE 75, 318 <327>) in der Wohnung kommt, sondern jedenfalls schon dann, wenn Durchsuchungsbeamte einem Betroffenen - wie im Streitfall - den Durchsuchungsbeschluss lediglich vorlegen, dessen Vollzug ankündigen und unter dem Eindruck dieses Beschlusses und der drohenden Durchsuchung die Kooperation eines Betroffenen veranlassen und dabei seine Wohnung betreten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2008 - 2 BvR 683/08 -, Rn. 18 m.w.N.).

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben ist, ist sie auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

a) Zwar war die Durchsuchung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich seine Einkommensverhältnisse ermittelt werden sollten. Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 StPO haben sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft - unabhängig davon, ob der Erlass eines Strafbefehls beantragt oder Anklage erhoben werden soll - auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; dazu zählen - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen bei Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung dieser Umstände sind verfassungsrechtlich daher nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 - 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 12 f.).

b) Allerdings war die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig.

aa) Eine Durchsuchung greift in die durch Art. 13 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem erheblichen Eingriff entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 - 2 BvR 1361/13 -, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 - 2 BvR 1844/21 -, Rn. 46). Dabei ist es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts (vgl. BVerfGK 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2018 - 2 BvR 2993/14 -, Rn. 25) oder zur Schwere der Straftat steht.

bb) Die Anordnung der Durchsuchung war danach unangemessen. Den Ermittlungsbehörden standen naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die ohne greifbare Gründe unterblieben sind. Ob diese hier ebenso wirksam gewesen wären wie eine Wohnungsdurchsuchung, also mildere Mittel im technischen Sinne dargestellt hätten (vgl. dazu BVerfGE 126, 112 <144 f.>; 155, 238 <280 Rn. 105>; stRspr), kann im Streitfall dahinstehen. Denn angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat.

(1) Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit freiwillige Angaben verweigert hätte und seine Befragung daher aussichtslos gewesen wäre, lagen nicht vor. Zwar hatte sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm von der Staatsanwaltschaft nach § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO eingeräumten Möglichkeit, sich zu dem Tatvorwurf schriftlich zu äußern, darauf beschränkt, das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu bestreiten. Allein daraus konnte jedoch nicht geschlossen werden, dass er auf konkrete Nachfrage hin freiwillige Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert hätte, denn Angaben dazu waren zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht nicht veranlasst gewesen und mussten dem Ziel seiner ersten Einlassung, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, widersprechen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlusts, die nur durch eine Wohnungsdurchsuchung hätte abgewendet werden können, bestand nicht.

Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hätte daher im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung zu erlangenden Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Im Hinblick auf diese insofern naheliegende und gegenüber einer Wohnungsdurchsuchung grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme stellt sich die Durchsuchungsanordnung daher jedenfalls angesichts der geringen Schwere der vorgeworfenen Straftat als unangemessen dar.

(2) Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen (vgl. dazu Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 160 Rn. 18; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, § 40 Rn. 16 <1. Mai 2023>). Nachdem der Wohnort des Beschwerdeführers bekannt war und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 - 2 BvR 67/15 -, Rn. 23). Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften eines Beschuldigten zu erlangen. § 40 Abs. 3 StGB erfordert aber - zumal in Fällen der kleineren Kriminalität (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 - 2 BvR 67/15 -, Rn. 22) - auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 - 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 3 und 13), wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - 1 StR 147/17 -, Rn. 10 ff.). Hinzu kommt, dass es sich bei der Festlegung der Tagessatzhöhe um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung handelt, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - 1 StR 147/17 -, Rn. 7). Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Januar 2007 - 1 Ws 15/07 u.a. -, Rn. 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 12. Februar 2009 - 1 Ss 160/08 -, Rn. 15; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 23. November 2009 - 1 Ss 104/09 -, Rn. 15).

Hätten sich Staatsanwaltschaft und Amtsgericht mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, hätten darüber hinaus durch eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage) aber auch die Bankkonten und Bankdepots in Erfahrung gebracht werden können, bezüglich derer der Beschwerdeführer wirtschaftlich Berechtigter ist (vgl. § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz). Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Auch insoweit hätte es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung im Grundsatz um eine grundrechtsschonende Maßnahme gehandelt. Zwar stellen eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung gegebenenfalls auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. BVerfGE 118, 168 <185 f.>). Bankanfragen werden dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung sein (zur Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch beim Verdacht nur geringfügiger Straftaten vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Februar 2015 - 4 Ws 19/15 -, Rn. 8 und 11; Sackreuther, in: BeckOK StPO, § 160 Rn. 20 <1. April 2023>).

3. Nachdem die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG erfolgreich ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob auch ein Verstoß gegen weitere vom Beschwerdeführer als verletzt gerügte Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte vorliegt.

V.

1. Es war festzustellen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Heilbronn vom 24. November 2021 und vom 27. Januar 2022 sowie der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 29. Juli 2022 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

2. Der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 29. Juli 2022 war aufzuheben und die Sache lediglich noch wegen der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Heilbronn zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 14. September 2022 wird damit gegenstandslos.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1

Bearbeiter: Holger Mann