HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 3
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1749/20, Beschluss v. 05.12.2023, HRRS 2024 Nr. 3
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 - (348 Gs) 231 Js 1812/19 (1887/19) - und vom 6. September 2019 - 348 Gs 2464/19 - und der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 - 528 Qs 44/20 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz.
2. Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 - 528 Qs 44/20 - wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht Berlin zur Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.
3. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zwei amtsgerichtliche Durchsuchungsanordnungen und ein Beschluss des Landgerichts im Beschwerdeverfahren.
1. Am 13. Mai 2019, gegen 18:00 Uhr, wurde die Beschwerdeführerin von zwei Bediensteten der Polizei dabei beobachtet, wie sie gemeinsam mit einer weiteren Person einen Schaukasten an einer Bushaltestelle öffnete, um das dortige Werbeplakat der Bundeswehr abzuhängen und durch ein optisch sehr ähnliches, aber verfälschtes Plakat zu ersetzen. Der ursprüngliche Text des Plakats war in sinnentstellender Weise so verändert worden, dass es, dem Werbezweck des Plakats zuwider, Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte. Die Polizisten unterbanden den Versuch und stellten das Werkzeug zum Öffnen des Schaukastens und das mitgebrachte verfremdete Plakat sicher. Das Originalplakat wurde wieder im Schaukasten aufgehängt.
2. a) Im Rahmen seines Zwischenberichts vom 26. Juni 2019 führte das Polizeipräsidium Berlin aus, es handele sich bei dem Vorgang um eine sogenannte „Adbusting“-Aktion. Dabei würden Werbeplakate im öffentlichen Raum in einer Weise verfremdet beziehungsweise umgestaltet, dass deren ursprünglicher Sinn abgeändert oder lächerlich gemacht werde. Dies sei mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden. Buchstaben und Textzeilen müssten exakt demontiert und geändert werden, sodass das Plakat von einem außenstehenden Betrachter zunächst nicht als sinnverändert wahrgenommen werde. Am 15. Juni 2019 seien im Stadtgebiet erneut diverse, auf die bereits beschriebene Weise veränderte Werbeplakate der Bundeswehr festgestellt worden. Die Ermittlungen würden derzeit gegen „Unbekannt“ geführt. Eine erste Inaugenscheinnahme lasse durchaus Parallelen zu den hier in Rede stehenden Veränderungen erkennen. Unter Bezugnahme auf diese Fakten und Hinweise werde die Staatsanwaltschaft ersucht, einen Beschluss zur Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume der Beschwerdeführerin zu erwirken. Zu erwarten stehe, dass in der Wohnung weitere entwendete Werbeplakate der Bundeswehr sowie jene Plakate, die sich ursprünglich in den Schaukästen befunden hätten, aufgefunden werden könnten. Zudem sei davon auszugehen, dass in der Wohnung der Tatverdächtigen Unterlagen und Materialien festgestellt werden könnten, die für die Planung und Umsetzung der Aktionen benötigt worden seien.
b) Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Durchsuchung zunächst ab, da bei der Beschuldigten das Tatwerkzeug sichergestellt worden sei und weitere Plakate, die eventuell gefunden würden, wohl keinen konkreten Straftaten zugeordnet werden könnten. Die Staatsanwaltschaft änderte ihre Auffassung jedoch und beantragte den Erlass einer Durchsuchungsanordnung, nachdem das Polizeipräsidium Berlin erklärt hatte, alle Plakatmotive der Bundeswehr könnten eindeutig einem Datum und somit einem Tatzeitraum zugeordnet werden. Das in Rede stehende Plakat entstamme einer Werbekampagne in den Monaten Mai und Juni 2018. Da die Umdeutungen der Plakate mit erheblichem Aufwand verbunden seien und sich die Inhalte der Aushänge voneinander unterschieden, sei anzunehmen, dass durch die Beschuldigte mehrere Plakate entwendet worden seien, um eventuell misslungene Versuche zu kompensieren. Es erscheine daher nicht plausibel, dass ausschließlich das hier sichergestellte Plakat entwendet worden sei.
3. a) Mit Beschluss vom 17. Juli 2019 ordnete das Amtsgericht Tiergarten die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Die Beschwerdeführerin sei unter anderem des besonders schweren Falles des Diebstahls verdächtig. Sie habe nach derzeitigem Stand der Ermittlungen gemeinsam mit der Mitbeschuldigten am 13. Mai 2019, gegen 18:00 Uhr, an der Bushaltestelle „Herrfurthstraße“, Berlin, einen Werbeschaukasten mittels eines nicht offiziell erhältlichen Sechskant-Steckschlüssels geöffnet, um das darin befindliche Plakat zu entnehmen und um dieses für sich oder eine andere Person zu verwenden. Die Beschwerdeführerin sei im Begriff gewesen, ein neues, selbstgestaltetes Plakat aufzuhängen, bei dem die Werbeaufschrift unbefugt verändert worden sei. Die Anordnung der Durchsuchung sei verhältnismäßig. Mildere Maßnahmen seien nicht ersichtlich. Die Durchsuchung werde vermutlich zur Auffindung von Beweismitteln - soweit sie Bezug zu den Tatvorwürfen hätten -, insbesondere von aus Schaukästen einer im Beschluss bezeichneten Firma entwendeten Werbeplakaten sowie von Tatmitteln (Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung der Plakate) sowie von Mobiltelefonen oder Tablets zur fotografischen Dokumentation führen.
b) Am 6. September 2019 wurde der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt. Dabei wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nicht unter der dort angegebenen Adresse wohne, sondern unter einer anderen Anschrift zu erreichen sei. Mit telefonischem, schriftlich dokumentiertem Beschluss vom 6. September 2019 ordnete das Amtsgericht Tiergarten die Durchsuchung auch dieser Wohnung an, die sodann entsprechend erfolgte.
4. Am 3. Dezember 2019 wurde das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin durch die Staatsanwaltschaft Berlin nach § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO eingestellt, da die Schuld der Beschwerdeführerin als gering anzusehen sei und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehe.
5. a) Mit am 16. Juli 2020 bei der Justizbehörde Berlin-Moabit eingegangenem Schreiben erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17. Juli 2019. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass das sogenannte „Adbusting“ grundrechtlich geschützt sei, sodass die Strafbarkeit in Zweifel gezogen werde müsse. Die Durchsuchung sei jedenfalls rechtswidrig gewesen, da sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt habe.
b) Mit Beschluss vom 24. August 2020 verwarf das Landgericht Berlin die Beschwerde als unbegründet. Das Landgericht legte den Antrag der Beschwerdeführerin dabei dahingehend aus, dass auch der ergänzende Beschluss vom 6. September 2019 als von der Beschwerdeführerin angegriffen verstanden werde. Der Anfangsverdacht einer Straftat habe vorgelegen, weil das Verhalten der Beschwerdeführerin als versuchter Diebstahl und Sachbeschädigung einzustufen sei. Die Durchsuchung sei auch nicht unzulässigerweise im Hinblick auf andere Fälle des sogenannten „Adbustings“ erfolgt, sondern zur Untermauerung des Tatverdachts in dem konkret gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei noch gewahrt worden. Durch Auffinden weiterer (eventuell bereits ganz oder teilweise veränderter) Plakate hätte sich der Tatverdacht noch weiter erhärten lassen. Ein milderes, gleich wirksames Mittel habe nicht zur Verfügung gestanden. Der Eingriff sei angemessen.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), ihrer Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG).
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Durchsuchung verletze ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, da der in der Durchsuchung liegende Eingriff nicht gerechtfertigt sei. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen setzten sich nur in unzureichender Weise mit dem Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts auseinander. Das Landgericht gehe - in Abweichung zu der Bewertung durch das Amtsgericht - von einem versuchten einfachen Diebstahl mit Sachbeschädigung aus. Der im Rahmen des objektiven Tatbestandes des § 242 Abs. 1 StGB zur Vollendung erforderliche Gewahrsamswechsel sei noch nicht eingetreten gewesen. Die in subjektiver Hinsicht vorausgesetzte Zueignungsabsicht liege nicht auf der Hand, denn bei „Adbusting“-Aktionen würden die Originalplakate regelmäßig im Schaukasten verbleiben. Ohne weitere Anhaltspunkte könne nicht darauf geschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin beabsichtigt habe, sich das Original zuzueignen. Unberücksichtigt sei auch geblieben, dass es sich um eine Sache von geringem Wert gehandelt habe. Weiterhin hätten Amts- wie Landgericht lediglich weitgehend stillschweigend angenommen, eine Durchsuchung werde wahrscheinlich zur Auffindung weiterer Beweismittel führen. Dies hätte im vorliegenden Fall ausführlicher Begründung bedurft, da die Beschwerdeführerin auf frischer Tat betroffen worden sei und sie ab diesem Zeitpunkt gewusst habe, dass sie einer Straftat verdächtig sei. Sie habe über zwei Monate lang Zeit gehabt, weitere bei ihr befindliche Beweismittel zu beseitigen. Zuletzt sei die Durchsuchung nicht erforderlich gewesen, da die Beschwerdeführerin auf frischer Tat ergriffen worden sei und die unmittelbaren Tatmittel sichergestellt worden seien.
Auch Art. 5 Abs. 1 GG sei verletzt worden. Das von der Beschwerdeführerin zur Aufhängung bestimmte Plakat habe die Rekrutierungskampagne der Bundeswehr kritisiert und auf den Zusammenhang jeder Tätigkeit bei dieser Institution mit bewaffneten Einsätzen hingewiesen. Der Eröffnung des Schutzbereichs könne nicht entgegengehalten werden, dass die Beschwerdeführerin beabsichtigt habe, sich fremden Eigentums zu bedienen. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit festgestellt, dass sich die Gewährleistung der Kunstfreiheit nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums erstrecke. Dies sei jedoch nicht als Einschränkung des Schutzbereichs der Meinungs- und der Kunstfreiheit zu verstehen, sondern zeige lediglich auf, dass Eingriffe in diese Rechte aufgrund gesetzlicher Grundlage (z.B. § 303 Abs. 1 StGB) gerechtfertigt sein könnten. Diese Ausführungen seien auf die Meinungsfreiheit übertragbar. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt, da er unverhältnismäßig sei. Zuletzt sei aufgrund dieser Erwägungen auch die Kunstfreiheit verletzt.
Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerde der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zugestellt und Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
1. Die Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin hat die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegt und von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.
2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mit Schreiben vom 13. Februar 2023 zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen und ausgeführt, die Verfassungsbeschwerde sei jedenfalls unbegründet. Der Durchsuchung liege der Anfangsverdacht einer Straftat zugrunde. Zudem würden die Durchsuchungsbeschlüsse dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Auch bei einem Zeitraum von gut zwei Monaten, der zwischen dem Antreffen der Beschwerdeführerin und dem Erlass des Durchsuchungsbeschlusses verstrichen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Durchsuchung von vornherein ungeeignet sei, Beweismittel zutage zu fördern. Die Durchsuchung sei auch erforderlich gewesen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin auf frischer Tat betroffen worden sei, könne nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass sie Enteignungs- und Aneignungsvorsatz gehabt habe. Die Suche nach weiteren - gegebenenfalls bei früheren, vergleichbaren Aktionen entwendeten - Plakaten hätte ebenso wie die Suche nach digitalen Dokumentationen von „Adbusting“-Aktionen Schlüsse auf die Zueignungsabsicht zulassen können. Die Durchsuchung sei auch angemessen. Zu beachten sei im Rahmen der Abwägung, dass der Schuldgehalt nicht allein aufgrund des in Rede stehenden Materialwertes zu bestimmen sei, sondern dass zum Zeitpunkt der Anordnung belastbare Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die Beschwerdeführerin zu einer „Szene“ gehöre, deren Strategie es sei, durch Eingriffe in fremdes Eigentum die eigenen politischen Vorstellungen zu propagieren. Hätten die weiteren Ermittlungen bestätigt, dass die Beschwerdeführerin nicht bei einer einmaligen Aktion betroffen worden sei, sondern dass sie in der Absicht gehandelt habe, auch künftig vergleichbare, strafbare Aktionen durchzuführen, so müsste dies erschwerend berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die ebenfalls nicht fernliegende Möglichkeit, dass sich bei der Durchsuchung belastbare Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der fraglichen Tat bereits vergleichbare Taten vorausgegangen seien. Auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten sei die konsequente Strafverfolgung auch einer geringfügig erscheinenden einzelnen Tat erforderlich. Die Beschwerdeführerin sei daneben auch nicht in ihrer Meinungs- und Kunstfreiheit verletzt. Die Kunstfreiheit könne die Benutzung fremden Eigentums im Regelfall nicht rechtfertigen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, § 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93b Satz 1, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die zulässige Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist offensichtlich begründet und wirft keine grundsätzlichen Fragen auf. Insbesondere stellen sich weder im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG noch bezüglich Art. 5 Abs. 1 und 3 GG neue, bislang nicht entschiedene Fragen. Es bedarf lediglich der Anwendung der bereits geklärten verfassungsrechtlichen Maßstäbe. Wegen der Schwere der mit den Durchsuchungen einhergehenden Grundrechtseingriffe ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin auch geboten.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde sie nach Erschöpfung des Rechtswegs fristgerecht erhoben. Darüber hinaus wurde sie substantiiert begründet, denn jedenfalls die Rüge, Art. 13 Abs. 1 GG sei verletzt, genügt den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG (a). Ein Verstoß gegen die Meinungs- oder Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin ist dagegen weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich (b).
a) Die amtsgerichtlichen Durchsuchungsanordnungen vom 17. Juli 2019 und 6. September 2019 und der Beschluss des Landgerichts vom 24. August 2020 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG.
aa) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>).
bb) Ein Eingriff in Form einer Durchsuchung kann nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden.
(1) Erforderlich hierfür ist eine parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage (vgl. BVerfGK 16, 142 <145>), die die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Durchsuchung regelt (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 13 Rn. 49), die Anordnung der Durchsuchung durch den Richter, bei Gefahr im Verzug durch die anderen in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten Organe, und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit BVerfGK 16, 142 <146>). Die Anwendung des einfachen Rechts obliegt dabei grundsätzlich den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>; 18, 85 <92>; 95, 96 <127 f.>; 115, 166 <199>).
(2) Im Strafprozess dient § 102 StPO als parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten.
Nach § 102 StPO notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung nach dieser Vorschrift ist der Verdacht, dass durch den Adressaten der Durchsuchung eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>).
Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. April 2015 - 2 BvR 440/14 -, Rn. 14; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 - 2 BvR 2180/20 -, Rn. 28).
Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der konkreten Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <198>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf verfahrenserhebliche Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 - 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19 -, Rn. 25). Die Auffindewahrscheinlichkeit ist insbesondere bei länger zurückliegenden Ereignissen oder bei Kenntnis des Betroffenen von den Ermittlungen sorgfältig zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2020 - 2 BvR 1188/18 -, juris, Rn. 59).
cc) Diesem Maßstab werden die Durchsuchungsanordnungen vom 17. Juli und 6. September 2019 sowie die Beschwerdeentscheidung vom 24. August 2020 nicht gerecht. Zwar bestand im Zeitpunkt der Durchsuchung der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin eine Straftat begangen hatte (1). Zudem beschreiben die Durchsuchungsanordnungen die aufzuklärende Straftat hinreichend genau, sodass die Umgrenzungsfunktion gewahrt ist (2). Die Durchsuchung entspricht jedoch nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (3).
(1) Wegen des Vorgangs am 13. Mai 2019 lag ein Anfangsverdacht einer Straftat vor.
(a) Je nach Begehungsweise kann „Adbusting“ strafbar sein. Dies gilt etwa dann, wenn das jeweils abgehängte Plakat nicht (zusammengerollt) im Schaukasten verbleibt, sondern mitgenommen wird (§ 242 Abs. 1 StGB). Wird ein derart entwendetes Originalplakat selbst verfälscht, so liegt zudem noch eine Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) vor (vgl. Lampe/Uphues, NJW 2021, S. 730 <731 f.>). Die Meinungs- oder Kunstfreiheit stehen der Strafbarkeit des „Adbustings“ nicht zwingend entgegen. Es dürfte zwar nicht auszuschließen sein, dass „Adbusting“, welches stets auf die eigenmächtige Inanspruchnahme fremden Eigentums angewiesen ist, je nach Einzelfall eine Art der künstlerischen Betätigung darstellen kann. Ein prinzipieller Vorrang der Eigentumsgarantie vor der Gewährleistung der Kunstfreiheit lässt sich - wie auch umgekehrt ein prinzipieller Vorrang der Kunstfreiheit vor dem Eigentum - nicht aus der Verfassung herleiten (vgl. BVerfGE 142, 74 <104 Rn. 90>). Selbst wenn eine „Adbusting“-Aktion im Einzelfall dem Schutzbereich der Kunst- oder Meinungsfreiheit unterfallen sollte, besteht daher die Möglichkeit der strafrechtlichen Ahndung, wenn eine Abwägung ergibt, dass die Kunstfreiheit hinter den Eigentumsinteressen des Geschädigten zurücktreten muss (vgl. BVerfGE 142, 74 <104 Rn. 90>).
Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls ist wegen Geringwertigkeit (vgl. Lampe/Uphues, NJW 2021, S. 730 <732>) in aller Regel auszuschließen. Es kommt dabei entscheidend auf den Wert der entwendeten Sache, das heißt des Plakats, an. Nicht maßgeblich ist dagegen der Mietwert des Schaukastens, da der Besitz an diesem dem Berechtigten in der Regel wohl nicht dauerhaft vorenthalten werden soll, es diesbezüglich jedenfalls an der Absicht rechtswidriger Zueignung fehlen dürfte (vgl. zur Abgrenzung des Diebstahls zur bloßen Gebrauchsanmaßung Schmitz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 149 f.).
(b) Vor diesem Hintergrund war die Beschwerdeführerin zumindest verdächtig, am 13. Mai 2019 einen versuchten (einfachen) Diebstahl begangen zu haben, weil sie dabei beobachtet worden war, wie sie aus einem Schaukasten ein Werbeplakat entnommen hatte. Da der Bruch fremden Gewahrsams noch nicht eingetreten war, konnte lediglich von einer Versuchsstrafbarkeit ausgegangen werden. Der Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer vollendeten Sachbeschädigung an dem mitgebrachten, verfremdeten Plakat erweist sich demgegenüber allenfalls als schwach. Die Beschwerdeführerin ist am 13. Mai 2019 dabei beobachtet worden, wie sie ein verändertes Plakat bei sich trug und in den Schaukasten hängen wollte. Ob allein aufgrund dieser Tatsache angenommen werden kann, dass dieses Plakat möglicherweise in fremden Eigentum steht und durch die Beschwerdeführerin verfremdet wurde, ist zweifelhaft.
(2) Der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG wurde gewahrt. Das Amtsgericht Tiergarten brachte in seinen Durchsuchungsbeschlüssen zum Ausdruck, dass die Durchsuchung allein den Zweck verfolgen sollte, die mit den Geschehnissen vom 13. Mai 2019 in Zusammenhang stehenden Tatvorwürfe aufzuklären und die Absichten der Beschwerdeführerin zu erhellen. Dieser Auffassung schloss sich das Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung ausdrücklich an, indem es klarstellte, dass die Durchsuchungsbeschlüsse gerade nicht (unzulässigerweise) im Hinblick auf weitere Fälle des sogenannten „Adbustings“ erfolgt seien, sondern zur Untermauerung des hiesigen Tatverdachts.
(3) Die so auszulegenden Durchsuchungsbeschlüsse genügen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <198>). Zwar wurde die Beschwerdeführerin im Moment der Abnahme des Plakats von zwei Polizeibeamten beobachtet, sodass der Verdacht des versuchten Diebstahls besteht. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen jedoch der allenfalls schwache Anfangsverdacht einer vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.
(a) Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich mit der Schwere der Taten und der zu erwartenden Strafe nicht hinreichend auseinander. Der pauschale Verweis auf den Strafrahmen - so wie durch das Beschwerdegericht geschehen - reicht nicht aus, um die Schwere der verfolgten Taten zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 384/07 -, juris, Rn. 18).
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann lediglich berücksichtigt werden, welche Strafe hinsichtlich der konkreten Tat zu erwarten war, die durch die Durchsuchung aufgeklärt werden sollte. Wie bereits dargestellt, beschränkt die Durchsuchungsanordnung den Zweck der Durchsuchung auf die Aufklärung der Geschehnisse vom 13. Mai 2019. Ob die Durchsuchung eventuell zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des „Adbustings“ hätte beitragen können, muss bei der Frage nach der Schwere der aufzuklärenden Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe - hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestätigt - wäre daher voraussichtlich niedrig ausgefallen. Zwar spricht aus den Taten die Bereitschaft, sich über fremde Eigentums- und Besitzrechte hinwegzusetzen. Zudem übersteigt der Werbewert der Plakate deren materiellen Wert, sodass voraussichtlich keine Bagatellstraftaten anzunehmen gewesen wären. Da es sich bei Erhärtung des Tatverdachts jedoch lediglich um einen versuchten Diebstahl und eine Sachbeschädigung einer jeweils nicht wertvollen Sache gehandelt hätte, wäre die zu erwartende Strafe aufgrund der fehlenden Schwere der Taten wohl dennoch gering.
(b) Zudem ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Vorgänge vom 13. Mai 2019 hätten erhärten können. Selbst wenn - wie in den Durchsuchungsanordnungen angegeben - in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so könnten diese Gegenstände allenfalls belegen, dass die Beschwerdeführerin wohl für die „Adbusting“-Szene aktiv ist. Einen Rückschluss darauf, ob die Beschwerdeführerin am 13. Mai 2019 in Zueignungsabsicht gehandelt hat, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu. Es bliebe trotz des Auffindens der Beweismittel möglich, dass es der Beschwerdeführerin an diesem Tag nur darum gegangen war, das verfremdete Plakat aufzuhängen, ohne das Originalplakat mitzunehmen. Auch könnten derartige Beweismittel kaum belegen, dass das am 13. Mai 2019 sichergestellte, veränderte Plakat in fremdem Eigentum steht und von der Beschwerdeführerin beschädigt worden ist. So ist bereits unklar, welches Beweismittel zur Klärung der Frage, wer Eigentümer des Plakats ist, geeignet sein sollte. In Betracht kämen hier wohl lediglich persönliche oder digitale Aufzeichnungen über die Entwendung des konkret sichergestellten Plakats. Da die Existenz eines solchen Beweismittels höchst zweifelhaft ist, kann auch die Auffindewahrscheinlichkeit nur als äußerst gering betrachtet werden.
b) Demgegenüber verstoßen die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 und 6. September 2019 sowie des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 nicht gegen die Grundrechte der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Zum einen ist nicht substantiiert dargelegt oder anderweitig ersichtlich, warum die Meinungs- oder die Kunstfreiheit, sofern denn deren Schutzbereiche eröffnet sein sollten, einer je nach Begehungsweise in Betracht kommenden (vgl. hierzu Lampe/Uphues, NJW 2021, S. 730 ff.) Strafbarkeit des „Adbustings“ und damit der Annahme eines strafprozessualen Anfangsverdachts durchgreifend entgegenstehen sollten. Zum anderen ist nicht anzunehmen, dass in den Durchsuchungen selbst wegen des mit ihnen einhergehenden Abschreckungseffekts Eingriffe in die Meinungs- und Kunstfreiheit liegen. Derartige Wirkungen einer strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme müssten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG berücksichtigt werden; sie begründen aber keine eigenständigen Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG (zu vergleichbaren Auswirkungen einer Durchsuchung auf die Berufsfreiheit vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2009 - 2 BvR 1036/08 -, juris, Rn. 64).
Die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfahren der Verfassungsbeschwerde sind gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG dem Land Berlin aufzuerlegen.
Demnach ist festzustellen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 - (348 Gs) 231 Js 1812/19 (1887/19) - und vom 6. September 2019 - 348 Gs 2464/19 - und der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 - 528 Qs 44/20 - die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 ist gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Von einer Aufhebung der amtsgerichtlichen Beschlüsse ist abzusehen, da deren Wirkungen mit Vollzug der Durchsuchungen entfallen sind (vgl. BVerfGE 42, 212 <222>; 44, 353 <383>). Die Sache ist lediglich noch wegen der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. Da die Durchsuchungsanordnungen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind, verbleibt dem Landgericht in der Sache kein eigener Entscheidungsspielraum mehr. Das Bundesverfassungsgericht kann in diesem Umfang von einer Zurückverweisung an das Landgericht absehen und selbst die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme feststellen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 3
Bearbeiter: Holger Mann