Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2022
23. Jahrgang
PDF-Download
Von Dr. Tobias Wickel, Ulm[*]
Die gerichtliche Entscheidung im selbständigen Einziehungsverfahren setzt nach § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO grundsätzlich die Durchführung eines dem Zwischenverfahren i.S.d. §§ 199 ff. StPO im Wesentlichen gleichkommenden Verfahrens und dementsprechend den Erlass eines Eröffnungsbeschlusses voraus. In jüngerer Zeit sind einige obergerichtliche Entscheidungen zu verzeichnen, in denen es zur Einstellung selbständiger Einziehungsverfahren infolge fehlender Beschlüsse über deren Eröffnung kam. Der Beitrag setzt sich vor diesem Hintergrund mit dem Beschluss des OLG Koblenz vom 30.11.2021, der eine solche Konstellation betrifft, auseinander und wendet sich insbesondere der dort am Rande behandelten Frage zu, wann das der Einziehungsanordnung vorgeschaltete Zwischenverfahren nicht ausführbar und damit ein Eröffnungsbeschluss entbehrlich ist.
Der Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Koblenz lag, soweit hier von Bedeutung, folgender Sachverhalt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft beantragte in ihrer Antragsschrift die selbständige Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von knapp 120.000 Euro gegen die beiden flüchtigen Einziehungsbeteiligten. In der Antragsschrift wurde hinsichtlich der tatsächlichen Umstände der den Einziehungsbeteiligten angelasteten Straftaten auf die gegen sie ergangenen Haftbefehle sowie eine Anklageschrift gegen einen gesondert verfolgten Dritten Bezug genommen.
Der Vorsitzende des Gerichts verfügte in der Folge die Zustellung der Antragsschrift an die Rechtsanwälte der Einziehungsbeteiligten, für die sich zwar keine Vollmacht für das selbständige Einziehungsverfahren, wohl aber für ein parallel geführtes Strafverfahren bei den Akten befand. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats gewährt, die Rechtsanwälte zeigten daraufhin ihre Bevollmächtigung für das selbständige Einziehungsverfahren an.
Das Gericht ordnete sodann die Einziehung des Wertes von Taterträgen in das Vermögen der Einziehungsbeteiligten, wie von der StA beantragt, an. Hiergegen legte ein Einziehungsbeteiligter sofortige Beschwerde ein, die zur Aufhebung der landgerichtlichen Beschlüsse und zur Einstellung des selbständigen Einziehungsverfahrens mit Wirkung für beide Einziehungsbeteiligte führte.
Nach Auffassung des 2. Strafsenats genügte bereits die Antragsschrift angesichts ihrer zahlreichen Bezugnahmen auf jeweilige Haftbefehle nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Darüber hinaus habe es das Gericht versäumt, einen – nach § 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. §§ 203, 207 StPO gebotenen – Eröffnungsbeschluss zu fassen. Denn grundsätzlich habe ein dem strafprozessualen Zwischenverfahren entsprechendes Verfahren stattzufinden. Zwar habe dies gemäß § 435 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO nur zu erfolgen, soweit ein solches Verfahren ausführbar sei und wäre nach h.M. entbehrlich, sofern der Einziehungsadressat flüchtig oder unbekannten Aufenthalts sei. Ob eine solche Ausnahme infolge der landgerichtlich festgestellten Flucht der Einziehungsbeteiligten hier vorliege, kann nach Ansicht des Senats aber dahinstehen. Das Landgericht habe sich hier jedenfalls zur Durchführung eines Zwischenverfahrens entschieden, indem es die Antragsschrift den aus dem ursprünglichen Ermittlungsverfahren bekannten Verteidigern zugestellt und einem Einziehungsbeteiligten anschließend einen Pflichtverteidiger bestellt habe. Werde ein Zwischenverfahren durch das Gericht eingeleitet, habe es dieses gemäß den Vorgaben aus §§ 435 Abs. 3 Satz 1, 203, 207 StPO durch eine Entscheidung über die Eröffnung abzuschließen, bevor es gemäß § 436 StPO die Entscheidung im selbständigen Einziehungsverfahren treffe. Das Landgericht habe weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Eröffnungsentscheidung getroffen; insbesondere konnte letztere nicht gemeinsam mit dem
Einziehungsbeschluss ergehen, da der Eröffnungsbeschluss als Sachurteilsvoraussetzung notwendigerweise vor dieser Entscheidung zu ergehen habe.
Die Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Koblenz fügt sich in eine Reihe obergerichtlicher Judikate zum selbständigen Einziehungsverfahren ein, die allesamt mit der Einstellung infolge eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses in Gestalt eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses endeten.[1] Dies mag damit erklärt werden, dass das Gesetz erst seit dem Jahr 2017 die Durchführung eines Zwischenverfahrens im Rahmen des selbständigen Einziehungsverfahrens vorsieht, während dies in der Vorgängervorschrift des § 440 a.F. StPO nicht der Fall war, ein Eröffnungsbeschluss dementsprechend auch nicht zu fassen war. Angesichts der gestiegenen Bedeutung selbständiger Einziehungsverfahren[2] stehen weitere Entscheidungen dieser Art zu erwarten.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin begründet, dass die Einziehungsbeteiligten nach den landgerichtlichen Feststellungen flüchtig gewesen sind. Gemäß § 435 Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO gelten die in Halbsatz 1 in Bezug genommenen Vorschriften über das Zwischenverfahren nur, "soweit dies ausführbar ist". Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur vertritt nun im Anschluss an die Gesetzesbegründung die Auffassung, dass das (gesamte) Zwischenverfahren i.S.d. § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO nicht ausführbar und damit entbehrlich sein soll, wenn der Einziehungsadressat flüchtig oder unbekannten Aufenthalts ist.[3] Gleichwohl sei vorliegend eine Eröffnungsentscheidung nach Ansicht des Senats erforderlich gewesen: Denn mit der Entscheidung, die Antragsschrift den aus dem parallel geführten Strafverfahren bekannten Verteidigern zuzustellen, habe das Landgericht sich zugleich für die Durchführung des Zwischenverfahrens entschieden. Dieses habe dann in rechtmäßiger Weise, d.h. mit Eröffnungsentscheidung, abzulaufen.[4] Angesichts der in Rechtsprechung und Literatur zügig und unkritisch rezipierten Definition des Merkmals "Ausführbarkeit" in der Gesetzesbegründung, die wahrlich keine hohen Hürden an den Fortfall des Zwischenverfahrens statuiert (Flucht oder unbekannter Aufenthaltsort des Einziehungsadressaten), mag die vergleichsweise strenge Sichtweise des OLG Koblenz zunächst verwundern. Sie ist aber – wie zu zeigen sein wird – zumindest im Ergebnis zutreffend.
Der Beschluss gibt zunächst Veranlassung, sich näher mit den Modalitäten des Zwischenverfahrens i.S.d. § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO zu befassen.
§ 435 Absatz 3 Satz 1 StPO verweist auf §§ 201 bis 204, 210 und 211 StPO, die entsprechend gelten, soweit dies ausführbar ist. Damit ist auch dem selbständigen Einziehungsverfahren ein dem Zwischenverfahren entsprechendes Verfahrensstadium vorgeschaltet.
Der prinzipielle Ablauf dieses Zwischenverfahrens folgt den vorbezeichneten Vorschriften:[5] Nach Eingang der Antragsschrift teilt das Gericht diese dem Einziehungsadressaten mit und fordert ihn unter Fristsetzung auf, sich ggf. hierzu zu erklären (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 201 Absatz 1 Satz 1 StPO). Der Einziehungsadressat hat die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben und Beweiserhebungen zu beantragen, über die das Gericht entscheidet (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 201 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 StPO). Möglich sind ebenfalls Erörterungen über den Verfahrensstand (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 202a StPO). Alsdann hat das Gericht gemäß § 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 203 StPO zu prüfen, ob die Eröffnungsvoraussetzungen gegeben sind, d.h. ob die Anordnung der selbständigen Einziehung zu erwarten ist. Das ist der Fall, wenn die Einziehung nach dem Ergebnis der Ermittlungen wahrscheinlich ist und richtet sich materiellrechtlich nach § 76a StGB.[6] Im Rahmen der Prüfung kann das Gericht ergänzende Beweiserhebungen anordnen (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 202 StPO). Erkennt das Gericht danach eine hinreichende Einziehungswahrscheinlichkeit, erlässt es einen Eröffnungsbeschluss (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 203 StPO), andernfalls lehnt es die Eröffnung ab (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 204 StPO). Während der Einziehungsbeteiligte den Eröffnungsbeschluss nicht anfechten kann (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 210 Absatz 1 StPO), bleibt dies dem Antragsteller bei einer Ablehnung der Eröffnung unbenommen (§ 435 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 210 Absatz 2 StPO).
Nach § 435 Absatz 3 Satz 1 Hs. 2 StPO findet das Zwischenverfahren allerdings nur statt, "soweit dies ausführbar ist". Wie bereits dargestellt, vertritt die vorherrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur im Anschluss an die Gesetzesbegründung die Auffassung, dass das
(gesamte) Zwischenverfahren i.S.d. § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO einschließlich des Erlasses eines Eröffnungsbeschlusses nicht ausführbar und damit entbehrlich sei, wenn der Einziehungsadressat flüchtig oder unbekannten Aufenthalts ist.[7] Dieses Verständnis der "Nicht-Ausführbarkeit" ist soweit ersichtlich bislang nicht kritisch hinterfragt worden.[8] Vielmehr wurde die vorstehende Definition der diesbezüglich nicht weiter ergiebigen Gesetzesbegründung[9] entnommen. Die Auslegung des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO erhellt jedoch, dass dieses recht weitgehende Verständnis keinen Bestand haben kann. Im Einzelnen:
Betrachtet man den Wortlaut des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO, legt dieser keineswegs nahe, dass im Falle der Nicht-Ausführbarkeit sogleich das gesamte Zwischenverfahren fortfallen soll. Angesichts der Formulierung der Vorschrift ("soweit dies ausführbar ist") erscheint es vielmehr naheliegend, dass nur der jeweilige, im ersten Halbsatz in Bezug genommene Verfahrensschritt (etwa Zustellung nach § 201 Absatz 1 Satz 1 StPO, Beweiserhebungen nach § 202 StPO, Fassung des Eröffnungsbeschlusses nach §§ 203, 207 StPO etc.), der konkret nicht ausgeführt werden kann, entbehrlich ist, die übrigen Verfahrensschritte aber durchzuführen sind. Das in der Gesetzesbegründung wiedergegebene Verständnis hat im Wortlaut des Gesetzes selbst jedenfalls keinerlei Niederschlag gefunden.
In systematischer Hinsicht ist § 426 Absatz 1 Satz 2 StPO in den Blick zu nehmen. Anders als dort spricht § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO nicht vom Anschein der Ausführbarkeit ("ausführbar erscheint"), sondern davon, dass das Zwischenverfahren "ausführbar ist". Diese Abweichung spricht für die Geltung eines strengen Maßstabs bei der Auslegung des Merkmals. Jedenfalls dürfen keine unüberwindbaren faktischen Barrieren vor der Durchführung des Verfahrens stehen.[10] Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ferner, dass das Merkmal der "Ausführbarkeit" im Abschnitt über das Verfahren bei Einziehung und Vermögensbeschlagnahme des sechsten Buches der StPO in den §§ 425 und 426 StPO und deren Vorgängervorschriften (§§ 431 Absatz 1 Satz 3, 432 Absatz 1 Satz 1 a.F.) bislang nur im Kontext einer Anhörung Betroffener Bedeutung erlangt hat. § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO schreibt indes keine bloße Anhörung des Einziehungsadressaten zur Antragsschrift, sondern eine entsprechende Geltung der Vorschriften über das Zwischenverfahren vor. Das Zwischenverfahren erfüllt aber, wie sogleich gezeigt werden wird, mehr als nur die Funktion einer Anhörung. Auch deshalb erscheint eine restriktive Auslegung geboten.
Entscheidend dürfte es auf den Zweck der in § 435 Absatz 3 Satz 1 Hs. 1 StPO in Bezug genommenen Vorschriften des strafprozessualen Zwischenverfahrens ankommen. Zutreffend ist, dass im Zwischenverfahren rechtliches Gehör gewährt und damit der verfassungsrechtlich fundierte Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG einfachrechtlich umgesetzt wird.[11] Sofern die Gesetzesbegründung dem Zwischenverfahren des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO als Funktion aber allein die Gewährung rechtlichen Gehörs zuschreibt, ist dies verfehlt, denn neben dieser Aufgabe kommt dem Zwischenverfahren zuvörderst eine sog. Filterfunktion zu. Sie ist darauf gerichtet, die durch die Staatsanwaltschaft eingereichte Antragsschrift zu kontrollieren, um unberechtigte Anträge von vornherein auszusortieren.[12] Diese Kontrolle entfaltet eine Schutzwirkung in zwei Richtungen: Einerseits soll der Einziehungsadressat vor der unberechtigten Durchführung des selbständigen Einziehungsverfahrens, welches unter den Voraussetzungen von § 436 Absatz 2 i.V.m. § 434 Absatz 3 Satz 1 StPO auch mit der Belastung durch eine öffentliche Hauptverhandlung einhergehen kann, andererseits das Gericht vor unnötigem Mehraufwand geschützt werden.[13] Dass diese Filterfunktion auch im Verfahren nach § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO zum Tragen kommt, ist bereits im Verweis auf § 203 StPO erkennbar, der die Verdachtskontrolle vorschreibt. Im Übrigen kommt dem Zwischenverfahren auch die Funktion zu, das zuständige Gericht zu bestimmen und den Verfahrensstoff zu fixieren.[14] Danach zeigt sich, dass das in § 435 Absatz 3 Satz 1 Hs. 1 StPO vorgeschriebene Verfahren weit mehr Funktionen erfüllt als die bloße Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Zwischenverfahren ist eben keine bloße Anhörung, es ist Ausdruck einer besonderen verfahrensmäßigen Schutzfunktion, deren Fehlen grundsätzlich zu einem nicht behebbaren Verfahrenshindernis und damit zur Einstellung führt.[15]
Dies scheint der Gesetzgeber bei der Konkretisierung des Merkmals "Ausführbarkeit" allerdings nicht bedacht zu haben. Seine Intention ist in der Gesetzesbegründung wie folgt niedergelegt: "Zudem sieht die Neufassung grundsätzlich ein Zwischenverfahren vor. Das Verfahren lehnt sich damit eng an das Verfahren im Fall der Anklageerhebung an."[16] Damit finde, so die Begründung weiter, der
hohe Stellenwert des Gebots rechtlichen Gehörs hinreichend Berücksichtigung.[17]
An dieser Begründung irritiert zunächst das zumindest verwässerte Postulat eines "Gebots" rechtlichen Gehörs, sieht doch Art. 103 Absatz 1 GG als eines der elementaren Prozessgrundrechte einen Anspruch des Einziehungsadressaten auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor. Dessen ungeachtet steht angesichts der oben formulierten systematischen Erwägungen zu besorgen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Schaffung des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO die Unterschiede zwischen einer bloßen Anhörung, die nach der gesetzlichen Systematik seit jeher bei fehlender Ausführbarkeit entbehrlich war,[18] und dem Zwischenverfahren nicht berücksichtigt hat. Wenn der Gesetzgeber aber formuliert, dass sich das Verfahren des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO "eng an dasjenige bei Anklageerhebung anlehnt"[19], dürfte feststehen, dass er mehr als eine bloße Anhörung schaffen und mit der entsprechenden Geltung der §§ 201 ff. StPO eine verfahrensmäßige Absicherung im selbständigen Einziehungsverfahren implementieren wollte. Damit verträgt es sich dann aber nicht, auf diese verfahrensmäßige Absicherung bei Flucht oder unbekanntem Aufenthaltsort des Einziehungsadressaten pauschal zu verzichten, da zwar eine Anhörung in diesen Fällen nicht ausführbar sein mag, die weiteren Ausprägungen dieser verfahrensmäßigen Sicherung aber sehr wohl umsetzbar sind.
Der herrschenden Auffassung in ihrer Pauschalität ist nach alledem eine Absage zu erteilen. In Konsequenz vorstehender Erkenntnisse ist entgegen der Verlautbarung der Gesetzesbegründung und im Einklang mit Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO zunächst davon auszugehen, dass nur der jeweilige Verfahrensschritt der §§ 201 ff. StPO, der im konkreten Fall nicht ausführbar ist, ausnahmsweise entbehrlich ist, nicht aber stets das gesamte Zwischenverfahren fortfällt. Maßgeblich für die Frage der Ausführbarkeit ist daher eine konkrete Einzelfallbetrachtung der tatsächlichen Realisierbarkeit der einzelnen Verfahrensschritte vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Funktionen.
Es bedarf folglich in jedem Einzelfall der genauen Prüfung, ob der jeweilige Verfahrensschritt tatsächlich nicht ausführbar ist:
Konstellationen, in denen die Prüfung der hinreichenden Einziehungswahrscheinlichkeit (§ 435 Absatz 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 203 StPO) nach Aktenlage nicht ausführbar ist, sind dabei von vornherein nicht vorstellbar. Es ist auch nicht nachzuvollziehen, warum diese Kernaufgabe des Zwischenverfahrens bei Flucht oder unbekanntem Aufenthaltsort preisgegeben werden soll. Denn weder ist der Einziehungsadressat unbekannten Aufenthaltsortes weniger schutzwürdig, noch kann das Gericht vor unnötigem Mehraufwand infolge einer sachlich unrichtigen Antragsschrift der Staatsanwaltschaft geschützt werden, sondern müsste selbst in Fällen, in denen die Antragsschrift die Eröffnungsvoraussetzungen nicht erfüllt, in das gerichtliche Einziehungsverfahren eintreten.
Nicht ausführbar mag allenfalls die Zustellung der Antragsschrift oder des Eröffnungsbeschlusses sein, wenn der Einziehungsadressat flüchtig oder unbekannten Aufenthalts ist. Gleichwohl hält die StPO auch für derartige Probleme mitunter Lösungen vor: So kommt etwa die Zustellung der Antragsschrift (§ 435 Absatz 3 Satz 1 StPO § 201 Absatz 1 Satz 1 StPO) statt an einen Einziehungsadressaten unbekannten Aufenthalts möglicherweise an dessen bevollmächtigten Verteidiger in Betracht; ein Eröffnungsbeschluss kann dem Flüchtigen nach § 435 Absatz 3 Satz 2 i.V.m. § 429 Absatz 1 Hs. 2, Absatz 2 StPO entsprechend § 40 StPO öffentlich zugestellt[20] werden.
Es lässt sich jedenfalls festhalten, dass der gänzliche Fortfall des Zwischenverfahrens i.S.d. § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO nicht in Betracht kommt, ein Eröffnungsbeschluss vielmehr stets gefasst werden kann und muss. Nur dies wird den hinter § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO stehenden Schutzfunktionen gerecht.
Gemessen an den vorstehend gefundenen Erkenntnissen erweist sich der Beschluss des 2. Strafsenats des OLG Koblenz als im Ergebnis zutreffend, in der Begründung aber nur teilweise überzeugend.
Als zutreffend erweist sich zunächst die Einstellung des Verfahrens, da das Landgericht einen Eröffnungsbeschluss nicht gefasst hatte. Der vom OLG gewählten Begründung, das Gericht habe sich durch die Zustellung an die Verteidiger gleichsam konkludent dazu entschlossen, das Zwischenverfahren durchzuführen,[21] hätte es unter Zugrundelegung der hier entwickelten Auffassung indes nicht bedurft. Richtigerweise ist nämlich die Prüfung des hinreichenden Einziehungsverdachts und der damit verbundene Erlass eines Eröffnungsbeschlusses stets ausführbar.
Auch ist zu konstatieren, dass der Vorsitzende die Zustellung der Antragsschrift an die Verteidiger zu Recht verfügt hatte. Denn obschon die Einziehungsadressaten flüchtig waren, standen ihnen aus dem parallel geführten Ermittlungsverfahren Verteidiger zur Seite, die zwar keine Vollmacht hinsichtlich des selbständigen Einziehungsverfahrens zur Akte gereicht hatten. In einer solchen Situation, insbesondere angesichts des engen Zusammenhangs der Verfahren, drängt es sich aber geradezu auf, diesen Verteidigern die Antragsschrift zuzustellen, zumal das Fehlen einer diesbezüglichen Vollmacht in den Akten nichts über eine womöglich bestehende rechtsgeschäftliche
Zustellungsvollmacht[22] aussagt. Zumindest aber hätte das Gericht in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem flüchtigen Einziehungsadressaten zunächst Kontakt zu diesen Verteidigern aufnehmen dürfen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Vollmachtsvorlage geführt hätte.
Die Argumentation des Senats impliziert ferner, dass das Landgericht vorliegend unter schlichtem Verweis auf die Flucht der Einziehungsbeteiligten von fehlender Ausführbarkeit des Zwischenverfahrens hätte ausgehen dürfen und damit vollständig auf diese verfahrensmäßige Absicherung, insbesondere den Eröffnungsbeschluss, hätte verzichten können.[23] Dass diese Sichtweise erheblich zu kurz greift, weil sie die Funktionen des strafprozessualen Zwischenverfahrens verkennt, wurde bereits ausführlich dargelegt. Insofern ist der Entscheidung zu widersprechen.
Auch soweit der Senat Zweifel daran anmeldet, ob "diese Verfahrensweise[Anm.: gemeint ist die Durchführung des Zwischenverfahrens]sinnvoll[sic!]ist, da das Gericht[…]grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet",[24] zeugt dies von einem bedenklichen Verständnis verfahrensrechtlicher Sicherungen. Zum einen basieren die Eröffnungsentscheidung und die Einziehungsentscheidung – auch wenn letztere durch Beschluss ergeht – auf unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben: Während erstere "nur" hinreichenden Einziehungsverdacht voraussetzt,[25] erfordert letztere die Überzeugung[26] des Gerichts. Zum anderen verkennt diese Sichtweise die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses und der in ihm zum Ausdruck kommenden gerichtlichen Verurteilungsprognose für die weitere effektive und sachgerechte Verteidigung des Einziehungsbeteiligten. Denn § 436 Absatz 2 i.V.m. § 434 Absatz 3 Satz 1 StPO gewährt der Staatsanwaltschaft und dem Einziehungsbeteiligten das Recht, eine mündliche Verhandlung zu beantragen, die dann zwingend durchzuführen ist.[27] Sinnvollerweise kann ein solcher Antrag allerdings überhaupt erst nach der Eröffnungsentscheidung[28] gestellt werden, bei Nichteröffnung wäre er nicht statthaft. Denkt man demgegenüber das vom Senat und wohl auch vom Gesetzgeber geteilte Verständnis konsequent zu Ende, käme es zu Situationen, in denen auf den staatsanwaltschaftlichen Einziehungsantrag umgehend die gerichtliche Einziehungsanordnung folgt. Für den Einziehungsbeteiligten – dem mangels Zwischenverfahrens nicht einmal die Chance der Kenntnisnahme gegeben würde – käme diese Anordnung nicht selten völlig überraschend. Gegen sie kann er sich dann nur noch mittels einer sofortigen Beschwerde zur Wehr setzen;[29] eine mündliche Verhandlung kann er nicht beantragen. An diesem Beispiel wird die Notwendigkeit einer verfahrensmäßigen Absicherung zur Einhegung exzessiver Einziehungsbestrebungen aufseiten der Justiz offenbar.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Zwischenverfahren im selbständigen Einziehungsverfahren ist keine bloße Anhörung, sondern erfüllt hierüber hinausgehende Funktionen. Daher kann auf seine Durchführung nur insoweit, als es tatsächlich nicht ausführbar ist, verzichtet werden. Der hinreichende Einziehungsverdacht nach Aktenlage ist stets zu prüfen, ein Eröffnungsbeschluss stets zu fassen. Fehlt er, liegt ein Verfahrenshindernis vor, welches zur Einstellung des selbständigen Einziehungsverfahrens führt. Im Übrigen kommt es hinsichtlich der Frage der Ausführbarkeit des Verfahrens auf eine konkrete Einzelfallbetrachtung der tatsächlichen Realisierbarkeit der einzelnen Verfahrensschritte an. Die von Rechtsprechung und Literatur zügig und unkritisch rezipierte Definition des Merkmals "Ausführbarkeit" in der Gesetzesbegründung, nach der Flucht oder unbekannter Aufenthaltsort des Einziehungsadressaten für einen vollständigen Fortfall des Zwischenverfahrens hinreichen sollen, ist nach alledem nicht haltbar und somit abzulehnen. Dass in § 435 Absatz 3 Satz 1 StPO überhaupt die Möglichkeit vorgesehen ist, auf das Zwischenverfahren zu verzichten, spiegelt die zunehmende Gleichgültigkeit des Gesetzgebers vor verfahrensmäßigen Absicherungen als einem Gebot der Rechtstaatlichkeit wider. Auch deshalb ist eine restriktive Auslegung dringend angezeigt.
[*] Der Verfasser ist ab April 2022 als Rechtsanwalt in der Kanzlei Derra, Meyer & Partner Rechtsanwälte PartGmbB am Standort Ulm tätig.
[1] KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21 = BeckRS 2021, 36888; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.08.2020 – 1 Ws 265/20 = BeckRS 2020, 21398; OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 – 1 Ws 165/18 = StV 2020, 736.
[2] Gaede in LR-StPO, 27. Auflage (2022), § 435 Rn. 1; hingewiesen sei hier auch auf die Ausweitungen selbständiger Einziehungsverfahren, die sich aus dem zum 01.07.2021 neu eingefügten § 435 Absatz 4 StPO ergeben, dazu Bittmann NStZ 2022, 8, 12 f.
[3] BT-Drs. 18/9525, S. 92; OLG Bamberg, 1 Ws 165/18 v. 08.02.2019, juris Rn. 3; Scheinfeld/Langlitz in MüKo-StPO, 2019, § 435 Rn. 28; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl. (2021), § 435 Rn. 16; Schmidt in KK-StPO, 8. Auflage (2019), § 435 Rn. 14; Temming in Beck-OK StPO, 41. Edition (2021), § 435 Rn. 9.
[4] OLG Koblenz, Beschluss vom 30.11.2021 – 2 Ws 682/21 juris Rn. 15.
[5] Siehe dazu ausführlich Metzger in KMR-StPO, 86. Lfg. (2018), § 435 Rn. 22 ff.
[6] Schmidt in KK-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 2 f.; Gaede in LR-StPO, a.a.O. (Fn. 2), § 435 Rn. 27; BT-Drs. 18/9525, S. 91.
[7] BT-Drs. 18/9525, S. 92; OLG Bamberg, 1 Ws 165/18 v. 08.02.2019, juris Rn. 3; Scheinfeld/Langlitz in MüKo-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 28; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 16; Schmidt in KK-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 14; Temming in BeckOK-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 9.
[8] Siehe allerdings Gaede in LR-StPO, a.a.O. (Fn. 2), § 435 Rn. 32, der die allgemeine Ausführbarkeitsschranke als "Angstklausel" einordnet und zurecht auf die Gefahr hinweist, dass das Zwischenverfahren durch diese Regelungstechnik unter Effizienzgesichtspunkten sogleich wieder in Frage gestellt werden könnte.
[10] Scheinfeld/Langlitz in MüKo-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 28; Gaede in LR-StPO, a.a.O. (Fn. 2), § 435 Rn. 33.
[11] Wenske in MüKo-StPO, 2016, § 199 Rn. 4; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozess, S. 62 ff.; Wickel, Das strafprozessuale Zwischenverfahren, S. 35 m.w.N.
[12] Vormbaum ZIS 2015, 328 f. m.w.N.; Wenske in MüKo-StPO, a.a.O. (Fn. 10), § 199 Rn. 4; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozess, S. 62 ff.
[13] Fischer in KK-StPO, a.a.O. (Fn. 3), Einleitung Rn. 163.
[14] Wickel, Das strafprozessuale Zwischenverfahren, S. 36 ff. m.w.N.
[15] BGHSt 50, 267, 269 = NJW 2006, 240, 241; NStZ 1981, 448; NStZ 1987, 239.
[18] Vgl. etwa §§ 431 Absatz 1 Satz 3, 432 Absatz 1 Satz 1 StPO a.F.; §§ 425 Absatz 2 Satz 2, 426 Absatz 1 Satz 2, 459j Absatz 3, 459k Absatz 3, 459l Absatz 3, 462 Absatz 2 StPO.
[20] Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 9 tritt dafür ein, auch die Antragsschrift im Falle des unbekannten Aufenthalts öffentlich zuzustellen, was indes bei einer Anklageschrift umstritten ist, dazu Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. (Fn. 3), § 40 Rn. 1 m.w.N.
[21] Was i.Ü. als Kunstgriff erscheint, da die Kammer des LG gerade keinen Eröffnungsbeschluss erlassen hat und daher tatsächlich wohl kein Zwischenverfahren durchführen wollte.
[22] Dazu Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. (Fn. 3), § 145a Rn. 2a m.w.N.
[23] Klefenz jurisPR-StrafR 2/2022, Anm. 3.
[24] OLG Koblenz, Beschluss vom 30.11.2021 – 2 Ws 682/21 juris Rn. 16.
[25] Schmidt in KK-StPO, a.a.O. (Fn. 3), § 435 Rn. 2 f.; BT-Drs. 18/9525, S. 91.
[26] Siehe § 437 Absatz 1 Satz 1 StPO; BT-Drs. 18/9525, S. 92.
[27] Dazu OLG Dresden, Beschluss vom 27.09.2019 – 2 Ws 212/19 juris Rn. 8.
[28] Dafür spricht auch die systematische Stellung des Antragsrechts, das in § 436 Absatz 2 StPO und damit nach der Vorschrift über das Zwischenverfahren in § 435 Absatz 3 StPO geregelt ist.