HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2015
16. Jahrgang
PDF-Download

V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

488. BGH 3 StR 265/14 - Urteil vom 11. Dezember 2014 (LG Mainz)

BGHSt; Untreue durch unzulässige verdeckte Parteienfinanzierung (Vermögensbetreuungspflicht des Fraktionsvorsitzenden; evidente und schwer wiegende, gravierende Pflichtverletzung; Verwendung von aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellten Fraktionsgeldern zu Parteizwecken; Parteispenden; Hauptpflicht; Gesetzesverstoß; Vermögensbezug; Satzung; Unmittelbarkeit des Nachteils bei Auslösung einer gesetzlichen Sanktion; Anforderungen an die schadensausschließende Kompensation; kein tatbestandsausschließendes Einverständnis durch Fraktionsmitglieder; Verhältnis zu Strafvorschriften des PartG); Betrug (Anforderungen an die Absicht rechtswidriger Bereicherung; Beweiswürdigung).

§ 266 StGB; § 263 StGB; § 25 PartG; § 31c PartG; § 31d PartG

1. Werden Gelder, die einer Fraktion des Landtags von Rheinland-Pfalz aus dem Landeshaushalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugewendet worden sind, gesetzwidrig für Zwecke der die Fraktion tragenden Partei ausgegeben, so stehen der Würdigung dieses Vorgangs als Untreue im Sinne des § 266 StGB zum Nachteil der Fraktion nicht die Bestimmungen des Fraktionsgesetzes Rheinland-Pfalz über die Folgen einer gesetzwidrigen Verwendung von Fraktionsgeldern entgegen. (BGHSt)

2. Dem Vorsitzenden einer Parlamentsfraktion kann dieser gegenüber eine Pflicht im Sinne des § 266 StGB zur Betreuung deren Vermögens obliegen, die er verletzt, wenn er veranlasst, dass das Fraktionsvermögen gesetzeswidrig verwendet wird. (BGHSt)

3. Nimmt eine Partei geldwerte Leistungen aus dem Vermögen einer von ihr getragenen Parlamentsfraktion entgegen, ohne diese als Spende dem Präsidenten des Deutschen Bundestages anzuzeigen und deren Wert an diesen weiterzuleiten, so stehen der Würdigung dieses Vorgangs als Untreue im Sinne des § 266 StGB zum Nachteil der Partei nicht die Bestimmungen des Parteiengesetzes, insbesondere dessen § 31c Abs. 1 Satz 1 und § 31d PartG, entgegen. (BGHSt)

4. Dem Vorsitzenden einer Partei kann dieser gegenüber eine Pflicht im Sinne des § 266 StGB zur Betreuung deren Vermögens obliegen, die er verletzt, wenn er eine rechtswidrige Spende annimmt und sie nicht gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages anzeigt und an diesen weiterleitet. (BGHSt)

5. In diesem Fall wird der notwendige Zusammenhang zwischen der Verletzung der Treuepflicht und dem Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB nicht dadurch ausgeschlossen, dass die unrechtmäßige Parteispende zunächst noch entdeckt werden muss und die Zahlungspflicht der Partei aufgrund der gesetzlichen Sanktion des § 31c PartG noch einen feststellenden Verwaltungsakt des Bundestagspräsidenten erfordert. (BGHSt)

6. Zum Verhältnis von gemäß § 266 StGB strafbarer Untreue und einem anschließenden Verstoß gegen § 31d PartG. (BGHSt)

7. Der Vorsitzende einer Landtagsfraktion ist dieser gegenüber regelmäßig zu Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen verpflichtet i.S.d. § 266 StGB. Dasselbe gilt i.d.R. für den Vorsitzenden eines Landesverbandes einer Partei (hier: der CDU Rheinland-Pfalz) für das Vermögen sowohl dieses Landesverbandes als auch des Bundesverbandes. (Bearbeiter)

8. Einer Parlamentsfraktion ist es verfassungsrechtlich verwehrt, ihr als Teil eines Staatsorgans aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellte Zuschüsse zur Finanzierung des Wahlkampfes einer Partei zu verwenden. Vor diesem Hintergrund stellt insbesondere der Einsatz von Fraktionsgeldern zu Parteizwecken im Vorfeld einer Landtagswahl einen besonders gravierenden Pflichtenverstoß dar. (Bearbeiter)

9. Bei einer unzulässigen Parteienfinanzierung unter Verwendung von Geldern einer Landtagsfraktion verstößt ein etwaiges Einverständnis der Fraktion gegen gesetzliche und verfassungsrechtliche Vorgaben und entfaltet deshalb keine tatbestandsausschließende Wirkung. Selbst die Gesamtheit der Fraktionsmitglieder kann ihre finanziellen Mittel daher nicht in rechtlich zulässiger Weise für Parteizwecke einsetzen. (Bearbeiter)

10. Eine den Vermögensnachteil i.S.d. § 266 StGB ausschließende Kompensation liegt vor, wenn und soweit der durch die Tathandlung verursachte Nachteil durch zugleich bzw. unmittelbar eintretende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen wird. Ein derartiger Vorteil ist allerdings nur dann als wirtschaftlich vollwertig und kompensationsfähig anzusehen, wenn seine Realisierung jederzeit ohne nennenswerte Schwierigkeiten, etwa ohne besonderen Zeit- und Kostenaufwand und ohne Mitwirkung des Schuldners, zu erwarten ist. (Bearbeiter)

11. Die Beachtung von an sich nicht primär vermögensschützenden Vorschriften des Parteiengesetzes kann im Verhältnis der Partei zum Treunehmer gleichwohl Gegenstand einer selbstständigen Hauptpflicht zum Schutze des Parteivermögens sein, wenn etwa durch Satzung bestimmt ist, dass die Befolgung dieser Vorschriften für die Funktionsträger der Partei eine selbstständige, das Parteivermögen schützende Hauptpflicht im Sinne von

§ 266 Abs. 1 StGB darstellt (vgl. bereits BGH HRRS 2011 Nr. 675). (Bearbeiter)

12. § 31d PartG ist im Verhältnis zu § 266 StGB kein spezielles, eine abschließende Regelung enthaltendes und die Anwendbarkeit des § 266 StGB ausschließendes Gesetz. (Bearbeiter)


Entscheidung

464. BGH 2 StR 109/14 - Urteil vom 12. Februar 2015 (LG Frankfurt a. M.)

Unerlaubte Abgabe verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel aus einer Apotheke (Rohypnolabgabe; strafschärfende Verwertung eingestellter Taten; Tatprovokation); Abrechnungsbetrug (Täuschung gegenüber der Krankenkasse; Irrtum in Fällen von Massenabrechnungen: Begriff und Nachweis; Vermögensschaden: zulässige Schätzung, Stoffgleichheit).

Art. 6 EMRK; § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BtMG; § 263 StGB; § 25 Abs. 1 StGB; § 46 StGB; § 154 StPO

1. Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend macht. Hieraus folgt auch dann eine unrichtige Tatsachenangabe, wenn die zur Abrechnung eingereichten Rezepte gefälscht oder angekauft waren und ohne entsprechende Arzneimittelabgabe zur Abrechnung eingereicht wurden.

2. Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt in Ordnung. Daher setzt ein Irrtum auch nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde. Für die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums ist es deshalb ausreichend, dass ein sachgedankliches Mitbewusstsein der Krankenkassenmitarbeiter vorlag, das die Annahme einschloss, allen Abrechnungen des Angeklagten hätten tatsächlich von Apothekenkunden als Kassenpatienten eingereichte Rezepte und entsprechende Arzneimittelabgaben in der Apotheke zu Grunde gelegen.

3. Geht es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung eines tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs, bedarf es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen. Das Tatgericht konnte vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend gemacht.

4. Die Zwischenschaltung der Verrechnungsstelle ändert an der Stoffgleichheit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden nichts, da die Verrechnungsstelle insoweit nur eine Botenfunktion ausübt.


Entscheidung

468. BGH 2 StR 35/15 - Beschluss vom 19. März 2015 (LG Frankfurt a. M.)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minder schwerer Fall: geradezu idealtypischer Drogenkurierfall).

§ 30 Abs. 1, Abs. 2 BtMG; § 34 StGB; § 35 StGB

1. Nach der Rechtsprechung ist für das Vorliegen eines minder schweren Falles entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Für das Verbrechen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gilt nichts anderes.

2. Bei der Prüfung, ob § 30 Abs. 2 BtMG zur Anwendung kommt, ist nicht darauf abzustellen, ob ein „typischer Drogenkurierfall“, auch in der Variante des Körperschmuggels, vorliegt. Die Frage, ob der Einzelfall vom Durchschnitt der üblicherweise anzutreffenden Fälle derart abweicht, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens unangemessen erscheinen müsste, ist vielmehr am Durchschnitt aller Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu messen.


Entscheidung

442. BGH 4 StR 16/15 - Beschluss vom 25. Februar 2015 (LG Bielefeld)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Begehung als nicht eigenhändig transportierender Mittäter: wertende Gesamtbetrachtung); unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (mittäterschaftliche Begehung).

§ 29 Abs. 1 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

1. Der Tatbestand der Einfuhr erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Mittäter einer Einfuhr im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB kann ein Beteiligter deshalb auch dann sein, wenn das Rauschgift von einer anderen Person in das Inland verbracht wird. Voraussetzung dafür ist nach den auch hier geltenden Grundsätzen des allgemeinen Strafrechts aber ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheinen lässt.

2. Ob dies gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer umfassenden wertenden Betrachtung festzustellen; von besonderer Bedeutung sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist der Einfuhrvorgang selbst.

3. Entsprechendes gilt für das Handeltreiben. Auch für denjenigen, der ein Betäubungsmittelgeschäft lediglich

vermittelt (vgl. BGH StraFo 2012, 423) oder auf ähnliche Weise fördert, wird daher mittäterschaftliches Handeltreiben vor allem dann in Betracht kommen, wenn er gerade für das Handeltreiben erhebliche Tätigkeiten entfaltet, etwa am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll.


Entscheidung

435. BGH 2 StR 349/14 - Urteil vom 11. Februar 2015 (LG Frankfurt a. M.)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Tateinheit bei mehreren Rauschgiftgeschäften).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 52 Abs. 1 StGB

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (vgl. BGHSt 50, 252, 256). Überschneiden sich verschiedene Rauschgiftgeschäfte in einem Handlungsteil, so findet eine Verbindung zur Tateinheit. Dies ist aber nur der Fall, wenn tatbestandliche Handlungen tatsächlich zusammentreffen, nicht wenn alleine die Absicht besteht, künftig Ausführungshandlungen vorzunehmen, die beide Geschäfte gemeinsam betreffen (vgl. BGH NStZ 2008, 42, 43 m.w.N.).