Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2005
6. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die HRRS-Ausgabe Juni umfasst insbesondere die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur Anwendung des § 69 StGB, die wesentlich im Sinne des vorlegenden vierten Strafsenats gefallen ist. Vor allem auch der Senatsbeschluss des BVerfG zur Auslegung des § 344 II 2 StPO ist hervorzuheben. Ebenso ist auf die Entscheidung Buck gegen Deutschland hinzuweisen, mit der Deutschland vor dem EGMR verurteilt worden ist und in welcher der EGMR abermals vom BVerfG abgewichen ist.
Als Beitrag ist der Besprechungsaufsatz Die Nichtöffentlichkeit verfahrensbeendender Absprachen als absoluter Revisionsgrund von RA Markus Rübenstahl, Mag. iur. und Rechtsanwältin H. Milena Piel aufgenommen.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
Wiss. Ass.
1. Ein Eingriff ist nur dann im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig, wenn er einem dringenden sozialen Bedürfnis dient und zu diesem Zweck verhältnismäßig ist. Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, ist den Vertragsstaaten der EMRK ein Beurteilungsspielraum einzuräumen. Die von Art. 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ausnahmen sind jedoch eng auszulegen und das Bedürfnis zu ihrer Anwendung muss für den vorliegenden Einzelfall überzeugend dargetan werden.
2. Durchsuchungen und Beschlagnahmen kommen bei bestimmten Straftaten als zulässige Maßnahmen zur Erlangung von Sachbeweisen in Betracht. Der Gerichtshof prüft hier, ob die zur Rechtfertigung angeführten Gründe relevant und stichhaltig sind und ob sie das Verhältnismäßigkeitserfordernis wahren. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit muss erstens gesichert sein, dass die relevante Gesetzgebung und die diesbezügliche Praxis zum Schutz der Betroffenen adäquate und effektive Schutzinstrumente gegen Missbrauch vorhalten. Zweitens berücksichtigt der Gerichtshof die besonderen Umstände jedes einzelnen Falles, um für den konkret vorliegenden Einzelfall zu entscheiden, ob der vorliegende Eingriff im Hinblick auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig war. Bei den hiervon durch den Gerichtshof einbezogenen Kriterien handelt es sich - unter anderem - um die Schwere der von Durchsuchung und Beschlagnahme betroffenen Straftat, der Art und Weise, wie die entsprechende Anordnung erfolgt ist, im Besonderen zu dieser Zeit weiteres vorhandenes Beweismaterial, der Inhalt und der Umfang der Anordnung, die Natur der durchsuchten Räumlichkeiten und die Schutzinstrumente, die eingesetzt worden sind, um das Ausmaß der Maßnahme angemessen zu halten, sowie das Ausmaß möglicher Auswirkungen auf das Ansehen der von der Durchsuchung betroffenen Person.
3. Zum Einzelfall einer Verletzung, die insbesondere auf Grund der verfolgten geringfügigen Ordnungswidrigkeit, die von einem anderen als dem von Durchsuchung und Beschlagnahme Betroffenen begangen worden sein soll, und auf Grund der Ausdehnung auf die Privatwohnung anzunehmen ist.
4. Der Begriff Wohnung im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die private Wohnung im engeren Sinne. Die Wohnung im Sinne des Art. 8 EMRK ist so auszulegen, dass sie auch die Räumlichkeiten eines von einer Privatperson betriebenen Unternehmens und von juristischen Personen umfasst.
1. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn das Revisionsgericht für eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge der Verwertung des Inhalts einer in der Hauptverhandlung nicht verlesenen Urkunde (§ 261 StPO) regelmäßig den Vortrag fordert, dass der Urkundeninhalt auch nicht in sonstiger prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. (BVerfG)
2. Hingegen überspannt das Revisionsgericht die Zulässigkeitsanforderungen, wenn es die Mitteilung von Tatsachen fordert, denen kein über den Revisionsvortrag hinausgehender Bedeutungsgehalt zukommt, weil sie etwa mit dem Vorgang der Beweisgewinnung in der Hauptverhandlung in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. (BVerfG)
3. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dessen Anwendungsbereich auf die vollziehende öffentliche Gewalt beschränkt ist (vgl. BVerfGE 107, 395, 403 ff.), garantiert sie vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 94, 166, 226; stRspr). Die Rechtsschutzgarantie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter (vgl. BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert (vgl. BVerfGE 94, 166, 213). Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen (vgl. BVerfGE 88, 118, 123 f.; 101, 397, 408). (Bearbeiter)
4. Die Rechtsschutzgarantie gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (vgl. BVerfGE 40, 272, 275; 88, 118, 125). Sie gewährleistet zwar keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365, 410; stRspr). Wird dieser von den Prozessordnungen aber eröffnet, dann gebietet Art. 19 Abs. 4 GG wirksamen Rechtsschutz in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 104, 220, 232 m.w.N.). (Bearbeiter)
1. Die Verfahrensgarantie des gesetzlichen Richters erfordert, dass im einzelnen durch gesetzliche Regelung und gerichtliche Geschäftsverteilung bestimmt werden muss, wer im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG "gesetzlicher" Richter ist. Zugleich besteht ein Verbot, von Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, abzuweichen (BVerfG 95, 322, 327 m.w.N.).
2. Nicht jede fehlerhafte Anwendung normativer Zuständigkeitsregeln, stellt zugleich auch eine Verfassungsverletzung dar. Wäre dies anders, würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben. Ein Verfassungsverstoß ist bei Zuständigkeitsentscheidungen der Judikative nur dann gegeben, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich erfolgt oder offensichtlich unhaltbar ist, ferner wenn die Gerichte bei ihrer Entscheidung Inhalt und Reichweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennen (BVerfGE 82, 286, 299 m.w.N.). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bietet nur Schutz gegen Willkür, nicht hingegen gegen Irrtum.
3. Es bleibt offen, ob und inwieweit durch § 34 Abs. 1 JGG angesichts der bestehenden gesetzlichen Ausnahmeregelungen und eines fehlenden gesetzlichen Verbots des "Jugendermittlungsrichters", zwingend eine gerichtliche Geschäftsverteilung ausgeschlossen ist, bei der ein Richter ausschließlich mit jugendrichterlichen Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren betraut wird.
4. Ausnahmsweise besteht das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Eintritts prozessualer Überholung im Verfassungsbeschwerde-Verfahren in denjenigen Fällen fort, in
denen andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend wirken würde, wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen wäre oder wenn die gegenstandslose Maßnahme den Beschwerdeführer auch weiterhin beeinträchtigte.