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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2004
5. Jahrgang
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von Ulf Buermeyer, Leipzig/Paris *
Der 4. Strafsenat des BGH entscheidet derzeit über die Revision gegen eine Entscheidung des Landgerichts Bielefeld, die einige Fragen zum Verhältnis der Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff StGB) untereinander und zum Zweifelssatz "in dubio pro reo" aufwirft. Der Senat hat sie zum Anlass eines Anfragebeschlusses genommen[1]. Da davon auszugehen ist, dass die übrigen Senate an ihrer - ohnehin wohl nicht entgegenstehenden[2] - Rechtsprechung jedenfalls nicht festhalten
werden, sollen die aufgeworfenen Fragen skizziert und in ihrer praktischen Bedeutung beleuchtet werden.
Der Sache liegt folgende Fallgestaltung zugrunde[3]: Der Angeklagte ist seit Jahrzehnten alkoholabhängig und neigt unter Alkoholeinfluss zu teils schweren Straftaten, die bisher 23 Eintragungen im Bundeszentralregister ergaben. Mehrjährige Unterbringungen in Entziehungsanstalten blieben erfolglos. Am Tattag nahm der Angeklagte wieder Alkohol zu sich. Seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug 4,02 ‰. In diesem Zustand mißhandelte er einen Zechgenossen durch Schläge mit der Faust und einer Taschenlampe sowie durch Fußtritte, so dass dieser u.a. ein Schädelhirntrauma und mehrere Gesichtsfrakturen erlitt. Die sachverständig beratene Strafkammer geht davon aus, dass der Angeklagte bei Trinkbeginn voll schuldfähig war. Die Rauschtat, die das Landgericht - soweit ersichtlich zutreffend - als gefährliche Körperverletzung wertet, habe er dagegen im Zustand erheblich verminderter, möglicherweise völlig aufgehobener Steuerungsfähigkeit begangen. Nachdem sich die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Zeit der Körperverletzung nicht eindeutig bestimmen ließ, ging das LG in Anwendung des Zweifelssatzes "in dubio pro reo" davon aus, dass er schuldunfähig gewesen sei, und verurteilte ihn wegen vorsätzlichen Vollrauschs gem. § 323a Abs. 1 StGB.
Interessant sind nun die Erwägungen, die das LG zur Frage der Anordnungen einer Maßregel des Besserung und Sicherung anstellt. Es schließt zunächst die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus, da es an einer hinreichenden Aussicht auf einen Therapieerfolg fehle[4]. Angesichts der zahlreichen bereits gescheiterten Therapieversuche erscheint dies zutreffend. Dann erwägt es, den Angeklagten gem. § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, lehnt aber auch diese Möglichkeit ab. Sie komme nämlich nur dann in Betracht, wenn "die Tat" im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen wurde. Als "die Tat" nimmt das LG in diesem Zusammenhang das Sichberauschen im Sinne des § 323a Abs. 1 StGB an und beruft sich dabei auf Rechtsprechung des 5. Strafsenats [5] . Das Berauschen fand jedoch nach den Feststellungen in voll schuldfähigem Zustand statt. Daher fehle es für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an einer Anlasstat. Auf der Grundlage dieser Annahme ordnete das LG daher die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB an, weil dessen Voraussetzungen vorlagen und keine andere Maßregelanordnung rechtlich möglich sei.
Wie auch die Revision gegen das Urteil aufzeigte, führt der Zweifelssatz in Kombination mit § 323a Abs. 1 StGB einerseits und §§ 63, 66 StGB andererseits zu bedenklichen Konsequenzen. Zwar wird der Angeklagte hier zunächst durch die Verurteilung wegen Vollrauschs statt wegen gefährlicher Körperverletzung begünstigt, denn der Strafrahmen beträgt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Andererseits scheint sich aus daraus zu ergeben, dass es an einer im Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit begangenen Tat und daher an einer Anlasstat im Sinne des § 63 StGB fehlt, da die der Verurteilung letztlich zugrundeliegende Tat - nämlich das Sich-Berauschen im Sinne des § 323a Abs. 1 StGB - eben nicht in diesem Zustand begangen wurde. Letztlich hätte dem LG daher - wie es selbst auch in den Urteilsgründen annimmt - nur noch die Sicherungsverwahrung als Maßregel zu Gebote gestanden, aber nicht mehr die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Aus der Sicht der Revision begründet dies einen Verstoß gegen den Zweifelssatz: Die Unterbringung sei gegenüber der Sicherungsverwahrung die mildere Maßregel, so dass die Verhängung der letzteren als Konsequenz des Zweifelssatzes dazu führe, dass letztlich gerade nicht "pro reo" entschieden werde.
Der 4. Strafsenat nähert sich der Lösung an, indem er gesichertes Terrain absteckt. Er hält fest, dass der Zweifelssatz selbstverständlich nur zugunsten des Täters angewendet werden kann und dass dies auch im Grundsatz die Anwendung des § 323 a Abs. 1 StGB ermöglicht: Der Vollrausch stellt einen Auffangtatbestand dar, den der Gesetzgeber keinesfalls schärfer gewertet wissen wolle als die Verurteilung wegen der ihm zugrunde liegenden Rauschtat. Daher dürfe dem Täter daraus kein Nachteil erwachsen, dass der Tatrichter ihn aus § 323 a Abs. 1 StGB verurteilt. Aus diesem Grund sei diese Verurteilung in Fällen nicht aufzuklärender tatsächlicher Umstände grundsätzlich mit dem Zweifelssatz zu vereinbaren. Die gesetzgeberische Vorgabe, dass der Verurteilte bei § 323a StGB nicht schlechter stehen dürfe als bei Verurteilung wegen der Rauschtat, müsse dann aber auch für die gesamten Rechtsfolgen der Tat, also auch die Maßregelanordnung, gelten[6]. Dem Senat ist insoweit zuzustimmen: In der Tat ist dies einerseits offensichtlich Ziel des Gesetzes, andererseits und vor allem aber eine notwendige Voraussetzung der Anwendung des Zweifelssatzes. Könnte der Täter bei § 323a StGB nämlich letztlich hinsichtlich der Nebenfolgen doch schlechter stehen als bei einer Verurteilung wegen der Rauschtat selbst, so verböte sich hier die Anwendung des Zweifelssatzes, und § 323a Abs. 1 StGB würde für bestimmte Fälle unanwendbar, verlöre also seinen Charakter als Auffangtatbestand.
Die Argumentation der Revision baut weiter darauf auf, zwischen den Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Sicherungsverwahrung ein Stufenverhältnis in dem Sinne zu erblicken, dass die Sicherungsverwahrung den härteren Freiheitseingriff bedeute. Der 4. Strafsenat übernimmt diese Einschätzung, so dass in der Verurteilung aus § 323a Abs. 1 StGB (Folge: Sicherungsverwahrung als allein verbleibende Maßregel) statt der wegen gefährlicher Körperverletzung (Folge: ebenfalls denkbare Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) ein Verstoß gegen den Zweifelssatz zu sehen sein könnte. Der 4. Senat geht von dem Stufenverhältnis zwischen den Maßregeln allerdings nur implizit aus, ohne es näher zu diskutieren, und postuliert es nicht ausdrücklich[7]. Sollte darin allerdings eine Stellungnahme in diese Richtung zu entnehmen sein, so wäre dem entgegenzutreten:
Die Frage nach dem Verhältnis der Maßregeln ist unlängst vom 1. Strafsenat entschieden worden[8]. Er stellte fest, dass beide Maßregeln teilweise unterschiedliche Ziele verfolgen, also nicht deckungsgleich sind: Die Sicherungsverwahrung schützt die Allgemeinheit durch Einsperren des Verurteilten unabhängig von der verhängten Strafe. Die Unterbringung will zwar ebenfalls diesen Sicherungszweck verfolgen, stellt aber daneben auch auf Heilung ab. Die Unterbringung ist daher - in den Worten des 1. Senats, der wiederum BGHSt 5, 312, 314 zitiert - "kein geringeres, sondern ein anderes Übel". Der 1. Strafsenat steht also mit dieser Ansicht auf dem gesicherten Boden der Rechtsprechung. Sie wurde vor kurzem auch vom BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss zitiert und bestätigt[9].
Diese Ansicht überzeugt aber auch inhaltlich: Ob ein Behandlungsversuch, wie er integraler Bestandteil der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist[10], gegenüber der "bloßen" Sicherungsverwahrung als milder oder härter empfunden wird, hängt nicht zuletzt von der psychischen Disposition des Verurteilten ab. Wer selbst ein Krankheitsgefühl entwickelt hat und sich aus den Zwängen der eigenen Psyche zu befreien sucht, wird die Unterbringung eher als Chance und würde die Sicherungsverwahrung als demütigendes und abstumpfendes Wegsperren empfinden. Wem diese Krankheitseinsicht hingegen fehlt, der wird eher die "Nachstellungen" der Ärzte, die ihm "eine Krankheit einreden" wollen, als belastend ansehen und demnach möglicherweise die Sicherungsverwahrung als milder empfinden.
Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Maßregeln unterscheiden sich, ohne dass man ein Stufenverhältnis erkennen könnte: § 63 StGB setzt voraus, dass vom Täter infolge des Zustands der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist[11]. Nach dem Ende des "Zustands" - also einer Heilung des Täters - entfällt daher der Zweck der Unterbringung. Eine Sicherungsverwahrung setzt hingegen keinen Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB voraus, sondern unter anderem einen Hang zur Begehung von Straftaten, also ein durch Anlage oder Übung erworbenes Verhaltensmuster zur Begehung immer neuer Straftaten[12]. Beide Begriffe zielen auf unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale des Täters; sie stehen - um die Terminologie der Konkurrenzlehre zu bemühen - nicht im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation. Angesichts der individuell unterschiedlich einschneidenden Wirkung und den unterschiedlichen Voraussetzungen der Maßregeln ist demnach kein Stufenverhältnis anzunehmen.
Für den vor dem LG Bielefeld verhandelten Fall bedeutet dies, dass zumindest mit der Begründung, dass die Sicherungsverwahrung generell die härtere Maßregel darstelle, die Anwendung des Zweifelssatzes und damit eine Verurteilung aus § 323a Abs. 1 StGB nicht zu beanstanden ist[13].
Auch wenn dies im vorliegenden Fall nicht unbedingt zwingend erscheint, so ist dennoch die Initiative des 4. Strafsenats zu begrüßen, die Voraussetzungen zu präzisieren, unter denen eine Maßregel gem. § 63 StGB angeordnet werden kann, wenn der Täter wegen Vollrauschs nach § 323 a StGB verurteilt wurde. Denn es stellt sich durchaus die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn zwar im Rahmen der Strafzumessung die Anwendung des § 323a StGB für den Angeklagten vorteilhafter ist, er dadurch aber bei den Nebenfolgen der Tat schlechter gestellt würde.
Ein Ansatz würde darin bestehen, für Schuldspruch und Strafzumessung in dubio von bestimmten Tatsachen auszugehen, für Nebenfolgen der Tat hingegen - wiederum im Zweifel - von anderen: Die Hilfserwägung des 5. Senats in seiner Antwort auf den Anfragebeschluss, dass "möglicherweise eine zweite Anwendung des Zweifelssatzes darüber hinwegtragen [kann], daß die Feststellung der Merkmale des § 21 StGB als Voraussetzung einer
Unterbringung nach § 63 StGB dem Tatrichter nicht möglich war"[14], deutet in diese Richtung. Dieser Ansatz ist indessen nicht unproblematisch: Der Zweifelssatz soll sicherstellen, dass prozessordnungsgemäß auch in einer Gesamtbetrachtung der gesamten Beweislage[15] nicht überwindbare Zweifel über das wahre tatsächliche Geschehen sich nicht zu Lasten des Täters auswirken[16]. Fraglich erscheint jedoch, ob er wirklich so weit reicht, dem Täter auf einer unsicheren Tatsachengrundlage die materiell bestmögliche Entscheidung auch dann sichern, wenn dies zu einem in sich unschlüssigen, weil auf miteinander unvereinbaren in dubio-Annahmen beruhenden Urteil führen würde. Anerkannt ist dieses Vorgehen zwar für Fälle des Fahrens unter Alkoholeinfluss, in denen einerseits im Rahmen der Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit pro reo vom niedrigsten möglichen BAK-Wert ausgegangen wird, andererseits aber bei der Frage der Schuldfähigkeit vom höchstmöglichen[17]. Allerdings sollte diese "Widerspruchslösung" nur als ultima ratio angewendet werden, wenn sie der Zweifelssatz tatsächlich erzwingt, denn immerhin führt sie dazu, vom Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe[18] abzuweichen. Zudem würde damit ein Geschehen zugrunde gelegt, das so schon denklogisch nicht stattgefunden haben kann - entweder war der Täter schuldunfähig oder eben nicht - während der Richter eigentlich nach ständiger Rechtsprechung zur Überzeugungsbildung nur gehalten ist, in dubio von dem für den Täter günstigsten wenigstens für möglich gehaltenen, nicht nur rein theoretisch denkbaren Geschehensablauf auszugehen[19]. Bevor also zu der Notlösung der doppelten Anwendung des Zweifelssatzes zu greifen sein mag, lohnt der Blick auf andere Varianten, die dieses unbefriedigende Ergebnis vermeiden.
Zieht man die einheitliche Tatsachenfeststellung vor, so bleibt die Frage, wie das Auseinanderfallen von günstigem Schuldspruch bei einem tatsächlichen Geschehen und günstiger Nebenfolgenentscheidung bei einem anderen zu lösen ist. Das Ergebnis zumindest dürfte in den Fällen der unklaren Rauschmittelintoxikation eindeutig sein: § 323 a Abs. 1 StGB wurde vom Gesetzgeber - wie der 4. Strafsenat überzeugend darlegt[20] - als Auffangtatbestand konzipiert, er soll gerade in Zweifelsfällen anwendbar sein. Daher ist nach einer Lösung zu suchen, die bei seiner Anwendung Nachteile für den Verurteilten ausschließt und so der Anwendung des Zweifelssatzes den Weg ebnet.
Der Ansatz dazu ist in den tatbestandlichen Voraussetzungen der Maßregeln zu suchen. Ist denn überhaupt die Annahme des LG Bielefeld zutreffend, dass "rechtswidrige Tat" im Sinne des § 63 StGB notwendigerweise das Sich-Berauschen ist? Das Gericht stützt sich zwar zu Recht auf den Wortlaut der von ihm zitierten Entscheidung des 5. Senats von 1995[21]. Diese jedoch diskutiert die Frage, ob im Rahmen des § 63 auf die Rauschtat oder das Sich-Berauschen abzustellen ist, mit keinem Wort und stützt sich auf keine frühere Rechtsprechung. Sie geht hingegen wie selbstverständlich davon aus, daß "auslösende rechtswidrige Tat i.S. des § 63 StGB das Vergehen des Vollrauschs (§ 323a StGB)" sei. Zumindest wird man dieser Entscheidung also keine ausdrückliche Stellungnahme gegen die Berücksichtigung der Rauschtat entnehmen können, sondern sie so lesen müssen, dass jedenfalls auch die Tathandlung des § 323a StGB in Betracht kommt: Das ist in der Tat nicht zweifelhaft, und dann erscheint die doch sehr lapidare Feststellung des 5. Senats verständlich, der sich der 2. Senat [22] und der 4. Senat [23] ebenfalls ohne nähere Begründung angeschlossen haben.
Bei genauer Betrachtung führt indessen kaum ein Weg daran vorbei, im Rahmen des § 63 StGB auch auf die Rauschtat abzustellen. Denn wenn man mit dem Zweifelssatz annimmt, dass der Angeklagte sich im Zustand des § 20 StGB befand, also schuldlos handelte, so bleibt davon die Rechtwidrigkeit seiner Rauschtat unberührt. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass "rechtswidrige Tat" in diesem Sinne nur diejenige sein könne, die auch im Urteilstenor bezeichnet wird, mithin also bei Verurteilung aus § 323 a Abs. 1 StGB das Sich-Berauschen. Denn in Fällen des nicht ausschließbaren § 20 StGB ist der Täter insoweit ohnehin ausdrücklich freizusprechen[24], so dass keine Verurteilung wegen der Rauschtat im Tenor zu finden sein wird. Auf die Urteilsformel kann es also nicht ankommen.
Dass der Täter nun in den Sonderfällen[25] der Rauschmittelintoxikation dennoch aus § 323 a Abs. 1 StGB verurteilt wird, wegen dieser Tat als solcher jedoch mangels Zustands der §§ 20, 21 StGB nicht gem. § 63 StGB untergebracht werden darf, kann der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen der schuldlosen Rauschtat nicht entgegenstehen: Zwar mag das Strafbedürfnis der Allgemein-
heit bereits durch den Schuldspruch und den darauf gegründeten Strafausspruch erfüllt sein, doch erfüllen Maßregeln der Besserung und Sicherung ohnehin keinen Straf- sondern ihren eigenen, vornehmlich präventiven Zweck. Es ist also nicht ersichtlich, warum in den Fällen, in denen § 323 a Abs. 1 StGB zur Verurteilung des wegen der eigentlichen Rauschtat freizusprechenden Täters führt, die Anwendung von § 63 StGB gesperrt sein sollte. Dies führt im Gegenteil zu einem "unüberbrückbaren Widerspruch", denn der wegen Vollrauschs Verurteilte, dem die ausdrückliche Missbilligung seines Tuns durch die Rechtsordnung attestiert wird, stünde auf der Seite der Nebenfolgen besser als derjenige, der wegen schuldlosen Handelns freigesprochen wurde[26]. Auf dieser Linie argumentiert auch der 4. Senat, wenn er vernehmlich zweifelt[27], ob an entgegenstehender Rechtsprechung - namentlich also zumindest dem Anschein nach an der eben zitierten des 5. Senats - festzuhalten ist, die eben diese Anknüpfung an die Rauschtat für nicht zulässig hält.
Den genannten Entscheidungen[28] ist eine dezidierte Stellungnahme gegen die Berücksichtigung der Rauschtat als Anlasstat aber auch nicht beizulegen. Selbst der 5. Senat, der die Grundlage für diese Rechtsprechung gelegt hat, hat an seiner Entscheidung[29] nicht ausdrücklich festgehalten, sondern sich darauf zurückgezogen, daß offen bleiben könne, welche Tat als Anlasstat des § 63 StGB anzusehen ist[30]. Andererseits gibt er seine Rechtsprechung auch nicht auf und stellt eine Hilfserwägung an, die wiederum dafür sprechen könnte, er wolle doch an ihr festhalten[31]. Dem wäre jedoch wegen der Auslegung des § 63 StGB nicht zu folgen, vor allem aber auch deshalb nicht, weil dieser Ansatz zu der oben skizzierten "doppelten" Tatsachenfeststellung nötigen würde, die wie gezeigt unbefriedigend wäre. Vielmehr liegt es nahe, von einem Missverständnis auszugehen: Es geht sicherlich im Kern nicht darum, dass § 63 in Fällen des Vollrauschs systematisch gesperrt wäre - dafür gibt es keinen Grund. Statt dessen mag die Unterbringung schon tatbestandlich nicht möglich gewesen sein, weil der Zustand im Sinne des § 63 StGB seiner Natur nach ein länger dauernder sein muss, was bei einer Rauschmittelvergiftung nicht unbedingt der Fall sein muss. Im Falle des Alkoholmissbrauchs genügt etwa eine einfache Sucht auch dann nicht, wenn der Süchtige unter Alkoholeinfluss Straftaten begeht. Die Alkoholsucht muss vielmehr Krankheitswert erreichen[32]. Das ist aber ohnehin stets Fallfrage.
Es bleibt damit festzuhalten, dass auch in Fällen des § 323a Abs. 1 StGB bei der Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Anknüpfung an die Rauschtat möglich ist. Diese Lösung erscheint systematisch überzeugend, da sie vom Wortlaut des § 63 StGB getragen wird und Spannungen zwischen Haupt- und Nebenfolgen der Rauschtat vermeidet. Insbesondere lassen sich so widersprüchliche Tatsachenfeststellungen mittels doppelter in-dubio-Schlüsse umgehen. Die Rechtsprechung des BGH ist zur Frage der Anknüpfung an die Rauschtat nicht eindeutig, weswegen die Initiative des 4. Senats zur Präzisierung rundum zu begrüßen ist. Auf der Basis der hier vertretenen Ansicht steht schließlich der gewohnten einfachen Anwendung des Zweifelssatzes mit eindeutiger Tatsachenfeststellung in diesen Fällen nichts mehr entgegen.
* Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht (HRRS; http://www.hrrs.de). Er promoviert derzeit an der Universität Leipzig und der Bibliothèque de Cujas (Université Paris I - Panthéon-Sorbonne) zur Umsetzung der e-Commerce-Richtlinie.
[1] BGH 4 StR 147/03 - Beschluss vom 5. August 2003.
[2] Der 1. Senat (BGH 1 ARs 29/03 - Beschluss vom 6. November 2003), der 2. Senat (BGH 2 ARs 343/03 - Beschluss vom 28. November 2003) und der 5. Senat (BGH 5 ARs 63/03 - Beschluss vom 29. Oktober 2003) haben bereits klargestellt, dass ihre Rechtsprechung nicht entgegensteht; im Einzelnen siehe sogleich.
[3] Wiedergabe nach dem Anfragebeschluss, vgl. oben Fn 222.
[4] Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - BVerfGE 91, 1.
[5] BGH, Beschluss vom 18. Mai 1995 - 5 StR 239/95 = NStZ 1996, 41.
[6] BGH nach oben Fn 222, HRRS-Rn 13 bis 15.
[7] BGH nach oben Fn 222, HRRS-Rn 16.
[8] BGH 1 StR 546/01 - Urteil vom 19. Februar 2002, dort HRRS-Rn 21 f.
[9] BVerfG 2 BvR 366/03 - Beschluss vom 10. Oktober 2003 (bei HRRS).
[10] Vgl. § 136 StVollzG; Tröndle/Fischer § 63 StGB Rn 2.
[11] Tröndle/Fischer § 63 StGB Rn 2b und 7; S/S-Stree § 63 Rn 16 f.
[12] Tröndle/Fischer § 66 StGB Rn 17 ff.
[13] Allerdings enthält das Urteil in der Maßregelanordnung einen Erörterungsmangel, denn der Tatrichter hat die Möglichkeit zu Unrecht ausgeschlossen, eine Unterbringung nach § 63 StGB anzuordnen, und daher die ihm nach § 72 Abs.1 StGB zukommende Entscheidung nicht getroffen, welche Maßregel die im konkreten Fall mildeste mögliche ist.
[14] BGH 5 ARs 63/03 - Beschluss vom 29. Oktober 2003, HRRS-Rn 6, ähnlich der 2. Senat in BGH 2 ARs 343/03 - Beschluss vom 28. November 2003.
[15] Zur Anwendung des Zweifelssatzes nicht schon auf einzelne Beweistatsachen, sondern erst auf die Beweiswürdigung im ganzen BGH 3 StR 136/01 - Urteil v. 27. Juni 2001, HRRS-Rn 5.
[16] KK-Pfeiffer Einleitung zur StPO Rn 19; KK-Schoreit § 261 StPO Rn 56.
[17] So aber Meyer-Goßner § 261 StPO Rn 32 aE.
[18] Vgl. etwa BGH 3 StR 276/03 - Beschluss vom 30. Oktober 2003, HRRS-Rn 8; BGH 3 StR 434/02 - Urteil vom 13. März 2003, HRRS-Rn 8; KK-Engelhardt § 267 StPO Rn 13.
[19] BGH 4 StR 585/01 - Urteil vom 11. April 2002, HRRS-Rn 6; BGH 3 StR 136/01 - Urteil v. 27. Juni 2001, HRRS-Rn 7 f; KK-Schoreit § 261 StPO Rn 56 m.w.N.
[20] Vgl. oben Fn 1.
[21] Vgl. oben Fn 226.
[22] BGH, Beschluss vom 26. Juni 1996 - 2 StR 244/96, NStZ-RR 1997, 102.
[23] BGH, Beschluss vom 4. Februar 1997 - 4 StR 655/96, NStZ-RR 1997, 299, 300.
[24] Tröndle/Fischer § 63 StGB Rn 15.
[25] Im Gegensatz etwa zu Fällen einer Psychose.
[26] BGH nach oben Fn 222, Rn 18 aE.
[27] BGH aaO.
[28] S.o. Fn 226, 243 und 244 .
[29] Oben Fn. 226.
[30] AaO (oben Fn. 223), HRRS-Rn 4.
[31] AaO, Rn. 6; ähnlich äußert sich der 2. Senat (oben Fn. 223, Rn 1).
[32] BGH 2 StR 430/98 - Urteil vom 8. Januar 1999, HRRS-Rn 5; vgl. zu den Anforderungen Tröndle/Fischer § 63 StGB Rn 2b; S/S-Stree § 63 Rn 12.