Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2004
5. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die Februar-Ausgabe der HRRS umfasst rund 100 Entscheidungen. Unter ihnen ragt die Entscheidung des BVerfG heraus, mit der die lebenslange Sicherungsverwahrung für verfassungskonform erklärt und das Rückwirkungsverbot auf schuldausgleichende Strafen beschränkt wird. Viele weitere bedeutende Entscheidungen des BVerfG aber vor allem auch des BGH sind aufgenommen.
In dieser Ausgabe nehmen wir mit einem Text von Herrn Buermeyer erstmals die Rubrik HRRS-Praxishinweis auf, die vor allem auch Praktiker als Forum nutzen können. Ein Beitrag von Herrn Rübenstahl befasst sich mit der Begehung von Untreue durch Rechtsanwälte, die Mandantengelder auf eigenen Konten verwahren. In einer eigenen Abhandlung wird die Zurückhaltung möglicherweise entlastend wirkender Beweismittel bzw. § 96 StPO (§ 110b III StPO) am Maßstab des Art. 6 EMRK gemessen.
Die Redaktion hofft, dass für Sie interessante Inhalte aufgenommen sind und lädt Sie ein, die Ausgabe ausgiebig zu nutzen. Über Lob freuen wir uns, für anregende Kritik sind wir dankbar.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
Wiss. Ass.
1. a) Die Menschenwürde wird auch durch eine langdauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist. Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen. Daher muss die Sicherungsverwahrung ebenso wie der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein, die Voraussetzungen für ein verantwortliches Leben in Freiheit zu schaffen. (BVerfG)
1. b) Für das Institut der Sicherungsverwahrung folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG kein verfassungsrechtliches Gebot, schon bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder in einem späteren Überprüfungszeitpunkt eine Höchstfrist des Vollzugs festzusetzen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass eine verbindliche Entscheidung über den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt beim Sicherungsverwahrten nicht im Vorhinein getroffen wird. (BVerfG)
2. a) Je länger die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für ihre Fortdauer. (BVerfG)
2. b) Die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB trägt der verstärkten Geltung des Freiheitsanspruchs nach zehnjähriger Verwahrdauer Rechnung, indem sie erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und den Nachweis der Gefährlichkeit des Verwahrten stellt und nur ausnahmsweise die Fortsetzung der Vollstreckung gestattet. (BVerfG)
2. c) Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognosebasis darf sich das Vollstreckungsgericht nicht damit abfinden, dass die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund Vollzugslockerungen versagt, welche die Erledigung der Maßregel vorbereiten können. (BVerfG)
2. d) Die Landesjustizverwaltungen haben dafür Sorge zu tragen, dass Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug der Sicherungsverwahrung soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt. (BVerfG)
3. Der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient. (BVerfG)
4. Der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung und die Anwendbarkeit auf Straftäter, bei denen die Sicherungsverwahrung vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und noch nicht erledigt war, steht im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). (BVerfG)
5. Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes. Mit der Menschenwürde ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist auch dem eigen, der auf Grund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch "unwürdiges" Verhalten geht sie nicht verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt. (Bearbeiter)
6. Für die Strafrechtspflege bedeutet das Gebot zur Achtung der Menschenwürde insbesondere, dass grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen verboten sind. Der Täter darf nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden. Mit der Garantie der Menschenwürde wäre es unvereinbar, wenn der Staat für sich in Anspruch nehmen würde, den Menschen zwangsweise seiner Freiheit zu entkleiden, ohne dass zumindest die Chance für ihn bestehen würde, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. (Bearbeiter)
7. Zu den Anforderungen an die richterliche Entscheidung und an zugrunde liegende Sachverständigengutachten bei der Anordnung und Überprüfung der Sicherungsverwahrung. (Bearbeiter)
8. Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner kriminalpolitischen Vorstellungen und Ziele im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. Verfassungsgerichtlicher Korrektur unterliegen insoweit nur offensichtlich fehlsame Entscheidungen des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 30, 292, 317; 77, 84, 106). (Bearbeiter)
9. Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG setzt danach voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient. (Bearbeiter)
1. Die Unschuldsvermutung wird verletzt, wenn eine justitielle Entscheidung einen Angeklagten als schuldig einschätzt, ohne dass zuvor ein gesetzlicher Schuldbeweis erbracht worden ist und der Angeklagte seine Verteidigungsrechte ausüben konnte. Dies kann auch der Fall sein, wenn keine formale Schuldfeststellung erfolgt. Es genügt für eine Verletzung, wenn die Entscheidungsbegründung zeigt, dass das Gericht den Angeklagten als schuldig ansieht.
2. Weder Art. 6 Abs. 2 EMRK noch eine andere Vorschrift der EMRK gewährt einem Angeklagten ein Recht auf eine Entschädigung, wenn ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren eingestellt worden ist. Die Verweigerung einer Entschädigung hinsichtlich der für das Verfahren angefallenen Auslagen und Kosten stellt für sich genommen noch keine Verletzung der Unschuldsvermutung dar.
3. Die Entscheidung über eine solche Entschädigung nach der Beendigung des Verfahrens kann jedoch durch ihre Begründung zu einer Verletzung der
Unschuldsvermutung führen, wenn zuvor der gesetzliche Schuldbeweis nicht erbracht worden ist und der Angeklagte seine Verteidigungsrechte nicht ausüben konnte. Dies gilt auch dann, wenn die Beendigung des Verfahrens nicht durch einen Freispruch erfolgt ist. Die Bezugnahme auf einen nach dem vorherigen Verfahren verbliebenen Tatverdacht führt dabei allein noch nicht zu einer Verletzung, selbst wenn die Äußerungen missverstanden werden können.
1. Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG kann verletzt sein, wenn ein Revisionsgericht eine nach dem Stand des Verfahrens gebotene Zurückverweisung an das Tatsachengericht unterlässt (vgl. BVerfGE 54, 100, 115). Die über die gesetzlich normierten Fälle des § 354 Abs. 1 StPO hinausgehende Strafzumessung durch das Revisionsgericht, die zugleich die Entscheidung des Tatgerichts zur Festsetzung der konkret verwirkten Strafe verhindert, enthält eine Verkennung der dem Revisionsgericht gezogenen Grenzen. Sie verletzt jedenfalls dann das Recht auf den gesetzlichen Richter, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist (vgl. BVerfGE 31, 145, 165).
2. Ob die Entscheidung des Revisionsgerichts, die Strafe selbst festzusetzen, auf willkürlichen Erwägungen beruht, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden (BVerfG NStZ 1991, 499). Willkür liegt dann vor, wenn die Entscheidung eines Gerichts sich bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dies bedeutet, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt wird, die bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49).
3. Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG werden die Grenzen, die der Auslegung und Anwendung des Strafprozessrechts unter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen Tatgericht und Revisionsgericht von Verfassungs wegen gezogen sind, jedenfalls dann überschritten, wenn ein Revisionsgericht das Ergebnis der tatrichterlichen Strafzumessung aufrechterhält, obgleich zwei Einzelstrafen weggefallen sind, die der Tatrichter für die Bildung der Gesamtstrafe als wesentlich erachtet hatte.
1. Das Rechtsberatungsgesetz sieht als Mittel der Sanktionierung von Verstößen gegen die Verbote und Gebote des Rechtsberatungsgesetzes die Ahndung als Ordnungswidrigkeit (Art. 1 § 8 RBerG), nicht aber eine Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten des rechtsuchenden Antragstellers vor. Eine gegenläufige Auslegung des Gesetzes stellt eine nicht nachvollziehbare, grundlose Versagung des Anspruches auf Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG dar.
2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Die Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs zu gerichtlichem Rechtsschutz werden durch das einfache Recht ausgestaltet. Dabei darf der Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise eingeschränkt werden. Dasselbe gilt für die gerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts. Art. 19 Abs. 4 GG ist daher verletzt, wenn eine gerichtliche Sachentscheidung ohne nachvollziehbaren Grund versagt wird.
3. Das Prozessrecht kennt keinen Grundsatz des Inhalts, dass nur rechtmäßig zustande gekommene Anträge zulässig sind. Auch aus dem ungeschriebenen Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte lässt sich ein solcher Grundsatz nicht ableiten. Denn ein Missbrauch ist dann anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die Verfahrensordnung eingeräumte Möglichkeit zur Wahrung seiner Belange benutzt, um statt des Schutzes seiner Rechte gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen, nicht aber wenn der Verfahrensbeteiligte ein sachliches, dem Zweck des Verfahrens entsprechendes Anliegen verfolgt.
1. Bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten ist der mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit muss zur Dauer des erlittenen Freiheitsentzugs in Beziehung gesetzt werden (vgl. BVerfGE 70, 297, 311 f). Die dem Richter auferlegte Prognose erfordert eine wertende Entscheidung über die "Verantwortbarkeit der Erprobung" einer Aussetzung des Maßregelvollzuges. Dies schließt ein, dass mit der Aussetzung ein vertretbares Risiko eingegangen wird, zumal bei lang andauerndem Freiheitsentzug mit völligem Wohlverhalten nach der bedingten Entlassung kaum jemals zu rechnen ist. Die Entlassungsprognose erfordert also nicht etwa die sichere Erwartung zukünftigen Wohlverhaltens des Untergebrachten.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die Unterbringung eines Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck dieser Maßregel es unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs sein. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Strafvollstreckungsrichters, zumal der Gesetzgeber für diese Maßregel eine absolute zeitliche Höchstgrenze der Vollstreckung nicht vorgesehen hat.
3. Von der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sind zwar Täter nicht von vornherein ausgeschlossen, bei denen die Aussicht auf Besserung zweifelhaft erscheint (vgl. BGH, NStZ 1990, 122, 123). Dem Verblassen des Besserungszwecks mag auch eine nur begrenzte Bedeutung zukommen oder die Besserung mag als Nebenzweck überhaupt nachrangig sein (vgl. BVerfGE 70, 297, 316-318). Wenn sich jedoch die Besserungsprognose weiterhin verschlechtert und die Besserung gegebenenfalls sogar ausgeschlossen sein sollte, nähert sich die Unterbringung gemäß § 63 StGB dem Vollzug einer Sicherungsverwahrung an. Die beiden Maßregeln, die grundsätzlich gemäß § 72 Abs. 2 StGB auch nebeneinander angeordnet werden können, sind jedoch voneinander zu unterscheiden. Sie stehen nicht in einem Stufenverhältnis zueinander, sondern unterscheiden sich qualitativ. Die Unterbringung ist im Verhältnis zur Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel (vgl. BGH, NStZ 2002, 533, 534).
1. Eine einstweilige Anordnung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde darf dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (BVerfGE 103, 41, 42). Dies ist u.A. dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG noch nicht erschöpft hat.
2. Ordnet ein Richter - etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses - die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, so muss er die Gegenstände so genau bezeichnen, dass keine Zweifel darüber bestehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind oder nicht. Fehlt diese genaue Bezeichnung, so handelt es sich bei der Beschlagnahmeanordnung lediglich um eine Richtlinie für die Durchsuchung.
3. Die Sicherstellung und Durchsuchung des Datenbestandes der Rechtsanwaltskanzlei bedarf jedenfalls im Hinblick darauf, dass neben dem Beschuldigten die Daten einer Vielzahl Nichtbeschuldigter betroffen sind, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
Mit Blick auf den rechtsstaatlichen Auftrag zur möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft einen Informationsvorsprung hat und das Informationsinteresse des Beschuldigten im Hinblick auf den Inhalt der Verfahrensakten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens zurücksteht.